Warum es jetzt ein Bund-Länder-Programm für den Mittelbau braucht. Ein Gastbeitrag von Laura Kraft.
Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 2021 Mitglied des Bundestages und Obfrau im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Bild: Stefan Kaminski.
DIE ARBEITSBEDINGUNGEN in der Wissenschaft stehen seit Jahren im Zentrum intensiver Debatten. Besonders besorgniserregend ist die Lage im wissenschaftlichen Mittelbau, wo befristete Verträge und unsichere Karrierewege die Norm sind. Karrierewege an Hochschulen sind oft intransparent und zu starr auf eine Professur ausgerichtet, die für einen Großteil nicht erreichbar und auch nicht immer das persönliche Ziel ist.
Die Lösung ist klar: Es braucht unbefristete Stellen neben und unterhalb der Professur, die sicher ausfinanziert sind. Dass es hier struktureller Veränderungen bedarf, zeigt nicht zuletzt die aufreibende Diskussion um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Genau deshalb haben die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen bereits im vergangenen Herbst mit einem Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses ein Bund-Länder-Programm für den Mittelbau vereinbart.
Ein zentraler Aspekt ist die Verankerung des Bund-Länder-Programms im Haushalt 2025 mit konkreten Mittelzusagen. Bis spätestens September muss ein entsprechendes tragfähiges Konzept seitens des BMBF vorgelegt werden. Der Maßgabebeschluss des Parlaments bietet hierfür eine Grundlage. Jetzt ist es aber auch am BMBF, eine entsprechende Finanzierung über den Haushaltsplan bereitzustellen.
Die Zeit der Lippenbekenntnisse
ist vorbei
Die Zeit für Lippenbekenntnisse ist vorbei. Nur wenn die Akteure in der Wissenschaft und politische Entscheidungsträger gemeinsam handeln, können wir die Strukturen im deutschen Wissenschaftssystem nachhaltig verbessern. Ein Bund-Länder-Programm für Dauerstellen im Mittelbau ist hierfür der richtige Weg. Der Maßgabebeschluss ist mehr als eine politische Forderung. Er ist Ausdruck von einem dringenden Handlungsdruck, die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems zu erhalten und erheblich zu stärken. Der Beschluss setzt weitreichende Bedingungen: Das Bund-Länder-Programm muss moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen fördern und gleichzeitig die Vielfalt an den Hochschulen stärken.
Es gibt (noch) kein Patentrezept, um die strukturell gewachsenen Probleme zu lösen, denn unsere Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist heterogen und hat unterschiedliche Bedarfe. Viele Akteure in der Wissenschaftslandschaft sind aber zu Veränderungen bereit und haben sich teilweise schon auf den Weg gemacht: Vorreiter wie das Institut für Philosophie der Berliner Humboldt-Universität mit der Etablierung von Department-Strukturen, Hamburgs Hochschulen mit der "Hamburger Erklärung" oder die erst kürzlich vorgestellten "Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur" der HRK – um nur einige Beispiele zu nennen – zeigen, dass tragfähige Konzepte, Ideen und den Mut für Verbesserungen längst existieren.
Nicht zuletzt arbeitet der Wissenschaftsrat an Empfehlungen zu neuen Stellenkategorien. Der Wissenschaftsrat leistet mit seiner Expertise auch einen wichtigen Beitrag für ein Bund-Länder-Programm. Jetzt muss die Politik in Bund und Land ihren Teil beitragen und Mittel für die angemessene Umsetzung zur Verfügung stellen.
Neue Strukturen schaffen
neue Perspektiven
Im Zuge der Debatte sollten wir über die Schaffung flexibler Department-Strukturen sprechen, wie sie bereits in anderen Ländern erfolgreich angewendet werden. Die Einführung ähnlich flexibler Karrieresysteme in Deutschland könnte nicht nur die Arbeitsbedingungen verbessern, sondern auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts insgesamt stärken. Solche Maßnahmen sollten als integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Ansatzes betrachtet werden, um die strukturellen Herausforderungen im Wissenschaftssystem nachhaltig anzugehen und die Forschungslandschaft zukunftsfähig zu machen.
Zudem sind die steilen Hierarchien nachweislich ein Teil der Ursachen, die Abhängigkeiten und somit prekäre Beschäftigungsverhältnisse fördern. Natürlich gibt es auch im Rahmen von Department-Strukturen Schattenseiten und es gibt andere ebenso vielversprechende Personalmodelle. Das Für und Wider muss daher kritisch von der Wissenschaftscommunity und der Politik diskutiert werden.
Die Diskussion um Höchstbefristungsquoten im Rahmen des WissZeitVG ist wichtig, aber allein nicht die Lösung. Diese Quoten sollten vielmehr integraler Bestandteil zukünftiger Finanzierungsvereinbarungen und Förderprogramme sein, um langfristige Veränderungen zu bewirken. Dabei muss die Umsetzung der Vorgaben auch hinsichtlich des Nutzens für die Beschäftigten und für die Forschungseinrichtungen evaluiert werden.
Die Politik muss der Wissenschaftseinrichtungen mehr Vertrauen schenken, wenn es um die Vergabe von Geldern geht. Wir müssen weg von einer stetig anwachsenden projektbezogenen Förderung und hin zu einer auskömmlichen Grundfinanzierung, die den Einrichtungen überhaupt erst ermöglicht, Entfristungen vorzunehmen. Ohne die finanzielle Sicherheit der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird es keine sicheren Beschäftigungsverhältnisse für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben können.
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Michael Liebendörfer (Mittwoch, 14 August 2024 07:48)
Der richtige Impuls, nur wird das BMBF diesen Text vermutlich nicht lesen.
Nebenfrage: warum spricht man von "steilen Hierarchien"? Es gibt WiMis und darüber nur eine Ebene, die zählt. Was "oberhalb" der Profs in Dekanaten oder Präsidien passiert, ist mangels Weisungsbefugnis in Regelfall egal. Wir haben extrem flache Hierarchien, weniger als zwei Ebenen kann man kaum machen.
Tim (Mittwoch, 14 August 2024 15:09)
@Michael Liebendörfer
"Steil" ist eventuell tatsächlich nicht der richtige Begriff. "Flach" aber auch nicht. Beides beschreibt Prototypen von Organisationsformen mit unterschiedlicher Tiefe der Hierarchien, die gewisse Formen der Verantwortungsaufteilung und Selbständigkeit der beteiligten Personen nahelegen.
Sie bedingen diese aber nicht zwingend, wofür das ein gutes Beispiel ist.
Die klassische Lehrstuhlstruktur ist zwar hierarchisch nicht tief, aber trotzdem ausgesprochen autoritär und linear.
Wolfgang Kühnel (Donnerstag, 15 August 2024 12:44)
Frau Kraft ist selber wiss. Mitarbeiterin im Bereich Literaturwissenschaft und ist vermutlich für ihr Abgeordnetenmandat beurlaubt. Eine Dauerstelle für sie käme einer Absicherung gleich, falls ihre politische Karriere endet. "Unsichere Karrierewege": Politische Karrieren sind noch weniger planbar, alle Ämter sind nur befristet, nicht einmal der Bundestagspräsident hat als solcher eine Dauerstelle. Müssten wir da nicht auch "sichere Beschäftigungsverhältnisse" schaffen?
Was das Institut für Philosophie der HU Berlin betrifft, so ist das KEIN Vorreiter. Der Fachbereich Mathematik der TU Berlin hatte schon in den 1970er Jahren die Bindung der Mitarbeiterstellen an die Professuren aufgehoben und einen Stellenpool geschaffen, Gelder wurden zentral verwaltet. Aber als Dauerstellen gab es zunächst nur drei Akademische Räte für die Lehre, später mehr, jetzt hat man etwa 10 dauerhaft beschäftigte
wiss. Mitarbeiter. Und das war nun die gepriesene "Department-Struktur" mit der "planbaren Karriere"?
Die Diskussion wird gern auf die Landesstellen MIT Lehraufgaben an den Universitäten verengt. Aber viele, viele Doktorandenstellen OHNE Lehraufgaben werden durch Drittmittelgeber finanziert, auch an außeruniversitären Instituten Man schaue nur in die lange Liste der Institutionen, die von der Leibniz-Gemeinschaft finanziert werden. Die DFG finanziert Doktorandenstellen (auch über zeitlich befristete Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereiche), der DAAD solche für Ausländer aus bestimmten Ländern, dann gibt es Promotionsstipendien zahlreicher Stiftungen, schließlich und endlich kann jeder auf eigene Faust promovieren auch ohne eine Stelle, wenn das finanziell möglich ist (etwa durch einen gut verdienenden Ehepartner). Und wer soll nun die vielen Dauerbeschäftigungen OHNE Lehraufgaben finanzieren, um all die Genannten hinsichtlich der "Planbarkeit ihrer Karriere" zufriedenzustellen? Und wer beurteilt dann die Effizienz dessen, was da in der Forschung geleistet wird?
Frau Kraft vergisst auch den Vorschlag von Herrn Kuhnt vor kurzem hier im Blog, dass doch alles kostenneutral eingerichtet werden könnte. Bislang hat aber niemand zugestimmt.
Zum Schluss: In welchen Bereichen sind eigentlich Karrieren "planbar"? Was ist überhaupt eine "Karriere" in diesem Sinne? Eine Stelle nach E 13 ohne einen Chef? Was ist mit der Planbarkeit für die habilitierten Leute hinsichtlich einer möglichen Professur? Herr Wiarda könnte uns aufklären darüber, wie Journalisten ihre Karriere planen oder auch nicht planen können.
Nikolaus Bourdos (Mittwoch, 21 August 2024 15:27)
Die gesamte Diskussion rund um IchbinHanna findet unter falscher Prämisse statt: Dass Wissenschaftseinrichtungen wegen einer "Planbarkeit" von Karrieren dafür herhalten müssen, mehr
Dauerbeschäftigungen unterhalb der Professur zu schaffen. Warum? Es hat noch keiner geschafft, mir hierauf eine überzeugende Antwort zu geben. Und von den kontinuierlich sinkenden Studentenzahlen, die dies ggf. erforderlich machten, haben wir noch gar nicht gesprochen.
Letztlich spräche im Sinne dieser Logik auch nichts dagegen, allen, die studiert haben, an "ihrer" Universität einen Job zu geben. Zugegeben, etwas extrem, aber dort lande ich gedanklich, wenn ich die IchbinHanna-Logik weiterspinne.
Die Junge Akademie hatte 2013 das sehr kluge Positionspapier "Nach der Exzellenzinitiative: Personalstruktur als Schlüssel zu leistungsfähigeren Universitäten" vorgelegt, das mehr als zehn Jahre später nichts von seiner Aktualität verloren hat und die Lektüre immer noch lohnt. Frei von jeglicher IchbinHanna-Larmoyanz wird dargelegt, wie sich die Personalstruktur anpassen lässt, um die Wettberwerbsfähigkeit der Universitäten zu steigern und die Perspektiven geeignet qualifizierter Wissenschaftler zu verbessern.
Tim (Freitag, 23 August 2024 13:22)
@Nikolaus Bourdos
In dem Zusammenhang wäre es sicher sinnvoll, auf den Debattenbeitrag der AG Wissenschaftspolitik der Jungen Akademie von 2017 hinzuweisen (Departments statt Lehrstühle: Moderne Personalstruktur für eine zukunftsfähige Wissenschaft), in dem viele der Probleme des Papiers von 2013 aufgearbeitet und neu beleuchtet worden sind.
Die logischen Lücken und teilweise schlecht belegten Behauptungen aus 2013 sind hier ausgebügelt und die angedachten neuen Strukturen m.E. nach deutlich robuster aufgestellt und besser argumentiert.
Wie ich finde, steht das Papier von 2017 auch deutlich näher an #IchBinHannah, was aber eventuell daran liegt, dass sich Meinungen und Konzepte um Misstände zu ändern eben auch über die Zeit - und den Zeitgeist - formen. #IchBinHannah gibts ja auch erst seit 2021.
Wolfgang Kühnel (Freitag, 30 August 2024 20:02)
Die Personalstruktur in "Departments" ist doch nichts neues. Manche neu gegründete Universität (z.B. Bremen, Flensburg) hat das von vornherein so eingeführt, andere haben später ihre Lehrstuhlstruktur partiell (also in einzelnen Fakultäten) abgeschafft. auch die Pädagogischen Hochschulen in BaWü haben offenbar eine solche Struktur.
Aber können die Kommentatoren #4 und #5 Indizien angeben, inwiefern das zu einer effizienteren Forschung geführt hat? Denkbar ist auch eine verstärkte Bürokratisierung mit wissenschaftsfremden Kriterien. Beispiel: Bei der Einstellung eines wiss. Mitarbeiters zur Promotion muss der Personalstelle ein detaillierter Promotionsplan vorgelegt werden, mit Zeitangaben, wann was getan werden wird, und die Personalstelle muss das vom Personalrat (und evtl. weiteren "Beauftragten") genehmigen lassen, die Vorschriften zur "Diversität" müssen erfüllt sein, sonst darf der Betreffende nicht eingestellt werden.
Nikolaus Bourdos (Mittwoch, 04 September 2024 14:51)
@Tim: Danke für den Hinweis!
@Wolfgang Kühnel
Eine effizientere Forschung durch Department-Strukturen erzielt man am ehesten in der Hinsicht, dass Ressourcen besser gepoolt werden können, sodass vor allem große Geräte nicht mehrfach beschafft werden (das kriegt man freilich, mit einiger Anstrengung, auch anders hin).
In Bezug auf den Kontext des Beitrags schafft eine Department-Struktur aber eine bessere Voraussetzung dafür, individuelle Abhängigkeiten zu minimieren. Wobei die Struktur für sich genommen kein Garant für ein Gelingen ist.