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Das Ende der Fahnenstange

Die Sondersitzung des Forschungsausschusses zur BMBF-Fördermittelaffäre setzte einen Schlusspunkt. Denn klar ist: So geht es jetzt nicht mehr weiter. Ein paar Schlussfolgerungen.

GUT 105 MINUTEN dauerte die Sondersitzung des Bundestags-Forschungsausschusses zur Fördermittelaffäre (hier der Videomitschnitt). Im Publikum saß die geschasste BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring, die bei der Sitzung reden wollte, aber nicht durfte, während ihre frühere Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Fragerunde um Fragerunde der Abgeordneten beantwortete. Viel wurde gesagt, teilweise ging es hoch her, doch welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus – für die Aufklärung, für die Arbeit der Ampelkoalition, das Vertrauen in die Ministerin und den weiteren Umgang mit der Affäre? 

 

 

1. Inhaltlich brachte die Sitzung
keine neuen Erkenntnisse

 

"Ich sage es noch einmal" und "Wie ich bereits wiederholt gesagt habe" waren die Redewendungen, die Stark-Watzinger am häufigsten benutzte. Während die Aussage, die von den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen am häufigsten zu hören war, sinngemäß lautete: "Sie haben die Frage(n) nicht beantwortet."

 

Dass die Sitzung keine neuen Erkenntnisse brachte, wurde von Stark-Watzinger und der FDP im Ausschuss so erklärt, dass alle in Kritik stehenden Vorgänge im Ministerium bereits mehrfach, transparent und vollumfassend aufgeklärt worden seien. 

 

Während die Opposition, aber mit erstaunlicher Deutlichkeit auch die SPD Lücken in der Darstellung durch die Ministerin kritisierten.

 

Fest steht: Das vor der Sitzung mit Ampelmehrheit beschlossene Sitzungsprocedere – statt Einzelfragen mehrere Fragerunden, nach denen die Ministerin jeweils alle Fragen am Stück beantwortete – erleichterte Stark-Watzinger bei Bedarf das Ausweichen oder die Beantwortung von Fragen, die so gar nicht gestellt worden waren.

 

Viel wurde in der Sitzung darüber gestritten, warum die Ministerin dem Ausschuss nicht weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt hat und ob sie die Herausgabe der ministeriumsinternen "Wire"-Chats zu Recht als nichtamtliche Kommunikation einstuft und daher verweigert oder nicht.

 

Klar ist aber auch abgesehen von der "Wire"-Frage, die "FragDenStaat" gerade gerichtlich klären lässt: Der Ausschuss hat keine Einsicht in die vollständigen Originalakten des Ministeriums und kann daher nicht überprüfen, ob ihm wirklich alles Relevante zur Verfügung gestellt worden ist.

 

Drängend wird die Frage angesichts der öffentlichen Mitteilung von Sabine Döring am Montag, sie sei ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung nachgekommen, "habe den Vorgang dokumentiert und dem BMBF alle zur Verfügung stehenden Unterlagen übergeben. Das schließt die betreffenden Wire-Chat-Verläufe ein. Wire benutze ich privat nicht." Wo ist Dörings Dokumentation, warum wurden diese Akten dem Ausschuss nicht zur Verfügung gestellt? 

 

Im Unterschied dazu hatte das BMBF von Anja Karliczek (CDU) 2019 im Zuge der Batteriefabrik-Affäre dem Ausschuss die tatsächlichen und vollständigen Akten(ordner) zugänglich gemacht.

 

 

2. SPD setzt sich ab von der Ministerin,
Grüne stellen Bemühungen ein

 

Oliver Kaczmarek, der SPD-Obmann im Ausschuss, machte gleich zu Beginn der ersten Fragerunde deutlich, dass er keine Lust mehr auf Ablenkungsmanöver der Ministerin habe. Stark-Watzinger hatte in ihren einführenden Worten gesagt: Während der Ausschuss sich erneut mit aus ihrer Sicht längst aufgeklärten und wiederholt erörterten Sachverhalten beschäftige, drehe sich "die Welt um uns herum weiter." Es gehe derzeit um sehr viel, sagte die Ministerin mit Bezug auf den Antisemitismus auch an den Hochschulen. 

 

Kaczmarek  konterte: "Wir müssen uns auf das konzentrieren, was tatsächlich hier heute zur Diskussion steht." Er wolle, dass in der Sondersitzung alle Vorwürfe ausgeräumt würden, "damit wir uns auf die anderen Themen konzentrieren können". 

 

Als der Auftritt der Ministerin vorüber war, befand Kaczmarek: "Nach dieser Ausschusssitzung sind wir als Parlament eigentlich so schlau wie vorher. Insbesondere zu den Abläufen, zur Zielsetzung und zur Kommunikation über die rechtliche Prüfung einer Meinungsäußerung von Hochschulprofessor/innen und daraus resultierender Gedanken zur Streichung von Fördermitteln im engsten Führungskreis des Bildungs- und Forschungsministeriums gibt es keine neuen Erkenntnisse. Damit gibt die Ministerin nur zusätzlichen Raum für neue Spekulation." Es gehe um nicht weniger als das vom Grundgesetz geschützte Recht auf Wissenschaftsfreiheit und den Vorwurf der versuchten politischen Einflussnahme. "Umso mehr kann ich nicht verstehen, warum die Ministerin jetzt nicht alles an Akten und Chats zur Verfügung stellt. Wenn es nichts zu verbergen gibt, kann man durch Transparenz den Sachverhalt endlich aufklären."

 

Eine bissige Ansage des Koalitionspartners, während die Grünen im Anschluss an die Sitzung die Aufklärung faktisch für erledigt erklärten. "Die Ministerin hat uns ihr Wort geben und garantiert, dass in Bezug auf die Fördermittelaffäre nichts Weiteres veranlasst wurde, was Zweifel am Umgang mit der Wissenschaftsfreiheit im BMBF aufkommen lassen könnte", sagte Anja Reinalter, grüne Sprecherin für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, nach der Sitzung. "Diese Versicherung ist für uns die Grundlage gemeinsam nach vorne zu schauen. Wir haben uns als Koalition noch viel vorgenommen, was wir wissenschafts- und bildungspolitisch erreichen wollen."

 

Hier läuft etwas auseinander in der Ampelkoalition. Welche praktischen wissenschaftspolitischen Folgerungen das in den nächsten Wochen haben wird, bleibt abzuwarten.

 

 

3. Es wird persönlich
und es wird hakelig

 

Mehrfach sprach Stark-Watzinger in der Sitzung von unbewiesenen "Unterstellungen und Spekulationen" von "interessierten Kreisen", wobei sie dem CDU-Forschungspolitiker Thomas Jarzombek persönlich vorwarf, falsche Behauptungen aufgestellt zu haben.

 

Stark-Watzingers Parteikollegin Ria Schröder formulierte noch schärfer: "Auch heute haben Sie wieder versucht, möglichst viel Dreck zu werfen in der Hoffnung, dass etwas hängenbleibt", sagte sie in Richtung von Jarzombek. "Sie gerieren sich wie ein Staatsanwalt, aber haben gar keinen Wahrheitsanspruch."

 

Dafür erhielt der CDU-Politiker für sein erneut akribisches Nachhaken Anerkennung von der Linken, auch die AfD forderte die Ministerin mit Nachdruck auf, Jarzombeks Fragen zu beantworten (während Vertreter des BSW, wie der Ausschussvorsitzende Kai Gehring mehrfach hervorhob, erneut der Ausschusssitzung fernblieben).

 

Der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller kommentierte auf X: Stark-Watzinger mauere zur Fördergeldaffäre, halte am "Maulkorb" für Döring fest "und unterstellt der Opposition unlautere Motive."

 

 

4. Große Ermüdung
und Ernüchterung

 

Nach der Sondersitzung dürften bei vielen Beobachtern in Politik, Medien und Wissenschaft vor allem zwei Gefühle vorherrschen: Ermüdung und Ernüchterung. Große Ermüdung angesichts der Tatsache, dass die Diskussion über die Fördermittelaffäre sich seit nunmehr fast drei Monaten im Kreis zu drehen scheint. Dass Stark-Watzinger pausenlos behauptet, es sei komplette Transparenz hergestellt, sich zugleich aber weigert, genau diese zu ermöglichen. Was dann zu jenen Spekulationen führt, gegen die sie sich empört verwahrt.

 

Wäre es nur ihr eigener politischer Schaden, wäre das eine Sache. Doch zieht Stark-Watzingers Vorgehen die wissenschaftspolitische Reputation der gesamten Ampel immer stärker in Mitleidenschaft. Und während sich die SPD offenbar nicht länger von ihr als öffentliches Schutzschild missbrauchen lassen will, streichen die Grünen die Segel, was zusätzlich ernüchtert, aber Stark-Watzinger das Gefühl geben wird, es bald geschafft zu haben.

 

Aber was eigentlich? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden die bereits aktiven Whistleblower im BMBF dafür sorgen, dass am Ende doch die gesamten "Wire"-Chats an die Öffentlichkeit kommen, falls "FragDenStaat" das nicht ohnehin auf juristischem Weg erreicht. Es wird also keine Ruhe einkehren, dafür aber eine konstruktive Bearbeitung der Vorgänge nur noch immer schwieriger. 

 

Denn je länger dieser Schwebezustand bleibt, blicken immer weniger Beobachter durch, was berechtigte Fragen sind und was Aufbauschen durch die Opposition. Eine Ermüdung, die aber eben nicht zum Verebben der Affäre führen wird, sondern nur zu einer noch größeren Ernüchterung. Der Ernüchterung, dass diese Koalition nicht in der Lage ist, die größte wissenschaftspolitische Affäre seit vielen Jahren transparent abzuschließen. Was das über die Amtszeit von Stark-Watzinger für das Standing des BMBF in der Wissenschaftsszene bedeutet? Man wüsste es gern und fürchtet zugleich die Antwort.

 

 

5. Jetzt Untersuchungsausschuss –
oder das war's mit der konstruktiven Aufklärung

 

Deshalb trifft jetzt auch die Opposition und vor allem die CDU/CSU eine große Verantwortung. Ganz offenbar sind alle Aufklärungsbemühungen und alles Fragen unter den jetzigen Umständen zum Scheitern verurteilt. Schlicht weil die Ministerin nicht alle Informationen liefern will und es der Opposition umgekehrt nicht gelingt, ihre Vorwürfe ausreichend zu belegen. Und auch, weil der Bundestags-Forschungsausschuss in einer Sackgasse gelandet ist. Die Ampel-Koalitionspartner verweisen auf die rechtlich begrenzten Möglichkeiten zur Aufklärung, die das Gremium hat, weil sie sich nicht auf ein gemeinsames politisches Vorgehen im Umgang mit der Affäre einigen können. Was den SPD-Abgeordneten merklich gegen den Strich geht inzwischen. Doch eines ist klar: Die Möglichkeiten im Forschungsausschuss sind jetzt ausgeschöpft, und die Union muss eine Entscheidung treffen.

 

Denn an der Stelle haben Stark-Watzinger und die FDP Recht: Weiteres Spekulieren, Implizieren und hartnäckiges Nachfragen unter den jetzigen Bedingungen verursachen nur immer weiteren Schaden am demokratischen Prozess und der Debatte über Wissenschaftsfreiheit. Doch kann die Antwort nicht sein, das Fragen zu lassen, sondern die Bedingungen zu ändern. Durch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, die die Opposition erzwingen kann und der all die Möglichkeiten zur Aufklärung hat, die jetzt nötig sind. Auch das Recht auf umfassende Akteneinsicht. Dann wird die konstruktive Bearbeitung möglich. Und womöglich der einzige wirkliche Abschluss der Affäre.

 

Was aber, wenn die Union zu dieser Forderung gar nicht bereit sein sollte, vielleicht weil ihre eigene Fraktionsführung derzeit all ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen auf andere politische Projekte fokussiert? Eine Frage, die nur die Union beantworten kann, und das möglichst bald.

 

Denn sicher ist: Die Sondersitzung des Forschungsausschusses zur BMBF-Fördermittelaffäre setzte einen Schlusspunkt. So geht es jetzt nicht mehr weiter.

 

 

Nachtrag am 11. September, 8 Uhr:

Das ging schnell. Wenige Stunden nach Ende der Sitzung erteilte CDU-Wissenschaftspolitiker Thomas Jarzombek einem Untersuchungsausschuss eine Absage. "Wenn die Dinge, um die es hier geht, mündlich passiert und nicht in Akten verschriftlicht sind, würden wir auch in einem Untersuchungsausschuss nicht schlauer werden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Da kann man sich die Ressourcen am Ende sparen." Dass Jarzombek keinen Nutzen in der Einrichtung eines Gremiums sieht, das genau jene vollständige Herausgabe der Akten verlangen kann, die die CDU/CSU über Wochen als so wichtig dargestellt hatte, erstaunt dann doch. Was ist zum Beispiel mit Unterlagen und Berichten, die Ex-Staatssekretärin Döring nach eigenen Angaben im Nachhinein zu den Akten gegeben haben hat? Bestünde nicht großes Interesse daran, die interne Dokumentation zur Krisenkommunikation des Ministeriums in den vergangenen Wochen einsehen zu können? Auch könnte ein Untersuchungsausschuss mit weitreichenden Befugnissen weitere Zeugen vorladen, die dem nachkommen müssten. 

 

Doch zeigt die rasche Absage durch Jarzombek etwas sehr deutlich: Die Parteispitze der Union hat politisch derzeit andere Prioritäten, wie ihr Verhalten in der Migrationsdebatte allzu deutlich zeigt, und um diese mangelnde Unterstützung für einen Untersuchungsausschuss wissend zieht der eben noch so engagierte Jarzombek lieber selbst den Stecker und hofft jetzt vor allem auf die Arbeit der Gerichte, von FragDenStaat – und möglicherweise auch die Aktionen weiterer Whistleblower. Die SPD habe gefordert, die Wire-Kommunikation einsehen zu können, sagte Jarzombek der Süddeutschen weiter. "Dem schließen wir uns an. Auch das Transparenzportal 'FragDenStaat' hat die Kommunikation angefragt, dazu steht noch ein Gerichtsurteil aus." Wenn das komme, so Jarzombek, könne es nochmal "interessant werden."


Alles in allem gute Nachrichten. Für die aufgeregte Wissenschaftsszene aber wohl eine weitere Ernüchterung. Und womöglich zugleich ein Hinweis, dass in der parlamentarischen Kontrolle eine Lücke existiert zwischen den arg begrenzten Aufklärungskompetenzen eines normalen Fachausschusses und dem Maximal-Instrument Untersuchungssausschuss, dessen Einsatz mit Recht aufgrund des Aufwandes von den Fraktionen nur selten beschlossen wird, im Schnitt etwa dreimal pro Legislaturperiode. Eine Beobachtung, die vielleicht auch einmal eine Debatte wert wäre.

 

Hinweis: Ich habe meinen Artikel an einer Stelle korrigiert. In einer früheren Fassung hieß es, Stark-Watzinger habe dem SPD-Politiker Kaczmarek zweimal vorgehalten, bei seinen Fragen Vorgänge zu vermischen. Tatsächlich hatte die Ministerin den CDU-Mann Jarzombek angesprochen. Ich bitte um Entschuldigung.



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Kommentare: 2
  • #1

    Edith Riedel (Mittwoch, 11 September 2024 09:25)

    Leider interessiert die Bildungs- und Forschungspolitik in diesem Land nicht sehr viele Menschen. In der Politik ist sie eines der unwichtigsten Ressorts, und das merkt man dann halt auch an der Besetzung der Posten und der Leitung. Mediokre Politiker*innen, die es nicht in eines der "wichtigen" Ressorts geschafft haben, und sich so ziemlich alles leisten können, weil es eh niemanden interessiert. Es ist ein Trauerspiel.

  • #2

    Ruth Himmelreich (Mittwoch, 11 September 2024 10:13)

    Also mal ehrlich, das ist doch alles ziemlich albern. Ich lese die Ereignisse so: die BMBF-Leitung hat sich über diesen offenen Brief aufgeregt (den ich persönlich auch nicht toll finde, aber von der Meinungsfreiheit gedeckt) und ein Mitglied der Amtsspitze hat in der ersten Rage gesagt "Fördern wir eigentlich einen von denen?" und seinem/seiner Referent*in (w/w/d) den Auftrag gegeben, das mal zu überprüfen. Referent*in war dumm genug, das nicht per Telefon zu tun, sondern schreibt offensichtlich die Referatsleitung an. Er/sie wiederum hat wohl "beef" mit der Amtsspitze und greift nicht zum Telefonhörer, um Referent*in zu erklären, dass das eine blöde Idee ist und er/sie die E-Mail jetzt löscht, sondern schreibt's süffisant auf, so dass es interessierte Kreise leaken können. Voilà, ein Skandal.