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Wissen, was dabei herauskommt

Die frühe Bildung in Deutschland leidet nicht nur unter der Kita-Personalmisere. Die Beharrlichkeit, mit der sich die Politik einem bundesweiten Qualitätsmonitoring verweigert, ist kaum weniger schädlich.

Bild: LMoonlight / Pixabay.

BILDUNGSMINISTER STEFFEN FREIBERG ist mächtig stolz auf diese Reform. "Brandenburg", sagt der SPD-Politiker, "war noch nie so kinderfreundlich wie heute. Diese Vorreiterrolle baut das Land mit dem neuen Bildungsplan weiter aus."

 

Genauer gesagt ist es ein Bildungsplan für Kindertagesbetreuung, und so routiniert die sprachliche Verbindung zwischen "Kita" und "Bildung" von Landes- und Bundesregierungen in der Vergangenheit auch gezogen wurde, so selten wurde dieses Versprechen im real existierenden deutschen Kita-Alltag tatsächlich eingelöst. Vor allem weil hunderttausende Fachkräfte fehlen. Aber nicht nur. Denn allzu oft wird die Betreuung vor der Grundschule noch zu allererst als genau das begriffen: als Betreuung. Das womöglich augenfälligste Signal: Die Kita-Politik der Bundesregierung mit ihren milliardenschweren Kita-Gesetzen wird weiter vom Bundesfamilienministerium veranwortet, nicht vom BMBF.

 

Ob der erste Brandenburger "Bildungsplan – die erweiterten Grundsätze elementarer Bildung", wie er offiziell heißt, all das Vorschuss- und Selbstlob von Minister Freiberg verdient, noch dazu gut zwei Monate vor einer schwierigen Landtagswahl, soll hier nicht untersucht werden. Erarbeitet unter Federführung von Wissenschaftler:innen der Fachhochschule Potsdam in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind und unter Beteiligung der Brandenburger Kita-Community, soll er jedenfalls die Übergänge von der Krippe bis in die Grundschulzeit nahtloser gestalten. Der Plan gibt den Erzieher:innen Leitlinien an die Hand für pädagogische Alltagssituationen vom Spielen über Essen und Hygiene bis zum Aufräumen und beschreibt zugleich klassische Bildungsbereiche wie Sprache, Mathematik, Bewegung oder Ästhetik. 

 

Wie eine Schule
ohne Bildungsstandards

 

Ganz so einzigartig ist das vergangene Woche in Kraft getretene Vorhaben freilich nicht. Schon vor 20 Jahren haben sich die Länder erstmals auf einen gemeinsamen "Rahmen" für die "frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen" geeinigt und außerdem festgelegt, dass dieser Rahmen durch Bildungspläne auf Landesebene "konkretisiert, ausgefüllt und erweitert" werden soll. Bislang waren das in Brandenburg die "Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung", künftig ist es inhaltlich und rhetorisch aufgemotzt der "Bildungsplan".

 

Am Grundübel der frühen Bildung in Deutschland wird allerdings auch dieser wenig ändern können. Es fehlt an bundesweiten, vergleichbaren und  aussagekräftigen Daten zur Qualität dessen, was Kitas tatsächlich pädagogisch leisten. Wie viele Erzieher:innen wo beschäftigt sind, welchen Ausbildungsgrad sie haben, wie viele Kinder welche Einrichtung besuchen, was Eltern an Gebühren zahlen, was die Kommunen, Länder und Bund in die Kitas investieren – alles wichtig. Doch ohne systematisches Wissen, was dabei herauskommt, was die Kinder können und wie es ihnen vermittelt wird, nicht einmal die halbe Miete. 

 

Man stelle sich eine Schule vor ohne Bildungsstandards, ohne Vergleichsarbeiten, ohne IQB-Bildungstrends oder PISA. Unvorstellbar? Aus der Zeit gefallen? So ist es. Daran ändert auch nicht, dass manche sich eine solche Schule wünschen würden. Gäbe es sie, wir hätten keine Ahnung, wie hoch der Anteil abgehängter Schüler wäre, wie viele Jugendliche nicht richtig lesen, schreiben, rechnen können. Die Politik stünde unter weniger Rechtfertigungsdruck.  Und wir hätten keine Chance, von erfolgreicheren Schulsystemen zu lernen – weil wir nicht wüssten, welche überhaupt erfolgreich sind und an welchen Stellen.

 

Und doch funktioniert Bildungspolitik in der Kita, wenn wir sie wirklich so nennen wollen, fast überall in Deutschland genau so. Die erste und bislang einzige Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) lief 2010/11 und umfasste nur acht Bundesländer. Die als Längsschnitterhebung geplante Neuauflage NUBBEK II führte bis heute lediglich ein Bundesland durch: Brandenburg – als Fokusstudie mit bislang nur einem Messzeitpunkt, die Fortführung steht aus.

 

Wissen, das man nicht hat,
tut nicht weh. Oder doch?

 

Kein Interesse bei Bund und Ländern? Kein Geld? In jedem Fall war es die bewusste Entscheidung der für die Kitas Verantwortlichen für die eigene Unwissenheit – und die Unwissenheit einer Öffentlichkeit. Vielleicht ist die erstaunliche Indifferenz in weiten Teilen der Bevölkerung angesichts der seit vielen Jahren andauernden Personalmisere genauso so zu erklären: Wissen, das man nicht hat, tut nicht weh.

 

Allerdings: Ohne gute Daten gibt auch keine wirkliche Chance zur Verbesserung. Dann kann man noch so schöne Bildungspläne formulieren – ob sie besser sind als das, was anderswo existiert, wird nie herauskommen.

 

Genau aus dem Grund hat die "paedquis-Stiftung", ein Kooperationsinstitut der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, vergangenes Jahr eine Machbarkeitsstudie zum bundesweiten Monitoring der pädagogischen Qualität in Kitas durchgeführt, finanziert vom privaten Kita-Träger Fröbel. Die Prozessqualität, betont "paedquis", sei der "entscheidende Faktor für den späteren Bildungserfolg und mehr Bildungsgerechtigkeit".

 

Ein zentrales Ergebnis der Machbarkeitsstudie sei, dass Bund und Länder in ihren Vorstellungen für eine Umsetzung gar nicht so weit auseinanderlägen, sagt pädquis-Vorständin Katharina Kluczniok, im Hauptjob Professorin für frühkindliche Bildung und Erziehung an der Freien Universität (FU) Berlin. "Es geht also nicht mehr um die Frage, ob ein bundesweit einheitliches Monitoring sinnvoll ist, sondern darum, wie dieses am besten umgesetzt werden kann."

 

Eine Debatte so weit
weg wie der Mond

 

Egal, wie genau Bund und Länder zusammenwirken; dafür, dass sie es tun sollten, gibt es noch mehr gewichtige Argumente. Erstens: Länder wie Österreich, Finnland oder Australien machen es teilweise seit vielen Jahren. Von ihren Erfahrungen ließe sich viel abschauen.

 

Zweitens: Laut Entwurf des Bundeshaushalts will das Bundesfamilienministerium auch 2025 und 2026 mit jeweils zwei Milliarden Euro die Kita-Qualität fördern – und erlaubt dann auch nicht mehr, dass mit dem Geld stattdessen Kitagebühren subventioniert werden. Warum nicht, wie Fröbel-Chef Spieker Stefan Spieker zu Recht fordert, die Gelegenheit nutzen, "auch den Qualitätsprozess ganzheitlich in den Blick zu nehmen"?

 

Die Realität allerdings scheint einem solche Forderungen auch an dieser Stelle Lügen zu strafen. So geht laut Table.Briefings aus dem Referentenentwurf für das geplante Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz hervor, dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne)offenbar nicht einmal bundesweit einheitlichen Standards für Betreuungsrelationen, Platzangebot oder Sprachbildung vorgeben will, obwohl der Ampel-Koalitionsvertragsvertrag zumindest das versprochen hatte. Eine bundesweite Debatte über inhaltlichen Kita-Bildungsstandards oder gar deren Monitoring scheint da so weit weg wie der Mond.

 

Immerhin zeigte die paedquis-Machtbarkeitsstudie, dass es einzelne Bundesländer gibt, die schon angefangen haben, Daten zur Kita-Bildungsqualität zu erfassen und für die Weiterentwicklung zu nutzen. Wieder vorn mit dabei: Brandenburg, das sämtliche KITA-Landesprogramme evaluieren lässt, noch dazu immer auch mit Blick auf die Prozessqualität. Laut Kluczniok "Ansätze eines Qualitätsmonitorings". Vielleicht ist das mit der "Vorreiterrolle" auch kurz vor einer Landtagswahl nicht zu weit hergeholt.



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Kommentare: 4
  • #1

    Wolfgang Kühnel (Dienstag, 13 August 2024 21:49)

    "Man stelle sich eine Schule vor ohne Bildungsstandards, ohne Vergleichsarbeiten, ohne IQB-Bildungstrends oder PISA. Unvorstellbar? Aus der Zeit gefallen? So ist es."
    Nein, so ist es nicht. Wir haben seit 20 Jahren Bildungsstandards, das Monitoring und die Vergleichsarbeiten, zudem zahlreiche Forschungsinstitute der empirischen Bildungswissenschaft. Aber die Hälfte der Schüler erfüllen die Standards nichts, und die Ergebnisse der großen Tests zeigen derzeit alle einen Trend nach unten. Was also soll so großartig an Bildungsstandards sein, die praktisch nur auf dem Papier stehen und weit, weit davon entfernt sind, eingehalten zu werden?
    Das Monitoring dient vor allem einem Aufbau von Bürokratie, das sind die immer zahlreicher werdenden Leute, die damit hauptamtlich ihr Geld verdienen. Auch das IQB ist schon auf 75 Mitarbeiter angeschwollen, die meisten davon Psychologen. Bislang ist nicht nachgewiesen, was das im schulischen Bereich gebracht hat. Im Gegenteil --- nach jedem neuen IQB-Bildungstrend wird festgestellt, dass die angestrebten Verbesserungen in kaum einem Teilbereich realisiert wurden. Nicht einmal die Bildungsgerechtigkeit nimmt messbar zu, obwohl man schon zahlreiche Reformen mit genau diesem Ziel durchgeführt hat, auch zu Lasten anderer Ziele. Aber vielleicht kann uns der Autor ja darüber aufklären.

    Zusätzlich nenne ich noch ein Paradoxon: Jeder IQB-Bildungstrend spricht von den "Mindeststandards" und dem Anteil derer, die diese erreichen bzw. nicht erreichen. Aber nirgendwo sind diese Mindeststandards in den getesteten Fächern mal explizit und verständlich beschrieben, so dass die Lehrer sich danach richten könnten. Die KMK hat nur Regelstandards beschlossen, aber die liegen um eine ganze Kompetenzstufe darüber. Von denen wird inzwischen ja kaum noch geredet. Und die KMK hatte es ausdrücklich abgelehnt, Mindeststandards zu definieren (warum wohl?). Dennoch reden alle jetzt darüber. Soll das für die Kitas auch so werden?

  • #2

    Lehrerkind (Mittwoch, 14 August 2024 09:33)

    Ich kann den Frust von #1 sehr gut nachvollziehen. Die Ineffizienz, bzw. wahrgenommene Wirkungslosigkeit des Qualitätsmonitoring liegt jedoch nicht daran, dass es durchgeführt wird, sondern daran, wie es durchgeführt wird. Das aktuelle Qualitätsmonitoring hat lediglich eine Feigenblattfunktion. Man macht ein Qualitätsmonitoring, damit man eins gemacht hat, ignoriert die Handlungsempfehlungen, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen, und behält so gut es geht den Status quo bei. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass das Qualitätsmonitoring selbst nicht taugt. Ein gutes Qualitätsmonitoring ist die Grundlage für die Entwicklung von Maßnahmen. Wenn diese Entwicklung von Maßnahmen fehlt, und politisch nicht gewollt ist, kann das Qualitätsmonitoring daran nicht ändern. Es ist jammerschade, dass die gute Arbeit, die im Qualitätsmonitoring gemacht wird, einen schalen Beigeschmack erhält, nur weil die unbequemen Ergebnisse ignoriert werden.

  • #3

    Wolfgang Kühnel (Freitag, 16 August 2024 21:40)

    Der Einwand von #2 ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Aber wo in dem obigen Artikel wird das denn problematisiert? Mir scheint, der Artikel geht oberflächlich vor und und übernimmt am Anfang einfach die Phraseologie der Ministerien mit ihrem Eigenlob. Nebenbei preist er das bisherige in Schulen übliche Monitoring als großen Fortschritt. Aber auch aus der Bildungsforschung hört man längst Stimmen, die sagen: "Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit." Also was soll es bringen, weitere Berge von Daten anzuhäufen, die am Ende niemand mehr überblickt? Und wer evaluiert eigentlich mal die Qualität der Arbeit in den Ministerien?

  • #4

    Sebastian Zachrau (Samstag, 17 August 2024 00:54)

    @ 2: dann ist es doch absurd, dieses Theater noch auf Kitas auszudehnen. Die Schul- und Familienpolitik sollte sich ehrlich machen: Bildungsergebnisse sind letzte Priorität unseres "Bildungs"systems. Möglichst günstig möglichst viele Kinder möglichst lange betreuen, damit möglichst viele Eltern möglichst viel arbeiten können. Darum geht es in Wahrheit doch, und zwar so gut wie ausschließlich!