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Das Ende eines noch gar nicht begonnenen Sonderweges

2021 hatte die damalige rot-rot-grüne Koalition in Berlin kurz vor der Wahl Aufsehen erregt mit ihrem Beschluss, die Hochschulen zu Dauerstellen für Postdocs zu verpflichten. Drei Jahre später kassiert die SPD-Wissenschaftssenatorin die Pläne, die unter anderem eine HU-Präsidentin zum Protestrücktritt bewegten. Und nun?

ES GIBT DA DIESES FOTO von Ina Czyborra, aufgenommen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus Anfang September 2021, wie sie mit anderen Abgeordneten der damaligen rot-rot-grünen Koalition sichtlich gut gelaunt auf das neue Hochschulgesetz anstößt. Und auf ihren gemeinsamen Coup, gegen den Willen von Senator und Staatssekretär einen bundesweit einzigartigen Passus in die Novelle zu drücken: Postdocs, Juniorprofessor:innen und Hochschuldozenten sollten laut Paragraph 110, Absatz 6 grundsätzlich den Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung erhalten. Eine für Hochschulen verpflichtende Anschlusszusage, wenn auch nur auf Haushaltsstellen. Schon von 2023 an. "Jetzt geht's an die Umsetzung!", schrieb Tobias Schulze, damals wie heute wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Berliner Parlament, der das Bild auf Twitter gepostet hatte samt dem Hashtag "#IchbinHanna". Die wenig subtile Botschaft an die deutsche Wissenschaftlercommunity: Mission accomplished, zumindest in Berlin.

 

Viel ist passiert seitdem. Zwei Abgeordnetenhauswahlen, zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Neuregelung und zwei Senatorenwechsel später ist Czyborra selbst Senatorin, und an ihrer Seite hat die Sozialdemokratin mit der CDU einen Koalitionspartner, der den neuen Paragraphen 110,6 von Anfang an bekämpft hatte. Im Koalitionsvertrag von April 2023 hatte man sich zwecks gegenseitiger Gesichtswahrung geeinigt, den Konflikt in die Zukunft zu verlagern: Die Übergangsregelung für Einstellungen von promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf Qualifikationsstellen werde bis zum 1. April 2025 verlängert, "um die Entwicklung auf Bundesebene berücksichtigen zu können", war da auf Seite 98 nachzulesen.

 

Also erstens die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Normenkontrollklage der CDU und eine  Verfassungsbeschwerde, welche die aus Protest gegen die Novelle zurückgetretene damalige Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, als eine ihrer letzten Amtshandlungen Ende 2021 eingereicht hatte. Und zweitens die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), die von der Ampel als eines der wichtigsten wissenschaftspolitischen Projekte der Legislaturperiode angekündigt worden war.

 

Doch hat bis jetzt weder das Verfassungsgericht entschieden noch die Ampel beim WissZeitVG geliefert – abgesehen von einem konzeptionellen und gesetzgeberischen Hin und Her, das sich seit der Veröffentlichung erster Eckpunkte über inzwischen 19 Monate streckt. Was bedeutet, dass Czyborra ihre im rot-rot-grünen Geleitzug demonstrierte Chuzpe von einst nun endgültig einholt. Denn egal, was die Neuregelung vom 1. April 2025 beinhaltet, sie muss jetzt formal beschlossen werden.

 

Aufgeheizte Stimmung im
"Forum Gute Arbeit an den Hochschulen"

 

Umso aufmerksamer lasen Mitglieder des sogenannten "Forums Gute Arbeit an Hochschulen" das Schreiben von Czyborras Staatssekretär Henry Marx, das dieser in Vorbereitung der jüngsten Sitzung des Gremiums am 15. Oktober an sie verschickt hatte: Mit den Zielsetzungen "Transparenz", "frühe Sicherheit über die berufliche Entwicklung" und einer "Ausweitung von attraktiven Dauerbeschäftigungsmöglichkeiten" habe sein Haus "Überlegungen angestellt und im Austausch mit den Universitäten ein Konzept für moderne und zukunftsfähige Karrierewege erarbeitet", schrieb Marx, inklusive neuen Dauerstellenkategorien mit Schwerpunkt Forschung ("Researcher") und Lehre ("Lecturer"). Die auf dem Weg zu mehr Dauerbeschäftigung hinderliche "Mitarbeiterverordnung", kurz MAVO, solle abgeschafft werden.

 

"Ich lade Sie ein, in der kommenden Sitzung über unsere Ideen und Vorschläge zu sprechen, und möchte zugleich anregen, dass wir einige Aspekte besonders in den Blick nehmen", schrieb Marx. Von einer Ausgestaltung der verpflichtenden Anschlusszusage: kein Wort. Schickte Czyborra ihren Staatssekretär, um die einst von Rot-Rot-Grün gefeierte Regelung zu begraben?

 

In der Sitzung des Forums selbst soll Teilnehmenden zufolge dann teilweise eine aufgeheizte Stimmung geherrscht haben, in der Folge verschickte aber zunächst nur die Dienstleistungsgewerkschaft "ver.di" eine Pressemitteilung: "Berliner Senat gefährdet verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft – Entfristungsregelung im Berliner Hochschulgesetz soll gekippt werden". Noch in der Anhörung im Wissenschaftsausschuss 2023 habe die SPD beteuert, dass die neue Koalition zwar mehr Zeit für eine gute Umsetzung des 110,6 brauche, die Regelung aber nicht grundsätzlich in Frage stelle. "Dass nun der Wissenschaftssenat unter Senatorin Czyborra die Zukunftsperspektiven der Post-Docs angreift und damit die dauerhafte Bindung hochqualifizierter Wissenschaftler*innen gefährdet, ist nicht akzeptabel."

 

Was genau aber hatte Marx überhaupt gesagt? Und was genau plant Czyborras Verwaltung jetzt?

 

Was die Senatsverwaltung
jetzt vorhat

 

Eine Nachfrage. Zitierfähige Statements von Staatssekretär und Senatorin gibt es nicht. Dafür aber von ihrem Pressesprecher. "Die Rechtsprüfung hat ergeben, dass wir die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich auch in der herrschenden Meinung der juristischen Experten niederschlägt, für nicht abwegig halten. Die Folge wäre, dass die Regelung im Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) verfassungswidrig wäre".

 

Eine erstaunliche Erkenntnis vor dem Hintergrund, dass nach Humboldt-Universität und der damaligen CDU-Opposition schon Mitte 2022 auch der wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses das neue Hochschulgesetz in Teilen als verfassungswidrig eingestuft hatte. Was die damalige rot-rot-grüne Koalition jedoch nicht angefochten hatte.

 

Hintergrund, fährt der Sprecher fort, sei die Einschätzung, "dass der Bund mit dem WissZeitVG als Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft abschließend von der konkurrierenden Gesetzgebung im Arbeitsrecht Gebrauch gemacht hat". Also genau die Argumentation der HU-Verfassungsbeschwerde, die Rot-Rot-Grün Ende 2021 nicht zum Umdenken hatte bewegen können.

 

Allerdings gab es immer auch anders lautende Rechtsgutachten, etwa ein von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegebenes, das dem Paragraphen 110,6 seine Rechtmäßigkeit bescheinigt hatte. Der führe nämlich gar keine neuen Befristungsregelungen ein, sondern es handle sich um "eine landesrechtliche Regelung des Personalwesens im Hochschulbereich", hieß es darin, insofern greife das neue Gesetz auch nicht in die Wissenschaftsfreiheit oder in die Zuständigkeit des Bundes ein.

 

Czyborras Sprecher bekräftigt jedoch: Gegenwärtig laufe auf Bundesebene das Verfahren zur Novellierung des WissZeitVG. "Alle gegenwärtig diskutierten Änderungsvorschläge verstärken aber die verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch wenn dies sehr bedauerlich ist, bringt uns dies dazu, von der gegenwärtigen Regelung Abstand nehmen zu müssen."

 

Da ist er, der entscheidende Satz. Das Ende des Berliner Sonderweges, noch bevor er begonnen hat. 

 

Sehr unterschiedliche
Reaktionen auf die Nachricht

 

Die Arbeitnehmervertreter im "Forum Gute Arbeit" äußerten sich am Mittwoch in einer schriftlichen Erklärung empört. Die SPD-geführte Senatsverwaltung knicke nicht nur vor ihrem Koalitionspartner CDU und "den konservativen professoralen Kräften der Universitäten" ein, sie degradiere damit auch das Forum zu einem unverbindlichen Gesprächskreis, dessen im Koalitionsvertrag verankertes partizipatives Format grundsätzlich in Frage gestellt werde. "Nach über drei Jahren sollen alle Anstrengungen für mehr attraktive und dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse neben der Professur zunichte gemacht werden. Das ist absolut inakzeptabel."

 

"Einen Skandal" nennt das auch Czyborras früherer 110,6-Mitstreiter Tobias Schulze. Das von Marx vorgestellte Konzept für moderne und zukunftsfähige Karrierewege diene nur dazu, das Streichen der Anschlusszusage zu bemänteln. Das sei umso ärgerlicher, weil sich die Berliner Hochschulen längst auf die neue Regelung vorbereitet und entsprechende Personalstrategien entwickelt hätten. Die Reform drei Minuten vor der Umsetzung abzublasen, das sei unseriös – und außerdem kurzsichtig. "Die Hochschulen müssen ohnehin sparen. In der Situation auch an die von vielen mit großen Hoffnungen begleitete Anschlusszusagenregelung zu gehen, wird noch mehr hochtalentierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Berlin weg und an Hochschulen ins Ausland treiben." 

 

Die Reaktionen an den Hochschulen fallen freilich sehr unterschiedlich aus. TU-Präsidentin Geraldine Rauch sagt, die verbindliche Anschlusszusage sei für viele prekär Beschäftigte im Wissenschaftsbetrieb ein Licht am Horizont gewesen. "Ohne Verbindlichkeit ist eine wirkliche Erhöhung der Dauerstellenquoten nicht erwartbar, wie die Vergangenheit zeigt." Die Verfassungsklagen gegen die Berliner Anschlusszusageregelung stünden seit über zwei Jahren im Raum. Das WissZeitVG werde gerade wieder mit offenem Ausgang verhandelt. "Es erscheint daher wenig plausibel, dass dies nun die Gründe sein sollen, um die lang versprochene, verbindliche Anschlusszusage zu streichen."

 

Ganz anders die Einschätzung von Sabine Kunsts Nachfolgerin als HU-Präsidentin, Julia von Blumenthal. Sie sieht eine "Bestätigung für die Rechtsauffassung des Präsidiums der HU", die hoffentlich für die nötige Rechtssicherheit sorgen werde. "Gemeinsam mit den anderen großen Universitäten haben wir als HU mit der Senatsverwaltung in sehr konstruktiven Gesprächen attraktive Stellenformate erarbeitet, die Karrierechancen jenseits der Professur bieten", sagt von Blumenthal, die auch der Landeskonferenz der Rektor*innen und Präsident*innen der Berliner Hochschulen (LKRP) vorsitzt. "Mit zwei neuen Dauerstellenformaten, die einerseits einen Schwerpunkt in der Lehre und andererseits einen Schwerpunkt in der Forschung haben sollen, sowie der bisherigen Wissenschaftlichen Mitarbeitendenstelle mit Daueraufgabe, würde Berlin damit über ein zukunftsweisendes Portfolio an Stellenformaten verfügen. Mit diesen innovativen neuen Stellenkategorien können die Hochschulen ihren Aufgaben nachkommen und attraktive Dauerstellen bieten." Man hoffe daher, dass die notwendigen rechtlichen Änderungen des BerlHG und einschlägiger Verordnungen zügig umgesetzt würden.

 

Die verbindliche Anschlusszusage ist tot, es lebe die Berliner Dauerstellenoffensive? Fest steht: Von der Sektlaune der rot-rot-grünen Hochschulreformer von 2021 bleibt vor allem eines: Ernüchterung.


Wie Senatorin Czyborra jetzt den akademischen Arbeitsmarkt reformieren will

Um den Grundgedanken der gegenwärtigen Regelung – mehr Sicherheit und Planbarkeit im akademischen Mittelbau – beizubehalten, habe man entschieden,  mit dem "Researcher" und dem "Lecturer" innovative neue Dauerstellenkategorien im Berliner Hochschulgesetz zu etablieren, erklärt Czyborras Verwaltung.

 

Die neuen Stellenkategorien sollten "mit einer Art Tenure-Track" verbunden werden, um jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit zur Erreichung unbefristeter Beschäftigung zu ermöglichen. "Hiermit etablieren wir Karrierewege, die wir einerseits im Austausch mit unseren Hochschulen erarbeitet haben und die andererseits von jungen Forschenden selbst eingefordert werden – so erst 

jüngst in einem gemeinsamen Papier von HRK und Junger Akademie."Durch einige weitere Änderungen am Berliner Hochschulgesetz solle zudem Flexibilität zur Schaffung weiterer Dauerstellen ermöglicht werden. 

 

Gemeinsam mit den in den Hochschulverträgen vereinbarten Entfristungsquoten (40 Prozent der Gesamtbeschäftigtenzahl) würden diese Regelungen den Anteil unbefristet Beschäftigter im wissenschaftlichen Mittelbau spürbar erhöhen. Mit der Reform zur weiteren Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Wissenschaft gehe man einerseits auf rechtssicherem Weg und andererseits in Übereinkunft mit den Hochschulen.




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Kommentare: 16
  • #1

    tja (Donnerstag, 24 Oktober 2024 12:47)

    Zitat: ''Fest steht: Von der Sektlaune der rot-rot-grünen Hochschulreformer von 2021 bleibt vor allem eines: Ernüchterung.''

    Sektlaune ist eine gute Beschreibung. Man muss schon beschwipst gewesen sein bei der Verfassung von §110 (6). Gut, dass der Unfug jetzt vom Tisch ist.

  • #2

    Gerald Fungius (Donnerstag, 24 Oktober 2024 13:51)

    @1 hat schon Recht, aber es ist - wie so vieles in diesem Staat - eine Frage des (fehlenden) Geldes.

  • #3

    Wolfgang Kühnel (Donnerstag, 24 Oktober 2024 18:45)

    Ich vermisse in diesem Zusammenhang jeden fundierten, also auf Zahlen basierenden Vergleich mit dem europäischen Ausland. Das Problem gibt es doch überall. Wie ist das mit den befristeten und unbefristeten Stellen in anderen Ländern? Und wie korreliert der Anteil der unbefristeten Stellen mit der wissenschaftlichen Konkurrenzfähigkeit? Diese Korrelation könnte ja auch negativ sein, denn es ist keineswegs klar, ob all diejenigen, die in jungen Jahren auf eine Dauerstelle im Mittelbau gelangen, dann bis zum Rentenalter Leistungen in der Forschung erbringen werden. Die besten werden später reguläre Professuren bekommen oder apl. Prof. werden, man kann sich aber bekanntlich auch "zur Ruhe setzen" und nur noch die unmittelbaren Dienstpflichten erfüllen, z.B. die in der Lehre. Je langsamer man dann arbeitet, desto besser füllt man die üblichen Arbeitszeiten aus. Dienstpflichten in der Forschung sind schwer zu formulieren, das betrifft die Professoren genauso. Vieles basiert auf einer "intrinsischen" Motivation, die sich aber jeder juristischen Regelung entziehen dürfte.

  • #4

    naja (Donnerstag, 24 Oktober 2024 20:42)

    auch andere Länder, die nicht im Geld schwimmen, haben Dauerstellen. Es fehlt also (auch) der politische Wille.

  • #5

    tja (Freitag, 25 Oktober 2024 08:56)

    Aus #3: ''Vieles basiert auf einer "intrinsischen" Motivation, die sich aber jeder juristischen Regelung entziehen dürfte.''

    Genau das ist der springende Punkt, den viele Akteure überhaupt nicht begreifen. Tätigkeit im wiss. Betrieb lässt sich nicht in Gewerkschaftsmanier organisieren.

  • #6

    Tim (Freitag, 25 Oktober 2024 12:45)

    @tja
    Wie ist diese Aussage denn im Kontext zu ihrem ersten post zu verstehen?
    Dass unbefristete Lebenszeitstellen mit sehr hohem Freiheitsgrad bezüglich Arbeitszeiten und deren Ausgestaltung sich positiv auf intrinsische Motivation auswirken? So wie bei den von mir hineiniterpretierten Professuren?
    Oder negativ, so wie bei der längeren Ausführung von Herrn Kühnel, bei der Professuren im Nebensatz erwähnt sind?
    Oder gibt es ganz grundsätzlich zwei Klassen von Personen, auf die sich unbefristete Arbeitsverhältnisse in Bezug auf die intrinsische Motivation unterschiedlich auswirken?
    Letztere Auslegung fände ich schon sehr problematisch.
    Die beiden Vorangehenden führen mich irgendwie allerdings eher zum Schluss, dass intrinsische Motivation doch eher individuell und wenig generalisierbar ist. Und daher gar keinen Bezug zu Unfug oder Gewerkschaften hat. Und ja, klar bin ich hier tendenziös.

  • #7

    Berliner Uni (Freitag, 25 Oktober 2024 15:49)

    @Tim: Ich denke nicht, dass jemand hier denkt, dass die Gruppe der WiMis eine "andere Klasse" sei als die der Profs. Alles Menschen.

    Meine eigene (natürlich vergleichsweise kleine) Stichprobe zeigt deutliche Unterschiede: Langjährige WiMis, deren Engagement und Wille zum Neuen deutlich nachlässt, versus auch über die 65 hinaus noch hochaktive ProfessorInnen. Natürlich nicht als Gesetz, aber als Tendenz. Ich erkläre mir das aus einer Reihe von Unterschieden in der Auswahl und Ausgestaltung der Gruppen:

    - Längerer, mehrstufiger Auswahlprozess bei Profs. gegenüber typischerweise einem einzigen Vorstellungsgespräch bei WiMis. Das führt bei Profs. zu einer stärkeren Selektion auf ehrgeizige Personen (mit Vor- und Nachteilen). Ob eine WiMi Tenure Phase hier etwas ändern würde, ist unklar, denn deutsche TT-Verfahren sind idR ja nicht selektiv.

    - Praktisch keine Aufstiegs- oder Gehaltssteigerungsmöglichkeiten bei WiMis, egal wie sehr man sich engagiert; gegenüber Bleibeverhandlungen und leistungsbezogenen Elementen in der Bezahlung bei Profs (auch wenn die meisten nie Bleibeverhandlungen führen und die LBEs oft ein Trauerspiel sind, kann ja die pure Möglichkeit schon motivierend sein)

    - Geringere Gestaltungsmöglichkeiten und Abhängigkeit von Vorgesetzten bei WiMis, versus hohe Forschungsfreiheit bei Profs

    Etc.

    Das BerlHG hatte nun das Problem, all diese Unterschiede nicht aufzuheben, sondern "nur" unbefristete Verträge für WiMis wahrscheinlicher zu machen. Daher hätte ich erwartet, dass sich bei einer Umsetzung meine bisherigen Erfahrungen fortsetzen, und die Unis viele (über die Zeit) hoch motivierte Doktorand*innen verlieren und dafür wenige dauerangestellte WiMis mit nachlassendem Engagement bekommen.

    PS: Das Problem der vielen befristeten Verträge nach der Promotion ist aus meiner Sicht übrigens unbestritten. Aber der betreffende Passus im BerlHG hätte daran wenig geändert (Drittmittel sind ja gar nicht tangiert), dafür viele neue Probleme gebracht.

  • #8

    tja (Freitag, 25 Oktober 2024 18:14)

    #Tim
    Gemeint ist bspweise: dass Dinge wie Arbeitszeiterfassung im Bereich von Wissenschaftlern - egal ob Mitarbeiter oder Prof - zum allergrößten Teil keinen Sinn machen. Warum? Weil ein Wiss. zu den unmöglichsten Tageszeiten und Gelegenheiten über seine Probleme nachdenkt und ggf so lange bis das Problem gelöst ist. Also auch unter der Dusche, beim Spazierengehen und, falls nötig, wochenlang 15h am Tag auch am WE. Solch ein Verhalten, das stark motivierte Wiss. mitnichten als Ausbeutung beschreiben würden, mit Arbeitszeiterfassung abbilden zu wollen ist völlig absurd.

    Das ist ein Beispiel, was mit #5 gemeint war. Hilfts Ihnen?

  • #9

    Lilly Berlin (Freitag, 25 Oktober 2024 23:33)

    Ich finde es seltsam, hier immer der Politik den schwarzen Peter zuzuschieben. Die Universitäten können die Dauerstellen schaffen und auch dabei alle möglichen Tenure-Modelle und Aufstiegsmöglichkeiten realisieren. Aber statt dessen spielen die Damen und Herren Universitätspräsidenten ihr Theater auf der großen Bühne. Die guten WiMis suchen das Weite und die Trägen bleiben. Super.

  • #10

    Berliner Uni (Samstag, 26 Oktober 2024 14:21)



    @lilly Berlin

    Ich denke, Sie verkennen die wahren Gegebenheiten:

    - "Universitäten können die Dauerstellen schaffen". Das ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Dauerstellen sind teurer, weil ältere Mitarbeiter höhere Erfahrungsstufen erreichen. Deshalb wollen auch die Bundesländer im Grunde keine Dauerstellen, egal was die Politik sagt. In Berlin war es z.B. auch unter RGR fast unmöglich, befristete WiMi Stellen in Dauerstellen umzuwandeln. Und die Umwandlung bedarf der Zustimmung des Landes (was in anderen Bundesländern anders sein mag).

    - " alle möglichen Tenure-Modelle und Aufstiegsmöglichkeiten". Das ist vollkommen realitätsfern. Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ist extrem beschränkt und wird von Personalräten eifersüchtig bewacht. Tenure Modelle ohne Gesetzesänderungen sind unmöglich. Aufstieg in höhere E-Stufen ist unmöglich und wird, wenn doch mal durchgeboxt, mit Rückfall auf Erfahrungsstufe 1 bestraft. Finanzielle Anerkennung besonderer Leistungen ist fast unmöglich.

    - "Theater auf der großen Bühne". Theater spielt hier nur die Politik. Mir sind keine U-Präsidenten bekannt, die eine viel höhere Dauerstellenquote ohne Aufwuchs der Budgets wollen. Sie wären froh, wenn es das ganze Theater nicht gäbe. Die Initiative zur BerlHG Änderung ging nicht von den UPs aus, sondern wurde von ihnen bekämpft.

    - "Die guten WiMis suchen das Weite und die Trägen bleiben". Das stimmt in zweierlei Hinsicht auch nicht. 1. Die nicht-verdauerten Stellen werden von hochmotivierten Doktoranden besetzt. Das ist oft für Unis viel attraktiver als Dauerstellen. 2. Gerade wenn es eine Dauerstelle gibt, erhält man - mindestens in den MINT Fächern - nicht unbedingt die besten Köpfe - denn für die sind die Zustände im öffentlichen Dienst nicht attraktiv.

    Beste Grüße

  • #11

    Tim (Montag, 28 Oktober 2024 18:04)

    @tja
    Ehrlich gesagt nicht so recht. Es verengt den Blickwinkel zumindest sehr stark.
    Arbeitszeiten sind lediglich ein verhandelbarer Aspekt in Tarifverträgen. Da gab und gibt es auch viele verschiedene Ideen, wie die Forderungen Europas abgebildet werden könnten. Hier z.B.: https://www.forschung-und-lehre.de/politik/vertrauensarbeitszeit-wird-neu-geregelt-5561
    Der Teilaspekt Arbeitszeit sagt aber über Gewerkschaften nichts grundsätzliches aus, hat eher einen technischen Bezug zur intrinsischen Motivation Wissenschaftstreibender und gar keinen zu verdauerten Stellen.

    @Berliner Uni
    Was die gute Dialektik für mich nicht so ganz verdeckt ist die sprachliche Relativierung aller Menschen durch das Aufzeigen deutlicher Unterschiede im Folgesatz.
    So wie sie Beispiele für hochmotivierte Professuren jenseits der Pensionierung haben, habe ich welche für Professuren und wissenschaftliche Mitarbeiter. Ja, auch nach Pensionierung oder Renteneintritt.
    Aber weder meine noch ihre persönlichen Beispiele sagen tatsächlich irgendwas über die jeweiligen Berufsgruppen aus. Logisch erscheinende Argumente ebensowenig. Es gab schließlich auch mal Personen, die aus der damaligen Sicht recht logisch für die Erde als Mittelpunkt des Universums argumentiert haben.
    Was mich diesbezüglich zufriedenstellen würde, wäre eine vernünftig durchgeführte statistische Analyse. Die gibts aber meines Wissens nicht.
    Und so lange habe zumindest ich ein Problem mit der Argumentationsweise.

  • #12

    tja (Dienstag, 29 Oktober 2024 09:32)

    @Tim #11: tja, schade. Ich denke, Sie machen's komplizierter als es ist. Schöne Grüße.

  • #13

    Antwort zu 12 (Mittwoch, 30 Oktober 2024 09:24)

    @tim: ich kenne eine solche Studie auch nicht. Vielleicht einer der Leser/innen?

    Aber ich kenne meine anekdotische Evidenz. Die macht keine Gesetze, aber persönliche Meinungen. Ist ihre denn so anders?

  • #14

    A. Tobinsky (Freitag, 01 November 2024 14:54)

    Ich verstehe die Gesetzesnovelle nicht. Können die Unis wirklich Dauerstellen jenseits der Professuren -in der Forschung wohlgemerkt- wollen? Sollen diese Dauerbeschäftigten "nur" forschen und wenn ja wie? An der Uni forschen Professor/innen "unabhängig" , das heißt, diese Personen können den Inhalt ihrer Forschung- das "Was" und die Methoden - das "Wie" - beides- selbst wählen. Das bedeutet nämlich Freiheit der Forschung. Wiss MA können forschen- auch selbständig soweit die eigene wiss. Karriere im Spiel ist: Doktorarbeit/Habil. oder vergleichbare Leistungen, ansonsten in Abhängigkeit zu einem Lehrstuhl- d.h. als Unterstützung für den Prof/die Prof`in. Die erstere Fotschung- für Doktorarbeit und Habil.- ist logischerweise zeitlich begrenzt, denn irgendwann ist die Qualifakation gemacht. Dafür braucht es keine Dauerstellen, nur verlässliche Verträge über einen der Arbeit angemessenen Zeitraum und keine Kettenverträge. Kettenverträge/kurze Laufzeiten sind unseriös und müssen von seiten der Uni unbedingt unterbunden werden.- Die "hilfsweise" Forschung- also die eines wiss. MA für eine Professur- ist an der Uni aber nicht selbstbestimmt im o.g. Sinne- sondern "Dienstleistung" für den Lehrstuhl, wenn auch auf hohem Niveau, aber vielleicht ja wenig motivierend auf Dauer, weil eben nicht völlig frei- oder nur im Idealfall, weil der Prof. das zulässt.Wenn dann aber der Prof an eine andere Uni geht oder sonst ausscheidet?- Was macht man dann mit diesen Dauerbeschäftigten und der Forschung? Garantiert wird der/die Nachfolger/in auf der Professur -eigene langjährige Erfahrung im Berufungsgeschäft- nicht unbedingt auf Personal seines Vorgängers zurückgreifen sondern eine neue, von ihm selbst zu besetzende, sprich eine vakante, Stelle fordern: Das kann viele Gründe haben: anderes Forschungsgebiet, andere Vorstellungen usw. Die/den Dauerbeschäftigten kann man dann auch nicht so o.W. immer woanders einsetzen/umsetzen,- Stichwort: Spezialisierung an der Uni: Den Forscher in der Astrophysik kann ich nicht in die Teilchenphysik setzen. Jeder, der schon mal versucht hat, akademisches Personal umzusetzen, kann mir da sicher zustimmen. Es wäre aber auch im finanziellen Sinne höchst problematisch, die dann "ausrangierte" Person frei weiter vor sich hin forschen zu lassen ohne fachliche Anbindung,-immerhin sind Unis aus Steuergeldern finanziert! Das war ja das Problem seinerzeit mit den Akad. Ratsstellen auf Dauer, die dann abgeschafft wurden. Dort hatten sich Beschäftigte in Dauerstellen "eingerichtet", die z.T. nicht bereit, zum Teil fachlich gar nicht in der Lage waren, dem/der Neuberufenen in der Forschung zu assistieren,-Ausnahmen haben die Regel bestätigt, auch klar.
    Mein Fazit: Wer dauerhaft hochkarätige "eigene"Forschung machen will, möge zur MPG gehen!
    Andere Dauerstellen- aber ohne eigenen, selbstbestimmten Forschungsanteil sind an der Uni sehr wohl nötig, als da z.B. sind: Laborleitung, Gerätebetreuung, Lehre, Bibliotheksdirektion oder- hat sich an der Uni Göttingen bewährt: sogen. "Fakultätsreferenten", die nämlich Dekane und Studiendekane in der Administration unterstützen, was sehr sinnvoll ist. Allerdings: Für diese Jobs braucht es Menschen mit kommunikativen Fähigkeiten, Verständnis für Forschung, Studierende und Admin durchaus auch "Kaufmännisches" Verständnis, denn es gilt Fakultätsbudgets zu managen, Fakultätsratssitzungen vorzubereiten etc. Dafür- sorry- benötigt eine Fakultät aber nicht unbedingt einen Forscher/Forscherin sondern eine Person mit soliden Kenntnissen in (auch administrativen) akademischen Angelegenheiten. Dann kann auch mal ein BWLer die Theologische Fakultät managen! Diese Art Dauerstellen gibt es, sie sind hochgeradig sinnvoll und haben sich an der Uni Göttingen bewährt, sind aber wohl kaum der "Traum", den einige vom "ewig forschenden Wissenschaftler/in" in diesem Forum hier träumen. Die Gesetzesnovelle war leider nicht von fachlicher Expertise im Hochschulbereich getragen,sonst hätte man sie gar nicht machen dürfen. Gut , wenn dieser Murks verschwindet.

  • #15

    McFischer (Samstag, 02 November 2024 15:09)

    #3: Eine kleine, aber feine Randbemerkung: die Denkweise, wer einmal einen unbefristeten Vertrag hat, verliert die Motivation, ist eigentlich unbegreiflich. "Eigentlich", weil sie mir aus dem Uni-Betrieb natürlich wohlbekannt ist, aber "unbegreiflich", weil hier ein Personal-Bild besteht, was auch nur im universitären Kontext funktioniert. Und auch nur, solange es ein "Arbeitgeber-Markt" ist.
    Denn welche Firma, ja selbst welche Behörde folgt heute einem solchen Beschäftigungsmodell? Die Mitarbeiter*innen möglichst lange im Ungewissen lassen, bloß keine unbefristeten Verträge (was ja auch nicht heißt, dass man diese nicht ordnungsgemäß kündigen kann), erst ganz spät die Aussicht auf eine verdauerte Stelle?!
    Geht die Deutsche Bahn so mit ihrem Personal um? SAP? Audi? Nein, denn die wissen, dass man Mitarbeiter*innen nur mit hohen internen Kosten gewinnt (Ausschreibungen, Auswahl, Einarbeitung...) und man diese natürlich möglichst lange halten möchte. Wenn sie nicht motiviert sind, gibt es eine große Tool-Box an Personalentwicklungsmaßnahmen. Klar, einige Demotivierte wird man in jedem Betrieb, jeder Organisation finden, das ist normal. Aber in der Regel sind Mitarbeiter*innen motiviert, wenn sie in einem vernünftigen Rahmen wirksam Leistung erbringen können.
    Nur an den Unis scheint dies alles nicht zu gelten. Hier setzt man immer noch teilweise auf Auswahlverfahren mit unglaublich hohem zeitlichem und personellen Aufwand (Berufungen), bietet dem Nachwuchs möglichst wenig, in der Hoffnung, dass nur die Allerbesten bleiben, und die Verantwortung als Arbeitgeber gibt man so sowieso völlig ab.
    Aber selbst hier im Blog gibt es immer noch genug Stimmen, die dieses Modell in Ordnung und wünschenswert finden. Eigentlich unglaublich...

  • #16

    Wolfgang Kühnel (Samstag, 02 November 2024 22:47)

    Zum Beitrag #14: Das ist genau richtig, es ist der Hauptknackpunkt dabei (jenseits von finanziellen Erwägungen): Dauerbeschäftigte für die Forschung müssen dazu auch in der Lage sein, aber in der Regel sind auch Professoren für Forschung UND Lehre zuständig. Allzu oft hat man es erlebt, dass ein älterer Professor einen seiner jungen Mitarbeiter auf eine Dauerstelle setzt, was nach der Pensionierung des Professors dann von den anderen als "Altlast" empfunden wird. Der Nachfolger vertritt meist ein (zumindest etwas) anderes Spezialgebiet und kann mit einer besetzten Stelle nichts anfangen. Anders ist es, wenn der Mitarbeiter habilitiert und vielleicht apl. Prof. wird. Dann nimmt er Professorenaufgaben wahr, ist aber damit seinen ursprünglichen Aufgaben entzogen. Auch das kann ein Problem werden, wenn es plötzlich zu viele apl. Prof. gibt.
    Nicht-Professoren auf Dauerstellen braucht man -- wie Sie ja auch schreiben -- durchaus, z.B. für die Lehre in Massenfächern, für die Erstsemester-betreuung (auch Brückenkurse), für die Fachbereichsverwaltung, für die Systembetreuung der Computer, für die Unterstützung des Dekans (nur mit einer Halbtagssekretärin ist das heute nicht mehr zu leisten), für die Verwaltung größerer Drittmittelsummen, als Abteilungsleiter eines großen Instituts, für die Laborleitung, für die Organisation von Expeditionen und vieles andere mehr. Viele solche Stellen sind auch längst eingerichtet worden, man könnte über deren Zahl noch diskutieren. Das sind aber alles keine Stellen für die selbständige Forschung.
    Warum die Akad. Ratsstellen abgeschafft sind, verstehe ich nicht. In manchen Bundesländern gibt es sie noch heute, formell als Mitarbeiter an Lehrstühlen. Der Unterschied zu einer E13-Stelle ist doch nur die Verbeamtung. Ein Akad. Rat kann zum Oberrat (A14) und zum Akad. Direktor (A15) befördert werden, theoretisch sogar zum leitenden Akad. Direktor (A16), was dann in die Nähe der Professorenbesoldung rückt. Wieder gilt: Mit Habilitation und als apl. Prof. nehmen auch diese Leute Professorenaufgaben wahr -- möglicherweise entgegen ihrer ursprünglichen Aufgaben-beschreibung.
    All das wird aber in den üblichen Beiträgen von "IchBinHanna" gar nicht adressiert, da scheint es eher um das zu gehen, was #14 schon schrieb: "es sich einzurichten".