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Was der DFG-Förderatlas über die Entwicklung der deutschen Forschungspolitik aussagt

Er ist Exzellenzranking und wissenschaftspolitischer Gradmesser zugleich. Jetzt ist seine neueste Ausgabe erschienen. Die vier wichtigsten Erkenntnisse aus dem "Förderatlas 2024".

ALLE DREI JAHRE veröffentlicht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihren Förderatlas. Seit seiner Erstausgabe 1997 hat er sich zum Gradmesser der deutschen Wissenschaftspolitik entwickelt, gibt er doch mit einer Vielzahl an Statistiken, Ranglisten und Vergleichsdaten Aufschluss über die Frage, wo in Deutschland wieviel für die Forschung fließt – und wer dafür was bezahlt. Weil in Deutschland die Erhebung statistischer Daten meist etwas länger dauert, deckt der am Montag zusammen mit Hochschulrektorenkonferen (HRK) und Stifterverband in Berlin vorgestellte "Förderatlas 2024" die Jahre 2020 bis 2022 ab – zeigt aber eine Reihe teilweise bedenklicher Entwicklungslinien, die aktuell zu Diskussionen führen sollten. Hier die vier wichtigsten. 

 

1. München bei den DFG-Bewilligungen einsame Spitze,
der Osten fällt zurück

 

Die Top 10 der Universitäten in Deutschland, die 2020 bis 2022 am erfolgreichsten beim Einwerben von Forschungsdrittmitteln der DFG sind, führt von zwei Münchner Universitäten angeführt: die LMU München (335 Millionen Euro) , dicht gefolgt von der TU München (333 Millionen Euro). Nur wenig dahinter liegt die RWTH Aachen (325 Millionen), der Abstand zur Universität Heidelberg (308 Millionen) ist schon deutlich größer. Auf Platz fünf kommt die erste Berliner Hochschule, die Freie Universität mit 297 Millionen. Die Universität Bonn (294 Millionen) ist auf den sechsten Platz nach vorn gesprungen (zuvor Platz 15). Die erste Nicht-Exzellenzuniversität im Ranking und enorm stark: die Universität Erlangen Nürnberg, mit 289 Millionen von Platz zehn auf sieben geklettert. Danach eine ehemalige und zwei aktuelle Exzellenzuniversitäten: Freiburg, Tübingen und in die Top 10 aufgestiegen: die Universität Hamburg. 

 

Die erste ostdeutsche Universität, die TU Dresden, taucht auf Platz 13 auf, "welch ein Absturz", kommentierte der Wissenschaftsjournalist Manfred Ronzheimer auf "X". Im Zeitraum von 2017 bis 2019 reichte es für Platz 5. Die nächste ostdeutsche Universität, Jena, steht erst auf Platz 24 auf, Leipzig erreichte Platz 26. Ansonsten unter den Top 40: Fehlanzeige.

 

Das Ranking-Bild dreht sich, wenn man die unterschiedlichen Fachstrukturen oder die Zahl der Professoren berücksichtigt. Pro Kopf am erfolgreichsten bei der Drittmittel-Einwerbung waren die Universitäten Freiburg, Konstanz, Hannover (!), Tübingen und Heidelberg. Qualitätsvorsprung Südwest ist insofern das Motto. Hier folgt die TU München erst auf Platz sechs, und die LMU folgt erst hinter Stuttgart, Bochum, Aachen, FU Berlin, Karlsruhe, Mannheim und Köln. Die stärkste ostdeutsche Uni ist dann Erfurt auf Platz 16, insgesamt sind immerhin fünf ostdeutsche Hochschulen unter den Top 40.

 

100 Hochschulen für Angewandte Wissenschaften konnten auch ein paar DFG-Mittel einstreichen, allerdings nur im mikroskopischen Bereich. Zusammengenommen erreichten sie 2020 bis 2022 nur 0,7 Prozent der Bewilligungen. Doch versichert DFG-Präsidentin Katja Becker, dies sei "noch bevor unsere neu entwickelten Maßnahmen zur stärkeren Förderung erkenntnisorientierter Forschung an HAW und Fachhochschulen in voller Breite Wirkung zeigen konnten. Durch sie ist das politisch gesetzte 1-Prozent-Ziel inzwischen erreicht." Ob das auch ohne Druck der Politik geklappt hätte?

 

2. Die Drittmittel steigen wieder deutlich stärker als die Grundmittel

 

"Endlich", titelte ich hier im Blog nach der Vorstellung des "DFG-Förderatlas 2018": "Erstmals seit vielen Jahren war 2014 die Grundfinanzierung der Hochschulen schneller gewachsen als die Drittmittel. "Ich hoffe, das ist nicht nur eine Momentaufnahme, sondern endlich die überfällige Trendwende", sagte der damalige HRK-Vizepräsident Ulrich Rüdiger. Es gebe eine "neue Dynamik" bei den Grundmitteln, konstatierte auch Peter Strohschneider, zu der Zeit DFG-Präsident.

 

Droht jetzt wieder die Rückkehr zur alten Schieflage? Fest steht: Im Jahr 2022 erhielten die deutschen Hochschulen laut Förderatlas zwar 12,9 Prozent mehr Grundmittel als 2019 (insgesamt 26,7 Milliarden Euro). Doch kletterten die Drittmittel im gleichen Zeitraum um 19,1 Prozent auf 10,4 Milliarden. Womit die Drittmittelquote, also der Anteil der Drittmittel an der Hochschulfinanzierung, einen Sprung von 26,9 Prozent auf 28,0 Prozent machte. Schon in den Jahren zuvor war die Quote wieder leicht gestiegen, doch den deutliche Anstieg sieht auch DFG-Präsidentin Becker jetzt als "problematisch": Drittmittel seien für die Hochschulen als zusätzliche Finanzierungsquelle und vor allem für ihre "Profilbildung" von großer Bedeutung. "Für ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und auch für die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung insgesamt sind die Hochschulen aber in hohem Maße auf eine auskömmliche Grundfinanzierung angewiesen." 

 

Wie sich aktuell die Hochschulfinanzierung bundesweit entwickelt, habe ich gerade in einer Übersicht dargestellt. Bei allen dabei sichtbar werdenden Unterschieden zwischen den Bundesländern: Es scheint absehbar, dass sich die Schieflage zwischen Grund- und Drittmitteln noch verschärfen könnte.

 

3. Wieder weniger: Die Wirtschaft zieht sich zurück

 

Es ist eine dramatische Entwicklung, die allerdings in den öffentlichen Debatten kaum eine Rolle spielt. Seit 2006 hat sich der Anteil der Wirtschaft als Drittmittelfinanzierer fast halbiert: von gut 26 Prozent auf nur noch 14,7 Prozent. Allein zwischen 2019 und 2022 ging es um 2,7 Prozentpunkte herunter. Und nein, das hat nicht vor allem damit zu tun, dass der Staat seine Forschungsfinanzierung stärker gesteigert hat. Die Unternehmen geben nominal mit 1,5 Milliarden Euro kaum mehr als 2015. 

 

Hier drückt sich aus, dass die Wirtschaft entweder weniger Sinn in der Forschungsförderung an den Hochschulen insgesamt sieht – oder speziell an der Forschungsförderung an den Hochschulen in Deutschland. Denn ob und in welchen anderen Hochschulen und Forschungsinstituten weltweit deutsche Unternehmen und Konzerne Forschungsförderung betreiben, zeigt der DFG-Förderatlas nicht. Anekdotisch hört man hier allerdings immer wieder von Verschiebungen. So oder so: Kein Ruhmesblatt für die Wirtschaftsnähe deutscher Hochschulen und womöglich Ausdruck genau jener Innovationskrise, in die Deutschland in den vergangenen Jahren sukzessive abgerutscht ist. Und wer immer noch von der "Ökonomisierung" der Forschung spricht, kann zumindest keine Ökonomisierung durch die Wirtschaft meinen.

 

4. Der Bund wird größter Drittmittelgeber – war da was?

 

Der Bund hat 2022 mit einem Anteil von 31,4 Prozent die DFG erstmals als größter Drittmittelgeber überholt, was durchaus bemerkenswert ist, weil die DFG ja selbst von einem jährlichen Drei-Prozent-Aufwuchs profitiert (den Katja Becker übrigens für nicht ausreichend hält). Die DFG kam auf 30,3 Prozent – nach 31,5 Prozent 2019. Zum Vergleich das Jahr 2015. DFG: sogar 33,3 Prozent. Wirtschaft: 19,0 Prozent. Und Bund: nur 25, 1 Prozent.

 

Ein steigender Anteil der "politischen" Förderung: eine Entwicklung, die zum Nachdenken anregt, weil die Wissenschaft so von kurzatmigeren Haushaltsplanungen abhängig wird (siehe dieDebatten um Fördermittelkürzungen aktuell und vor zwei Jahren), was in Zeiten einer vorläufigen Haushaltsführung zusätzlich schmerzhaft werde könnte. Hinzu kommt der gefährliche Vertrauensverlust des BMBF als Geldgeber seit der Fördermittelaffäre, die Sorge in Teilen der Wissenschaft vor Einflussnahme auf unliebsame Forschende, und zuletzt die Debatte um die Antisemitismus-Resolutionen des Bundestages

 

Die DFG-Präsidentin beließ es in ihrer kritischen Kommentierung des Aufstiegs des Bundes zum Drittmittelgeber Nummer eins bei einer allgemeineren Bemerkung: Die Entwicklung "muss durchaus genau beobachtet werden, wie nicht nur, aber vielleicht zusätzlich im Lichte der aktuellen politischen Gesamtsituation deutlich wird", sagte Becker und schloss ein Plädoyer für die "wissenschaftsgeleiteten" und "bewährten" Vergabeverfahren der DFG an.

 



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Kommentare: 7
  • #1

    Nikolaus Bourdos (Dienstag, 26 November 2024 15:06)

    Die Kritik an der wachsenden Förderung durch den Bund und der "politischen Steuerung" verstehe ich nicht. Das BMBF und andere Ressorts sind keine "Forschungsförderer" wie die DFG. Die Bundesregierung verfolgt politische Ziele, dabei ist die Förderung von Forschung eine Maßnahme unter vielen, die politischen Ziele zu erreichen. Genauso ist es auf EU-Ebene. Wenn die Wissenschaft "von kurzatmigeren Haushaltsplanungen abhängig wird", ist das kein Problem, das der Bund mit einem zu hohen Förderanteil oder "politischer Steuerung" verursacht. Vielmehr sind die Länder in Sachen Grundfinanzierung gefragt.

  • #2

    Edith Riedel (Dienstag, 26 November 2024 22:16)

    Kleine Korrektur: Freiburg ist keine Exzellenzuniversität (mehr).

  • #3

    Till Melzer (Dienstag, 26 November 2024 22:52)

    Ein Atlas des Grauens, der eindrücklich zeigt, was falsch läuft. Allein der daraus entstehende unreflektierte Zahlenfetischismus sollte jedem Akademiker ein Graus sein.

  • #4

    Lilly Berlin (Dienstag, 26 November 2024 22:54)

    Die Förderung durch die Bundesministerien nimmt durch die jeweiligen politischen Vorgaben direkten Einfluss auf erwünschte und unerwünschte Forschungsthemen. Schön, wenn das fürs eigene Fachgebiet passt. Schlecht, wenn nicht. Schlimm, wenn diese Kriterien dann sinnvolle Forschung verhindern. So mussten wir neulich angeben, wieviel CO2 unser Projekt einsparen würde, dabei hatte das gar nichts mit dem Forschungsthema zu tun. Wer das jetzt nicht schlimm findet, stelle sich vor welche sachfremden Kriterien die AFD oder BSW anlegen würden. Trotz aller berechtigten Kritik ist mir da die DFG lieber mit momentan begrenztem Einfluss der Politik auf die Inhalte.

  • #5

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 27 November 2024 08:18)

    @Edith Riedel: Vielen Dank für den Hinweis! Das ist mir vor einer Weile, als es schnell gehen musste, schon mal passiert. Freiburg ist in meinem Kopf offenbar weiterhin als "exzellent" abgespeichert. :) Ich habe es jetzt korrigiert.

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #6

    Victor Ehrlich (Samstag, 30 November 2024 18:22)

    Der DFG-Förderatlas kaschiert das Elend. Wissenschaftler an nicht einmal ansatzweise ausreichend finanzierten Uni-Instituten werden weiterhin viel Zeit darauf verwenden dürfen, Drittmittel einzutreiben um arbeitsfähig zu bleiben. Der DFG wird vorgegaukelt, dass Exzellenz gefördert wird, wo es um Grundfinanzierung geht. In dem Moment, in dem die Förderung ausläuft, werden die Verstetigungszusagen kassiert, die positiven Evaluierungen vergessen und es wird wieder dunkel.

  • #7

    #IchBinHannah (Dienstag, 17 Dezember 2024 13:28)

    Der Fokus auf Kennzahlen über Forschungsergebnisse unterschlägt den wichtigen Aspekt, dass Forschung nicht alleine die Arbeit von Wissenschaftlern ist, sondern insbesondere durch die zugrundeliegenden Infrastrukturen erst ermöglicht und befähigt wird. Aber hier versagt das System noch immer immens. Das Projektdenken verhindert entfristete Stellen in diesem Bereich, wo Fachkräfte wirklich Mangelware sind und man Expertise unbedingt halten muss. Rechenzentren richten sich in der Bezahlung nach Tarifen und bieten somit oft nur E11 Stellen für qualifiziertes IT-Personal an. Andere Bereiche, wie zum Beispiel im Forschungsdatenmanagement, sind oft auch eher prekär ausgestattet und noch weit entfernt von einer angemessenen Grundausstattung, die Universitäten bereitstellen müssen. So etwas hat oft noch Alibifunktion, um besser bei Forschungsanträgen dazustehen, aber eine effektive und angemessene Umsetzung ist kaum möglich. Ein solcher Atlas sollte auch eine zentralere Beachtung auf die Rahmenbedingungen legen, unter denen hier in Deutschland geforscht wird. Da steht Deutschland in der Tat international nicht sehr gut da.