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"Happy to do so"

SPRIND goes Europe? Könnte die deutsche Bundesagentur für Sprunginnovation eines Tages für ganz Europa zuständig sein? Ein Interview über den Draghi-Report, eine besondere Form der Selbstbewerbung – und den Wettbewerb der Förderagenturen.

Rafael Laguna de la Vera wurde 2019 von der Bundesregierung zum Gründungsdirektor von SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen der Bundesrepublik Deutschland, berufen. Foto: SPRIND GmbH.

Herr Laguna, der frühere EZB-Chef Mario Draghi warnt in seinem "Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union" vor den Folgen der europäischen Innovations- und Wachstumsschwäche. Europa habe die Chancen der digitalen Revolution größtenteils verpasst und sei schwach aufgestellt bei neuen Technologien. Erzeugt man in Europa Aufbruchstimmung nur über die Angst vor dem Abstieg? 

 

Ich finde den Report hervorragend. Draghi hat seine Finger in die richtigen Wunden gelegt. Und Ursula von der Leyen hat sehr klug agiert, indem sie sich gleich zu Beginn der neuen Amtsperiode einen Katalog hat aufstellen lassen mit den drängendsten Maßnahmen. Noch dazu von einem Technokraten wie Draghi, der jeder Politisierung unverdächtig ist. Sein Team hat in den vergangenen Monaten viele Gespräche geführt. Auch wir konnten unseren Input liefern und sind froh, jetzt ein europäisches Dokument zu haben, auf das wir uns in der europäischen Innovationsdebatte beziehen können. 

 

Draghi fordert unter anderem die Gründung einer europäischen "DARPA", der amerikanischen Innovationsagentur, die auch für die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND Pate stand. Auf "X" gab es dazu bereits vor einem Jahr einen aufschlussreichen Schlagabtausch unter Ihrer Beteiligung, Herr Laguna. "Already today you have EU-wide challenge calls", fragte ein User Ende September 2023. "Why not turning SPRIND into a European agency with an office in every member country?" Ihre Antwort: "Happy to do so." Und jetzt, nach Draghis Report, kommentierten Sie: "Constant dripping wears away the stone." Klingt abgekartet.

 

Nein, überhaupt nicht. Das war echt und spontan. Schon als ich die Verantwortung für den Aufbau der SPRIND übernahm, habe ich gesagt: Am Ende müssen wir eine solche Agentur natürlich gesamteuropäisch denken. Aber ich fand gut und richtig, dass Deutschland schon einmal losgelegt hat. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir selbstbewusst zeigen können, was wir aufgebaut haben. Wir haben uns inspirieren lassen von der DARPA, aber deren mittlerweile 65 Jahre alte Gründungsidee in die Zukunft gebeamt und an die europäische Gegenwart angepasst. Dazu gehört, dass alles, was wir an Organisationsentwicklung tun, sozusagen "open source" ist. Wenn also jemand zu uns kommt – aus dem Inland oder aus dem Ausland – und uns fragt, welche Tools wir einsetzen und wie wir arbeiten, dann helfen wir gern. Das passiert oft. Ganz aktuell hat jetzt Frankreich eine Mitarbeiterin zu uns entsandt, finanziert von der französischen Botschaft, die ein paar Jahre bei SPRIND in Leipzig arbeitet, um zu lernen und das Gelernte in ihre Heimat zu tragen. Wenn jetzt also über eine europäische Innovationsagentur diskutiert wird, ist es nur folgerichtig zu sagen: Lasst uns das, was schon funktioniert, größer machen und auf eine europäische Ebene heben. 

 

"Ich bin überzeugt, dass wir viele der Schwächen, die der Report nennt, sehr schnell aufgreifen und anpacken könnten. Was der EU-Politikbetrieb daraus macht, werden wir sehen."

 

Mit Verlaub: Mario Draghi hat von der DARPA als Vorbild gesprochen, nicht von der SPRIND.

 

Mario Draghi erwähnt die SPRIND aber explizit. Er stellt die DARPA in den Mittelpunkt, weil jeder sie kennt und er nicht das Glatteis betreten will, ein EU-Mitgliedsland speziell hervorzuheben. Das ist eine Art diplomatischen Spiels, das nicht das meine ist. Aber am Ende zählt, dass er sehr gut weiß, wer wir sind und was wir tun. Ich bin überzeugt, dass wir als SPRIND viele der Schwächen, die der Report nennt, sehr schnell aufgreifen und anpacken könnten. Doch was der EU-Politikbetrieb daraus macht, werden wir sehen.

 

Selbstbewusst sind Sie, Herr Laguna. Aber nicht selbstlos, oder? 

 

Natürlich stehen wir im Wettbewerb, das ist doch schon hier in Deutschland so. Wir werden manchmal neidisch, manchmal kritisch beäugt von den Projektträgern und anderen Wissenschaftseinrichtungen. Das ist für mich vollkommen nachvollziehbar. Weil wir uns Freiheiten erkämpft haben, die andere auch gerne hätten. Im Gegenzug haben wir aber auch geliefert: Wir haben eine unternehmerische Kultur aufgebaut mit einer starken Ergebnisorientierung. Wir haben ein Managementprinzip installiert, das unseren Leuten sehr große Freiheiten gibt, so zu agieren, wie es nötig ist, um Innovationen zu suchen, dann zu inkubieren, aufzubauen und zu fördern, bis sie bereit sind für den Markt. 

 

Andere europäische Innovationsagenturen könnten mit genau dem gleichen Recht "Hier" rufen!

 

In anderen europäischen Ländern gibt es in der Tat Organisationen, die sich auch in diese Richtung entwickeln, die Vinnova etwa in Schweden. Es ist auch nicht so, dass ich für die SPRIND die Weltherrschaft anstrebe. Noch stärker halten sich meine persönlichen Ambitionen in Grenzen, europäischer SPRIND-Chef zu werden. Aber wir sollten es schon richtig machen, und dabei will ich mit der SPRIND helfen, nachdem wir fünf Jahre Aufbauarbeit geleistet haben.

 

"Klar gibt es die Kritiker, die fragen:
Ja, und wo ist die Sprunginnovation?" 

 

Die außer der von Ihnen beschriebenen Unternehmenskultur konkret was gebracht hat an konkreten vorzeigbaren Ergebnissen?

 

Wir haben allein in den vergangenen zwei Jahren neun Challenges gestartet, die zum Teil noch laufen. Wir haben 2100 Teams mit ihren Innovationsideen gesichtet, davon stammten 1800 aus Deutschland und 300 bereits aus Europa und anderswoher. Von den 2100 finanzieren wir jetzt 163, wobei 21 teilweise sehr große Finanzierungen von uns erhalten, inklusive einer Betreuung über die nächsten Jahre hinweg. Immer mit klaren Meilensteinen zwischendurch. Zugleich sind wir als SPRIND sehr erfolgreich dabei, privates Investorenkapital hereinzuholen. In dieser Woche ist Marvel Fusion auf dem Nachrichtenticker, die wir im "Tal des Todes" viele Jahre schon unterstützt haben, und deren privatwirtschaftliche Finanzierung hebt jetzt ab. Klar gibt es die Kritiker, die fragen: Ja, und wo ist die Sprunginnovation? 

 

Und was antworten Sie denen?

 

Das, was wir immer gesagt haben: Ob eine Idee, egal wie gut, zu einer Sprunginnovation wird, erweist sich erst nach frühestens zehn Jahren. Bei der laserbasierten Kernfusion eher nach 15, bevor wir einigermaßen sicher wissen, ob das klappt oder nicht. Aber wenn wir nicht dranbleiben, dann klappt es irgendwann anderswo, und wir werden nicht dabei sein. Das ist der Fehler, den wir in Deutschland und Europa in den letzten Jahrzehnten immer wieder gemacht haben. Doch wir haben auch jetzt schon Teams, die näher dran sind an einer Sprunginnovation. Nehmen Sie unser Projekt mit dem Hochwindrad. Wir mussten sechs Monate um die Baugenehmigung ringen. Jetzt haben wir den Grundstein gelegt und nächstes Jahr wird es fertig gestellt. Und dann können wir zeigen, dass so eine 300 Meter hohe Anlage wirtschaftlich sinnvoll ist. Aber um von einer Sprunginnovation zu reden, müssen erstmal 1000 und mehr von den Dingern gebaut werden. Wir können den Beweis erbringen, dass eine Innovation funktioniert. Der Rest muss dann von selbst kommen.

 

Zurück zur europäischen DARPA. Führen Sie konkrete Gespräche dazu mit der EU-Kommission?

 

Wir reden miteinander. Es gibt bislang meines Wissens noch keine irgendwie geartete Gründungskommission. Darum müssen wir die Debatte jetzt umso lauter führen.



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Kommentare: 2
  • #1

    Innovator (Dienstag, 01 Oktober 2024 11:36)

    SPRIND wäre gut beraten, sich erst einmal selbst echte Erfolge zu erarbeiten. Damit sieht es nach fast sechs Jahren äußerst mau aus. Das immer wieder als Musterbeispiel von SPRIND bemühte Höhenwindrad bauen seit langem andere; SRIND ist da spät auf den fahrenden Zug gesprungen:

    https://www.gicon.de/aktuelles/artikel/items/grundsteinlegung-fuer-das-gicon-hoehenwindrad

    Der durch SPRIND hier geschaffene Mehrwert liegt bei Null: Vorher wurde Gicon durch das BMWK gefördert. Aber auf den Mehrwert und Impact kommt es gerade an; die Zahl der "Challenges" etc. sind bloße Inputgrößen.

    Und eine Sprunginnovation ist das Windrad auch nicht (vgl. Propellerflugzeug vs. Düsenjet).

    Der Wunsch, immer größer, teurer und mächtiger zu werden, und die Konzentration auf Inputgrößen, passen überhaupt nicht zu einer kreativen Agentur mit Start-up Mentalität, sondern zu einer Behörde. Bei ARPA achtete man sorgfältig darauf, klein und fein zu bleiben.

    Kritiker, die SPRIND von Anfang an für eine politisch getriebene Dampfplauderei gehalten haben, werden durch diese Bilanz bestätigt. Sie ad hominem als Neider abzuqualifizieren, wie Herr Laguna es hier macht, anstatt ihnen in der Sache zu antworten, macht ebenfalls keinen guten Eindruck.

    Es bringt auch nichts, einfach zu behaupten, man müsse halt Geduld haben ("10-15 Jahre"): Wo sind die Zwischenergebnisse? Wo ist die *echt* unternehmerische Mentalität in dieser viel zu großen und viel zu wenig impactorientierten Organisation? Wo ist die nachvollziehbare Projektauswahl? Wo ist auch nur die immer noch fehlende Definition von "Sprunginnovation"?

    SPRIND wird gerade vom BMBF evaluiert. Aber anstatt unabhängige Gutachter zu nehmen, die sich mit dieser speziellen Form von Innovation auskennen, gern aus dem Ausland (warum nicht DARPA?), macht es das BMBF wie so oft: Man nimmt einen Gemischtwarenladen, den man kennt und mit dem man verbandelt ist, und der vor allem selbst am Tropf des BMBF hängt: Fraunhofer. Es wäre ein Wunder, wenn eine kritische Evaluation dabei heraus käme. Und falls irgendwie doch, bleibt sie unter Verschluß (wie geschehen z.B. beim DFKI). Wetten?

  • #2

    Münchner (Dienstag, 01 Oktober 2024 15:51)

    Zur angeblichen SPRIND-Erfolgsgeschichte Marvel Fusion läßt Rafel Laguna das Entscheidende weg: Diese Firma steht vor dem Abschied aus Deutschland. Der Reaktor ensteht bereits an der Colorado State University, nicht in München. Es war die Aufgabe von SPRIND, diese Technologie in Deutschland zu halten. Damit ist SPRIND gescheitert. Und jetzt soll es ein Erfolg sein, mit deutschen Steuergeldern eine Entwicklung in den USA zu fördern?

    In der Tat: Marvel Fusion "hebt jetzt ab" -- nachdem die Firma Deutschland verlassen und sich von SPRIND gelöst hat.