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Als erstes bei den Kindern?

Kostenlose Kitas und gratis Schulessen klangen gut, doch nun muss auch in Berlin hart gespart werden. Die einst idealistische Maßnahme droht zum Sparopfer zu werden, statt mit ihrer Abschaffung die Bildungsqualität zu verbessern.

Foto: PicPick, CCO.

ALS BERLIN die Kitagebühren abschaffte und das kostenlose Schulmittagessen für alle einführte, war ich dagegen. Nicht, weil ich mir keine guten Bildungschancen für alle wünsche. Im Gegenteil. Solange in Kitas Personalmangel herrscht und Schulgebäude marode sind, ist es für mich nicht nachvollziehbar, wenn auch wohlhabende Familien Geld sparen, das sie nicht brauchen. Geld, das dann nicht mehr für bessere Qualität ausgegeben werden kann – worunter vor allem diejenigen Kinder leiden, die von zu Hause weniger Unterstützung bekommen.

 

Eine faire Staffelung aufsteigend von null Euro abhängig vom Einkommen, das ist es. Zumindest so lange, bis Ausstattung und Qualität unserer Bildungseinrichtungen auf einem Stand angekommen sind, die nicht mehr von Krise sprechen lassen.

 

Deshalb hatte ich mich zuerst gefreut, als die damaligen Kandidaten für den SPD-Landesvorsitz, Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel, Anfang des Jahres die gebührenfreie Kita in Frage stellten, weil, wie Böcker-Giannini im Tagesspiegel sagte, "kostenfrei oft auf Kosten der Qualität geht". Und Hikel fügte hinzu: "Wir sind für ein Solidarprinzip statt für das kostenfreie Prinzip, so kann man es auf den Punkt bringen."

 

Auf den zweiten Blick aber war ich schon damals skeptisch. Kam der Vorstoß zum falschen Zeitpunkt? Bestand nicht die Gefahr, dass in Zeiten leerer Staatskassen das zusätzliche Geld vom Finanzsenator eingesackt wird, anstatt wie von Böcker-Giannini und Hikel angedeutet in die Kitas weitergereicht zu werden?

 

Solidarität, Bildungsgerechtigkeit, Rotstift

 

Inzwischen sind die beiden SPD-Landesvorsitzende, das Kostenlos-Thema treibt sie immer noch um, aber der Tenor hat sich geändert. Das Berliner Haushaltsloch ist drei Milliarden groß, hartes Sparen ist angesagt, und was Böcker-Giannini und Hikel mit als erstes vorschlugen: die Streichung des kostenfreien Schulmittagessens für Normal- und Gutverdiener. Aber offenbar nicht mehr, um mit dem gesparten Geld die Bildung für alle besser zu machen, sondern einfach, um das Loch zu stopfen.

 

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nahm den Ball direkt auf. "Es gibt ein paar soziale Geschenke auch im Bildungsbereich, über die wir reden müssen", sagte er in dem Podcast Table.Briefings bezogen auf Kitagebühren und Mittagessen. "Ist es der richtige Weg, dass die Kinder des Regierenden Bürgermeisters kostenlos Schulessen bekommen?"

 

Nein, ist es nicht. Aber noch weniger richtig ist, wenn eine Debatte über Kostenfreiheit, die mit idealistischen Argumenten von Solidarität und Bildungsgerechtigkeit gestartet ist, zur Rotstift-Aktion zu werden droht. Wenn noch dazu mit dem Kürzen als erstes – mal wieder – ausgerechnet bei den Jüngsten angesetzt würde.

 

Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel sollten sich fragen, ob sie ihr an sich richtiges Anliegen so billig verbrennen lassen wollen.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolume "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



In eigener Sache: Prekäre Blog-Finanzierung


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Kommentare: 4
  • #1

    Regina Mautzack (Montag, 22 Juli 2024 09:29)

    Man darf eben den real existierenden Kapitalismus nicht mit
    der Wunschwelt des Kommunismus verwechseln.

  • #2

    Normalverdiener (Dienstag, 23 Juli 2024 11:14)

    Und wer entscheidet, welcher Teil meines Gehalts ich "nicht brauche"? Die Regierung? Sie als hochgebildeter Journalist?
    Diese Aussage finde ich extrem anmaßend.
    Wie wäre es denn, wenn Besserverdiener im Supermarkt nochmal 20% Aufschlag zahlen? Oder sämtliche Leistungen (z.B. neuer Personalauswahl) um 50% für diese Menschen verteuert werden. Ist das die große Lösung für mehr Gerechtigkeit? Wohlgemerkt, diese Leuten zahlen schon viel mehr Einkommenssteuer als der Rest.

    Am Ende werden die wirklichen Topverdiener ihre Kinder nur noch in private Einrichtungen schicken (siehe USA). Den angeblichen "Besserverdienenden", die in Wirklichkeit ein gewöhnliches Gehalt von 50.000 brutto (hier ziehen viele Städte schon die Grenze für den Höchstbetrag der Kita) haben, wird der Leistungsanreiz vollkommen genommen, wenn sie für immer mehr Leistungen extra zahlen sollen. Das muss doch jedem Linken einleuchten.

  • #3

    dBm (Mittwoch, 24 Juli 2024 15:58)

    Wohlhabende Familien leisten bereits ihren Beitrag zu einer Finanzierung kindlicher Frühbildung - durch ihre Steuern. Das deutsche Steuerrecht hat ein sehr komplexes Regelwerk entwickelt mit dem wohlhabende Familien von solchen mit hohem Einkommen unterschieden werden können. Die Berechnung der Elternbeiträge leistet das im Allgemeinen nicht, das führt zu Ungerechtigkeit. Weiterhin müssen Städte, Gemeinden und Kreise Personal einstellen, das diese Gebühren berechnet und eintreibt, das führt zu mehr Bürokratie und Kosten.
    Wenn frühkindliche Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein soll muss sie auch von der gesamten Gesellschaft (aus Steuern) bezahlt werden. Die Ausgaben müssen dann eben in den Haushalten priorisiert werden.

  • #4

    Kita-Vater (Freitag, 26 Juli 2024 15:08)

    Gute Kolumne. Eigentlich bietet der Verdi-Streik in den Eigenbetrieben dem Senat auch die perfekte Vorlage zur Wiedereinführung von Kita-Beiträgen: mit Verdi einen Tarifvertrag für einen bessere Betreuungsschlüssel etc. aushandeln und dann mit Verweis auf die Haushaltssituation argumentieren, dass die Umsetzung nur durch finanziell Beiträge der Eltern möglich ist.
    Als Vater eines Kita-Kindes (Eigenbetrieb) hätte ich dafür auch volles Verständnis und bin bereit, für eine bessere Betreuung auch einen finanziellen Beitrag zu leisten.
    Sollte es jedoch ohne eine spürbare Verbesserung der Betreuungssituation zur Einführung von Elternbeiträgen kommen, müssen wir uns ernsthaft Gedanken zur Kinderbetreuung machen- insbesondere da Kind Nummer 2 auf dem Weg ist. Befreundete Eltern in Bayern haben sich angesichts der horrenden Kita-Gebühren für unter 3-jährige und für Ganztagesbetreuung bereits für das klassische Familienmodell entschieden, wo die Mutter trotz hochqualifizierter Ausbildung für einige Jahre zu Hause bleibt und der Vater Vollzeit arbeitet. Finanziell gibt es keinen gravierenden Unterschied und der Stresslevel ist - zumindest beim Vater - deutlich niedriger (Kita funktionieren in Bayern auch nicht optimal). Dass dies in Zeiten des Fachkräftemangels für die wirtschaftliche Entwicklung suboptimal ist, versteht sich wohl von selber (die gesellschaftlichen Aspekte mal ganz außen vor gelassen).