Wenn der Wissenschaftsetat für die Defizite von Uniklinika geradestehen muss: Ein Fallbeispiel aus Thüringen.
Screenshot der Website des Universitätsklinikums Jena.
NEIN, EIN STAATLICHES UNIVERSITÄTSKLINIKUM kann nicht pleitegehen. Für alle Patienten, die auf einen sogenannten Maximalversorger angewiesen sind, bedeutet das eine wichtige Beruhigung. Doch wie groß der wirtschaftliche Druck auf die deutsche Universitätsmedizin vielerorts inzwischen ist, lässt sich fast idealtypisch an der Krise beobachten, die das Universitätsklinikum Jena derzeit durchmacht. Ausgerechnet das UKJ, das laut Thüringer Wissenschaftsministerium lange als eine von wenigen Unikliniken in Deutschland schwarze Zahlen geschrieben hatte.
Doch Mitte Juli wurde ein Hilferuf der Klinikumsleitung öffentlich: Es gebe finanzielle Engpässe, die Ausgaben seien durch höhere Energiekosten und Tarifsteigerungen hochgeschnellt, die Rücklagen aufgebraucht.
Zu dem Klinikum gehören 31 Krankenhäuser, 26 Institute und knapp 7000 Beschäftigte, über eine halbe Millionen Menschen wurden dort 2023 behandelt. Entsprechend aufgeschreckt reagierte die Politik, schnürte innerhalb von drei Wochen ein Notpaket.
So übernimmt das Wissenschaftsministerium ab sofort komplett die Rate für einen Kredit, den UKJ für den teilweise selbst finanzierten zweiten Bauabschnitt des Klinikumsneubaus aufgenommen hatte. Bislang zahlte das Land nur 1,9 der jährlich 10,9 Millionen. Außerdem überweist das Wissenschaftsministerium von 2025 jedes Jahr 25 statt bislang zehn Millionen für Investitionen.
Und das ist noch nicht alles: Auch die verbleibende Finanzierung für einen Forschungsneubau trägt das Wissenschaftsministerium, macht weitere 1,5 Millionen pro Jahr. Außerdem bürgt das Finanzministerium für ein weiteres Darlehen, mit dem das UKJ seine laufenden Kosten decken soll.
Ziemlich viel Lückenstopferei
und eine Frage
Ziemlich viel Lückenstopferei, bei der sich sofort die Frage stellt: Wo kommen sie eigentlich her, die 20 Millionen extra dieses Jahr und von 2025 an sogar 24 Millionen Euro jährlich?
Die Antwort ist deprimierend einfach: Die Mittel für dieses Jahr werden aus dem Haushalt des Ministeriums erwirtschaftet, das außer für Wissenschaft auch noch für Wirtschaft und Digitale Gesellschaft zuständig ist. "Die Mittel für das kommende Jahr werden für den Haushalt angemeldet", fügt ein Ministeriumssprecher hinzu.
Während das Thüringer Gesundheitsministerium grundsätzlich keinen festen jährlichen Zuschuss an das UKJ zahle, sondern "in kleinerem Rahmen zum Beispiel Versorgungsprojekte" bezuschusse.
Die Finanzierung der deutschen Unimedizin in a nutshell: Einrichtungen, ohne die die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung nicht vorstellbar wäre, doch für die Absicherung ihrer Finanzierung stehen mitunter die Wissenschaftsetats gerade, nicht die Gesundheitsministerien.
Wobei die Thüringer Hochschulen sogar noch doppelt Glück haben: Weil das Ministerium einen Teil des Geldes auch bei Wirtschaft oder Digitalisierung einsparen könnte (was etwa die Thüringer Unternehmen dazu sagen würden, ist eine andere Frage). Und weil das Land zweitens den jährlichen Aufwuchs der Hochschuletats um vier Prozent seit 2014 garantiert – und das laut Wissenschaftsministerium auch für 2025 tut. Was allerdings wiederum der Druck auf die anderen Fördertöpfe erhöhen dürfte.
Hoffen auf die
Krankenhausreform
In anderen Bundesländern drücken finanzielle Engpässe der Hochschulmedizin teilweise noch direkter in die Wissenschaftsfinanzierung. Genauso wie jede diskutierte Erhöhung der teuren und stets knappen Medizin-Studienplätze.
Der Thüringer Wissenschaftsstaatssekretär Carsten Feller (SPD), der zugleich UKJ-Verwaltungsratvorsitzender ist, appellierte an den Bund, "die geplante und längst überfällige Reform der Krankenhausfinanzierung endlich umzusetzen und notwendige Strukturveränderungen vorzunehmen, die wieder eine auskömmliche Betriebskostenfinanzierung ermöglichen".
Immerhin: Die im Mai von der Bundesregierung beschlossene Krankenhausreform soll das vom Jenaer Universitätsklinikum als Hauptübel ausgemachte Vergütungsmodell ändern. "Statt wie bisher jede einzelne Krankenhausbehandlung über Fallpauschalen abzurechnen, soll ein Großteil der stationären Versorgung unabhängig von der tatsächlichen Leistungserbringung vergütet werden", erläutert das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (ebenfalls SPD). Was vor allem den großen Kliniken mit ihrem riesigen Behandlungsspektrum helfen dürfte.
Die Forderungen in einem Positionspapier, das Kultusministerkonferenz, der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der Medizinischen Fakultätentag (MFT) im Herbst 2022 an die Gesundheitsministerien von Bund und Ländern gerichtet hatten, gingen indes weit über die jetzt vorgesehene Reform hinaus. Seit Jahren streiten Wissenschaft und Gesundheit, Bund und Länder zudem über die Finanzierung der Reform der Ärzteausbildung, die schon 2017 beschlossen wurde. Eine neue Approbationsordnung steht bis heute aus. "Wer anschafft, zahlt – das muss auch hier gelten", sagte Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) 2022 an die Adresse der Bundesregierung.
Im Augenblick gilt in der Unimedizin allzu oft: Die Medizin schafft an, die Wissenschaft als Ganzes muss zahlen.
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Victor Ehrlich (Donnerstag, 15 August 2024 20:01)
Ein wichtiger Artikel, der ein unterbewertetes Thema ans Licht zerrt und der verdeutlicht, wie Mittel für Forschung und Lehre (FuL) ohne großen Protest durch die Verantwortlichen zweckentfremdet werden.
Meiner Vermutung nach ist das Problem weitreichender. An großen Unikliniken stehen große Etats für wissenschaftliche Forschung und Ausbildung zur Verfügung. Tatsächlich sind aber die Sachmittel oft überschaubar und auch die Mitarbeiterzahl korreliert nicht mit den FuL-Budgets. Dieses Missverhältnis lässt sich eigentlich nur so erklären, dass FuL-Gelder direkt und indirekt den laufenden Klinikbetrieb subventionieren. Das kann relativ unauffällig geschehen, indem man z. B. Uni-Ärzte prozentual zu hoch aus Wissenschaftsmitteln bezahlt oder den Forschungslabors zu hohe Betriebskosten aufbürdet. Da die Macht an Unikliniken immer bei den Chefärzten liegt, denen das Patientenbett stets näher als die Forscherbank ist, hält sich der Widerstand in Grenzen und der Forschungsdekan drückt beide Augen zu.
Wie wäre es mit einer forensischen Untersuchung des FuL-Budgets an einem Uniklinikum durch ein Journalistenkollektiv?
T. (Donnerstag, 15 August 2024 22:02)
Und Misswirtschaft und Verwaltungsdefizite des UKJ hält niemand für möglich?
Nikolaus Bourdos (Samstag, 17 August 2024 12:16)
Hier handelt es sich um ein ganz altes Problem. Natürlich fließen vermutlich an den allermeisten Uniklinika FuL-Mittel als Quersubvention in den Klinikbetrieb - seit Jahrzehnten. Erleichtert wird das dadurch, dass dort, wo das stattfindet, die kaufmännischen Direktoren des Klinikums die FuL-Mittel erhalten, statt dass sie erstmal zentral an die Uni gehen. Der Bund hat das Problem schon in den 90er Jahren dadurch versucht zu lindern, dass er die Interdisziplinären Zentren für Klinische Forschung (IZKF) finanzierte, das Land NRW legte die medizinischen Forschungsfonds auf. Diese Maßnahmen waren aber nur ein Bypass, keine echte Heilung.