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Volle Wirkung, kein Kollateralschaden?

Kommt nun endlich die überfällige Bundestags-Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland? Prominente Kritiker warnen allerdings weiter vor den Folgen für die Wissenschaftsfreiheit – und haben der Politik eine Alternativfassung vorgeschlagen.

Harte Verhandlungen über die Resolution im Bundestag, aber wenig davon dringt nach außen.

Foto: Tobias NordhausenCC BY-NC-SA 2.0.

ES IST EINE BLACKBOX selbst für viele Abgeordnete. Wie genau sieht er jetzt aus, der Entwurfs einer Bundestags-Resolution zum Schutz jüdischen Lebens, die eigentlich schon zum Jahrestag der Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7.Oktober verabschiedet werden sollte?

 

"Jüdinnen und Juden brauchen die Unterstützung und die klare Haltung des Parlaments", hatte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, Ende August in einem Gastbeitrag in der WELT gefordert.

 

Das war, bevor sich der Beschluss immer weiter verschob aufgrund des anhaltenden Streites zwischen SPD, Grünen, FDP und Union um den genauen Wortlaut. Federführend sind nach monatelangen Verhandlungen der Innenpolitiker inzwischen die Fraktionsspitzen, aus deren Beratungen jedoch bis zuletzt nur wenige Details über den Stand der Beratungen nach außen drangen. Was jetzt immerhin bekannt wurde: Eine Einigung der beteiligten Fraktionen scheint bevorzustehen, in der Sitzungswoche nach dem 4. November könnte die Resolution beschlossen werden.

 

Der interne wie externe Druck auf die Abgeordneten, endlich fertigzuwerden, hatte nicht zuletzt nach dem Sturm vermummter Angreifer auf das Präsidiumsgebäude der Freien Universität Berlin (FU) vergangene Woche weiter zugenommen. Mitarbeiter wurden verbal und körperlich bedroht, Räume wurden verwüstet und Parolen und Hamas-Dreiecke auf Wände und Fassade gesprüht. 

 

Gleichzeitig warnen jedoch Kritiker weiter vor den Folgen des Resolutionstextes vor allem für die Wissenschaft, die gegenwärtige Entwurfsfassung sei gegenüber früheren Versionen im Kern unverändert geblieben. So soll der Text der Resolution immer noch die IHRA-Definition von Antisemitismus enthalten. 

 

Bereits im August hatte hier im Blog der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und bayerische Verfassungsrichter Jerzy Montag kommentiert, er befürworte sehr, dass die Ampel-Fraktionen und die Union über eine gemeinsame Resolution berieten, um jüdisches Leben in Deutschland zu "schützen, bewahren und stärken". Doch der Inhalt des Entwurfs entsetze und sorge ihn zutiefst. Er halte eine staatliche Festlegung auf eine Definition "eo ipso für falsch", sagte Montag im August. "Wenn schon, dann sollte der Staat zur Erfassung des Antisemitismus auf die Vielfalt der Debatten und Definitionsversuche zurückgreifen und nicht eine einzige noch dazu verwaschene absolut setzen."

 

Antisemitismus-Klausel
als Haupt-Streitpunkt 

 

Montag und andere prominente Juristen und Wissenschaftler hatten zudem gefordert, einen Passus aus dem Entwurf zu streichen, demzufolge Anträge auf staatliche Förderung künftig auf Unterstützung oder Reproduktion antisemitischer Narrative überprüft werden sollten. Kombiniert mit der IHRA-Definition berge die Resolution das Potential einer akuten Gefährdung der Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Montag kommentierte: "Die Umsetzung einer Antisemtismus-Klausel würde nur gelingen, wenn wir eine Zensurbehörde installieren, wie es sie in der McCarthy-Ära in den USA gegen antiamerikanische Umtriebe gegeben hat."

 

Diese sogenannte Antisemitismus-Klausel galt bisher als Haupthindernis für eine Einigung, speziell die Grünen sperrten sich offenbar gegen sie. Zentralrats-Präsident Schuster forderte demgegenüber, die Resolution solle "ein klares Zeichen sein, dass künftig die Vergabe von Fördergeldern an unmissverständliche Bedingungen unserer freiheitlichen Grundordnung geknüpft werden muss."Wer sollte etwas dagegen haben?"

 

Appelle, die Bundestagsresolution nicht in der beabsichtigten Form zu verabschieden, kamen unter anderem auch von Dutzenden deutschen und israelischen Menschenrechtsorganisationen. Zudem erwähnte der jährliche "Free to Think"-Report von "Scholars at Risk" Deutschland: Zwar sei die Bundesrepublik das einzige Land im Bericht, das in Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit als vollkommen frei eingestuft werde, doch hätten Wissenschaftler und Studierende ihre akademische Freiheit und ihre Möglichkeit zu freien Meinungsäußerungen auf dem Campus als eingeschränkt empfunden, insbesondere in Zusammenhang mit dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen.

 

Jetzt kritisieren fünf Wissenschaftler, darunter die Theaterwissenschaftlerin Margarita Tsomou, die Historikerin und Publizistin Marion Detjen und der Politikwissenschaftler Ilyas Saliba, in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Verhandlungsführer der Parteien hätten trotz der umfangreichen Kritik auch "von in Deutschland lebenden Jüd*innen, israelischen NGOs, Jurist*innen, Menschenrechtsorganisationen sowie aus der Wissenschaftscommunity und der Kultur" seitens der Politik kein Gesprächsangebot angenommen. "Darüber hinaus wurden alternative Formulierungen und nicht karzerale Maßnahmen zum Schutz jüdischen Lebens, die auf expliziten Wunsch der Verhandler:innen in der Zivilgesellschaft ausgearbeitet wurden und bereits vor Wochen an die Politik gingen, vollends ignoriert."

 

Prominente Autoren eines
alternativen Resolutionstextes

 

Im Raum stehe nun die Frage an die Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Fraktionsspitzen, "ob die Resolution die IHRA-Definition verbindlich machen wird oder nicht. Es kann nicht sein, dass grundgesetzlich geschützte Freiheiten zum Spielball der Verhandlungen über ein politisches Maßnahmenpaket wird."

 

Zu den Autoren der erwähnten Formulierungsvorschlägen für eine alternative Bundestagsresolution gehörten neben Montag die Soziologen Armin Nassehi und Paula-Irene Villa Braslavsky von der LMU München, außerdem der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Andreas Paulus und der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Ralf Michaels. Die Vorschläge wurden zusammen mit einem auf den 9. September datierten Anschreiben an die Parteien verschickt. 

 

Darin schreiben die Autoren, um die Kritik am Resolutionsentwurf "positiv zu

wenden und dem wichtigen Projekt zum Erfolg zu verhelfen, hat eine informelle Gruppe von jüdischen und nichtjüdischen Wissenschaftler*innen den folgenden Entwurf zusammengestellt". Er verstehe sich als Arbeits- und Diskussionsgrundlage und als Formulierungshilfe "und möchte damit zu einer auch zivilgesellschaftlich und politisch geführten Diskussion um eine entsprechende Resolution zur Bekämpfung des Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens beitragen". Man beanspruche nicht, repräsentativ zu handeln. "Wir hoffen aber, dass dieser von Menschen mit unterschiedlichen politischen

Ansichten getragene Entwurf die Ideologisierung und juristische Verunklarung einiger Themen vermeidet und so die Formulierung einer konsensfähigen Resolution erleichtert. Er ist zu Ihrer Unterstützung entstanden; eine Veröffentlichung planen wir zu diesem Zeitpunkt nicht."

 

Dass sie ihren Alternativentwurf jetzt doch öffentlich machen, offenbart den Frust über die – aus Sicht der Verfasser – unzureichende Reaktion der Politik. Zuletzt war lediglich bekannt geworden, dass es parallel zur Resolution Umsetzungsrichtlinien geben soll. Was die wiederum beinhalten und ob sie die Gemüter beruhigen werden, ist offen.

 

Mehr als der bekanntgewordene Resolutionsentwurf setze der Alternativtext positive Maßnahmen zur Unterstützung jüdischen Lebens in den Vordergrund, erläutern seine Autoren. "Das liegt auch daran, dass das Grundgesetz staatlicher Regulierung insbesondere in grundrechtsintensiven Bereichen wie Kunst und Wissenschaft bewusst enge Grenzen setzt und stattdessen in der Bekämpfung menschenverachtender Ideologien wie dem Antisemitismus auf die Eigenverantwortung der Gesellschaft sowie ihrer jeweiligen Teilbereiche vertraut. Statt Repression oder Misstrauen gegenüber Geförderten setzt der Entwurf daher weitgehend darauf, die Gesellschaft hierin die Pflicht zu nehmen, ihr aber dabei auch den nötigen Freiraum und die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen."

 

Auch zur Kritik an der im bisherigen Entwurf allein verwendeten IHRA-Arbeitsdefinition äußern sich die Autoren: Ihr Entwurf orientierte sich an der "U.S. National Strategy to Counter Antisemitism der Biden-Regierung, die sich auf die Arbeitsdefinition beruft, sie aber in den Kontext auch anderer Definitionen stellt".

 

Wissenschaftspolitiker
arbeitet an einem eigenen Antrag

 

Derweil bestätigen Abgeordnete der Ampel-Koalition, dass Wissenschafts- und Bildungspolitiker der SPD, Grünen, FDP und Union an einer weiteren Resolution speziell für Bildung und Wissenschaft arbeiteten. Eigentlich hatte auch dieser schon vor der Sommerpause ins Plenum eingebracht werden sollen, doch zog er sich dann ebenfalls hin.

 

"Ich kann Ihnen versichern, dass wir als SPD-Wissenschaftspolitiker zusammen mit der Spitze der Fraktion die Warnungen aus der Wissenschaftsszene vor einer Art Gesinnungsprüfung sehr ernstgenommen haben“, sagt der für Bildung und Wissenschaft zuständige Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek. Die Fraktion habe die Bedenken aufgenommen, der zweite Resolutionsentwurf diene nun zur Konkretisierung für Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen gegenüber der von den Fraktionsspitzen zusammen mit Innenpolitikern ausgearbeiteten, allgemeiner gehaltenen Fassung. "Wir wollen zum Beispiel klar sagen, wie Antisemitismus-Forschung noch besser gefördert werden kann." Derzeit gebe es noch einige Streitpunkte, im November könnte auch dieser Entwurf von den beteiligten Fraktionen (erneut Ampel plus Union) beschlossen werden und dann ins Plenum gehen, so Kaczmarek.

 

Wobei nicht alle beteiligten Abgeordneten diesen Zeitplan so bestätigen wollen. Aus Unionskreisen heißt es, man sehe die umstrittene Antisemitismusklausel bereits durch die normalen Mechanismen der DFG erfüllt, es werde sicherlich keine neuen Prüfungen geben. 

 

"Sie können sich vorstellen, dass wir aufgrund der oben aufgeführten Argumente, aber auch nicht zuletzt aufgrund der Fördergeldaffäre und dem Verhalten der Ministeriums keinerlei Vertrauen in seine Bemühungen haben, eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens an deutschen Hochschulen zu verfolgen, die dem Namen gerecht wird", kommentiert unterdessen der Ilyas Saliba, Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute in Berlin. "Es wäre zentral, dass bei dieser Wissenschaftsresolution die Wissenschaft und Zivilgesellschaft beteiligt wird und dies nicht wie die andere Resolution ausschließlich intransparent in fraktionsinternen Kreisen ausgehandelt wird."



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