Es braucht einen bundesweiten gleichen und einfachen Zugang zu ChatGPT für alle Studierenden und Lehrenden. Eine erste Gelegenheit für die neue Wissenschaftsministerkonferenz, sich zu beweisen.
ChatGPT über seine Nutzung durch Studierende (Ausschnitt). Quelle: https://chatgpt.com.
KAUM ZWEI JAHRE nach der Premiere von ChatGPT sind die sogenannten großen Sprachmodelle (Large Language Models – LLM) allgegenwärtig in den Hochschulen. Sie scheinen Computer endlich intelligent zu machen, erstellen auf Anforderung in Sekundenschnelle ausgefeilte Abhandlungen über jedes beliebige Thema.
ChatGPT und ähnliche Chatbots bestimmen die Debatten über die Zukunft von Forschung und Lehre, sie werden genutzt zur Anfertigung von Hausarbeiten und Forschungsberichten, und obwohl LLM es mit der Faktentreue nicht so genau nehmen, setzen viele Studierende (und Lehrende?) sie als eine Art gesprächige Suchmaschine ein.
Unterdessen ringen Didaktiker und Fachbereiche, Kommissionen und Hochschulleitungen um Regeln und die Beantwortung der Frage, was künftig eine akademische Eigenleistung ausmacht und was das für Lehrformate und Prüfungen bedeutet.
Umso verwunderlicher ist, dass die meisten akademischen Debatten zu LLM in Deutschland ein Grundproblem links liegen lassen. Ja, sehr viele Hochschulangehörige setzen sie ein, doch: Es gibt an den Hochschulen zwar viele kleinere Initiativen und größere Projekte zur Bereitstellung und Nutzung, "aber keinen bundesweiten niedrigschwelligen Zugang zu LLM für Studierende", schreibt Christian Füller in Forschung & Lehre.
Die Hochschulen, schreibt Füller weiter, seien von einer Grundversorgung ihrer knapp 3,5 Millionen Forschenden und Studierenden mit generativer KI "weit entfernt", die Hochschulrektorenkonferenz habe keinen Überblick, und das BMBF fühle sich nicht zuständig.
Stimmt die Diagnose, wäre das weder dem Potenzial noch der Größe der Herausforderungen durch LLM angemessen. Auch wenn es sich noch um eine Technologie im Frühstadium handelt, steht bereits fest: ChatGPT und andere leistungsfähige LLM entwickeln sich zu einer akademischen Infrastruktur, die heute jeder in der Wissenschaft braucht, ähnlich wie einen Mailzugang oder ein verlässliches WLAN. Entsprechend steht die Politik in der Verantwortung, allen den gleichen einfachen Zugang zu ermöglichen, auch damit die Hochschulen allen den angemessenen Umgang damit lehren können. Welche Dynamik und Kreativität das freisetzen könnte, kann man sich ausmalen und wünschen.
Eine solche akademische Infrastruktur kostet natürlich Geld, zunächst aber kostet sie politischen Willen, Initiative und Koordination. Da für die Hochschulen die Länder zuständig sind, wäre es falsch, sich hier mit einem Fingerzeig Richtung Bund herauszureden.
Im Gegenteil: Fast glücklich fügt sich, dass die Wissenschaftsminister der Länder im Streben nach mehr Sichtbarkeit ihre eigene Wissenschaftsministerkonferenz beschlossen haben, die sich demnächst zum ersten Mal treffen soll. Welches Thema könnte besser geeignet sein, um die Zukunftsorientierung, den Gestaltungswillen und die Tatkraft des neuen Gremiums unter Beweis zu stellen, als mit einem solchen wegweisenden Beschluss der "WissenschaftsMK" gleich zu ihrem Auftakt?
Die Hochschulen können inmitten unruhiger wissenschaftspolitischer Zeiten ein Signal des Aufbruchs gebrauchen. Hier wäre eines.
Dieser Kommentar erschien zuerst im Newsletter ZEITWissen3.
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Na ja (Donnerstag, 12 September 2024 10:08)
Es studieren sowieso viel zu viele. Wenn diese 'zuvielen' sich künftig die Hausarbeiten durch ChatGPT schreiben lassen, also keinerlei eigene Denkarbeit mehr aufbringen, braucht die Gesellschaft sie eigentlich nicht mehr auszubilden. Wozu? Die Arbeit kann dann ChatGPT gleich selbst erledigen. Eigentlich keine schlechte Entwicklung: an den Hochschulen dann nur noch Leute zu unterrichten, die selbstständig denken. In den Prüfungsordnungen der MINT-Studiengänge, die ich unterrichte, ist die Verwendung von ChatGPT als unerlaubtes Hilfsmittel klassifiziert. Das ist der vernünftigste Umgang mit dem tool, was Prüfungsleistungen betrifft. Im übrigen: Die Vorstellung, ChatGPT würde ''in Sekundenschnelle ausgefeilte Abhandlungen zu jedem beliebigen Thema'' verfassen, siehe obigen Artikel, zeugt von wenig Sachkenntnis im Umgang mit diesem tool. ChatGPT erzeugt ausgefeiltes Geblubbere. Das kann man prima einsetzen, wenn man etwa Werbeflyer produzieren will, da muss man sich inhaltsleeres Geblubbere nicht selbst aus den Fingern saugen.
Marco Winzker (Donnerstag, 12 September 2024 10:30)
Das bevölkerungsreichste Bundesland hat ein Konzept für den Zugang zu generativer KI und setzt es um. Wichtig dabei: Kommerzielle Angebote aus dem USA, in NRW gehostete offene Sprachmodelle und Schulung, Beratung sind vorgesehen. Ebenfalls wichtig: Lehre und Forschung sowie Bedarfe kleinerer, mittlerer und großer Hochschulen werden berücksichtigt. https://ki-edu-nrw.ruhr-uni-bochum.de/ueber-das-projekt/phase-2/generative-kuenstliche-intelligenz/
Auch zur Didaktik in Zeiten generativer KI gibt es regen Austausch und Forschung.
Jetzt heißt es, am Ball bleiben, die Entwicklung von Modellen und deren Einsatz zu fördern, und bundesweit oder EU-weit zu denken. Und dies am besten Bottom-Up. Startpunkte sind vorhanden.
Berit (Donnerstag, 12 September 2024 14:10)
Antwort auf : Na ja
(Donnerstag, 12 September 2024 10:08)
Anscheinend wissen Sie nicht wie Studierende und Wissenschaftler*innen ChatGPT und Co einsetzen und welche Möglichkeiten die Tools bieten. Der Kommentar zeigt, wie es um die digitale Bildung in Deutschland bestellt ist. Nur wenige sind so faul und dumm bzw, haben so wenig Ahnung von diesen Tools, dass sie sich die ganze Hausarbeit oder ein Paper von ChatGPT schreiben lassen. Vielmehr wird LLM eingesetzt, u.a. um Forschungsfragen zu formulieren (als Inspiration) oder um die eigenen Ergebnisse in Rohtexte zu fassen, die dann bearbeitet werden. Offenbar braucht es neben der berechtigten Forderung nach einem Zugang zu LLM für alle, auch eine Schulung in digitalen Kompetenzen für alle!
Django (Freitag, 13 September 2024 10:44)
Nun, vielleicht ist das BMBF wirklich nicht zuständig. Man könnte die finanziellen Aufwendungen für Entwicklung und Betrieb von LLM sowie Beratung zu ihrem Einsatz in der Lehre als "Großgerät" sehen. Aber abgesehen davon, dass die Übergangsregelung zur Föderalismusreform II in § 91b GG seit fünf Jahren ausgelaufen ist - Großgeräte sind dort explizit ausgenommen.
Martin Moritz (Freitag, 13 September 2024 20:01)
Zu dem Thema sollte man feststellen: When your natural intelligence fails then use artificial ones.
Na ja (Sonntag, 15 September 2024 08:29)
@Birte
Mir ist kein einziger Kollege bekannt, der sich zu Forschungsfragen von LLM inspirieren oder eigene Ergebnisse in Rohtexte bringen lässt. Den Kollegen, die das so verwenden, wie Sie das beschreiben, kann man nur ''Glück auf'' mit auf den Weg geben.
Kritiker (Sonntag, 15 September 2024 09:14)
Die Beiträge im Wiarda Blog werden leider immer realitätsferner. Schade. Mit der Wirtschaftsflaute, dem Sanierungsstau, dem Rückgang an Studenten in den MINT Fächern usw. stehen deutsche Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen vor ganz anderen massiven Problemen als die hier in den letzten Monaten behandelten. Bitte wieder mehr auf zukünftige Existenzprobleme fokussieren. Danke.
Wolfgang Kühnel (Sonntag, 15 September 2024 14:13)
"Sie scheinen Computer endlich intelligent zu machen, erstellen auf Anforderung in Sekundenschnelle ausgefeilte Abhandlungen über jedes beliebige Thema."
Dann schlage ich doch vor, künftig alle Ghostwriter für Reden wichtiger Politiker einzusparen und durch ChatGPT zu ersetzen, jedenfalls solange das nicht auffällt. Wenn es auffällt, müsste man neu beraten, was zu tun ist. Aber vielleicht fällt es ja niemals auf.