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Behördliche Chats sind nicht privat

Nicht nur das Forschungsministerium, sondern auch viele andere Bundesbehörden nutzen Messenger-Dienste für die interne Kommunikation. Sie dürfen nicht geheim bleiben. Die Grundfesten transparenten Regierens stehen auf dem Spiel.

"Trusted by Millions of People Worldwide" – und genutzt von deutschen Bundesministerien: Screenshot der Wire-Website.

DIE LEAKS kompromittierender "Wire"-Chats in der BMBF-Fördermittelaffäre haben dem Messengerdienst einen Bekanntheitsschub beschert. Zuletzt ergab eine Anfrage der Linken im Bundestag, dass in den meisten Bundesministerien der Einsatz von "Wire" und ähnlichen Diensten längst zum Alltag gehört.

 

Wenn das BMBF die Veröffentlichung interner "Wire"-Nachrichten von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und ihrer mächtigsten Mitarbeiter ablehnt, obwohl diese, worauf die Leaks hindeuten, entscheidend zur Aufklärung beitragen könnten, handelt es sich also um einen Vorgang, der weit über die Wissenschaftspolitik hinausgeht. Er berührt die Grundfesten transparenten Regierungshandelns.

 

Die betreffenden "Wire"-Nachrichten stellten keine amtlichen Informationen im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) dar, beschied das BMBF der Online-Plattform "FragDenStaat", die mit Berufung aufs IFG die Herausgabe verlangt hatte. "Chatnachrichten dienen der informellen, persönlichen Kommunikation und werden in aller Regel nicht zu den Akten genommen, sondern bilden – wie Telefonate – lediglich den Anlass für eine Aufzeichnung, sofern aktenwürdige Inhalte enthalten sind."

 

Ministerielle Entscheidungen und die tatsächlichen
Verantwortlichkeiten lassen sich weniger nachvollziehen

 

Eine gefährliche Argumentation, wenn parallel "Wire" und Co weit über das BMBF hinaus immer stärker die traditionelle Kommunikation in den Ministerien ersetzen und sich persönliche und dienstliche Inhalte zunehmend vermischen. Mit der Folge, dass sich ministerielle Entscheidungen, ihre Genese und damit die tatsächlichen Verantwortlichkeiten immer weniger nachvollziehen lassen, solange der Einblick in die Chats verwehrt bleibt und die Entscheidung über das, was privat und was amtlich und damit zu veröffentlichen ist, bei denen liegt, um deren Kontrolle es geht: den Ministerien selbst.

 

Zweimal im Bundestagsforschungsausschuss und einmal bei einer Regierungsbefragung musste Stark-Watzinger bereits zur Affäre Stellung nehmen, vergangenen Donnerstag debattierte der Bundestag auf Antrag der Unionsfraktion in Gegenwart der Ministerin erneut über die Vorgänge. Erneut ohne neue Erkenntnisse.

 

Womöglich erklärt die insgesamt so verbreitete Nutzung der Messengerdienste in der Bundesregierung auch, warum sich zwar die Ampel-Fachpolitiker (unterschiedlich stark) in Sachen Aufklärung engagieren, Stark-Watzinger jedoch von den Spitzen ihrer Koalitionspartner bislang so wenig Gegenwind für ihre Geheimniskrämerei bekommen hat – müssten die doch sonst genauso der Offenlegung ihrer eigenen Ministerien-Chats zustimmen.

 

"FragDenStaat" jedenfalls hat nach der BMBF-Ablehnung Klage auf Zugang erhoben. Die Entscheidung dürfte sich hinziehen – möglicherweise länger, als Stark-Watzinger und die aktuelle Bundesregierung im Amt sind. Das würde sie nicht weniger bedeutend machen.

 

Alle, die im BMBF und anderen Bundesministerien jetzt auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 pochen, die "FragDenStaat" die Einsicht in Twitter-Direktnachrichten des Bundesinnenministeriums verweigert hatte, sollten sich ihrer Sache freilich nicht zu sicher sein. Denn selbst Twitter-Direktnachrichten könnten grundsätzlich aktenrelevant sein – und damit einer späteren Pflicht zur Herausgabe unterliegen, sagten die Richter damals. "Bei Nachrichten, die wie hier aufgrund ihrer geringfügigen inhaltlichen Relevanz keinen Anlass geben, einen Verwaltungsvorgang anzulegen, ist dies jedoch nicht der Fall."

 

Der Inhalt der damaligen Twitternachrichten laut Gericht: "unter anderem Terminabsprachen, Danknachrichten für Bürgeranfragen etwa betreffend Tipp- und Verlinkungsfehler oder Fragen von Journalisten nach zuständigen Personen".

 

Wissenschaftler als
"verwirrte Gestalten" betitelt

 

Der Inhalt der BMBF-Chats laut Leaks: unter anderem eine Ministerin, die auf eine persönliche Weise Druck auf ihre damalige Staatssekretärin Sabine Döring ausübte, dass man eigentlich nur von einer Weisung sprechen kann, sich selbst per BMBF-interner Mail zu belasten. Außerdem ein Leiter der BMBF-Kommunikation, der aktiv und an zentraler Stelle an der Formulierung von Dörings Mail mitwirkte, die dann tatsächlich zur Vorstufe ihrer Entlassung durch Stark-Watzinger wurde. Und ein damaliger Abteilungsleiter, der Wissenschaftler als "verwirrte Gestalten" bezeichnete, über eine Selbstzensur aus Angst vor Förderentzug schwadronierte – und trotzdem wenig später zu Dörings Nachfolger befördert wurde.

 

Von einer "geringfügigen inhaltlichen Relevanz" ist hier kaum zu sprechen. Erst recht, wenn man statt den Maßstäben des IFG den noch weitergehenden presserechtlichen Auskunftsanspruch zugrundelegt.

 

Und genau das wird in einer anderen Entscheidung zur Fördermittelaffäre demnächst das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen tun. Angestrengt hat dieses Eilverfahren der Tagesspiegel.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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Kommentare: 4
  • #1

    Kaktus (Montag, 30 September 2024 12:39)

    Aus
    https://fragdenstaat.de/anfrage/kommunikation-zu-oeffentlichem-brief-ueber-wire/917404/anhang/13746145-4500-2024-863201-antragserwiderung-ua_geschwaerzt.pdf

    "Nach den Nutzungsvorgaben des BMBF (geregelt in der Ergänzenden Geschäftsordnung des BMBF, EGO-BMBF) dürfen für Dienstgeschäfte und zur dienstlichen Aufgabenerfüllung nur dienstlich bereitgestellte Hard- und Software verwendet werden (Ziff. 7.2 Nr. 2 EGO-BMBF). Dienstlich bereitgestellt wird in diesem Kontext „Wire (Bund)“. Die private Nutzung der dienstlich bereitgestellten Geräte ist in geringem Maße zulässig, soweit dienstliche Belange dem nicht entgegenstehen (Ziff. 7.1 EGO-BMBF, § 2 Nr. 2 DV IKT). Die Nutzungsvorgaben sind nochmals für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der sog. „Lektion Mobile Ge- räte“(überreicht als Anlage AG 2) zusammengefasst. Danach dürfen keine dienstlichen Daten in privaten Apps verarbeitet werden."

    Wenn etwas privat ist, kann es doch eigentlich unmöglich in der Hard- und Software vom BMBF auftauchen, oder?


  • #2

    Forschungsreferent*in (Montag, 30 September 2024 16:13)

    Wenn die Aktenführung (Schriftlichkeit) in der öffentlichen Verwaltung ein zentrales Element der Qualitätssicherung und Dokumentation ist, sehe ich eine Gefahr darin, wenn die Kommunikation zunehmend in (informelle) Chats ausweicht. E-Mails werden lückenlos gespeichert und geloggt. Das sollte dann auch für Messenger/Chats gelten. Das ist wichtig für das Handeln der öffentlichen Verwaltung selbst – eventuell zu ihrem eigenen Schutz. Aber ich weiß, Akten sind was für Spießer und Pedanten.

  • #3

    Django (Dienstag, 01 Oktober 2024 11:35)

    "But her e-mails!"
    Und da hatte Trump ausnahmsweise mal recht. Es ist nun mal nicht außergewöhnlich, dass Regierende sich nicht zu genau auf die Finger schauen lassen möchten. Und genau deshalb gibt es da entsprechende Regeln, um Regierungshandeln überprüfbar zu machen.
    Wer allerdings Gesetze macht, wonach es zulässig ist, Unterlagen zu vernichten, bevor einschlägige Verjährungsfristen ablaufen, hat auch sonst so seine Probeme mit dieser vielbeschworenen Transparenz.

  • #4

    Viktor Ehrlich (Mittwoch, 02 Oktober 2024 23:20)

    Quod non est in actis non est in mundo. Dieses wichtige Rechtsprinzip möchte man im BMBF (und anderswo) für sich nutzen. Wenn's nicht in der Akte steht, kann es nicht passiert sein bzw. muss man dazu nicht Stellung beziehen.

    Was Kommentator Kaktus oben an Nutzungsregeln zitiert und was inhaltlich über die Kommunikation bekannt ist, lässt keinen Zweifel: Die Wire-Diskussionen im BMBF sind dienstlich, sind zu den Akten zu nehmen und verlangen nach einer Stellungnahme.