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Wo Mark Zuckerberg Recht hat

Europas Verteidigung des Datenschutzes ist aller Ehren wert – hat aber auch seine Kehrseiten für Wissenschaft und Wirtschaft. Ein Kommentar.

Die Illustration wurde von einer generativen KI (Grok, "X") erstellt. Der Prompt lautete: Erstelle eine Visualisierung des Themas "Datenschutz". 

MARK ZUCKERBERG, die EU und der Datenschutz: ein unendliches Thema. Schon vor Jahren musste der Meta-Chef dem EU-Parlament Rede und Antwort stehen, 2023 stoppten die europäischen Datenschutzbehörden die Meta-Datentransfers in die USA. Ein Jahr später kündigte Meta ein, die Postings der Nutzer von Facebook, Instagram und Threads für das Training von KI-Systemen nutzen zu wollen. 

 

Nach Beschwerden der Datenschutz-Nichtregierungsorganisation "Noyb" ("None of your business") bei den Datenschutzbehörden von elf EU-Staaten knickte Meta ein und verpflichtete sich, keine Nutzerdaten im Bereich von EU und EWR für undefinierte "Techniken der künstlichen Intelligenz" zu verarbeiten. 

 

Und vor wenigen Tagen erst urteilte der Europäische Gerichtshof, angestoßen ebenfalls durch eine Noyb-Klage gegen Meta, unter anderem: Die Nutzung personenbezogener Daten für Online-Werbung muss massiv eingeschränkt werden. 

 

Dass Mark Zuckerberg die Nase voll hat von Europa, äußerte er schon vor dem jüngsten Urteil unmissverständlich. "Keine Trainingsdaten, keine KI", titelte der SPIEGEL. "Meta will seine KI mit Nutzerdaten trainieren und versichert, auch Europa würde profitieren – wenn die Datenschützer nicht wären." Die EU müsse sich entscheiden, ob sie dem Rest der Welt beim Fortschritt zusehen wolle, gab das Nachrichtenmagazin die Warnung des Meta-Chefs wieder.

 

Man muss weder Zuckerberg mögen noch Metas Umgang mit Daten, um einzugestehen: Der Mann hat einen Punkt. Forscher an deutschen Universitäten berichten zum Beispiel, dass sie auf US-Partnerhochschulen angewiesen seien, um mit deren Userdaten ihre KI-Modelle zu trainieren. Deutsche Gesundheitswissenschaftler nutzen für ihre Projekte britische Datenbanken mit Patienteninformationen, weil diese in Deutschland vielfach nicht für die Forschung bereitgestellt wurden.

 

Vollumfänglich am Fortschritt teilhaben,
aber die Daten für sich behalten?


Was wir Europäer und Deutsche umgekehrt natürlich trotzdem erwarten: dass wir an allen technologischen und medizinischen Fortschritten vollumfänglich teilhaben, selbst wenn wir nicht zu ihrer Ermöglichung beitragen. Das kann man ethisch hinterfragen: Wenn uns der Datenschutz so viel wert ist, warum tun wir uns so leicht, Produkte zu nutzen und von Erkenntnissen zu profitieren, deren Entwicklung die Nutzung der Daten von Menschen anderswo voraussetzte? 

 

Hinzu kommt die wirtschaftliche Komponente, auf die Zuckerberg anspielt: Der Wohlstand der Zukunft hängt davon ab, dass Europa und Deutschland digital nicht weiter abgehängt werden, das gilt für die Forschung und für die Wirtschaft und erfordert in jedem Fall einen anderen Umgang mit dem Datenschutz. Anders als derzeit. 

 

Aber, und das ist wichtig, auch anders, als es Mark Zuckerberg und anderen umstrittenen Granden der digitalen Weltkonzerne vorschweben mag. Doch ist der (zwischen den USA und China) vielbeschworene dritte Weg Europas bei der Nutzung persönlicher Daten – ein ethisch-verantwortlicher und sicherer, aber zugleich auch fortschrittsfreundlicher – in seiner oft einseitigen Auslegung mit dafür verantwortlich gewesen, dass Deutschland in wichtigen Bereichen den Anschluss an die Weltspitze in Forschung und Technologie verpasst hat.

 

Noch in dieser Legislaturperiode will die Ampelkoalition ein Forschungsdatengesetz beschließen. Die Erwartungen hierzu sind groß. "Ich empfehle manchen meiner Postdocs, für die Beantwortung bestimmter sozial- oder wirtschaftswissenschaftlicher Fragestellungen ins Ausland zu wechseln, weil ihnen in Deutschland dafür die Daten fehlen", sagte zum Beispiel im Mai die Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, Regina Riphahn, hier im Blog. Das geplante Forschungsdatengesetz dürfe nicht nur das auflisten, was rechtlich schon jetzt möglich sei. Es gebe aber positive Vorbilder, betonte Riphahn: "Das Ende März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz stellt die Gesundheitsforschung auf eine völlig neue Grundlage. Es überschreibt andere Gesetze. Dies ist eine Brücke, die sich auch für das Forschungsdatengesetz anbietet."

 

Das ist, was Deutschland braucht: eine Brücke zwischen Datenschutz und Fortschritt.



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Kommentare: 9
  • #1

    Markus Deimann (Mittwoch, 09 Oktober 2024 09:47)

    Lieber Herr Wiarda,
    vielen Dank für Ihren Appell für die Wissenschaftspolitik und das Aufzeigen von konkreten Handlungsfeldern.

    In der Sache bin ich bei Ihnen, allerdings nicht so ganz, wie Sie es an der Person Zuckerberg aufhängen. Denn es wird übersehen, welche Anstrengungen Meta und insbesondere die Person Zuckerberg unternehmen, um das Bommer-Image zu überwinden. D.h. es steckt eine eigene Agenda dahinter, die aus meiner Sicht nicht so geeignete ist als Argumentations-Unterstützung für den deutschen Diskurs.

    Ich empfehle diese Podcast-Episode: https://techwontsave.us/episode/240_dont_fall_for_mark_zuckerbergs_rebrand_w_karl_bode

    Herzliche Grüße,
    Markus Deimann

  • #2

    Ronald Rechts (Mittwoch, 09 Oktober 2024 14:48)

    Man kann ja gerne Daten trainieren, um neuronale Netze oder sonstige KI zu entwickeln. Es gibt aber m.E. einen wichtigen Punkt: Es ist dieser extrem exzessive Verbrauch an Energie, der die Welt existentiell gefährdet. Wie schrieb der Club of Rome aktuell: "Ein Prozent Wachstum ist genug".

  • #3

    Kritikerin (Mittwoch, 09 Oktober 2024 15:46)

    Und an diesem Beitrag sehen wir wieder: Not all speed is movement! (T.C. Bambara) und die Frage: wer profitiert wirklich und müssen wir uns diesem Diktum beugen?! Und auch in US-amerikanischen Universitäten gibt es andere Meinungen, z. B. in Princeton und massive Kritik am unhinterfragten Glauben an AI = Fortschritt. Kritische Geisteswissenschaften müssen sich aktiv in die AI-Entwicklungen einbringen, damit Technologie zum Wohle aller eingesetzt werden kann. Große Empfehlung hier: die Arbeiten von Prof. Dr. Ruha Benjamin, die dies ganz deutlich aufzeigt. Bei Interesse ihr TED-Talk: "Is technology our savior — or our slayer?"

  • #4

    Mathe-Kritiker (Donnerstag, 10 Oktober 2024 10:02)

    @3: Sie haben Recht mit der Warnung vor Überschätzung der KI etc. Es gibt zunehmend Arbeiten von kritischen Mathematiker(innen), die zeigen, daß neuronale Netzwerke
    nicht einfach in der Lage sind, tiefsinnige mathematische
    Algorithmen zu toppen. Man liest z.B.: "If your natural intelligence fails, then use artificial ones."

  • #5

    Django (Donnerstag, 10 Oktober 2024 10:09)

    Hier wird doch vermischt: KI "at large" auf der Basis von Large Language Models einerseits (ChatGPT & Co.), empirische Forschung z.B. im Gesundheitsbereich auf der Basis von aussagekräftigen Daten wie z.B. das sozio-ökonomische Panel.
    Irgendwo dazwischen stehen KI-basierte Expertensysteme, z.B. zur Unterstützung der Ärzte bei der Interpretation der Daten aus bildgebenden Verfahren.

  • #6

    Günter Tolkiehn (Donnerstag, 10 Oktober 2024 14:40)

    @ Markus Deimann:
    Der hörenswerte Link ist wohl dem Layout zum Opfer gefallen. Ich versuche es mal so:
    https://techwontsave.us/episode/240_dont_fall_for_
    mark_zuckerbergs_rebrand_w_karl_bode

  • #7

    Kurt Jaeger (Donnerstag, 10 Oktober 2024 20:36)

    Wie meine sehr IT-affine Freundin schon vor einigen Jahren formulierte: Daten sind nicht das neue Öl, Daten sind das neue Uran (im Sinne von nuclear waste).

  • #8

    Laubeiter (Freitag, 11 Oktober 2024 12:09)


    Jeder kann Daten spenden, wohin er will, auch KI-Entwicklern. Ich sehe in der Pflicht zu einer Zustimmung durch User zu einer Weitergabe ihre Daten, wie die GDPR ihr 2018 Gesetzesrang gegeben hat, einen Fortschritt, den man bitte nicht für silicon valley Weltherrschaftsfantasien kassieren sollte. Zuckerberg's Meta stellt ForscherInnen null Daten zur Facebook-Nutzung zur Verfügung, daran forscht die Firma ausschließlich selbst, bei twitter dasselbe. Aber Jammern, dass Metas KI-Entwicklung durch die GDPR behindert wird! Während der Corona-Epidemie gab es mal punktuell für RKI-assoziierte Modellierer von spread einen Zugang zu Funkzellen-Daten von Handynutzern. Dies könnte ja auch nach Ende der Epidemie weiter ein Rahmen sein für Forschungsnutzung von Firmen-Daten.

  • #9

    Robert Beltzig (Freitag, 11 Oktober 2024 20:21)

    KI hat sicher die Fähigkeit, bei hinreichendem (teuren) Training Strukturen in großen Datenmengen erkennen, gute Algorithmen schneller abarbeiten und den Menschen stupide Dinge abnehmen. Das ist sicher zunehmend wichtig.
    Ich bin aber nicht überzeugt, daß sie wirklich innovative Erkennisfortschritte gegenüber der natürlichen Intelligenz hervorbringen kann.