Ein Konzept für ein Dauerstellen-Programm sollte das BMBF vorlegen, hatte der Haushaltsausschuss gefordert. Ein Jahr hatte das Ministerium dafür Zeit – und kommt jetzt mit vier Seiten voller Buzzwords, einem bereits gescheiterten Vorschlag – und keinem Konzept.
NEIN, EIN KONZEPT kann man das Papier nicht nennen, das Ende vergangener Woche vom BMBF versandt wurde. Schon eher eine Enttäuschung. Vielleicht sogar eine Provokation. Umso spannender wird jetzt sein, wie der Bundestags-Haushaltsausschuss, der es vor fast genau einem Jahr angefordert hatte, reagiert.
Der Reihe nach. Am 11. Oktober 2023 hatte das einflussreiche Parlamentsgremium einen sogenannten Maßgabebeschluss gefasst – mit der Zustimmung aller Ampelfraktionen, auch der FDP. Verlangt wurde darin ein "Konzept für ein befristetes Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur", das Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gemeinsam mit den Ländern vorlegen sollte.
Schon damals war die Ungeduld groß mit dem BMBF, auch bei Stark-Watzingers Koalitionspartnern, denn es gehörte zu den nicht in Angriff genommenen Ankündigungen im Koalitionsvertrag: ein Bund-Länder-Programm für "Best-Practice-Projekte" für 1) alternative Karrieren außerhalb der Professur, 2) Diversity-Management, 3) moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen". Der grüne Haushaltspolitiker Bruno Hönel, einer der Initiatoren des Maßgabebeschlusses, kommentierte deshalb im Oktober 2023 auf Anfrage: "Da zum aktuellen Zeitpunkt noch kein Konzept zu Dauerstellen im Mittelbau vorliegt und auch keine Entwicklungen erkennbar sind, mussten nun wir Abgeordnete im Haushaltsausschuss tätig werden."
Bei der Ausgestaltung, hieß es in dem Arbeitsauftrag des Ausschusses ans BMBF, sei "insbesondere auf die positive Erfahrung des Bund-Länder-Programms zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Schaffung zusätzlicher Tenure-Track-Professuren zurückzugreifen und die Einführung moderner Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen sowie Diversity an den geförderten Einrichtungen zu unterstützen". Und weiter: Über eine "mögliche Bund-Länder-Vereinbarung" sei "bis zum 30.09.2024 zu berichten".
Also bis diese Woche Montag. Immerhin: Pünktlich geliefert hat das BMBF, zumindest an die Abgeordneten der Ampelfraktionen, denen das Papier bereits vor dem Wochenende zur Kenntnisnahme geschickt wurde. Der Versand über das Sekretariat des Haushaltsausschusses stand am Montagabend dagegen noch aus.
Ansonsten aber stimmt so ziemlich gar nichts an dem nur vier Seiten langen Bericht. Er enthält weder das geforderte Konzept noch auch nur Ansätze einer Bund-Länder-Vereinbarung. Und anstatt eine Strategie zu präsentieren, wie das BMBF das geforderte Ziel erreichen will, zeigt es lediglich auf die Länder.
Was das BMBF ein Jahr
nach dem Beschluss vorzuweisen hat
o Das BMBF verweist auf einen "informellen Fachdialogprozess". Diesen habe es als ersten Schritt "zur Umsetzung des Maßgabebeschlusses" auf Arbeitsebene mit Wissenschaftlern in einer frühen Karrierephase sowie Vertretern von Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften, Förderorganisationen und der EU-Kommission gestartet. Das wenig überraschende Ergebnis: "Die Expertinnen und Experten konstatierten, dass die bestehenden Verwaltungsstrukturen an Wissenschaftseinrichtungen in vielerlei Hinsicht reformbedürftig seien. Bestehende Spielräume würden oft aufgrund von Risikoaversität und mit Blick auf die jeweilige Finanzierungssituation wenig genutzt. Insgesamt fehle eine Ermöglichungskultur in den Verwaltungen, was insbesondere der internationalen Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems entgegenstehe, da seine Komplexität stark erklärungsbedürftig sei."
o Maßnahmen, die das BMBF als Ergebnis des Dialogprozesses nennt: Die 2023 in den EU-Ratsempfehlungen "Forschertalente" empfohlenen Profile "R1" bis "R4" böten einen guten Orientierungsrahmen zur internationalen Vergleichbarkeit. Jedoch sei es erforderlich, dass jungen Wissenschaftlern darüber hinaus eine Karriereperspektive eröffnet würde, offene Stellen müssten transparent und international ausgeschrieben werden. Es brauche "einen verzahnten und systemischen Ansatz der Stakeholder insbesondere bei Stellenkategorien neben der Professur" anstelle des Denkens "in Säulen", das zu einem "Flickenteppich" in Sachen Zugangsvoraussetzungen und Anschlussperspektiven führe. Personalstrukturkonzepte würden als "wichtiges und unbedingt geeignetes Instrument gewertet, um Reformprozesse bezüglich wissenschaftlicher Karrierewege anzustoßen, da sie tief in die Hochschulstrukturen eingreifen". Das Tenure-Track-Prinzip könnte als Standard für die Besetzung von Dauerprofessuren sowie Dauerstellen neben der Professur festgelegt werden, außerdem sei dringend empfohlen worden," Personalstrukturen, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung für eine internationale Anschlussfähigkeit und Zukunftsausrichtung der Wissenschaftsorganisationen zusammenzudenken".
o Insgesamt schlussfolgert das BMBF: "dass es eines bedarfsorientierten und wissenschaftsgetriebenen Lernprozesses zur Reformierung von Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen sowie für mehr Diversity in der Wissenschaft bedarf". Es brauche einen "systemischen Ansatz und ein verzahntes Agieren verschiedener Akteure im Wissenschaftssystem". Dem entsprechend sei bei dem Fachdialog mehrfach der Wunsch nach mehr Austausch und intersektoraler Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren geäußert worden, "um ein gemeinsames Verständnis von modernen Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen in der Wissenschaft zu entwickeln".
Den Kernvorschlag des Papiers haben
die Länder längst abgeräumt
Alles richtig, alles bekannt – und abstrakt. Das Problem: Der Kern des Papiers, der Vorschlag eines gemeinsamen "Reformprozesses" mit den Ländern unter Beteiligung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), den das BMBF im zweiten Teil des Papiers skizziert, ist nicht wesentlich konkreter. Und im Übrigen, wie das Ministerium auf der vierten und letzten Seite unten einräumt, bereits wieder gescheitert.
"Im Vorfeld der GWK-Sitzung am 12. Juli 2024 hat Frau Bundesministerin Stark-Watzinger gegenüber den Ländern daher dafür geworben, gemeinsam einen ergebnisoffenen Reformprozess anzustoßen, wobei die genaue Ausgestaltung des Prozesses zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden sollte", schreibt das BMBF und erläutert, dass es sich hätte vorstellen können, einen "Expertenkreis" aus genau jenen Akteuren zu gründen, die auch in den "informellen Fachdialogprozess" eingebunden waren.
Ein Expertenkreis als Ergebnis eines Expertendialogs? Scheint so. So taugt denn auch die weitere Beschreibung dessen, was dem BMBF vorschwebt, in Hinblick auf das vom Haushaltsausschuss verlangte Konzept nicht einmal als Stoffsammlung. Zitat: "Zur Umsetzung hätten die Expertinnen und Experten nach Vorstellung des BMBF zunächst den Auftrag erhalten können, unter Berücksichtigung der 16 landesrechtlichen Reglungen, der bestehenden Strukturen an Wissenschaftseinrichtungen sowie Fächerkulturen Standards für Personalstrukturkonzepte zu erarbeiten, die moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen sowie mehr Diversity in der Wissenschaft befördern, mit Personal- und Organisationsentwicklung zusammengedacht werden und Bezüge zu anderen wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Sektoren enthalten."
Der Expertenkreis hätte dann, so die Vorstellung des BMBF, ein Reformvorhaben auf Basis einer Vielzahl "einschlägiger Befassungen" diskutieren können, von denen das Ministerium nicht weniger als acht aufzählt: vom fürs Frühjahr 2025 erwarteten Positionspapier des Wissenschaftsrats zu Personalstrukturen in der Wissenschaft über die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (die immer noch im parlamentarischen Verfahren festhängt) und den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" bis hin zu den "Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur" der Mitgliedergruppe Universitäten in der HRK und der Jungen Akademie.
So sehr es dem BMBF-Papier an Strategie mangelt, so sehr quillt es über mit Buzzwords: "Ziel des BMBF ist es, durch die konstruktive Begleitung eines Reformvorhabens von Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen sowie Diversity in der Wissenschaft die Möglichkeit für die notwendige gemeinsame Diskussionsplattform auf nationaler Ebene zu schaffen und die Vielzahl aktueller Befassungen wissenschaftliche Karrierewege betreffend zu bündeln."
Ein "Danke schön, wir
melden uns" der Länder
Kein Wunder, will man die Reaktion der Länder kommentieren, wie das BMBF sie wiedergibt: "Länderseitig fand der Vorschlag eines gemeinsamen Prozesses mit GWK-Beteiligung keine Zustimmung." Statt dessen wolle sich die neu gegründete Wissenschaftsministerkonferenz der KMK voraussichtlich am 21. November "mit dem Thema befassen". Das Saarland, das bis Jahresende den Vorsitz in der WissenschaftsMK hat, werde "zur Vorstrukturierung der Befassung auf das BMBF zukommen".
Ein "Danke schön, wir melden uns" gab es also von den Ländern. Man könnte auch sagen: Wer die für Hochschulen zuständigen Länder in ihrem Eigenwillen locken will, muss sich als Angebot etwas mehr einfallen lassen als lustlos vorgeschlagene Arbeitskreise im Quadrat.
Vielleicht hätte das BMBF besser gleich auf die erste Seite schreiben sollen, dass seine Leitung eigentlich keine Lust hat auf ein solches Bund-Länder-Programm und deshalb statt einem Konzept überwiegend Allgemeinplätze serviert. Wobei: Eigentlich tut das Ministerium sogar genau das, wenn es gleich als erstes nach dem Zitieren des Maßgabebeschlusses betont: "Zusätzliche Haushaltsmittel wurden nicht veranschlagt." Wenn ihr kein Extra-Geld gebt, liebe Abgeordneten, könnt ihr nicht mehr erwarten – soll das hier die Botschaft sein?
Ihr mutmaßliches Desinteresse vermittelte Stark-Watzinger den Ländern übrigens auch dadurch erfolgreich, dass sie den Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses überhaupt erst im Juli in der GWK thematisierte – neun Monate nach dessen Zustandekommen und nicht einmal Monate vor der Deadline.
Wie reagieren jetzt
Parlament und Haushaltsausschuss?
Insofern sehr stimmig endet der Bericht an den Haushaltsausschuss mit der Nachricht, dass Stark-Watzinger in der KMK "vor dem Hintergrund der Kompetenz der Länder die Ankündigung" begrüßt habe. "Das BMBF steht für entsprechende Gespräche und eine konstruktive Begleitung zur Verfügung." Auftrag des Haushaltsausschusses an die Länder abgegeben, Maßgabebeschluss erfolgreich erledigt?
Zu entscheiden haben das jetzt die Mitglieder des Haushaltsausschusses. Und auch, ob sie den Bericht womöglich eher als exekutive Missachtung ihres Gremiums einstufen sollten. Am Montagabend hielten sich angefragte Abgeordnete der Ampelfraktionen jedoch zunächst noch bedeckt. Dabei könnte der Ärger der Parlamentarier schon deshalb erheblich sein, weil viele von ihnen den Maßgabebeschluss auch vor dem Hintergrund der sich schon seit einem Jahr dahinschleppenden WissZeitVG-Novelle gesehen hatten – womöglich sogar als die Kompensation deren befürchteten Scheiterns.
So sagte zum Beispiel die grüne Wissenschaftspolitikerin Laura Kraft im April 2024, mit einer Reform des WissZeitVG allein sei es nicht getan. "Wir brauchen strukturelle und finanzielle Veränderungen im Hochschulsystem." Das werde eine Aufgabe der Politik für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus. "Ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte das von uns Grünen mitinitiierte Bund-Länder-Programm für moderne Personalstrukturen sein." Welches Programm?, will man nach dem BMBF-Bericht fragen. Und: Welche Finanzierung?
Ein letzter Hoffnungsstrahl: Das geforderte Konzept könnte Teil der gerade laufenden Ampel-Haushaltsverhandlungen werden, ist zu hören. Mit ganz viel Wunschdenken ließe sich das Nichtliefern des BMBF dann sogar als etwas Anderes betrachten: als eine besonders ausgefuchste Form des Pokerns.
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Leif Johannsen (Dienstag, 01 Oktober 2024 09:53)
Ziel des Pokerns ist ja ansich, dass man ein starkes Blatt auf der Hand hat und die Gegenspieler schwaechere halten. Sind die Karten gut gemischt, dann ist es mehr oder weniger Gluecksache was man auf der Hand haelt (also wenig eigenes Dazutun; ausser man fuegt seinem Blatt nachtraeglich etwas hinzu). Kommuniziert wird nach Austeilen der Karten ueber den jeweiligen Einsatz nach der Formel: je hoeher der Einsatz, desto groesser die ausgedrueckte Ueberzeugung das staerkste Blatt am Tisch zu halten. Hierbei kann man dann ja auch versuchen zu bluffen in der Hoffnung, dass die Gegenspieler sich der relativen Staerke ihrer Blaetter nicht so sicher sind. Wer aber mit dem schwaechsten Blatt am Tisch glaubt, durch einen reinen Bluff den Tisch abraeumen zu koennen, ist definitiv kein guter Spieler und sollte sich nicht wundern, wenn man im Nullkommanix mit leeren Taschen hinauskomplementiert wird.
Wenn das BMBF mit seinem Dauerstellen-Konzept "pokern" wuerde, dann frage ich mich was denn der eigentliche Einsatz ist, den das BMBF einbringt? Wie koennte ein starkes Blatt aussehen? Und, was hat man getan, um ein starkes Blatt auf der Hand zu haben (anders als beim Pokern sollte im Politikgeschaeft der Einfluss des Zufalls dann ja doch eher gering sein)?
Meines Erachtens wird das BMBF quasi mit einer "verspiegelten Sonnenbrillen" am Tisch der Haushaltsverhandlungen sitzen, wo insofern ein Versuch zu bluffen sowieso zum Scheitern verurteilt waere, und es handelt sich letztlich beim Dauerstellen-Konzept (wenn es in Wahrheit um mehr geht als hohle Phrasen) um einen plumpen Erpressungsversuch nach dem Motto: gebt mir mehr Geld, dann bekommt ihr auch einen ausgreiften Plan. Wer das heutigen Zeitpunkt noch glaubt und darauf eingeht, dem es nicht zu helfen. In diesem Sinne denke ich, dass die BMBF-Fuehrung inzwischen mit ziemlich leeren Haenden dasteht, jeder weiss es, niemand erwartet etwas anderes. Ich denke wir werden uns damit abfinden muessen, dass dieses BS-Bingo noch fuer ein weiteres Jahr laeuft. Vor dem was danach kommt, graut es mir schon heute... besser wird es wohl nicht, Freunde... aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Franka Listersen (Mittwoch, 02 Oktober 2024 12:59)
"neben der Professur" - und die Professuren bleiben unangetastet in ihrer Machtvollkommenheit und Dauerausstattung? Strukturkonservative (wie etwa die WR-Mitglieder) fordern von anderen Flexibilität und Innovationsfähigkeit? Wenn es neuer Personalkonzepte bedarf, müssen sich diese doch an die _gesamte_ Personalausstattung der Hochschulen richten.
Und was das Bund-Länderprogramm angeht: Erst schreiben sich die Verhandler aus den Ländern zum Koalitionsvertrag ein Wunschprogramm zusammen und wundern sich dann, dass der Bund das wegen der finanziellen Klemmen nicht realisieren kann, und es nicht prioritär ist, weil an sich Landessache.