SPD, Grüne und FDP: Brauchen weitere Informationen und Einschätzungen, außerdem muss der Forschungsausschuss laufende Gerichtsverfahren berücksichtigen.
ZEITSPIEL STATT FARBEBEKENNEN: Am Dienstagabend lief die von Kai Gehring gesetzte Antwortfrist ab, doch anstatt dem Vorsitzenden des Bundestags-Forschungsausschusses ihre Voten mitzuteilen, beantragten SPD, Grüne und FDP am Dienstagabend eine formale Sondersitzung der Obleuterunde.
Die Koalitionsfraktionen nähmen die Vorwürfe gegen die BMBF-Hausleitung sehr ernst, heißt es in dem von Oliver Kaczmarek (SPD), Laura Kraft (Grüne) und Stephan Seiter (FDP) unterzeichneten Brief, der mir vorliegt. Das Ministerium sei gefordert, in dieser Angelegenheit "fortlaufend für Aufklärung und
Transparenz zu sorgen. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes,
durch das Grundgesetz geschütztes Gut". Und weiter: "Wir begrüßen daher, dass Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung den Abgeordneten erneut zur Verfügung steht, um offene Fragen zu
beantworten."
Und dann kommt die entscheidende Stelle des Briefes: "Um dem Informationsinteresse der Abgeordneten und der Öffentlichkeit gerecht zu werden, halten wir es für geboten, die für den 10. September angesetzte Ausschusssondersitzung gründlich vorzubereiten. Daher beantragen wir eine Sondersitzung der Obleute-Runde. Das ist vor allem deshalb nötig, um weitere Informationen und Einschätzungen einholen zu können, damit die in Ihrem Schreiben aufgeworfenen Fragen in der nötigen Gründlichkeit geklärt werden können. Auch werden wir damit den bewährten und von der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags vorgesehen Verfahren gerecht, um zwischen den Obleuten eine Vereinbarung über den Ablauf einer Ausschusssitzung zu treffen."
Die weitere Argumentation von SPD, Grünen und FDP hatte sich im Vorfeld bereits abgezeichnet, ist inhaltlich aber trotzdem erstaunlich: Im Übrigen, schreiben Kaczmarek, Kraft und Seiter, seien bei den anstehenden Entscheidungen der Obleute zur Sondersitzung auch laufende Gerichtsverfahren zu berücksichtigen. "Der Bundestag darf nicht den Eindruck erwecken anstehenden Entscheidungen der Gerichte vorgreifen zu wollen, sondern muss die Unabhängigkeit der Justiz respektieren." Dabei bleibe es ausdrückliches Interesse des Bundestags und der gesamten Öffentlichkeit, wenn in den in der Sache relevanten Gerichtsverfahren zeitnah entschieden werde.
Mit diesem Appell endet der Brief, doch welche Gerichtsverfahren (Plural) meinen die Abgeordneten eigentlich? Derzeit gibt es offenbar nur eines: das um die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht zwischen der entlassenen Staatssekretärin Sabine Döring und dem BMBF. Schon hier ist die Argumentation der Ampelfraktionen – freundlich formuliert – kurios: Stark-Watzinger könnte, wenn sie wollte, Dörings Verschwiegenheitspflicht aufheben, kein Gericht der Welt würde ihr dies verbieten. Sie will aber nicht, deshalb klärt das Verfahren die Frage, ob die Ministerin es muss. Warum also sollen Parlamentarier, wenn sie Döring hören wollen, eine Entscheidung abwarten, die für ihre politische Forderung gar nicht relevant ist?
Dass SPD,Grüne und FDP darüber hinaus von "Gerichtsverfahren" und "Entscheidungen der Gerichte" im Plural sprechen, legt die Vermutung nahe, sie bezögen sich zugleich auf den Streit zwischen der Online-Plattform "FragDenStaat" und dem BMBF um die laufende IFG-Anfrage vor allem zur Veröffentlichung der die Fördermittelaffäre betreffenden Wire-Kommunikation im Ministerium. Doch hier läuft bislang, soweit bekannt, noch gar kein Gerichtsverfahren, lediglich ein Widerspruch von "FragDenStaat"-Mann Arne Semsrott gegen einen Ablehnungsbescheid aus dem BMBF.
Ein Gerichtsverfahren auch in der Sache ist, sollte das BMBF seinen Widerstand nicht aufgeben, wahrscheinlich, aber hat noch gar nicht begonnen und dürfte dauern – so dass es in jedem Fall viel zu spät käme, um für die Ausgestaltung der für den 10. September geplanten Sondersitzung des Ausschusses eine Rolle zu spielen. Aber auch inhaltlich ist das IFG-Verfahren nicht wirklich von Bedeutung, denn natürlich kann der Bundestag die Herausgabe der Akten verlangen, gegebenenfalls unter einer in Details gesteigerten öffentlichen Geheimhaltungspflicht. Wenn die Union als nächsten Schritt, was sie, wenn es so weitergeht, definitiv tun sollte, einen Untersuchungsausschuss fordert, müsste das BMBF diesem sogar die Akten vorlegen. Und zwar ebenfalls unabhängig von jeder IFG-Anfrage.
Mit dem hehren Argument zu kommen, man wolle die Unabhängigkeit der Justiz respektieren, ändert nichts an dem Eindruck, der entsteht: Die Ampel-Obleute konnten sich nicht einigen, die FDP pochte auf dem Koalitionsvertrags-Grundsatz, dass man nicht gegeneinander stimmt, und so verweigert man die Abstimmung und spielt auf Zeit.
Die eigentlich spannende juristische Frage lautet jetzt: Was bedeutet der Brief der Ampel-Fraktionen eigentlich? Können sie die vom Ausschussvorsitzenden in Gang gesetzte Abstimmung einfach so aussetzen durch ihren Brief? Oder müsste Kai Gehring damit die Voten von SPD, Grüne und FDP als nicht erfolgt (oder als Enthaltungen) werten, was Union und Linken gemeinsam die nötige Mehrheit für die entscheidenden Fragen bescheren würde?
Die wissenschaftspolitische Debatte im Ausschuss und darüber hinaus über den Umgang der Ampel mit der Wissenschaftsfreiheit dürfte nach der Antwort der Ampel-Fraktionen jedenfalls noch hitziger werden.
Nachtrag am 21. August, 17 Uhr:
Was Kai Gehring und weitere Wissenschaftspolitiker zur Abstimmung sagen
Der Vorsitzende des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne), hat das Umlaufverfahren offiziell für gescheitert erklärt. Es habe "weder einen Konsens noch eine Mehrheitsentscheidung
herbeigeführt", sagte er auf Anfrage . "Um eine Einigung der Modalitäten der Sondersitzung des Ausschusses zu erreichen, werde ich daher zeitnah und möglichst noch in der Parlamentspause zu
einer Obleute-Runde einladen."
In einem am Nachmittag an die Obleute verschickten Brief schlug Gehring dafür eine Videokonferenz am 30. August vor. Das Ergebnis des Umlaufverfahrens stellte er in seinem Schreiben so dar: "In der Sache geantwortet haben die CDU/CSU- Fraktion und die Gruppen Die Linke und BSW, die zusammen weniger als ein Drittel der Ausschussmitglieder repräsentieren. Enthaltungen hat es nicht gegeben. Es konnte somit weder ein Konsens noch eine Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden."
Wie genau Union, Linke und BSW abgestimmt haben, teilte Gehring den Obleuten nicht mit. Doch nur dadurch, dass der Ausschussvorsitzende die Weigerung der Ampel-Fraktionen, sich an dem von ihm angestrengten Umlaufverfahren zu beteiligen, nicht als Enthaltung einstufte, kam es mutmaßlich nicht zu einem Abstimmungserfolg der Opposition. Eine solche Einstufung soll, ist auch aus der Opposition zu hören, den Regeln entsprechen.
Der CDU-Obmann im Ausschuss, Stephan Albani, sagte in einer ersten Reaktion: "Drei Wochen, nachdem wir die Sondersitzung zur Aufklärung der Fördermittelaffäre beantragt haben, können sich die Ampelfraktionen noch immer nicht auf die zentralen Fragen zur Vorbereitung der Sitzung verständigen." Es sei ihm völlig schleierhaft, welche weiteren Informationen und Einschätzungen die Koalitionäre jetzt noch einholen wollten. Wichtig sei doch, dass die Einladungen versandt würden und dem Ausschuss die aktuelle und vollständige Aktenlage übermittelt werde. "Nur so stellen wir eine gründliche Vorbereitung der Sondersitzung sicher. Zu einer außerordentlichen Obleute-Runde bin ich gerne bereit, aber angesichts des Zeitdrucks wären erste Entscheidungen der Koalitionäre zu den zentralen Fragen mehr als angemessen gewesen."
Albanis SPD-Konterpart, Oliver Kaczmarek, sagte, die Koalitionsfraktionen seien sich einig, dass das Ministerium weiterhin gefordert sei, für Transparenz und Aufklärung in der Sache zu sorgen. "Deshalb wollen wir die Sondersitzung des Ausschusses am 10.9. auch gründlich vorbereiten und haben eine Sondersitzung der Obleute beantragt. Für die SPD füge ich hinzu, dass wir erwarten, dass dafür alle Unterlagen und Gesprächspartner durch das Haus zur Verfügung gestellt werden, die notwendig sind, damit die Abgeordneten sich ein umfassendes Bild machen können."
Was man so verstehen muss, dass die SPD anders als im gestrigen Ampel-Schreiben formuliert für ihre Meinungsbildung wohl doch keine zusätzlichen Informationen und Einschätzungen mehr brauchte, aber aus Koalitionsdisziplin die entsprechenden Fragen im Umlaufbeschluss nicht beantworten wollte.
Kaczmarek fügte hinzu: "In der Sache muss am Ende immer die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit stehen. Deshalb muss zweifelsfrei ausgeräumt werden, dass in der Leitungsebene des Hauses Überlegungen zur politischen Beeinflussung von Förderentscheidungen getroffen worden wären." Gleichzeitig seien alle Fraktionen gefordert, laufende Rechtsverfahren zu respektieren und Gerichtsentscheidungen nicht vorgreifen zu wollen.
Was das wiederum für das Abstimmungsverhalten der SPD in der geforderten Obleute-Sondersitzung bedeuten soll, ließ Kaczmarek offen.
Der CDU-Wissenschaftspolitiker Thomas Jarzombek sagte, die Obleute der Ampel boykottierten die Umfrage ihres eigenen grünen Ausschussvorsitzenden. "Es ist schon ironisch, dass die Ampelfraktionen auf der einen Seite eine gründliche Vorbereitung der Sondersitzung fordern. Und auf der anderen Seite der vollständigen Aktenübermittlung nicht zustimmen wollen. Wenn die Akten gar nicht oder erst am Vorabend übermittelt werden, können sich die Abgeordneten eben nicht gründlich auf die Sondersitzung vorbereiten." Mit diesem Zeitspiel stünden die Koalitionäre einer lückenlosen Aufklärung im Weg.
Die BMBF-Fördermittelaffäre gerate "komplett zur Farce", kommentierte Nicole Gohlke von der Linken auf "X". "Die Ampel spiele billig auf Zeit und sperrt sich weiter, "endlich für volle Transparenz zu sorgen". SPD und Grüne sollten sich an die Seite der Wissenschaft stellen, fügte Gohlke hinzu, "anstatt an die Seite einer irrlichternden Ministerin!"
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R. Mautz (Samstag, 24 August 2024 08:37)
Hat es sich nun auch im Bereich der Wissenschaft "ausge-ampelt"? Schade.