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Auf dem Sprung?

Das BMBF hat eine neue Prognose zur Entwicklung der BAföG-Zahlen herausgegeben. Wirkt die jüngste Novelle? Und wenn ja, was bedeutet das eigentlich?

Screenshot von der BAföG-Infoseite des BMBF.

NACH JEDER BAFöG-Novelle ist die Debatte dieselbe: Bringen die beschlossenen Erhöhungen der Sätze und Beiträge einen Sprung bei den Empfängerzahlen, wie nachhaltig fällt dieser Sprung aus, und ist die Studienförderung damit wieder auf dem Weg zu dem großen bildungspolitischen Aufstiegsinstrument, als das sie vor 53 Jahren gestartet ist?

 

Erst recht stellten sich diese Fragen nach der 29. BAföG-Novelle, die diesen August in Kraft trat, war die doch selbst innerhalb der Ampel Gegenstand eines handfesten Streits unter den Koalitionspartner gewesen. Das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geführte BMBF hatte sich zunächst geweigert, mit dem vom Bundestags-Haushaltsausschuss eigens für eine weitere BAföG-Reform bereitgestellten Geld auch eine weitere Erhöhung der Bedarfssätze zu finanzieren. 

 

"Es stimmt nicht, dass die Inflation die letzte Erhöhung der Freibeträge bereits aufgefressen hat", sagte BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg (FPD) Anfang des Jahres hier im Blog. Die Elternfreibeträge seien zum August 2022 um knapp 21 Prozent angehoben worden, während die Nettoeinkommen seit der letzten Reform der Vorgängerregierung 2019 nur um 16 Prozent gestiegen seien. Und Brandenburg fügte hinzu: "Im langfristigen Mittel sind die BAföG-Bedarfssätze stärker gestiegen als die Verbraucherpreise." Die vom BMBF dagegen vorgesehene Erhöhung der Freibeträge dagegen führe zu mehr BAföG-Berechtigten, "womit wir die Trendwende bei der Gefördertenzahl fortsetzen wollen."

 

Erst nach massiven Druck unter anderem von SPD und Grünen hatte das BMBF eingelenkt und beides erneut angehoben: die Bedarfssätze  um fünf Prozent, die Freibeträge um 5,25 Prozent. Die Wohnkostenpauschale für auswärts wohnende Studierende stieg von 360 Euro auf 380 Euro.

 

Die erstaunlich genauen
Prognosen der FIT-Forscher

 

Was es bringt, das zeigen die Daten des Statistischen Bundesamtes allerdings logischerweise nur zeitverzögert. Anfang August etwa veröffentlichten die Statistiker die Zahlen für 2023, und die zeigten einen Anstieg der BAföG-Empfänger um knapp ein Prozent. Für Stark-Watzinger eine Bestätigung für die "Wirkung unserer ersten großen BAföG-Reform gleich zu Beginn der Legislaturperiode". Also die von 2022. 

 

Doch gibt es das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik, kurz FIT, das seit Jahren erstaunlich genaue Prognosen für die Entwicklung der BAföG-Empfängerzahlen prognostiziert, jeweils auf der Grundlage der geltenden Rechtslage. Jedes Jahr fragt die Linken-Bildungsexpertin Nicole Gohlke die Bundesregierung nach der jeweils aktuellsten FIT-Berechnung, und vor wenigen Tagen hat das Ministerium ihr die diesjährige Antwort geschickt. Demnach wird die Zahl der im Jahresdurchschnitt geförderten Studierenden von 329.000 im Jahr 2024 über 321.000 und 302.000 in den Folgejahren 2027 bei 283.000 liegen und 2028 bei 271.000 (siehe Tabelle). Unter Berücksichtigung der jüngsten Erhöhungen.

Was die Oppositionspolitikerin Gohlke zu dem Kommentar veranlasst, die Antwort des BMBF bestätige "einmal mehr, dass die BAföG-Reformen anscheinend keinen positiven Effekt haben". Die Anzahl der Geförderten sinke bis zum Jahr 2028 weiter. "Das erklärte Ziel, den Kreis der Geförderten zu öffnen, ist nicht zu erkennen." 

 

Allerdings muss man an der Stelle differenzieren. Dass in der FIT-Prognose die Gefördertenzahlen Jahr für Jahr zurückgehen, hat zunächst einmal einen technischen Grund. Weil die Forscher nur von der geltenden Rechtslage ausgehen können, folgen ihre Berechnungen der Annahme, es gebe in allen folgenden Jahren keine weitere BAföG-Reform. Was bei gleichbleibenden Eltern-Freibeträgen und schon angesichts der Inflation weiter steigenden Familieneinkommen automatisch zum Herausfallen von immer mehr Empfängern aus der Förderung führen würde. Ein Effekt, der aus früheren FIT-Progmosem bekannt ist. Entsprechend spricht das BMBF in seiner von Staatssekretär Brandenburg unterzeichneten Antwort auch von einem "unwahrscheinlichen Fall ausbleibender weiterer Reformen".

 

Vergleicht man dagegen die FIT-Prognose des vergangenen Jahres mit der aktuellen, so lässt sich die tatsächliche Wirkung der 29. BAföG-Novelle, wie sie das FIT errechnet hat, ermitteln. Das Ergebnis: Die Zahl der Geförderten wird laut Prognose um durchschnittlich 15 Prozent höher liegen als vor der Novelle angenommen. Das ist die gute Nachricht.

 

In keinem Jahr bis 2028 soll die Gefördertenzahl
wieder den Stand von 2023 erreichen

 

Die schlechte: In keinem Jahr bis 2028 soll die Zahl der im Jahresdurchschnitt geförderten BAFöG-Empfänger wieder den Stand von 2023 erreichen, der bei 359.000 lag. Auch hierfür liefern die Erläuterungen des Ministeriums in der Antwort an Nicole Gohlke einen möglichen Grund: Die Auswirkungen der Reform würden im Jahr 2025 bei den Studierendenzahlen durch die 2024 auslaufende Corona-Regelstudienzeit "überlagert", schreibt das BMBF.

 

Allerdings geht es laut FIT schon von 2023 auf 2024 von, siehe oben, 359.000 auf 329.000 runter. Und umgekehrt müsste man dann auch in Rechnung stellen, dass mit der jüngsten BAföG-Reform ein "Flexibilitätssemester" eingeführt wurde, mit dem jeder Empfänger vom Wintersemester 2024/2025 an ohne weitere Begründung ein zusätzliches Förderhalbjahr beantragen kann. Das wiederum müsste ja die Zahlen von 2025 nach oben "verzerren" im Vergleich zu den Vorjahren.

 

Das Flexibilitätssemester nennt das BMBF in seiner Antwort an die Linke nicht, sehr wohl aber bezieht das Ministerium sich auf die Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz zu den "Zahlen der Schüler/-innen und Absolvierenden 2021 bis 2035", derzufolge die bundesweiten Abiturjahrgänge 2025 und 2026 kleiner ausfallen werden, weil Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum Abitur nach 13 Jahren zurückkehren. Dies werde sich, so das BMBF, "insbesondere im Bereich des Studierenden-BAföGs (...) signifikant rückläufig auswirken".

 

Stimmt wiederum, aber müsste die Prognose dann nicht 2027 und 2028 einen Sprung nach oben machen? Laut KMK soll die Zahl der Abiturienten bundesweit 2027 im Vergleich zum Vorjahr schon wieder um 17,7 Prozent und damit sogar wieder deutlich über den Stand von 2025 steigen. So bleibt in der Gesamtschau der Eindruck, das BMBF lege sich die Zahlen ein wenig zu passend zurecht.

 

"Wir erleben eine neue
Form der sozialen Auslese"

 

Dass trotz der jüngsten Reform der Kostendruck auf die Studierenden hoch und die Anhebung der Sätze unzureichend bleibt, zeigte erst vorige Woche eine neue Auswertung des Moses Mendelssohn Instituts (MMI) und des Portals WG-Gesucht.de. Laut dem "Hochschulstädtescoring 2024" lag die bundesweite Durchschnittsmiete für ein WG-Zimmer bei 489 Euro pro Monat – fast 30 Prozent über der aktuellen BAfäG-Wohnkostenpauschale. In 66 von 88 Hochschulstandorten mit mindestens 5.000 Studierenden überstiegen die Durchschnittsmiete die Wohnkostenpauschale, vor der Erhöhung um 20 Euro im vergangenen Jahr galt das sogar für 73 Standorte. Das Ergebnis für Berlin: 790 Euro, Berlin: 650 Euro, Hamburg: 620 Euro.  "Bezahlbares Wohnen ist längst eine zentrale soziale Frage in den Hochschulstädten", kommentierte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Matthias Anbuhl. "Wir erleben eine neue Form der sozialen Auslese."

 

Angesichts der aktuellen FIT-Prognose zeigt sich Anbuhl nun ebenfalls skeptisch. Die 27. BAföG-Novelle, also die im Jahr 2022, mit welcher die Freibeträge und die Altersgrenze kräftig angehoben worden seien, habe zu lediglich 0,9  Prozent mehr BAföG-Geförderten insgesamt geführt, Schüler*innen und Studierende zusammen. Das sei eine positive Tendenz, "aber noch lange nicht die von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger versprochene Trendwende der Geförderten-Zahl", sagt Anbuhl.

 

In seinem BAföG-Bericht von Dezember 2023 habe das BMBF prognostiziert, dass zwischen Herbst 2022 und Herbst 2024 die bundesweiten Nettolöhne um 12,2 Prozent und die Verbraucherpreise um 8,7 Prozent steigen würde. Doch seien die BAföG-Freibeträge zum August 2024 nur um 5,25 Prozent und die Bedarfssätze um fünf Prozent angehoben worden, fügt Anbuhl hinzu. "Das zeigt schon klar: Beim BAföG bleibt die Bundesregierung hinter der Entwicklung von Einkommen und Preisen zurück." Anstelle steigender BAföG-Ausgaben werde im Bundeshaushalts-Entwurf 2025 mit sinkenden Ausgaben gerechnet. "Wenn laut FIT mit 15  Prozent mehr Geförderten zu rechnen wäre, warum erzeugt das dann keine höheren BAföG-Ausgaben in der Haushaltsplanung?"

 

In der Antwort an die Linken-Politikerin Gohlke steht, die Gesamtausgaben für das BAföG würden laut aktueller FIT Prognose von 3,25 Milliarden Euro im Jahr 2024 zunächst leicht auf 3,29 Milliarden 2025 steigen, um dann über 2,97 Milliarden (2026) und 2,64 Milliarden (2027) auf 2,47 Milliarden rasch abzufallen.

 

Weitere Novellen:
dringend gebraucht

 

Da kann man nur sagen: Hoffentlich hat das BMBF Recht, wenn es in seiner Antwort das Ausbleiben weiterer Novellen in den nächsten Jahren als "unwahrscheinlich" bezeichnet. Sie werden dringend gebraucht.

 

"Das selbsternannte Chancenministerium ist geradewegs dabei, einer Generation junger Menschen die Chancen zu verbauen", kommentiert Nicole Gohlke. Das BAföG müsse schnellstmöglich grundsaniert werden. "Es muss endlich wieder deutlich mehr Menschen erreichen und die Förderbeträge müssen die tatsächlichen Lebenshaltungskosten decken."

 

Ähnlich sieht das der DSW-Vorstandsvorsitzende Anbuhl: "Wir brauchen die versprochene echte BAföG-Strukturreform mit weiteren Anhebungen, einer automatischen Dynamisierung bzw. Erhöhung, einer Direktauszahlung des Kindergelds, einer grundlegenden Verwaltungsvereinfachung des Gesetzes und endlich der bundeseinheitlichen, durchgehenden Digitalisierung aller BAföG-Prozessschritte."

 

Die Linken wollten in ihrer Anfrage übrigens auch wissen, wie sich die Zahl der BAföG-geförderten Schüler voraussichtlich entwickeln wird. Das FIT erwartet dieses Jahr 74.000 Empfänger, 2025 einen leichten Anstieg auf 75.000, danach sollen die Zahlen in gleichmäßigen Schritten bis 2028 auf 67.000 zurückgehen. Ein Vergleich zu den FIT-Prognosen des Vorjahres ist nicht möglich, weil BMBF 2023 entsprechend der Linken-Anfrage nur die Prognose für die Studierenden geliefert hatte. In der Antwort von 2022 wiederum hatte das Ministerium die Gesamtzahl der Geförderten ohne Aufschlüsselung nach Studierenden und Schülern angegeben.



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