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Transparenz, bitte!

Die KMK weiß oft nicht, was die Bundesländer aus ihren gemeinsamen Beschlüssen machen. Eigentlich wollten die Minister das ändern und ein systematisches Monitoring einführen. Jetzt droht sie, der Mut zu verlassen.

So stellt sich eine KI die Kultusministerkonferenz vor.

DIE AMBITIONEN der Kultusminister waren bemerkenswert. Das Eckpunktepapier, das die Länder nach stundenlangen Diskussionen im vergangenen Dezember beschlossen, trug den Titel: "Für eine zukunftsfähige Kultusministerkonferenz – Eckpunkte zur strukturellen Weiterentwicklung". Unter Punkt 4, "Ergebnisse in den Blick nehmen: Monitoring der Beschlüsse einführen", stand: "Um das Augenmerk der KMK, soweit sie auf Harmonisierung und Einheitlichkeit ausgerichtet ist, stärker auf die Wirksamkeit entsprechender Beschlüsse zu konzentrieren, empfiehlt die Strukturkommission die Einführung eines systematischen Monitorings solcher Beschlüsse der KMK. Die Ergebnisse dieses Monitorings sollen regelmäßig in der KMK vorgestellt werden."

 

Der Plan reflektierte eine der ärgerlichsten Dysfunktionalitäten des Bildungsföderalismus: Man fasst gemeinsame Beschlüsse, beschwört öffentlich das gemeinsame Vorgehen in zentralen Bildungsfragen, und dann ist jedes Land allein für die Umsetzung verantwortlich. Erledigt es seine Hausaufgaben oder nicht? Die anderen Länder wissen es nicht, die Verwaltung der KMK, Sekretariat genannt, hat erst recht keine Ahnung. Denn es wird nicht nachgehalten. Einige Versäumnissen wurden trotzdem publik, etwa als 2019 Bremen und Niedersachsen gleich zwei Länder verabredungswidrig die bundesweiten VERA-Vergleichsarbeiten für Drittklässler aussetzten. 

 

Doch die meisten Missachtungen laufen unter dem Radar – und tragen alle ein kleines Bisschen mehr zum Image des Föderalismus bei, Chaos statt Ordnung, Problemverursacher statt Problemlöser zu sein. Die Forderung, den Ländern ihre alleinige Zuständigkeit für die Schulen wegzunehmen, erreicht in repräsentativen Bevölkerungsumfragen regelmäßig Zustimmungsraten von 70 Prozent und mehr.

 

Wissen ist Macht – auch
beim Beschlussmonitoring

 

Wissen ist Macht, und ein regelmäßiger Bericht über die Erledigung oder Nicht-Erledigung der KMK-Beschlüsse in den einzelnen Ländern dürfte schon länderintern Wunder wirken in Sachen Harmonisierung, zumal bei gröberen Umsetzungslücken unangenehme Presseberichte kaum ausbleiben würden.

 

Das wissen auch die Kultusminister – und bekannten sich zum Monitoring. Umso ernüchternder ist, was aus den Länderverhandlungen um die laufende KMK-Strukturreform dringt. Nach aktuellem Beratungsstand gebe es keine Mehrheit für ein systematisches Monitoring der Beschlüsse und deren Umsetzungsstand in den Ländern, weder in der neuen Bildungs- noch in der Wissenschaftsministerkonferenz, berichten Insider aus der eigens eingesetzten KMK-Strukturkommission II. Mit anderen Worten: Den Ministerien droht der eigene Mut abhanden zu kommen.

 

Immerhin: Was die Strukturkommission erarbeitet, sind Empfehlungen für den Beschluss der Minister im Dezember, und auch die Empfehlungen selbst sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in Stein gemeißelt. Auch zeigen sich Unterschiede zwischen den KMK-Telikonferenzen. So erscheint in der BildungsMK schon jetzt zumindest ein Kompromiss mehrheitsfähig, demzufolge für ausgewählte Grundsatzbeschlüsse jeweils ein punktuelles Monitoring vereinbart werden könnte. Was natürlich nicht dasselbe wäre, wie wenn zum Beispiel im KMK-Sekretariat eine Gruppe von Mitarbeitern fortwährend und eigenständig Beschlüsse und ihre Umsetzung nachverfolgen würde.

 

Ebenfalls vorstellbar für die Vertreter der BildungsMK in der Strukturkommission: die Einführung eines sogenannten Vorhabencontrollings, was aber nur bedeuten würde, dass das KMK-Sekretariat im Blick behielte, wie sich ein Beschlussvorhaben von Auftrag bis Endabstimmung durch die Gremien des Länderclubs bewegt.

 

Man scheut die Verpflichtung zum Handeln,
die aus dem Wissen erwachsen würde

 

Es ist also noch nichts endgültig und entschieden, und das ist gut so. Denn bliebe es bei der fast vollständigen Ablehnung eines systematischen Beschlussmonitorings, käme das der Entscheidung der Minister für das Nichtwissen gleich. Es wäre das Signal, dass man die Verpflichtung zum Handeln scheut, die aus dem Wissen erwachsen würde. 

 

Und das vor dem Hintergrund, dass sich die Länder zuvor schon (abgesehen von einer allerdings wichtigen Ausnahme) nicht hatten durchringen können, von ihrem umstrittenen Einstimmigkeitsprinzip bei allen wichtigen Fragen abzuweichen. Obwohl eine Abweichung zentral gewesen wäre, um als Kultusministerkonferenz mutiger und schneller agieren zu können. 

 

Die KMK begründete ihre diesbezügliche Reformscheu Anfang September so: "Einstimmig gefasste Beschlüsse sichern den Zusammenhalt der Kultusministerkonferenz bei der Wahrnehmung gesamtstaatlicher Verantwortung im föderalen Bildungswesen, die gegenseitige Anerkennung der Bildungsabschlüsse und die damit einhergehende Mobilität." Nur, sollte man denken, dass dann das Monitoring dieser gemeinsam gefassten Beschlüsse erst recht unverzichtbar wäre, wenn es doch um die, so die KMK, "Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Verantwortung" geht. 

 

Der Kern der Misere
im Bildungsföderalismus

 

Genau das aber ist der Kern der Misere im Bildungsföderalismus: Es gibt zu viele Beschlüsse auf kleinem gemeinsamem Nenner, weil kein einziges Land dagegen sein darf, was zum Beispiel dazu führt, dass die vor einem halben Jahrzehnt begonnene Angleichung des Abiturs im Trippeltempo verläuft. Und weil außerdem keiner nachhält, wo genau welches Land bei der Umsetzung steht, dauern selbst moderate Reformen noch länger als befürchtet, sie verlaufen unübersichtlich bis widersprüchlich, und das bundesstaatliche Tempo gibt stets der Langsamste vor.

 

Gerade den Lordsiegelbewahrern des Bildungsföderalismus im Süden und Osten der Republik sollte das peinlich sein. Ja, der Bildungsföderalismus ist theoretisch eine großartige Idee. Er ermöglicht den Wettbewerb der Länder um die besten Konzepte und Strategien für erfolgreiche Schulsysteme und sichert die notwendige Vergleichbarkeit ab über Standards, die für alle gelten. Nur ist Wettbewerb ohne Transparenz eben kein Wettbewerb. 

 

Was bringt es zum Beispiel, wenn Bayerns Schulen leistungsstärkere Absolventen produzieren als Niedersachsen, welche Rechtfertigung haben bildungspolitische Sonderwege einzelner Länder in einem Bundesstaat – wenn keiner systematisch auswertet, wozu diese Sonderwege und Unterschiede führen? Für diese Transparenz könnte und sollte das KMK-Sekretariat zuständig sein, und die Gelegenheit wäre günstig: Die Organisationsreform der Verwaltung steht als nächstes an. Und was, wenn nicht die Einführung eines systematischen KMK-Beschlussmonitorings wäre ein unverzichtbarer Schritt zu einem transparenten, verantwortungsbewussten Föderalismus?

 

Die Minister sollten, die Minister müssen sich bis Dezember noch einen Ruck geben. Der Mut zur Transparenz darf sie nicht verlassen.



Die künftige Architektur der KMK: Was sich abzeichnet und wo es noch Debatten gibt

Den Diskussionsstand zur Umsetzung der KMK-Strukturreform hat die zuständige Strukturkommission II in einem internen Bericht zusammengefasst. Im Dezember soll die Ministerkonferenz endgültig über ihre neue Architektur entscheiden, wobei die KMK ihre grundsätzliche Neustrukturierung bereits im Juni im Saarland beschlossen hat. 

 

Vor allem legten die "Völklinger Beschlüsse" die Einrichtung dreier eigenständiger Ministerkonferenzen innerhalb der KMK fest: die "BildungsMK", die "WissenschaftsMK" und die "KulturMK". Die nur noch an den Stellen ihre Unabhängigkeit beschränken, an denen ihre Zuständigkeiten sich überschneiden. Die Kultusministerkonferenz selbst ist insofern künftig vor allem ein Dach: ein organisatorisches, verkörpert durch die gemeinsame Verwaltung, das Sekretariat, und einmal im Jahr bei der Jahrestagung, bei der die drei Konferenzen zusammenkommen –und darüber hinaus nur anlassbezogen. 

 

Zu klären bis Dezember ist, wie genau die Führungs- und Gremienstrukturen der KMK insgesamt und ihrer Einzelkonferenzen aussehen wird. Hier zeichnet sich ab, dass es keine/n gemeinsame/n KMK-Präsident/in mehr geben wird, sondern nur noch einen gemeinsamen Vorstand. Schon über dessen Zusammensetzung gibt es freilich umfangreiche Diskussionen. Sollen nur die drei Vorsitzenden der Teilkonferenzen, der KMK-Generalsekretär und seine Vertretung sowie ein Mitglied der neuen Verwaltungskommission (siehe unten) drinsitzen, oder auch die insgesamt sechs sogenannten A- und B-Koordinatoren aus Bildung, Wissenschaft und Kultur? 

 

Zwar sind das die wirklich einflussreichen Minister im Länderclub, weil sie SPD- bzw. unionsregierten Länder koordinieren, doch würde der Vorstand dann auf die doppelte Größe anwachsen. Vermutlich wird es am Ende eine Mischung: der Kernvorstand mit "Erweiterungsmöglichkeit", wobei die Koordinatoren und das Mitglied der Verwaltungskommission nur "bedarfs-/fallorientiert" hinzukämen. Doch wie verhindert man dann wiederum Debatten darum, was "bedarfs-/fallorientiert" im Einzelfall heißt?

 

Die neue Verwaltungskommission soll als neues Gremium von Amtschefs

entstehen, zusammengesetzt nach A-/B-Proporz und aus allen drei Teilkonferenzen, um die KMK-Verwaltung, das Sekretariat, operativ und administrativ zu steuern. Seine Mitglieder wären über mehrere Jahre berufen – im Gegensatz zu den Vorsitzenden der Teilkonferenzen. Die wichtigste Aufgabe: die "Begleitung der kontinuierlichen Struktur- und Prozessoptimierung des Sekretariats", und zwar anhand der politisch gesetzten Ziele. Genau hier dürfte sich in den nächsten Jahren entscheiden, ob die anstehende Weiterentwicklung der KMK-Verwaltung gelingt. Auch das Controlling von Vorhaben würde hier koordiniert. Insgesamt könnte die Verwaltungskommission, wenn die Minister ernst machen, zu einem neuen Power House im Bildungsföderalismus werden. 

 

Typisch KMK ist, dass die Teilkonferenzen in ihrer jeweiligen Verfasstheit noch keine einheitlichen Bezeichnungen für ihre jeweiligen Vorstände gefunden haben. Die BildungsMK etwa hängt an der Bezeichnung "Präsidium" und seiner Maxi-Größe, inklusive Präsident/in und zwei Stellvertretern, dazu die A- und B-Koordinatoren, als Gäste KMK-Generalsekretär und dessen Vertreterin sowie die Amtschefs der A- und B-Koordinationsländer. Die WissenschaftsMK dagegen will nicht einmal einen Vorstand, sondern nur einen Vorsitzenden. In allen drei Konferenzen würde der Vorsitz weiter jedes Jahr rotieren, so dass der Föderalismus in Bildung, Wissenschaft und Kultur künftig jedes Jahr drei neue Gesichter an der Spitze hätte.

 

Ambitioniert ist schließlich die versprochene Gremienreduktion: Die von den Kultusministern beauftragte Unternehmensberatung Prognos hatte vergangenes Jahr unglaubliche 177 Kommissionen, Ausschüsse und Arbeitskreise gezählt. Laut Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, die die unionsregierten Länder in der BildungsMK koordiniert, sollen davon im für Dezember geplanten Reformbeschluss maximal zwei Hände voll übrig bleiben, man wolle sich auf wenige Gremien, die politisch gesteuert würden, konzentrieren. Ganz so wenige dürften es wohl nicht werden, doch sollen allein im Bereich der BildungsMK um 46 von derzeit 127 Gremien enden oder aus der Zuständigkeit des KMK-Sekretariats fallen. In der Zuständigkeit der WissenschaftsMK sind sieben von gut 30 Gremien zur zeitnahen Beendigung vorgesehen.



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Kommentare: 2
  • #1

    Matthias Güldner (Mittwoch, 30 Oktober 2024 10:27)

    Lieber Martin Wiarda,
    den kern des Problems hervorragend auf den Punkt gebracht!Nicht-wissen erlaubt nicht-machen. Und genau darum geht es!

  • #2

    Django (Mittwoch, 30 Oktober 2024 15:28)

    Um es auf den Volksmund zu bringen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
    Das festhalten am Einstimmigkeitsprinzip kann man noch nachvollziehen, aber gerade wenn am Einstimmigkeitsprinzip festgehalten wird, sollte ein Monitoring der Beschlüsse niemandem wehtun. Denn es haben ja alle zugestimmt...
    Wenn es nicht zum Heulen wäre...