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Hanna stand nicht auf der Gästeliste

"Die jungen Leute" kamen bei der Bundestags-Anhörung zum Wissenschaftzeitvertragsgesetz nur in Wortbeiträgen vor. Denn die "Sachverständigen", die auftraten, waren überwiegend Interessenvertreter nur einer Seite. Wie konnte es dazu kommen? Ein Gastbeitrag von Lisa Janotta, Thomas Kirchner und Álvaro Morcillo.

Screenshot aus dem BMBF-Erklärvideo zum WissZeitVG von 2021.

AM 13. NOVEMBER 2024 wurden im Bildungsausschuss des Bundestages Sachverständige zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) angehört. Seit Sommer 2022 lief der sogenannte Stakeholder-Prozess des BMBF zur Novellierung des WissZeitVG. Inzwischen hat die verbliebene Bundesregierung keine Mehrheit mehr, um eine Novelle zu verabschieden, die die Versprechen des Koalitionsvertrags auch nur teilweise einlösen könnte.

 

Die Anhörung bot dennoch Einblicke – weniger in die Probleme von "#IchbinHanna" als vielmehr in die Wissenschaftspolitik: eine Expertenanhörung, in der kaum Expert:innen in der zu behandelnden Sache, sondern fast nur Interessenvertreter einer Seite gehört wurden; Bundestagsabgeordnete, die davor zurückschrecken, als Gesetzgeber in einen Konflikt zum Schutz der Arbeitnehmer:innen und der Wissenschaft einzugreifen.

 

So war ernüchternd, dass Wolfgang Wick, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, nur digital als Sachverständiger teilnahm und nach seinem fünfminütigen Beitrag nicht mehr für Fragen zur Verfügung stehen konnte. Dies war umso bedauerlicher, wenn man beachtet, dass Wick und Sonja Bolenius als DGB-Vertreterin die einzigen wirklichen Sachverständigen in der Runde waren. Die einzigen, die echte Expertise zu den Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft (Bolenius) bzw. zu erstrebenswerten wissenschaftlichen Karrierestrukturen (Wick) beitragen konnten. Zu letzteren bereitet der Wissenschaftsrat seit geraumer Zeit ein Papier vor.

 

Ein Fall "dazwischen" war Olaf Deinert – wie Bolenius von der SPD eingeladen –, ein Arbeitsrechtler, aber ohne spezifischen Fokus auf Hochschularbeitsrecht, geschweige auf Arbeit in der Wissenschaft. Die übrigen vier "Sachverständigen" kann man getrost als Interessenvertreter der Arbeitgeberseite bezeichnen. 

 

Allgemeinplätze zur Verteidigung einer
international einmaligen Befristungsquote

 

Ohne Belege trugen sie schon oft gehörte Allgemeinplätze zur Verteidigung der international einmaligen Befristung von – laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) – drei Viertel der PostDocs vor: dass Befristung die wissenschaftliche Produktivität erhöhe zum Beispiel, dass nur befristete Verträge angemessene Qualifizierungschancen für künftige Generationen garantierten, dass "junge Leute" (zu diesem Ausdruck später mehr) neue Ideen mitbrächten, dass die durch das WissZeitVG ermöglichte hohe Befristungsquote ein zielführendes Mittel der Bestenauslese sei, etc. 

 

All diese Argumente sind ihrer Natur nach falsifizierbare Kausalzusammenhänge. Antworten auf die Frage nach den Bedingungen qualitativ hochwertiger Forschung, Produktivität und guter Lehre könnten wohl Wissenschaftssoziologen und Hochschulforscherinnen geben. Der Chef der Max-Planck-Gesellschaft, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz sowie auch der Vertreter des Universitätsverbundes German U15 – der den Klimawandel als Begründung für die Befristung heranzog – konnten Fragen nach den Arbeitsbedingungen, die wissenschaftliche Erfolge herbeiführen, nicht beantworten. Sie haben schlicht keine über ihre Leitungsfunktion hinaus gehende akademisch fundierte Expertise zum Thema Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Und so hatten sie vor allem eines anzubieten: Narrative, die das Interesse von Arbeitgebern nach flexibel austauschbaren Arbeitskräften zu stützen suchten. 

 

Man fragt sich, warum nicht zumindest Grüne und SPD mehr Expert:innen einladen wollten, die hätten aufzeigen können, wie das aktuelle WissZeitVG die wissenschaftliche Qualität in Deutschland vielmehr gefährdet als sichert. Dass die Grünen HRK-Präsident Walter Rosenthal einluden, ist inhaltlich besonders schwer nachvollziehbar, da ihre Berichterstatterin, Laura Kraft, in den vergangenen drei Jahren zwar nicht allen Argumenten der Arbeitnehmerseite folgte, aber stets beteuerte, die Lage der Beschäftigten verbessern zu wollen. Die konsequente Einseitigkeit spielt jenen in die Hände, die wie MPG-Präsident Patrick Cramer wiederholt von "jungen Leuten" sprachen, denen man helfen wolle. Ungeachtet dessen, dass selbst die erfolgreichsten Wissenschaftler:innen im Durchschnitt erst nach 43 Lenzen Professor:innen werden. 

 

Ausgerechnet diese "jungen" Betroffenen haben selbst viel dazu beigetragen, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen des WissZeitVG zu liefern, unter anderem mit einer Evaluation, die viel weitreichender ist als die vom BMBF beauftragte und sogar die negativen Auswirkungen der Befristungspraxis auf die Wissenschaftsfreiheit zeigt.

 

Eine konsensorientierte Politik kann
in dieser Konstellation nicht gelingen

 

Wie erklären sich die Einladungsentscheidungen der Fraktionen? Fürchtet sich die Mehrheit der Abgeordneten so sehr vor der Reaktion von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sollten die umfassenden Befristungsmöglichkeiten angetastet werden?

 

Fest steht: Eine konsensorientierte Politik kann nicht funktionieren in einer Situation, in der eine kaum organisierbare Seite, "#Ichbinhanna", um ihre materielle und ideelle Existenz kämpft, und die andere Seite ihre umfangreichen Ressourcen einsetzen einsetzen kann, ein der Sache – der Wissenschaft – abträgliches, aber liebgewonnenes Personalmanagementwerkzeug beizubehalten.

 

Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Arbeitsrecht anders zu gestalten. Die Abgeordneten können die Arbeitgeber in der Wissenschaft mit Angeboten wie dem Tenure-Track-Programm bislang kaum steuern. Deshalb war der entscheidende Moment in der Anhörung, als Holger Mann von der SPD bemerkte: "Wir haben nur einen verschwindend geringen Anteil von Wissenschaftler:innen auf unbefristeten Stellen. Wenn wir unsere Verantwortung wahrnehmen als Bundesgesetzgeber für das Arbeitsrecht und […] drauf drängen, dass a) entweder zwischen den Tarifpartnern ausverhandelt wird, was ja dann auch individuelle Lösungen möglich machen würde, oder b) aber sagen, wir erwarten schon, dass in einem öffentlichen Bereich, der zu 90 Prozent gefördert würde, auch entsprechende Arbeitsverhältnisse herrschen. Ob Sie nicht glauben, dass es […] diesen Schritt jetzt auch irgendwann mal braucht?"

 

Kein Vertreter der Arbeitgeberseite wollte antworten. Aber die Frage von Holger Mann lässt sich auch an die CDU/CSU und vor allem an die Grünen richten: Verantwortung zu übernehmen heißt nicht, im vorauseilenden Gehorsam den Arbeitgebern gegenüber das Feld zu räumen, sondern das WissZeitVG gezielt zu ändern. Mit einem engen Qualifikationsbegriff und kurzen PostDoc-Phasen, sodass diese Ausnahme im Gesetz auch die Ausnahme in der Wissenschaft wird. Am Ende sind auch die Bundestagsabgeordneten verantwortlich für die Weitergeltung eines WissZeitVG, das sie in dieser Legislaturperiode hätten ändern können.

 

Lisa Janotta ist Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Osnabrück. Thomas Kirchner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physik der MLU Halle-Wittenberg. Álvaro Morcillo war Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton und hat ein Buch zur internationalen Wissenschaftsförderung verfasst, das demnächst bei Oxford Press erscheint. Alle drei sind aktiv beim Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss).



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