Das BMBF stuft interne "Wire"-Chatnachrichten zur Fördergeldaffäre als privat ein und verweigert ihre Veröffentlichung. Warum die Argumentation des Ministeriums gefährlich ist: ein Kommentar.
DASS DAS BMBF diesen Antrag von "FragDenStaat" ablehnt, ist in sich stimmig. Transparenz zu diesem Zeitpunkt der sogenannten "Fördergeldaffäre" wäre, so hart muss man es inzwischen sagen, die eigentliche Überraschung gewesen.
Die Plattform hatte wie berichtet mit Verweis aufs Informationsfreiheitsgesetz (IFG) verlangt, dass das Ministerium von Bettina Stark-Watzinger (FDP) die gesamte hausinterne Kommunikation über den Messengerdienst "Wire" herausgibt. Und zwar, wie es im IFG-Antrag von "FragDenStaat"-Mann Arne Semsrott hieß, "sämtliche Nachrichten inkl. Anhänge, die die Bundesministerin, ihr persönlicher Stab, die Staatssekretäre und Staatsekretärinnen sowie der weitere Leitungsstab über den Kommunikationsdienst Wire gesendet und empfangen haben in Bezug auf den Protestbrief von etwa 100 Lehrenden gegen die polizeiliche Räumung einer propalästinensischen Demonstration an der FU." Für den gesamten Zeitraum seit 07. Mai, also einen Tag, bevor besagter Protestbrief erschien.
Insider vermuten in der "Wire"-Kommunikation wichtige Hinweise zu Akteuren und Hintergründen in der Fördergeldaffäre – vor allem auch zu der Frage, wann die Ministerin persönlich was gewusst hat. Erste vom Spiegel veröffentlichte Leaks hatten die wissenschaftspolitische Brisanz der Kommunikation unterstrichen.
Hängebeschluss
gegen das BMBF
Dass das BMBF die "Wire"-Nachrichten nicht wie verlangt veröffentlichen würde, war insofern absehbar. Und auch stimmig vor dem Hintergrund, dass das Ministerium laut "FragDenStaat" anfangs nicht einmal eine Bestätigung gegeben hatte, dass es die Kommunikation sichern werde. Woraufhin die Plattform durch einen sogenannten Hängebeschluss vor dem Verwaltungsgericht Köln bereits erwirkt hatte, dass im BMBF vorläufig keine "Wire"-Nachrichten gelöscht werden dürfen. Auch die Richter waren nämlich der Auffassung, dass das BMBF bis zu dem Zeitpunkt keine hinreichenden Maßnahmen zur Datensicherung ergriffen hatte.
Die Begründung, die das BMBF nun in seine am Mittwoch versandte offizielle Ablehnung des IFG-Antrags schrieb, entspricht derjenigen, die die Anwälte des Ministeriums schon vor dem Verwaltungsgericht Köln vorgetragen hatten: "Wire"-Nachrichten stellten keine amtlichen Informationen im Sinne des IFG dar. Laut Gesetz, so argumentiert der BMBF-Ablehnungsbescheid an "FragDenStaat", zählten "Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen", nicht als "amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung". "Private Informationen oder solche, die nicht mit amtlicher Tätigkeit zusammenhängen, werden ebenfalls nicht erfasst."
Noch deutlicher wird das in der BMBF-Hausleitung offenbar vorherrschende Verständnis amtlicher versus privater Kommunikation in diesem Satz im Bescheid: "Chatnachrichten dienen der informellen, persönlichen Kommunikation und werden in aller Regel nicht ausgedruckt und zur Akte genommen, sondern bilden – wie Telefonate – lediglich den Anlass für eine Aufzeichnung, sofern aktenwürdige Inhalte enthalten sind."
Selbst entscheiden, was
privat ist und was nicht?
Was in nüchternem Beamtendeutsch daherkommt, ist allerdings aus demokratietheoretischer Sicht hochproblematisch und gefährlich – bedeutet es doch, dass Ministerien, die so vorgehen, den tatsächlichen Weg jeder Entscheidungsfindung und der damit zusammenhängenden Verantwortlichkeiten fast beliebig verschleiern könnten. Weil sie alle Kommunikation, die sie geheimhalten wollten, einfach in vermeintlich private Chatnachrichten verlegen könnten. Und dabei selbst entscheiden würden, was privat ist und was nicht.
Der Spiegel sprach in dem Zusammenhang bereits vergangene Woche von einem "weiteren Skandal": Stark-Watzinger habe in ihrem Ministerium eine kommunikative Doppelstruktur geschaffen. "Ein intransparentes Geflecht aus Chatgruppen, die mitnichten 'privat' sind, sondern für brisante dienstliche Absprachen genutzt werden, parallel zu den offiziellen Kanälen der Exekutive."
Erhellend ist in diesem Zusammenhang ausgerechnet eine Stellungnahme der Bundesregierung von 2019: Nur durch die ordnungsgemäße Aktenführung werde "ein rechtsstaatlicher Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die Parlamente gewährleistet". Alle Beschäftigten einer Behörde seien diesen Prinzipien verpflichtet und an die jeweils geltenden Regelungen gebunden. Das Prinzip der Aktenmäßigkeit besage unter anderem, "dass alle entscheidungsrelevanten Unterlagen und Bearbeitungsschritte eines Geschäftsvorfalls in der Akte zu führen (Prinzip der Schriftlichkeit) sowie vollständig, wahrheitsgemäß und nachvollziehbar zu dokumentieren" sind, und zwar unabhängig davon, ob eine Behörde als führendes Aktensystem noch papierbasiert oder elektronisch veraktet".
"Vollständig, wahrheitsgemäß und
nachvollziehbar zu dokumentieren"
Wenn also, so muss die Folgerung lauten, in "Wire"-Chatnachrichten des Ministeriums mögliche nächste Schritte, Entscheidungen oder gar öffentliche Statements in der Fördergeldaffäre diskutiert worden sein sollten, dann wären diese eben nicht privat, sondern "vollständig, wahrheitsgemäß und nachvollziehbar zu dokumentieren".
Womöglich ist es dafür schon zu spät, weil nicht absehbar ist, welche "Wire"-Nachrichten bis zum Hängebeschluss des Verwaltungsgerichts überhaupt noch nicht gelöscht waren, worauf auch die Richter in ihrer Begründung hinwiesen.
Abgesehen davon ist es aber zum Glück so, dass jetzt eben doch nicht mehr im BMBF entschieden wird, was herausgegeben werden muss und was nicht. Denn "FragDenStaat" hat Widerspruch gegen den IFG-Bescheid eingelegt und will auf die Herausgabe der "Wire"-Chats klagen.
Wie gesagt: Dass das BMBF den IFG-Antrag zur "Wire"-Kommunikation abgelehnt hat, ist stimmig angesichts seiner bisherigen Kommunikationslinie. Ebenso stimmig wäre es, wenn Bettina Stark-Watzinger damit vor Gericht eine krachende Niederlage einfahren würde.
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Demokratin (Donnerstag, 18 Juli 2024 14:02)
Wenn man das in der Antwort zitierte BVerwG-Urteil liest, hätte eine presserechtliche Anfrage vielleicht bessere Erfolgsaussichten.