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Neuer Minister, alte Affäre

Die Fragen sind drängend, die Informationen noch spärlich: Was plant der neue BMBF-Chef in der Fördermittelaffäre? Wird Cem Özdemir die Verschwiegenheitspflicht der geschassten Staatssekretärin Döring aufheben? Was hat er mit den brisanten "Wire"-Chats vor? Und wie will er die Führungsspitze des Ministeriums aufstellen?

WER IST JETZT EIGENTLICH WAS im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nach dem Abgang von Bettina Stark-Watzinger (FDP)? Eine Frage, die sich üblicherweise am besten mit einem Blick aufs Organigramm eines Ministeriums beantworten lässt. Das aber ist seit mehreren Tagen offline. Und an der Stelle der BMBF-Website, wo bis vor kurzem die Leitung des Hauses vorgestellt wurde, inklusive parlamentarischen und beamteten Staatssekretären, finden sich derzeit nur Foto und Lebenslauf des neuen Ministers, Cem Özdemir (Grüne).

 

Was insofern wundert, weil zwar die parlamentarischen Staatssekretäre Jens Brandenburg und Mario Brandenburg automatisch mit Stark-Watzinger aus dem Amt geschieden sind, nicht aber die beamteten: Judith Pirscher und der erst vor kurzem auf den Posten beförderte Roland Philippi. Wer "Judith Pirscher" und "BMBF" googelt, findet auf diesem Umweg immerhin noch ihr BMBF-Porträt. Wer dasselbe mit "Roland Philippi" und "BMBF" versucht, bleibt dagegen erfolglos. Auch interessant. Dazu später mehr.

 

Immerhin bringt die Website hervor, dass die ebenfalls erst neulich von Stark-Watzinger berufene neue Pressesprecherin des Ministeriums, Kathrin Mendorf, noch ihren Job hat. Sie ist erst seit sechs Wochen dabei, war vorher Pressesprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, davor einmal Büroleiterin von Christian Linder im NRW-Landtag und hatte sich ihren Antritt im BMBF sicherlich anders vorgestellt. Sie ersetzte den glücklosen Nils Droste, von dem schon inmitten der Fördermittelaffäre im Ministerium berichtet wurde, seine Ablösung stehe unmittelbar bevor. Droste, der vor seinem Wechsel ins BMBF ebenfalls Pressesprecher der FDP-Bundestagsfraktion war, wurde von Stark-Watzinger zum Referatsleiter Forschungssicherheit und Investitionsprüfung gemacht. Übrigens fiel die BMBF-Pressestelle auch abseits der Leitung in dieser Legislaturperiode vor allem durch zweierlei auf: durch ständig wechselndes Personal und die allzu oft schablonenhafte Beantwortung von Anfragen. 

 

Zurück zu Kathrin Mendorf. Wer seit Özdemirs Amtsantritt etwas vom neuen Minister wissen wollte, lernte allerdings schon wieder jemanden Anderen kennen. Julian Mieth, seit Anfang 2022 Leiter der Pressestelle des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und Sprecher des Ministers. Er hatte in den vergangenen Tagen gut zu tun. Denn kaum eine Woche im Amt, drängt die Wissenschaftscommunity auf Antworten: Wie geht es denn jetzt weiter mit der Aufklärung der Affäre, die Stark-Watzinger schon mehrfach für erledigt erklärt hatte? Was wird aus der Veröffentlichung der umstrittenen Wire-Chats, die die frühere Ministerin stets abgelehnt hatte? Und erhält die von Stark-Watzinger geschasste Staatssekretärin Sabine Döring jetzt das öffentliche Rederecht, das ihr bisher untersagt worden war?

 

Der neue Sound Özdemirs hat die Antworten
der Pressestelle noch nicht erreicht

 

Angesichts der Offenheit und Zugewandtheit, mit der Özdemir gleich in seinen ersten BMBF-Tagen etwa beim Bund-Länder-Reizthema Digitalpakt 2.0. in Erscheinung getreten war, Stichwort "Tauwetter", ernüchtert seine Schmallippigkeit zur Fördermittelaffäre dann doch etwas. Die Äußerungen des Ministeriums fallen so knapp aus, dass sie hier vollständig dokumentiert werden können.

 

Frage 1: "Wird Bundesminister Özdemir die Schweigepflicht für Sabine Döring aufheben, und wenn nein, warum nicht?"

 

Antwort des BMBF: "Zur Frage der Aufhebung der Verschwiegenheitsverpflichtung ist nach Einlegung der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Münster durch Frau Staatssekretärin a.D. Professor Dr. Döring weiterhin ein verwaltungsgerichtliches Verfahren anhängig."

 

 

Frage 2: "Wie wird das BMBF mit der laufenden gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Online-Plattform "FragDenStaat" zur Herausgabe der Wire-Chats verfahren? Wird diese wie bisher fortgesetzt?"

 

Antwort: "Das Eilrechtsverfahren zur Herausgabe von Wire-Chatnachrichten vor dem Verwaltungsgericht Köln wurde vergangene Woche mit einem ablehnenden Beschluss zu Lasten des Antragsstellers entschieden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig."

 

Frage 3: "Welche Bedeutung räumt Bundesminister Özdemir einer weiteren Aufklärung der Vorgänge ein, und wie will er diese vornehmen?"

 

Antwort: "Bundesminister Özdemir verschafft sich derzeit einen Überblick über die anstehenden Aufgaben und prioritären Themen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Er wird sich auch zur Rechtslage und damit verbunden der Frage der Fortsetzung von anhängigen Rechtsstreitigkeiten informieren und die erforderlichen Entscheidungen treffen."

 

Frage 4: "Sind die Chatverläufe der Wirechats, besonders der "F-Runde Kommunikation" und der "F-Runde BMBF", bis zum aktuellen Stand des Rücktritts von Bundesministerin Stark-Watzinger vollständig gesichert?"

 

Antwort: "Das BMBF folgt bei der Veraktung in jedem Fall den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Aktenführung, wie sie die Richtlinie über das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien vorsieht."

 

Das politische Momentum zur
ernsthaften Aufklärung ist jetzt

 

Nach Transparenzoffensive klingt das erstmal nicht. Aber klar, die Aussage in Antwort 3 sticht schon: Özdemir ist erst ein paar Tage im Amt, er sollte erst genau wissen, was seit Beginn der Fördermittelaffäre im Ministerium vor sich gegangen ist, wer was getan und gesagt hat, welche Dokumente und Aufzeichnungen überhaupt vorhanden sind und was die Juristen sagen. Allerdings sollte er sich erstens nicht zu viel Zeit damit lassen und zweitens aufmerksam hinschauen, wer im BMBF ihm etwas zur Affäre sagt und was womöglich dessen eigene Interessen und Rolle angeht. Das politische Momentum zur ernsthaften Aufklärung ist jetzt, noch ist Özdemir frei jeglicher Verantwortung – bis auf die Verantwortung zur lückenlosen Aufklärung.

 

Die anderen Antworten des BMBF hören sich indes nicht so an, als sei Özdemirs neuer Sound schon in der Pressearbeit angekommen. Die politische Frage nach der Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht mit dem Hinweis auf die seit Monaten laufende juristische Auseinandersetzung mit Döring zu kontern, ist eine Nichtantwort, die den vertrauten Schablonen entspricht. Natürlich kann ein Minister die Verschwiegenheitspflicht aufheben, wenn er das will, ganz unabhängig von Gerichtsverfahren. 

 

Fast schon ärgerlich ist die Antwort auf die Frage, ob das BMBF sich weiter mit "FragDenStaat" um die Herausgabe der Wire-Chats streiten wird, anstatt sie von sich aus freizugeben. Denn die Antwort ist gleich doppelt irreführend: Tatsächlich hatte das BMBF vor Gericht nämlich längst zugesichert, die Chatnachrichten auf den Diensthandys nicht zu löschen, weshalb, wie ein Kölner Gerichtssprecher es formuliert, der Eilantrag "teilweise von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt" worden sei. Nur der Teil, in dem "FragDenStaat" die Sicherung der Chatnachrichten auch auf privaten Handys etwa von Ex-Ministerin Stark-Watzinger verlangt hatte, wurde vom Gericht abgelehnt, vor allem weil der Bund keinen Zugriff auf den betreffenden Server habe bzw. sie nicht kontrollieren könne, wie der Gerichtssprecher sagte. 

 

Zweitens klingt die Antwort so, sei das Gerichtsverfahren ein Automatismus, womit das BMBF sich um die Antwort herumdrückt, ob und warum es jetzt nicht von sich aus die juristischen Streitigkeiten mit "FragDenStaat" beendet. Arne Semsrott von "FragDenStaat" teilte unterdessen auf Anfrage mit, dass man Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingereicht habe und erreichen wolle, "dass sämtliche amtlichen Nachrichten vor einer Löschung geschützt werden – egal, wo sie gespeichert sind".

 

Und schließlich stammt auch die Antwort auf Frage 4 aus dem bisherigen Playbook der BMBF-Krisenkommunikation und wäre unter Stark-Watzinger genauso beantwortet worden – nämlich gar nicht. Ein letztes diesbezügliches Beispiel lieferte die erste der beiden ausstehenden Antworten auf Kleinen Anfragen der Union, unterzeichnet noch am 7. November durch den kurz danach aus dem Amt geschiedenen Jens Brandenburg, über die zuerst Table Media berichtete. 

 

Die Koordination der BMBF-Öffentlichkeitsarbeit lag übrigens am Freitagmorgen, soweit bekannt, offiziell noch in den Händen der FDP-Männer Michael Zimmermann (Leiter Kommunikation) und Daniel Rudolf (Chef der Leitungsabteilung), zwei Angehörige der im BMBF als "Soldateska" bezeichneten mittlere Führungsriege früherer Bundeswehroffiziere, die als enge Gefolgsleute Stark-Watzingers galten.

 

Wie gesagt: Man sollte fair bleiben. Özdemir ist neu im BMBF und hat noch ein anderes Ministerium zu führen. Bleibt zu hoffen, dass er am Ende tatsächlich eine andere Linie im Umgang mit der Affäre fahren wird als seine Vorgängerin. Spätestens dann, wenn Döring einen erneuten Antrag auf Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht stellen sollte, ist der Moment gekommen.

 

Die Personalprobleme
des neuen Ministers

 

In der Zwischenzeit hat der neue Minister weitere drängende, teilweise damit zusammenhängende Probleme. Soll er noch neue parlamentarische Staatssekretäre berufen? Wichtig wäre es, denn sie schaffen die Rückbindung ins Parlament und spielen eine wichtige Rolle bei der öffentlichen Außenvertretung des Ministeriums – erst recht, wenn der Minister zwei Häuser führen muss. Umgekehrt kostet jeder parlamentarische Staatssekretär, wenn er dann wieder geht, mindestens 60.000 Euro Übergangsgeld. Arbeitet man hier an einer pragmatischen Lösung, die zugleich der schwäbischen Herkunft des Ministers entspricht? 

 

Einen noch höheren politischen Preis hätte es, den erst im Juli zum beamteten Staatssekretär beförderten FDP-Mann und Stark-Watzinger-Vertrauten Roland Philippi im Amt zu belassen. Schon seine Berufung war umstritten, gehörte er doch laut den bekanntgewordenen Wire-Chatprotokollen in der Fördermittelaffäre zu den Scharfmachern, bezeichnete Hochschullehrende als "verwirrte Gestalten" und schwadronierte über eine Selbstzensur aus Angst vor Fördermittelentzug. Soll er wirklich unter einem Minister Cem Özdemir im Amt bleiben?

 

Seine Ablösung würde rund 70.000 Euro Übergangsgeld kosten, und auch nur deswegen nicht mehr, weil er erst so kurz im Amt ist. Nur gibt es erste Stimmen aus der Wissenschaft und der grünen Community, die einen anderen Weg vorschlagen: Man könnte ja die entlassene Sabine Döring als Staatssekretärin reinstallieren – als Nachfolgerin ihres eigenen Nachfolgers. Das käme sogar günstiger, weil die noch über viele Monate Übergangsgeld bezieht. Realistisch? Wohl weniger. 

 

Fest steht allerdings: Özdemir, der erfahrene Politiker und versierte Minister, wird sich beim Umgang mit Fördermittelaffäre und personellen Altlasten nicht lange auf die nötige Einarbeitungszeit berufen können. Das weiß er natürlich selbst und dürfte daher bald handeln. Einen wichtigen Mann an der Seite jedoch büßt er ausgerechnet jetzt selbst ein. Am Donnerstag wurde bekannt, dass Julian Mieth Wahlkampfsprecher für Bündnis 90/Die Grünen an der Seite von Robert Habeck wird. Schon heute soll sein letzter Tag im BMEL sein. Und damit auch im BMBF.

 

Nachtrag am 15. November, 12.20 (und später ergänzt)
Özdemir lässt beide beamtete Staatssekretäre gehen

Dass der neue BMBF-Chef bald handeln würde, hatte ich am Morgen noch als wahrscheinlich dargestellt. Aber so bald, das überrascht dann doch. Wie zuerst Thorsten Denkler von Table Media auf "X" berichtete, wurden sowohl Judith Pirscher als auch Roland Philippi von ihren Aufgaben entbunden, offenbar zunächst ohne Nachfolger. Zugleich wählte Özdemir für die Erledigung der Aufgaben der bisherigen parlamentarischen Staatssekretäre Mario Brandenburg und Jens Brandenburg die vermutete schwäbische Lösung: Claudia Müller, parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, soll das BMBF mit vertreten.

 

Table Media schrieb am Nachmittag, nach einem tagelangen Prozess, den federführend das Bundeskanzleramt an sich gezogen habe, sei klar dass die Positionen der beiden beamteten Staatssekretäre nicht vor der Bundestagswahl nachbesetzt werden sollten.

 

Ob das tatsächlich für eine mindestens ein halbes Jahr lang dauernde Übergangszeit bis zum Start einer neuen Regierung trägt, bleibt abzuwarten. Oder lautet die Botschaft schlicht, dass man einfach nicht mehr damit rechnet, dass etwas geschieht? Wie etwa passt das zu Özdemirs Ambitionen in Sachen Digitalpakt-Verhandlungen? Ohne Staatssekretäre?

 

Womöglich werden demnächst, apropos FDP-Soldateska, weitere Personalentscheidungen bekannt. Fest steht: Die Berufung von Philippi, von Anfang an stark kritisiert und doch mitgetragen durch die damaligen Ampelpartner SPD und Grüne, war am Ende eine kurze, aber teure Angelegenheit. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Demokrat (Sonntag, 17 November 2024 08:46)

    Gemäß GG §33 und insb. Absatz 2 hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

    Eine wichtige Fragestellung die sich ergibt ist, wie resilient der Beamtenapparat gegenüber der politischen Leitung der Bundesministerien ist. Bei der aktuellen Einstellungspolitik scheint jedoch die Parteizugehörigkeit nicht nur bei führendem Personal, sondern vermehrt auch bei dein "einfachen" Mitarbeitenden das ausschlaggebende Kriterium zu sein.

    Beamte in politischen Ämtern (LS-Bereich, Leitungsnähe etc.) parteinah einzustellen war und ist gängige Praxis. Das Problem entsteht, wenn sogar ReferentInnen und Referatsleitungen vermehrt über die Parteischiene eingestellt werden. Hier gibt es scheinbar eine neue Qualität im Vorgehen im Vergleich zur Einstellungspolitik der vorhergehenden LPs .

    Das Problem entstünde, wenn in einigen Jahren Parteien in Amt und Würden gelangen, die es mit der Verfassungstreue nicht mehr so genau nehmen. Genau dann müsste der unabhängige Beamtenapparat seinen verfassungsrechtlichen Auftrag wahrnehmen und das Schlimmste verhindern. Wir sehen aber an der aktuellen Einstellungspolitik, dass diese Flanke in den Ministerien offen ist. Vor allem, wenn persönliche ReferentInnen mit Referatsleitungen versorgt werden und dann die vakanten Stellen (weil leitungsnah) wieder mit Parteigenossen unter Ausschreibungsverzicht besetzt werden. Das selbe gilt für fast alle Einstellungen im Leitungsbereich.

    Problem ist: an den Töpfen wollen alle Parteien partizipieren. Also: wer wacht darüber?