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Brisante Chats

In der Fördergeld-Affäre gerät Ministerin Stark-Watzinger immer mehr in Bedrängnis. Jetzt veröffentlichte der SPIEGEL interne "Wire"-Nachrichten aus dem Forschungsministerium. Diese sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Berliner Dienstsitz des BMBF. Foto: Fridolin freudenfett, CC BY-SA 4.0 

ES IST EIN PAUKENSCHLAG. An dem Tag, an dem Roland Philippi offiziell zum Staatssekretär im Bundesforschungsministerium (BMBF) ernannt werden soll, veröffentlicht der Spiegel am Mittwoch Auszüge aus der bislang geheimen "Wire"-Kommunikation des Ministeriums. 

 

Angesichts dessen, was das Nachrichtenmagazin aus den internen Chats zitiert, erscheint die Rolle des bislang öffentlich unauffälligen Spitzenbeamten in der sogenannten "Fördergeld-Affäre" in einem anderen Licht. Hochschullehrende bezeichnete Philippi laut der Chat-Protokolle als "verwirrte Gestalten" und schwadronierte über eine Selbstzensur aus Angst vor Förderentzug.

 

Auch die Beteuerungen ihrer Unwissenheit von Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in Bezug auf entscheidende Fragen wirken immer weniger haltbar. Die Chats auf "Wire" waren bisher geheim, die Plattform wird im Ministerium für die interne Kommunikation genutzt.

  

Ins Rollen kam die Affäre am 11. Juni mit einem Bericht des NDR-Magazins "Panorama", die BMBF-Hausleitung habe Mitte Mai intern prüfen lassen wollen, ob den Unterzeichnern eines kritischen offenen Briefs Fördermittel gestrichen werden könnten. Die damalige Staatssekretärin Sabine Döring räumte wenig später per BMBF-Hausmitteilung ein, am 13. Mai eine rechtliche Prüfung telefonisch beim zuständigen Abteilungsleiter beauftragt zu haben.

 

"Bei der Erteilung des Auftrages hatte ich mich offenbar missverständlich ausgedrückt", schrieb Döring am 14. Juni. "Förderrechtliche Konsequenzen für die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Offenen Briefes prüfen zu lassen, war von mir nicht gemeint – mein Auftrag war aber wohl so zu verstehen." Die Unklarheit sei "sehr zeitnah" in einem weiteren Telefonat ausgeräumt worden. Am 16. Juni entließ Stark-Watzinger Döring. Sie sei zu der Überzeugung gelangt, dass ein personeller Neuanfang nötig sei.

 

Das BMBF bekräftigte damals auf Nachfrage: "Von diesem Vorgang am 13. Mai 2024 hatte die Ministerin vor der Veröffentlichung des ,Panorama’-Berichts am 11. Juni 2024 keine Kenntnis." Erst am 17. Mai 2024 sei "mit Kenntnis der Ministerin" eine rechtliche Einordnung der Inhalte des Offenen Briefes beauftragt worden.

 

Der Anlass: ein offener Brief

von Hochschullehrenden

 

Dessen Unterzeichner, gut 130 Berliner Hochschullehrende, hatten sich gegen die polizeiliche Auflösung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin am 7. Mai gewandt. Woraufhin Stark-Watzinger in der BILD mit heftigen Worten die Unterzeichner kritisierte und den Link am 8. Mai abends bei "X" teilte. Dieses Statement mache sie fassungslos, wurde die Ministerin in dem BILD-Artikel zitiert: Gerade Lehrende müssten auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

 

Einen Tag später, am 9. Mai, teilte laut Spiegel die Ministerin persönlich im internen "Wire"-Kanal der BMBF-Hausspitze einen Link. Er führt zu einem "X"-Post des Politikwissenschaftlers Ilyas Saliba von der Humboldt-Universität. "Aufgrund Ihrer (hetzenden) Worte ziehen Wissenschaftlerinnen ihre Unterschrift von einem offenen Brief zurück, da sie Angst um die Finanzierung Ihrer Projekte & Stellen haben", schrieb Saliba, selbst einer der in der BILD gescholtenen Briefunterzeichner, an die Ministerin gerichtet.

 

"Ist natürlich Quatsch", kommentiert Stark-Watzinger laut Spiegel im "Wire"-Chat. Die Auswahl von Projekten erfolge auf wissenschaftlicher Basis, nicht sie als Ministerin entscheide, und "man kann nicht erwarten, dass man selbst alles sagen kann und dann keinen Gegenwind ertragen". Die Ministerin weiter: "Müssen nur aufpassen, dass hier kein Narrativ gesponnen wird. Denn jetzt ist die Schusslinie klar."

 

Worauf Roland Philippi, wie Stark-Watzinger aus der Hessen-FDP stammender Leiter der BMBF-Grundsatzabteilung, laut Nachrichtenmagazin wenige Minuten später eine bemerkenswerte Einschätzung äußert. "Persönliche Meinung", schreibt er: "Wenn sich dadurch eine Art informelle, ‚freiwillige‘ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (bspw so einen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg Sorge um die Förderung), hätte ich jetzt ad hoc nix dagegen…"

 

In mehrfacher
Hinsicht brisant

 

Das ist die Tonalität, in der laut Spiegel also schon am 9. Mai in der BMBF-Hausspitze über einen Zusammenhang zwischen Offenem Brief und Förderrecht diskutiert wurde. Stark-Watzinger selbst, schreibt der Spiegel, befeuere diese Ansichten in dem Chat nicht, "aber sie unterbindet sie auch nicht".

 

Der "Wire"-Chat ist gleich in mehrfacher Hinsicht brisant für Philippi und für die Ministerin. Weil er erstens die Frage aufwirft, wieso Stark-Watzinger inmitten von Vorwürfen, Handlungen im Ministerium hätten die Wissenschaftsfreiheit bedroht, einen Mann zum Staatssekretär ernennen will, der nach eigenen Worten nichts gegen Selbstzensur aus Sorge um die BMBF-Förderung hatte. Und weil die Kommunikation zweitens vier Tage stattfindet, bevor Philippis entlassene Vorgängerin Döring am 13. Mai ihren nach eigener Darstellung missverständlichen Prüfauftrag erteilte.

 

Angesichts der Diskussionsatmosphäre, wie sie der vom Spiegel zitierte Chat zeigt, wundert ein solches Missverständnis immer weniger. Zumal, ebenso brisant, schon einen Tag nach dem Chat, am 10. Mai, im Ministerium ohne Dörings Zutun eine Liste der Unterzeichner in Auftrag gegeben wurde. Laut BMBF zu Pressearbeitszwecken, was wenig plausibel erscheint. Stark-Watzinger betonte, sie selbst habe die Liste nicht in Auftrag gegeben und nichts von ihr gewusst, sie sei auf Arbeitsebene erstellt worden und dort verblieben.

 

Geschasst jedoch wurde allein Döring, obwohl ihr Auftrag gar nicht der erste in der Reihe war, aber dafür unbestritten kurzfristig von ihr korrigiert wurde.

 

BMBF: Bereits
Transparenz hergestellt

 

Eine BMBF-Sprecherin erklärte gegenüber dem Spiegel, über die Abläufe im Ministerium sei bereits Transparenz hergestellt worden: "Eine angebliche persönliche Kommunikation kommentieren wir nicht. Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass sie nicht im Widerspruch zur bisherigen Sachverhaltsdarstellung stünde."

 

Bislang weigert sich das BMBF, die von der Plattform "FragDenStaat“ geforderte BMBF-Kommunikation zur Fördergeldaffäre über den Messengerdienst "Wire" herauszugeben. "FragDenStaat" erwirkte deshalb vergangene Woche beim Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung, dass das Ministerium keine Nachrichten löschen darf. Vor dem Hintergrund der jetzt bekannt gewordenen Auszüge aus den Chats scheint deren lückenlose Veröffentlichung noch drängender.

 

Schon am Mittwochvormittag sollte im Bundeskabinett die Ernennung Philippis zum Staatssekretär auf der Agenda stehen, am Nachmittag soll er seine Ernennungsurkunde erhalten. Das dürfte von heftigen Diskussionen um ihn und die Zukunft der Ministerin begleitet werden.

 

Dieser Beitrag erschien heute zuerst im Tagesspiegel.




In eigener Sache: Prekäre Blog-Finanzierung


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Kommentare: 6
  • #1

    Ronald Schneidewind (Mittwoch, 10 Juli 2024 14:34)

    Für welche liberalen Prinzipien steht eigentlich die FDP in der praktischen Arbeit im BMBF ?

  • #2

    anonym (Donnerstag, 11 Juli 2024 09:30)

    Ich bin dankbar dafür, dass es im BMBF offensichtlich Personen gibt, denen institutionelle Selbstaufklärung wichtig ist.
    (Weil ich gelegentlich mit Mitteln des BMBF finanziert werde, schreibe ich dennoch lieber anonym.)

  • #3

    Leif Johannsen (Donnerstag, 11 Juli 2024 16:56)

    @anonym: nun, es scheint mir als waere die Absicht, bei BMBF-Antragstellern eine Selbstzensur zu induzieren, bei Ihnen schon wirksam, d.h. Sie vermeiden es bereits, kritische Anmerkungen mit Klarnamen zu machen. Insofern ein sehr gutes Beispiel dafuer, wie vergiftet die Atmosphaere bereits ist, selbst wenn niemandem aufgrund der Teilnahme an einem offenen Brief oder Petition die Foerderung gestrichen werden kann. Trotzdem waere da dringend "Aufklaerung" (im doppelten Sinn) und ein reinigendes "Gewitter" notwendig, um dem BMBF die parteibuchbesitzende "Gedankenpolizei" auszutreiben. Die Untaetigkeit seitens der Verantwortlichen spricht Baende.

  • #4

    Max Mutzki (Freitag, 12 Juli 2024 08:49)

    @3: Das Thema Selbstzensur bzw. Schere im Kopf ist mir noch sehr gut bekannt. Das kann es nicht sein. Am besten wäre es wohl, die Spitze des BMBF nimmt den Hut.

  • #5

    David J. Green (Freitag, 12 Juli 2024 15:14)

    Eigenartig an dieser Geschichte finde ich, dass es seit dem Spiegel-Leak scheinbar keine neue Entwicklungen zu vermelden gibt.

  • #6

    E. Emmerlich (Dienstag, 16 Juli 2024 08:52)

    @5: Verehrter Herr Kollege Green, vielleicht spiegeln die Kommentare in diesem Blog interessante und neue Aspekte
    der Stimmung zu diesen Besorgnis erregenden Vorgänge?
    Das BMBF wird nicht spurlos daran vorangehen können.