· 

Fördermittelaffäre: Jetzt müssen SPD und Grüne Farbe bekennen

Bis Dienstagabend sollen sich die Obleute im Bundestags-Forschungsausschuss entscheiden: Fordern sie Akteneinsicht von Ministerin Stark-Watzinger oder nicht? Für die Koalition eine parteitaktisch diffizile Frage. Zugleich geht es um das Vertrauen in der Wissenschaftsszene. Eine Analyse.

Bild: WikimediaImages / Pixabay.

WISSENSCHAFTSPOLITISCH erwartet inzwischen keiner mehr viel von der Ampel, und doch könnte sich der Dienstag dieser Woche als eines der Daten herausstellen, die über die wissenschaftspolitische Bilanz der Koalition mitentscheiden. Diesmal geht es nicht um die Finanzierung alter oder neuer Vorhaben, nicht um die Verabschiebung langerwarteter Reformprojekte, sondern lediglich um ein Meinungsbild per Umlaufverfahren.

 

Dessen Ergebnis aber Signalwirkung haben könnte: Übt das Parlament seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus und bietet einer Ministerin die Stirn, die inmitten eines Skandals um die Wissenschaftsfreiheit die zur Aufklärung nötige Transparenz verweigert? Oder beschließt der Bundestagsforschungsausschuss mit der Stimmenmehrheit von SPD, Grünen und FDP, Bettina Stark-Watzinger (FDP) Rückendeckung zu geben?

 

Es wäre eine bewusste Entscheidung von SPD und Grünen, in die wissenschaftspolitische Mithaftung zu gehen. Ein weiterer Vertrauensverlust in der Wissenschaftscommmunity schiene unausweichlich – obwohl die Ampel-Parlamentarier das Ziel beschwören, verloren gegangenes Vertrauen müsse zurückerobert werden.

 

Dass es überhaupt soweit kommt, muss sich auch Kai Gehring vorwerfen lassen, ausgerechnet der grüne Ausschussvorsitzende, der das Gremium einen "Maschinenraum der Demokratie" nennt und es offener und dynamischer machen will. Doch hat sich sein Umgang mit einer Forderung der CDU-/CSU-Opposition als ungelenk erwiesen.

 

Was die Union verlangte und wie
der Ausschussvorsitzende taktierte

 

Die Union hatte wie berichtet verlangt, Stark-Watzinger erneut vor den Ausschuss zu zitieren, und zwar in einer eigens dafür einberufenen Sondersitzung und in einem direkteren Frage-Antwort-Prozedere als beim ersten Mal. Außerdem sollten die von ihr im Zuge der sogenannten Fördermittelaffäre entlassene Staatssekretärin Sabine Döring und der für Hochschulen zuständige BMBF-Abteilungsleiter Jochen Zachgo kommen. Auch den vollständigen Zugang zu allen einschlägigen Akten auf dem aktuellen Stand für den Haushalt wollte die Union für den Ausschuss. 

 

Gehring teilte mit, er habe dem Wunsch der CDU-/CSU-Fraktion nach einer Sondersitzung umgehend entsprochen und Stark-Watzinger eingeladen, doch "die Entscheidung über die Teilnahme weiterer Personen obliegt der BMBF-Leitung". Über die Modalitäten der Sitzung wie die Anzahl der Fragerunden müssten sich wie üblich die Fraktionen verständigen. "Da ein Aktenvorlagerecht ausschließlich Untersuchungsausschüssen vorbehalten ist, muss sich die Union mit dem Anliegen nach Akteneinsicht direkt an das Ministerium wenden."

 

Vergangene Woche dann kündigte Stark-Watzinger gegenüber Gehring an, sie werde allein kommen – ohne Döring und Zachgo. Und in einem parallelen Antwortschreiben an die Unionsfraktion verwies ihr parlamentarischer Staatssekretär Jens Brandenburg in Sachen Aktenvorlagerecht auf Gehrings Ausführungen. Mit anderen Worten: Da kommt nichts, das BMBF verweigert die Herausgabe.

 

Drei Fragen und
eine Deadline

 

Ob aus Koalitionsräson oder einfach nur der Sorge, sich von der Opposition instrumentalisieren zu lassen: Mit seiner passiv-abwartenden Reaktion hatte Gehring der Union eine Vorlage geliefert. Denn natürlich ließ die nicht locker, sondern legte mit einem zweiten Brief an Gehring nach und betonte, dass die Geschäftsordnung des Bundestages es dem Ausschussvorsitzenden nicht untersage, "sich mit Bitten im Namen des Ausschusses an das vom Parlament zu kontrollierende Ressort zu wenden".

 

Deshalb bäten sie Gehring "nachdrücklich", bis 19. August per Umlaufverfahren von allen Fraktionen einen Beschluss "bezüglich der Frage einzuholen, ob Sie sich als Ausschussvorsitzender an das BMBF wenden und um die Zustellung der vollständigen aktuellen Aktenlage zu den in der Kritik stehenden Vorgängen" bitten sollten.

 

Eine Nummer, aus der Gehring offenbar nicht mehr herauskam. Und so schrieb der Ausschussvorsitzende den Fraktionsobleuten im Ausschuss jetzt, laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages gebe es zwar keine unmittelbaren Informationsansprüche von Abgeordneten gegenüber Beschäftigten an Bundesbehörden, womit Döring und Zachgo gemeint waren. Dennoch bat er die Obleute, zur Vorbereitung der als öffentlich eingestuften Sondersitzung am 10. September zu folgenden Fragen zu votieren: "1. Sollen trotz der o.g. rechtlichen Ausführungen der Abteilungsleiter und die Staatssekretärin a.D. eingeladen werden? 2. Soll der Vorsitzende im Namen des Ausschusses das Ministerium bitten, die Akten über die in der Kritik stehenden Vorgänge zu übersenden? 3. Bitte um ein vorläufiges Meinungsbild, wie das Gespräch mit der Ministerin gestaltet werden soll." 

 

Als Deadline wurde der 20. August ("Dienstschluss") gesetzt. Und Gehring hatte nicht nur die Chance verpasst, den Eindruck eines selbstbewussten Ausschussvorsitzenden zu vermitteln, der im Brustton der Überzeugung selbst die maximale Transparenz von Stark-Watzinger einfordert, und zwar unabhängig  von der Frage, ob das Gremium auf die Anwesenheit von Döring und Zachgo oder die Aktenvorlage nun ein Recht hat oder nicht. Der Grüne hat noch dazu seine eigene Fraktion und auch die der SPD durch das Weiterreichen der heißen Kartoffel, genau wie von der Union wohl erhofft, in eine extrem unkomfortable Position gebracht.

 

Deren Obleute, Oliver Kaczmarek (SPD) und Laura Kraft (Grüne) wissen natürlich: Eigentlich können sie, wenn sie es ernst meinen mit ihrem parlamentarischen Kontrollauftrag, nur Ja sagen zu der Forderung nach Dörings und Zachgos Kommen – und zur Akteneinsicht ebenfalls. Doch genauso kann der FDP-Obmann im Ausschuss, Stephan Seiter, kaum seine eigene Ministerin im Stich lassen. Dass die Ampelfraktionen gegeneinander stimmen, verbietet indes eigentlich der Koalitionsvertrag. Aber auch eine in solcher Situation logische Enthaltung aller Partner ist aus Sicht der FDP schlecht vorstellbar, denn damit käme der Unionsantrag durch.

 

Welche Optionen SPD
und Grünen bleiben

 

Womit mindestens zwei Optionen bleiben: SPD und Grüne tun das, was wissenschaftspolitisch richtig ist, aber der Koalitionsvertrag untersagt. Womöglich argumentieren sie, es handle sich eher um ein Meinungsbild als eine vollwertige Abstimmung. Oder die Obleute wahren, womöglich auf Wunsch der Fraktionsspitzen, den Koalitionsfrieden. Mit den oben beschriebenen Folgen, dass sie in die Mithaftung gehen und das jenseits der Ministerin verbliebene Vertrauen in der Wissenschaftsszene in die Wissenschaftspolitik der Ampel noch tiefere Risse erhalten dürfte.

 

Denkbar ist auch, dass SPD und Grüne sich in die Forderung nach mehr Zeit und rechtlichen Einordungen flüchten, um so den Umlaufbeschluss zu vertagen. BMBF-Chefin Stark-Watzinger hatte in ihrem Schreiben an Gehring bekräftigt, eine Entbindung von Ex-Staatssekretärin Döring von ihrer beamtenrechtlichen  Verschwiegenheitspflicht entfalle "allein schon deswegen, da – wie auch öffentlich bekannt ist – Frau Prof. Dr. Döring ein noch nicht abgeschlossenes verwaltungsgerichtliches Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland führt, bei dem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Verfahrensbeteiligte ist."

 

Ein Verfahren übrigens, in dem sehr bald eine Entscheidung fallen soll. Warum sich Parlamentarier in der Ausübung ihrer Meinungsbildung und der Formulierung ihrer Forderungen durch ein nicht abgeschlossenes Verwaltungsgerichtsverfahren beeindrucken lassen sollten, erschließt sich freilich nicht. Ebenso wenig nachvollziehbar wäre es, wenn der Ausschuss gar nicht erst die Herausgabe der Akten fordert, während die Online-Plattform "FragDenStaat" sich genau darüber eine Auseinandersetzung mit dem BMBF liefert.

 

Die Ampel-Koalitionsfraktionen müssen sich gut überlegen, wie sie jetzt handeln. Es steht viel auf dem Spiel.

 

 

Nachtrag am 20. August

Verwirrung vor der Ausschuss-Abstimmung um Dörings Einladung: Was Kai Gehring dazu sagt und was die Unionsfraktion jetzt fordert

 

Wie kam es eigentlich, dass die Unionsfraktion von Kai Gehring nur einen Umlaufbeschluss in Sachen Akteneinsicht gefordert hatte, der Ausschussvorsitzende aber in seinem Schreiben an die Obleute dann darüber hinausging und sie auch zum Kommen Dörings und Zachgos befragte? Übererfüllte Gehring von sich aus die Wünsche der CDU/CSU?

 

Nicht ganz. Es handelte sich eher um eine Art Richtigstellung. Der Unionsfraktion hatte Gehring nämlich bereits Ende Juli geschrieben, er habe ihrem damaligen Wunsch entsprechend auch Döring und Zachgo eingeladen. Weshalb CDU/CSU diese Frage in ihrer späteren Forderung nach einem Umlaufbeschluss nicht erneut aufriefen. Allerdings behauptete Stark-Watzinger in ihrem Brief vom 14. August, ihres Wissens sei gar Döring nicht eingeladen. 

 

Auf Anfrage sagte Gehring am Dienstag, dem Wunsch der Unionsfraktion vom 31. Juli nach einer Sondersitzung habe er noch am selben Tag entsprochen. "In der Einladung an die Ministerin bat ich darum, ebenfalls die Teilnahme von Staatssekretärin a.D. und dem Ministerialdirektor zu prüfen. Dies hat die Ministerin in Ihrer Antwort vom 14.08.2024 abgelehnt."

 

So, wie Gehring es darstellt, hat es sich also Ende Juli um eine ungeschickte Formulierung im Schreiben an die Unionsfraktion gehandelt: Statt einer expliziten Einladung Döring und Zachgos bat er die BMBF-Chefin lediglich, dieselbe zu prüfen. Was den Eindruck eines in der Sache nicht gerade selbstbewusst agierenden Ausschussvorsitzenden noch verstärkt.

 

Weiter sagte Gehring auf Anfrage, gegenüber den Obleuten habe er auf ein einschlägiges Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages verwiesen. "Ob dennoch eine formale Einladung erfolgen soll, müssen die Fraktionen entscheiden."

 

In einem neuerlichen Schreiben an Gehring drückte die Unionsfraktion am Dienstag ihre "Verwunderung aus, dass die Einladung an Staatssekretärin a.D. Prof. Dr. Döring bisher nicht erfolgte". Außerdem listeten die CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek und Stephan Albani noch einmal detailliert die "in der Kritik stehenden Vorgänge im BMB" auf, zu denen sie mindestens "die Übermittlung der vollständigen aktuellen Aktenlage" fordern, und zwar bis spätestens 2. September.

 

"Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung, wonach Frau Prof. Döring angeblich die Wire-Kommunikation der BMBF-Leitung verschriftlicht und nachträglich in die Akten gegeben haben soll, ist unseres Erachtens die Übermittlung der aktuellen vollständigen Aktenlage durch das BMBF zur Vorbereitung der Ausschusssondersitzung sehr wichtig", heißt es weiter.

 

Das Ergebnis des Umlaufbeschlusses, bittet die Union, solle allen Obleuten, Sprecherinnen und Sprecher im Forschungsausschuss bis Mittwochvormittag, 11 Uhr zur Verfügung gestellt werden.



In eigener Sache: Weniger als 0,2 Prozent

Auf jeden 580. Blogbesuch kommt eine finanzielle Unterstützung. Das kann nicht gut gehen. Bitte helfen Sie mit!


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    bregalnica (Montag, 19 August 2024 14:19)

    Danke für diesen weiteren Artikel in der Sache, sehr gut beschrieben und die Optionen liegen nun eindrücklich auf dem Tisch. Die Affäre wächst zunehmend zu einer demokratiegefährdenden Aktion, die sich nicht mehr rechtfertigen lässt.

  • #2

    Sascha Wellmann (Dienstag, 20 August 2024 14:26)

    Danke für diesen wichtigen Beitrag. Ein erschreckendes Beispiel für den Zustand der Wissenschaftsfreiheit, wenn’s mit der Demokratie nicht so genau genommen wird.