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"Keine Doppelstrukturen schaffen"

Braucht Deutschlands Wissenschaft eine neue zentrale Einrichtung für Forschungssicherheit? DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee über die laufenden Debatten zwischen den Forschungsorganisationen, das Risiko internationaler Kooperationen – und was ihm als Lösung vorschwebt.

Joybrato Mukherjee, Jahrgang 1973, ist seit Januar 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD). Seit 2023 ist er zudem Rektor der Universität zu Köln, davor war er von 2009 bis 2023 Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen. Foto: DAAD/redphoto.

Herr Mukherjee, Sie kommen gerade aus China zurück. Die Volksrepublik gilt als die aufsteigende Wissenschaftsmacht schlechthin, nicht mit ihr zusammenzuarbeiten, wäre töricht. Aber was kostet uns die Kooperation? 

 

Ich bin nach Beijing gereist, um bei zwei Jubiläumsfeiern dabei zu sein: 30 Jahre DAAD-Außenstelle und fünf Jahre gemeinsame Repräsentanz deutscher Universitäten in China. Zwei gute Gelegenheiten, um nach der Pandemie unsere Kontakte wiederaufzufrischen, die traditionell intensiv sind. Deutschland hat einen sehr guten Ruf in China. Umgekehrt ist China in Deutschland der Referenzfall schlechthin bei allen aktuellen Debatten über Forschungssicherheit, Datensicherheit und allgemein über die wissenschaftliche Kooperation mit Staaten, die ein anderes Regierungssystem haben als wir.

 

Sie meinen: Staaten, die keine Demokratien sind, sondern Diktaturen?

 

Sie haben mit Ihrer ersten Frage nahegelegt, dass uns die Kooperation mit China etwas kostet, und dem stimme ich zu. Allerdings kostet uns eine Abschottungspolitik, ein Einfrieren oder Aussetzen von Kooperationen – ein "De-Coupling" also, wie es heute so schön heißt – ja auch etwas. Im Kern geht es also darum, dass wir die Chancen und Risiken einer jeden Austauschbeziehung genau abwägen, uns bei jedem Projekt und jeder Partnerschaft immer fragen sollten: Was kostet uns die Kooperation? Was kostet uns die Nicht-Kooperation? Was ist im Interesse unseres Landes der verantwortungsvolle Weg einer Zusammenarbeit, wenn sie denn möglich und vertretbar ist?

 

Die Beantwortung dieser Fragen kann in den meisten Fällen nur vor Ort entschieden werden, von den beteiligten Forschern und von ihren Universitäten und Forschungseinrichtungen. Doch dabei brauchen sie Unterstützung. Die National Science Foundation (NSF) in den USA finanziert für die kommenden fünf Jahre ein neues Zentrum für Forschungssicherheit, das SECURE Center. Katja Becker, die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sagte neulich in Research.Table, auch Deutschland werde "um eine unabhängige, zentrale Einrichtung, die für alle Akteure des deutschen Wissenschaftssystems zur Verfügung steht, nicht herumkommen".

 

Ich bin der DFG dankbar, dass sie zusammen mit der deutschen Botschaft in Washington die Initiative ergriffen und im August zu einem transatlantischen Austausch zum Thema Forschungssicherheit und dem SECURE Center eingeladen hatte. DAAD-Vizepräsidentin Muriel Helbig war vor Ort und hat in dem Zusammenhang über unser Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen, kurz KIWi, berichtet, das wir 2019 auf Empfehlung des Wissenschaftsrats eingerichtet haben – in Abstimmung mit der Hochschulrektorenkonferenz und finanziert von der Bundesregierung. Das KIWi feiert aktuell sein fünfjähriges Bestehen und die gute Nachricht lautet daher: Wir haben im deutschen Wissenschaftssystem bereits eine Einrichtung mit einem sehr nachgefragten Portfolio, auf das wir aufbauen können. Darum bin ich ausgesprochen dankbar, dass das BMBF erst vor einigen Monaten entschieden hat, die Mittel für das KIWi deutlich aufzustocken.

 

"Ein unglücklicher Trend, für jede neue politische
Aufgabe eine neue Einrichtung zu schaffen"

 

DFG-Präsidentin Becker hat allerdings in dem Interview das KIWi mit keinem Wort erwähnt, dafür aber unter anderem den Gemeinsamen Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung, den DFG und Leopoldina eingerichtet haben – als Vorbild für den Aufbau von etwas "Ähnlichem" für den Bereich der Forschungssicherheit. 

 

Alle Kolleginnen und Kollegen in der Allianz wissen um die Aufgaben und Stärken des KIWi: die Beratung der deutschen Hochschulen im Bereich von Forschungssicherheit, Datensicherheit und der Risikoabwägung bei internationalen Kooperationen. Wir fangen also nicht bei null an, und wir sollten meines Erachtens auch keine Doppelstrukturen schaffen. Gerade erst hat der SPIEGEL darüber berichtet, dass es in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten den nicht sehr glücklichen Trend gegeben hat, oftmals für eine neue politische Aufgabe, die sich stellte, eine neue Einrichtung zu schaffen. Mit den entsprechenden Folgen für den Bundeshaushalt, wenn jede neu geschaffene Institution dann nach einer eigenen dauerhaften institutionellen Förderung verlangt. Wir sind uns, denke ich, einig, dass dies nicht der Trend für die Zukunft sein kann.

 

Was meinen Sie damit?

 

Die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen benötigen zweifellos mehr Unterstützung als früher bei ihren Entscheidungen zu internationalen Kooperationen. Entscheidungen, die – Sie sagten es – im Sinne von Wissenschaftsfreiheit und institutioneller Autonomie immer nur sie selbst und die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treffen können. Ich freue mich daher auf die Diskussion, wie wir das Portfolio des seit fünf Jahren bestehenden KIWi bedarfsorientiert erweitern können, so beispielsweise mit Blick auf die spezifischen Fragestellungen von Forschungseinrichtungen außerhalb von Hochschulen. Dass alle großen Organisationen daneben ihre eigenen Projekte kompetent begleiten und beraten, so die DFG etwa die von ihr geförderten internationalen Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs, ist ja klar. Es mag sein, dass wir uns bei so viel verteilter Kompetenz zwischen den Wissenschaftsorganisationen noch intensiver austauschen und besser abstimmen könnten; dafür eine Instanz zu schaffen, die diesen Austausch moderiert – so habe ich Katja Beckers Vorschlag verstanden.

 

Besser abstimmen? Wenn die DFG-Präsidentin zum Thema Forschungssicherheit das KIWi nicht erwähnt und die Gründung einer neuen Institution ins Spiel bringt, spricht das für das genaue Gegenteil von Abstimmung. Oder haben Sie als DAAD die Vorzüge des KIWi vielleicht nicht bekannt genug gemacht?

 

Wir befinden uns derzeit in einem engen Austausch innerhalb der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und mit dem BMBF zum Thema Forschungssicherheit, und ich sehe eine große Wertschätzung all meiner Kolleginnen und Kollegen für das KIWi. Die Nachfrage nach KIWi-Beratungsleistungen steigt über die letzten Jahre rapide an. Das BMBF hat daher entschieden, das Budget für das KIWi auf 2,2 Millionen Euro pro Jahr anzuheben. Das sind rechnerisch elf Millionen Euro auf fünf Jahre – durchaus eine Dimension, die sich auch im Vergleich zum geplanten SECURE Center in den USA nicht verstecken muss. Das KIWi kann und sollte weiter modular ausgebaut werden, so dass es für alle Akteure im Wissenschaftssystem, die KIWi-Leistungen in Anspruch nehmen wollen, zur Verfügung steht. 

 

Mal ehrlich, lieber Herr Mukherjee: Der DAAD sieht sich doch selbst als eine Art Außenministerium der deutschen Hochschulen. Aber auch die DFG, die Max-Planck-Gesellschaft und andere Organisationen äußerten sich in den vergangenen Monaten und Jahren zunehmend lautstark zu den internationalen Wissenschaftsbeziehungen. Gibt es Unstimmigkeiten in der Allianz, vielleicht sogar eine Art Gerangel um die Frage, wer genau wofür zuständig ist? 

 

Zunächst: Wir sind der DAAD, der vom Auswärtigen Amt institutionell gefördert wird, und unsere Rolle im Wissenschaftssystem ergibt sich aus unserer Satzung. Im arbeitsteiligen deutschen Wissenschaftssystem sind viele weitere Einrichtungen international sehr präsent. Diese starke internationale Ausrichtung aller wesentlichen Akteure ist dabei eindeutig eine große Stärke des Forschungs- und Hochschulstandorts Deutschland. Daran wollen wir anknüpfen, und zwar so, dass möglichst viele Institutionen im deutschen Wissenschaftssystem vom KIWi, seinem Beratungsangebot und einem möglichen Ausbau profitieren. Das wäre die effizienteste Vorgehensweise. 

 

"Der chinesische Vizebildungsminister
empfing mich mit gelber DAAD-Krawatte"

 

Also von Rivalitäten keine Spur?

 

Ich kann auch von meinem Besuch in der Volksrepublik China nur berichten, dass dort zwar viele deutsche Hochschulen und Organisationen vor Ort sind, aber eine Rivalität, die auf internationaler Bühne ausgetragen würde, habe ich nicht wahrgenommen. Sehr wohl aber etwas Anderes: Wir Deutsche müssen für uns sehr genau die Frage klären, wie wir als Standort eine gemeinsame, in sich stimmige Strategie im Umgang mit China entwickeln und gemeinsam umsetzen.

 

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte vor einem knappen Jahr im Interview mit der WELT: "Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die kommunistische Partei verbergen, darüber müssen wir uns klar sein."

 

Wir können heute anders als vor 20 oder 30 Jahren nicht einfach mehr agieren, wie es uns beliebt: In diesem Fach, bei diesem Projekt und zu jenem Inhalt wollen wir mit China zusammenarbeiten und bei diesem oder jenem nicht. So einfach ist die geopolitische Konstellation nicht mehr. Alle Experten wissen: In einigen Forschungsbereichen gehört China längst zur internationalen Spitze. Da können wir uns als ein wichtiger Innovationsstandort, der wir sind und bleiben wollen, schlicht nicht abkoppeln, auch wenn wir sehr wohl die "Grand Strategy" erkennen, die China verfolgt: Das Land tritt heute selbstbewusster auf und kann es aufgrund seiner enormen Entwicklung auch – und es will eine weltweite Führungsrolle in Forschung und Technologie bis 2049 erlangen. Entsprechend müssen wir eine langfristige eigene Strategie entwickeln – ein erstes Gesamtkonzept ist mit der neuen Chinastrategie der Bundesregierung gelungen, die für alle Ressorts gilt und von allen Ressorts getragen wird. Diese enthält gerade nicht ein Plädoyer für das Ausschalten von Risiken durch umfassende Nicht-Kooperation.

 

Bei allem Räsonieren über "De-Risking" & Co: Am Ende basiert jede erfolgreiche Kooperation auf einem Mindestmaß an Vertrauen. Sollten wir das: China vertrauen?

 

Hierzu eine kleine Anekdote: Der chinesische Vizebildungsminister empfing mich in der vergangenen Woche strahlend mit gelber DAAD-Krawatte, die er bei allen Terminen an diesem Tag trug. Er war zuvor Präsident der Tongji-Universität, deren Vorläufer von Deutschen gegründet wurde und heute zu den chinesischen Top-Hochschulen zählt. Das heißt: Die Chinesen kennen uns und unser Wissenschaftssystem sehr gut, sie wollen den Austausch mit uns und sind bereit, einiges dafür zu geben. Uns wiederum sind die Systemunterschiede und die Risiken der Zusammenarbeit heute bewusster als früher. Dass wir einen exzellenten Ruf in China genießen, verschafft uns Deutschen erst einmal eine bessere Ausgangslage als vielen anderen Nationen. Die Frage lautet: Sehen wir unser gewachsenes, enges Verhältnis als Risiko oder Chance? Wir glauben, es ist gerade dann eine Chance, wenn es in der Forschungszusammenarbeit zu Interessenskonflikten kommt. Deutsche Hochschulen können auf dieser Grundlage sehr viel besser Lösungswege und Kompromisse, die für beide Seiten akzeptabel sind, aushandeln. Ja, am Ende hat es mit über viele Jahre gewachsenem Vertrauen zu tun – dabei müssen wir aber stets unsere eigenen Interessen artikulieren, uns aller Risiken bewusst sein und unser Gegenüber kompetent einschätzen können. Dann kann auch mit chinesischen Partnern eine gedeihliche Zusammenarbeit gelingen.



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Kommentare: 5
  • #1

    Edith Riedel (Mittwoch, 25 September 2024 09:30)

    "Dass alle großen Organisationen daneben ihre eigenen Projekte kompetent begleiten und beraten, so die DFG etwa die von ihr geförderten internationalen Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs, ist ja klar." Das klingt in der Theorie hier ja recht fein. Die Praxis sieht anders aus. Die DFG berät und begleitet kaum, und wo sie es tut, in keinster Weise kompetent. Die Wissenschaftler*innen sollen diese Fragen bitte selbst lösen. Schönes Beispiel sind die Empfehlungen der DFG zum Umgang mitRisiken in internationale Kooperationen. Nebst viel allgemeinen Auslassungen bekommt man dort den Hinweis, zu folgender Frage zu reflektieren: "Besteht die Möglichkeit, dass die gewonnen Ergebnisse oder das generierte Wissen von Dritten missbraucht werden können?" Und wenn das nun der Fall ist - was dann? Fragen über Fragen...

  • #2

    DoybleMe (Mittwoch, 25 September 2024 17:26)

    Es wird immer wieder gesagt, daß Doppelstrukturen vermieden werden sollen, aber das Gegenteil ist der Fall statt zentrale Anlaufstellen zu etablieren, zersplittert das System immer weiter. Das ist ein sehr teurer Weg, der zudem nicht sonderlich effizient ist, denn diejenigen, die Unterstützung brauchen, werden nur noch mehr durch ein undurchschaubares Überangebot verwirrt und benötigen zusätzlich Stellen und Instanzen, die dabei helfen, die richtige Hilfe zu finden. Strukturen gibt es eigentlich überall schon, nur müssten den Ressourcen auch einmal vernünftig eingesetzt werden. Aber irgendwie scheint es nicht gewollt zu sein. Verrückt ist nur, daß oft die gleichen Personen dann auch noch in unterschiedlichen Rollen aktiv sind. Was einige Personen an Rollen und Funktionen auf sich vereinen, ist fast schon übermenschlich, was einige an Arbeit übernehmen.

  • #3

    Lilly Berlin (Mittwoch, 25 September 2024 20:21)

    Völlig übersehen wird hier offenbar das Thema Exportkontrolle. Laut meiner Universität kann es strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wenn hier auf dem falschen Gebiet oder mit den falschen Leuten zB in China kooperiert wird. Zuständig für die Freigabe ist das BAFA. Meine pragmatische Konsequenz: da mir die Kompetenz fehlt, zwischen erlaubten und strafbaren Kooperationen zu unterscheiden, habe ich einfach alle Kooperationen abgesagt bzw. nicht verlängert. Herrn Mukherjees Krawattenanekdote wirkt in diesem Kontext schon etwas naiv.

  • #4

    Edith Riedel (Donnerstag, 26 September 2024 09:24)

    @Lilly Berlin: ich kann Ihnen hier nur aus vollem Herzen zustimmen! Für die einzelnen Wissenschaftler*innen ist das Risiko einfach zu groß, in diesem Dickicht Fehler zu machen. Dazu kommt, dass die Rechtsabteilungen der Universitäten sich häufig schlecht auskennen, und sich mit dem Thema nicht befassen wollen, da es ihnen zu heiß ist, und sie sich nicht zuständig sehen. Irgendwelchen Krawattenträgern die Hand zu schütteln, ist einfach und plakativ. Verlässliche Strukturen für Wissenschaftler*innen sind damit noch lange nicht geschaffen. Es ist positiv, dass Prof. Mukherjee die Schaffung dieser Strukturen anmahnt. Weniger positiv, dass er sich gleich wieder im Kompetenzgerangel verliert, und irgendeine Unterorganisation des DAAD anpreist, deren telefonische Sprechstunden sich auf Dienstag, Mittwoch und Freitag von 10-12 Uhr beschränken (kein Witz: https://www.daad.de/de/infos-services-fuer-hochschulen/kompetenzzentrum/kiwi-beratung-services/). Das hat mit der Realität erschreckend wenig zu tun.

  • #5

    Elisa Füllers (Donnerstag, 24 Oktober 2024 10:26)

    @ Edith Riedel:
    Danke für den Link zur Beratungsstelle! Diese Hotline ist wohl nur ein Weg zur Vereinbarung eines Beratungstermins. Das steht auf der Webseite:
    "Für Anfragen nutzen Sie gerne unser Kontaktformular. Über unser online gestütztes Ticketsystem wird Ihre Anfrage dann an die regional und thematisch zuständigen Expertinnen und Experten im KIWi weitergeleitet, um einen Termin für ein umfassendes Beratungsgespräch zu vereinbaren. (...) Alternativ erreichen Sie zur Terminvereinbarung unsere Hotline (0228-8829 882) jeweils am Dienstag, Mittwoch und Freitag zwischen 10 und 12 Uhr."