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Frist vor Moral?

Zwölf Jahre lang dürfen Forschungsinstitute und Hochschulen ihre Angestellten immer wieder befristen. Die Ampel wollte das ändern, doch lieferte nicht. Diesen Mittwoch soll noch einmal eine Anhörung im Bundestag stattfinden.

Foto: KI.

SCHON DAS WORT. Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Ein Ungetüm, das zeigt, wozu die deutsche Grammatik in der Lage ist. Und die deutsche Wissenschaftspolitik: Denn mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz WissZeitVG, hat sie dem akademischen Arbeitsmarkt der Bundesrepublik eine Sonderstellung gegeben, der ihn international hervorhebt. Und zwar als abschreckendes Beispiel, finden zumindest viele der vom Gesetz direkt betroffenen jungen Wissenschaftler. 

 

2007 eingeführt, wurde das WissZeitVG zwischendurch hier und da reformiert und ergänzt, doch seine wichtigste Vorschrift blieb: Zwölf Jahre. Sechs vor der Promotion und sechs danach. So lange dürfen Hochschulen und Forschungsinstitute ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter immer wieder aufs Neue befristet anstellen, ohne dafür einen Sachgrund liefern zu müssen. Denn, so das Argument, sie befänden sich unabhängig von dem, was sie konkret tun, in der akademischen Qualifikation. 

 

Mit dem Ergebnis, dass an den Hochschulen selbst 40-Jährige noch als "akademische Nachwuchs" bezeichnet werden, solange sie nicht eine (in der Regel unbefristete) Vollprofessur ergattert haben. Denn andere wissenschaftliche Dauerstellen gibt es bislang kaum. Die Statistik ist atemberaubend: 2020 hatten 81 Prozent der wissenschaftlichen Hochschulmitarbeiter ohne Professorentitel einen befristeten Arbeitsvertrag. Im Vergleich zu acht Prozent aller deutsche Arbeitnehmer über 25 insgesamt.

 

Nach zwölf Jahren, in der Befristung auf Befristung folgt, heißt es schließlich: Raus aus der Wissenschaft, denn aus dem normalen Finanzhaushalt von Hochschulen und Forschungsinstituten dürfen die Betroffenen dann nicht mehr befristet weiterbeschäftigt werden. Pro Kind gibt es nochmal zwei Jahre Aufschub, doch spätesten danach sind nur noch Arbeitsverträge erlaubt, die aus Projektmitteln finanziert werden. Die einzigen verbliebenen Alternativen lauten dann: im fortgeschrittenen Alter irgendwie auf dem nichtakademischen Arbeitsmarkt Fuß fassen – oder wissenschaftliches Prekariat für immer.

 

Wie eine Zeichentrickfigur zum
Symbol einer Protestinitiative wurde

 

Die Frage, warum ein solches Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft überhaupt nötig ist, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einst in einem Zeichentrickvideo zu erläutern versucht. Darin tritt die fiktive Biologie-Doktorandin Hanna mit ihrer Befristungsgeschichte auf. "Damit auch nachrückende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Chance auf den Erwerb dieser Qualifizierungen haben und nicht eine Generation alle Stellen verstopft, dürfen Hochschulen und Forschungseinrichtungen befristete Verträge nach den besonderen Regeln des WissZeitVG abschließen", erklärt die Sprecherin im Video. So komme es zu Fluktuation, "und die fördert die Innovationskraft". 

 

Das BMBF-Video und seine Darstellung junger Wissenschaftler, die Stellen verstopfen, und Befristungen, die die Innovationskraft fördern, löste in der Wissenschaft eine aufgeregte Debatte aus – und führte zur Initiative "#IchbinHanna", die vor allem in den sozialen Medien gegen das WissZeitVG mobil machte. Und das sehr erfolgreich: Die Ampel versprach Ende 2021 in ihrem Koalitionsvertrag eine weitreichende WissZeitVG-Reform: "Dabei wollen wir die

Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase deutlich erhöhen und frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren schaffen." Und weiter: "Wir wollen die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen und darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden."

 

Für viele war es das Hauptprojekt der Bundes-Wissenschaftspolitik in dieser Legislaturperiode, erst recht angesichts des bundesweiten Fachkräftemangels, der auch auf die Hochschulen durchschlägt und sie zu attraktiveren Arbeitsbedingungen herausfordert. Doch geliefert hat die Koalition die Reform nicht. Stattdessen gab es jede Menge Streit und ein teilweise absurdes Vor und Zurück. Und zuletzt, vor dem Zusammenbruch der Koalition, ein Rest Hoffnung auf einen Erfolg in letzter Minute. Von der danach höchstens noch ein Fünkchen übrig ist.

 

Schritt eins: Die Evaluation des bisherigen Gesetzes vor 30 Monaten, im Sommer 2022. Vor 19 Monaten legte das BMBF erste Reform-Eckpunkte vor – und kassierte sie nach einem Proteststurm aus der Wissenschaftsszene nach nur 50 Stunden wieder. Vor 16 Monaten gab das BMBF seinen endgültigen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Da blieb er ein Dreivierteljahr hängen. Im März 2024 beschloss die Bundesregierung das Gesetz, aber in den Bundestag traute sich die Ampel damit weitere sieben Monate nicht. Denn der Hauptkonflikt ist bis heute nicht geklärt.

 

In wenigen Wochen schaffen, was
in all den Monaten nicht gelungen ist

 

Im Oktober folgte trotzdem der vorerst letzte Schritt: die erste Lesung im Parlament, das jetzt innerhalb weniger Wochen schaffen sollte, wozu die für das WissZeitVG zuständigen Fachpolitiker, das BMBF und die Bundesregierung insgesamt in all der Zeit nicht in der Lage waren: eine akzeptable Lösung zu finden für die über schwebende Frage: Wie lange sollen Postdocs, also Wissenschaftler nach der Promotion, künftig noch befristet beschäftigt sein dürfen? Im Kabinettsbeschluss stand: vier Jahre. Und weitere zwei Jahre, wenn die Mitarbeiter parallel die verbindliche Zusage für eine Dauerstelle danach erhalten. 

 

Doch was das BMBF als Kompromiss präsentiert hatte, fiel bei allen Beteiligten durch – bei den meisten Chefs von Hochschulen und Forschungsinstituten sowieso, die jede pauschale Verkürzung der Postdoc-Höchstbefristung ohne Ansehen von Institution und Fachkultur ablehnten. Aber auch bei "#IchbinHanna" und Gewerkschaften, die sich mit einer halbgaren Lösung abgespeist fühlten, die den Druck auf die jungen Wissenschaftler eher noch erhöhe. Bis ausgerechnet FDP-Wissenschaftspolitiker Stephan Seiter, Parteifreund der damaligen BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger, den Passus schon vor Monaten öffentlich kassierte. Mit Unterstützung von Grünen und SPD.

 

Doch wie es jetzt im Parlament weitergehen sollte, da gingen die Meinungen schon vor dem Koalitionsbruch auseinander. Seiter sagte, im Zweifel sei es besser, bei den bisherigen sechs Jahren zu bleiben. Das aber wollte die SPD nur, wenn parallel die sogenannte Tarifsperre gelockert würde. Und zwar mindestens so weit, dass akademische Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen künftig direkt miteinander und möglichst frei über "Umfang, Dauer und Umstände" der sogenannten Postdoc-Höchstbefristung verhandeln könnten, wie SPD-Wissenschaftsexpertin Carolin Wagner sagte. 

 

Was die FDP mit einer Warnung vor einem bundesweiten "Flickenteppich" ablehnte. Wie realistisch die so beschworene Gefahr ist, sei dahingestellt, denn verhandeln würde auf Seiten der Arbeitgeber wohl die Tarifgemeinschaft der Länder – in der bis auf Hessen alle Mitglied sind. Die Grünen warnten ihre Koalitionspartner, alle müssten jetzt kompromissbereit sein. Das alles war freilich, bevor die Christian Lindner gefeuert wurde und die übrigen FDP-Minister, Stark-Watzinger eingeschlossen, die Koalition verließen.

 

Anhörung trotz Koalitionsbruch und
Ärger um eine Experteneinladung

 

Und jetzt? Die für diesen Mittwoch im Bundestags-Forschungsausschuss angesetzte Anhörung soll noch stattfinden. Eingeladen sind unter anderem Vertreter von Wissenschaftsrat, Hochschulrektorenkonferenz, Forschungsorganisationen und DGB. Viel Neues dürfte dabei freilich nicht mehr herauskommen, denn wie die Grüne Laura Kraft, freilich vor dem Koalitionsbruch, sagte: "Auf fachlicher Ebene seien seit Monaten alle Argumente ausgetauscht. Es gibt keine neuen Erkenntnisse mehr, alle Positionen und Alternativen liegen auf dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine politische Einigung."

 

Abgesehen davon, ob die inhaltlich vorstellbar ist, sieht es derzeit kaum so als, als würde das Gesetz überhaupt noch zu Ende behandelt werden. Selbst nachdem sich SPD und Union auf einen Wahltermin am 23. Februar geeinigt haben und für den Fall, dass im Gegenzug jetzt tatsächlich noch ein paar letzte gemeinsame Gesetzesbeschlüsse durchgehen, dürfte das WissZeitVG eher nicht gehören. Und wenn, dann nur in einer abgespeckten Variante – mit neuen Mindestvertragslaufzeiten, aber ohne Klärung der Postdoc-Frage.

 

Zumal bereits die Vorbereitung der Anhörung von Kritik und Streit begleitet war. Die Linken-Politikerin Petra Sitte teilte am Montag in den sozialen Medien eine Liste der Eingeladenen, am Rand eine von Sitte ergänzte geschweifte Klammer, die bis auf die DGB-Vertreterin alle aufgeführten Personen umfasste, daneben die handschriftliche Bemerkung: "im Wesentlichen einer Meinung." Und die Sittes Kommentar: "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, #IchbinHanna NICHT EINGELADEN!!!"

 

Verärgert ist man auch bei der Union. Mit als letzte Ampel-Amtshandlung im Forschungsausschuss lehnten SPD, Grüne und FDP vergangene Woche die Benennung des sächsischen Wissenschaftsstaatssekretärs Andreas Handschuh als Sachverständigen ab mit dem Verweis auf die Geschäftsordnung, die eine Einladung von Landesbediensteten nicht zulasse. Wobei der betreffende Artikel 70 in Wirklichkeit "berechtigte Ausnahmefälle" erlaubt.

 

Das habe er in über 20 Jahren als Parlamentarier noch nie erlebt, erregte sich der aus Sachsen stammende CDU-Wissenschaftspolitiker Lars Rohwer. Es sei das Recht jeder Fraktion, für Anhörungen eigene Sachverständige zu benennen. Die Weigerung der Ampel sei ein "klarer Eingriff in unsere Rechte als Opposition".

 

Während der zuständige SPD-Fraktionssprecher Oliver Kaczmarek konterte, eine  begründete Ausnahme liege nicht vor, da die Bundesländer über den Bundesrat bereits beteiligt würden. Die Aufregung in der Union sei also weder sachgerecht noch werde sie "politisch verantwortlichem Handeln in schwierigen Zeiten gerecht".

 

Der Blick geht in Richtung
neue Legislaturperiode

 

Eine schon ältere Idee hatte zuvor der Berliner Philosophieprofessor Tobias Rosefeldt für die Debatte wiederbelebt: Eine Länderöffnungsklausel im WissZeitVG könnte es den Bundesländern explizit gestatten, "die befristete Beschäftigung an ihren Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch weitere Maßnahmen zu regulieren, die im Moment auf Bundesebene nicht zustimmungsfähig sind", sagt Rosefeldt. Wie kürzere Postdoc-Höchstbefristungen. 

 

Die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, die mit einer vielbeachteten und umstrittenen Änderung des Berliner Hochschulgesetzes die Postdoc-Befristungen massiv einschränken wollte, hat mit Hinweis auf juristische Bedenken gerade einen Rückzieher gemacht. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die meisten Landeswissenschaftsminister eine solche Öffnungsklausel ohnehin ablehnen, das Argument wieder: Flickenteppich. Wobei, betont wiederum Rosefeldt, der Bund die Länder gar nicht fragen müsse, schließlich handle es sich nicht zum ein zustimmungspflichtiges Gesetz. "Dann könnten zumindest die progressiven Landesregierungen handeln."

 

Vielleicht ja ein Thema, das dann in der nächsten Legislaturperiode wieder auf den Tisch kommt. Für die verbleibenden Wochen bis zur vorgezogenen Bundestagswahl hingegen sieht es eher so aus, als sei die Zeit für ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz abgelaufen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in einer früheren Fassung zuerst in der Wochenzeitung "Der Freitag". Für den Blog wurde er aktualisiert und ergänzt.



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Kommentare: 3
  • #1

    Michael Weber (Mittwoch, 13 November 2024 12:08)

    Selbst an der Darstellung einer simplen Uhr scheitert die KI. Ein sehr schönes kleines Beispiel dafür, was sich mit KI ändert - beispielsweise die Prozesse. Statt eines vertrauensvollen Lieferanten, den ich bezahlen muss, benötige ich eine Qualitätssicherung, die unter Umständen aufwändig ist.

  • #2

    Wolfgang Kühnel (Mittwoch, 13 November 2024 13:07)

    "Selbst an der Darstellung einer simplen Uhr scheitert die KI."
    Ja, das ist lustig. Und niemand bemerkte es, denn das Bild kommt ja nicht direkt hier auf die Seite. Aber vielleicht soll das Bild ja verdeutlichen, dass da die Uhren falsch gehen. :-)

    Weiterhin gibt es kein Wort dazu, wie man das in europäischen Nachbarländern oder in USA macht. Stattdessen ist viel von Parteien die Rede. Typisch: Die Parteien wissen, was gut für uns ist.

  • #3

    Kaktus (Samstag, 16 November 2024 20:47)

    Wenn ich höre, dass man in der Wirtschaft im Alter von 30-40 Jahren um die 100k EUR verdienen kann, und die dt Wissenschaft Leute mit 40 als Nachwuchs bezeichnet und dementsprechend auch schlecht bezahlt, haben diese Profs eigentlich noch Glück, dass sie im Moment noch Leute finden, die fuer sie arbeiten wollen.
    Aber mit der schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland, den teuren Mieten wird sich das bald erübrigen.
    Wer will schon so eine Familie ernähren ?