In einem Schreiben an Cem Özdemir benennen die Bildungsminister der Länder Kompromisslinien in den Digitalpakt-Verhandlungen, in seiner Antwort gibt sich der neue BMBF-Chef aufgeschlossen. Steht der Durchbruch bevor?
Symbolbild Schüler mit Laptop, KI-generiert.
JEDEM ANFANG wohnt ein Zauber inne, aber mit Blick auf die Beziehungen zwischen dem neuen Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne) und seinen Länderkollegen scheint der zurzeit besonders groß zu sein. So groß, dass mittlerweile viele Insider bei den von Özdemirs Vorgängerin verschleppten Digitalpakt-Verhandlungen die Verabredung gemeinsamer Eckpunkte inzwischen für das Mindeste halten – und zwar schon bis zum Treffen der Bildungsministerkonferenz der KMK am 13. Dezember.
Aufschlussreich ist diesbezüglich ein Briefwechsel zwischen den Bildungsministern und dem BMBF-Chef, in dem beide Seiten ihre Kompromissbereitschaft betonen und damit den Ton für das lange vermisste Verhandlungsfinale setzen.
Das Schreiben der Länder, abgeschickt am Montag vergangener Woche, haben KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) und die Koordinatorin der SPD-Minister Stefanie Hubig und ihr CDU-Pendant Karin Prien unterzeichnet. Nach der obligatorischen Gratulation zu Özdemirs Amtsantritt schreiben die drei: "Mit Blick auf die verbleibende Zeit der Legislaturperiode wollen die Länder gerne konstruktiv und vertrauensvoll mit Ihnen an den wichtigen gemeinsamen Vorhaben arbeiten". Namentlich: das Startchancen-Programm – und den Digitalpakt 2.0, "dessen Bedeutung und Notwendigkeit Sie bereits auch öffentlich bekräftigt haben."
Auch wenn in dieser Legislaturperiode voraussichtlich kein ordentlicher Bundeshaushalt mehr verabschiedet werde, "so sehen wir doch eine große Möglichkeit, uns so zu vereinbaren, dass ein DigitalPakt 2.0 ab Mitte 2025 tatsächlich auch gelebt und umgesetzt werden kann."
Was die Länder Özdemir anbieten –
und im Gegenzug bekommen wollen
Dann werden die Ministerinnen konkret und machen Özdemir gleich mehrere Kompromissangebote.
o Stichwort Finanzierungsanteile, wo das BMBF bislang auf 50-50 beharrt: Die Länder seien bereit, aufwachsend ab dem dritten Jahr der Programmphase "deutlich mehr als zehn Prozent" Eigenmittel für die Säule 1 des Digitalpakts 2.0 (digitale Ausstattung und Infrastruktur) zur Verfügung zu stellen.
o Stichwort Anrechnung bereits vorhandener Leistungen der Länder und Kommunen: Als Orientierung sollten, so die Ministerinnen, die Vereinbarungen zum Startchancen-Programm dienen.
Bei welchem Finanzierungsanteil ab Jahr drei für die Länder die Schmerzgrenze liegt, sagen die Ministerinnen nicht. Implizit akzeptieren sie aber offenbar zugleich den deutlich geringeren Gesamtbetrag des Bundes, die 2,5 Milliarden Euro bis 2030, die Özdemirs Vorgängerin erstmals Ende August angeboten hatte.
"Die Länder gehen damit einen großen Schritt auf den Bund zu", kommentieren Streichert-Clivot, Hubig und Prien ihr Angebot. "Die ursprüngliche Erwartungshaltung, die jüngst auch von der Ministerpräsidentenkonferenz zum wiederholten Male formuliert wurde, lautete, dass ein DigitalPakt Schule 2.0 mit einem Volumen von mindestens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr und mit einer 90:10-Finanzierung ausgestattet wird."
Was die Ministerinnen in ihrem Schreiben noch verlangen bzw. anbieten:
o Stichwort Vermeidung von Förderlücken: Das BMBF solle den Ländern einen förderunschädlichen Maßnahmenbeginnn am dem 1. Januar 2025 zusagen.
o Stichwort Lehrerfortbildung, die zweite Säule bzw. der zweite Handlungsstrang in den Digitalpakt-Verhandlungen: Die Länder sprechen noch sehr allgemein von einem weiteren Ausbau der Fortbildungen und einem "stärker verpflichtenden Charakter", was ebenfalls den bisherigen Forderungen des Bundes entgegenkommt. Angesichts der absehbar hohen Kosten liegt hier ein Knackpunkt der Verhandlungen.
o Stichwort Kommunen und deren Rolle: Die Länder wollen die Kommunen nicht aus der finanziellen Verantwortung entlassen, sie betonen, gute Bildung sei "eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen". Bund und Länder sollten sich aber darauf verständigen, dass finanzschwache Kommunen besonders unterstützt würden. "Die Länder werden zusammen mit den Kommunen Lösungen finden, finanzschwache Kommunen zu unterstützen."
o Bund und Länder sollen beim Digitalpakt 2.0 für ein "bürokratiearmes Verfahren" sorgen, "das die Abrufung der Mittel schnell, einfach und effizient ermöglicht".
"Wir freuen uns, die Gespräche hierzu mit Ihnen aufzunehmen und hoffen sehr, dass wir dazu schnellstmöglich einen Termin finden", beenden Streichert-Clivot, Hubig und Prien ihren Brief.
Was hinter den
Kulissen geredet wird
Diese Bitte ist bereits überholt. Denn wie aus den Ländern bestätigt wird, treffen sich die drei Ministerinnen bereits diesen Freitag mit Özdemir. Das Tempo entspricht also den Erwartungen, bis zum 13. Dezember den Durchbruch zu erzielen.
Ebenso zügig hat der neue BMBF-Chef denn auch das Schreiben seiner Länderkolleginnen beantwortet. Gestern ging seine Antwort in den Ländern ein. Zwar äußert er sich nicht im Detail zu den Vorschlägen von Streichert-Clivot, Hubig und Prien, lässt aber keinen Zweifel an seiner Linie: "Wir sollten unsere konstruktiven und ergebnisorientierten Gespräche fortführen, zu einer Ergebnissicherung kommen und hierbei kompromissbereit sein." Was man durchaus als Kommentar zu den Vorschlägen der Länder deuten kann.
Der Digitalpakt sei wichtig für Deutschland, schreibt Özdemir außerdem, seine Fortsetzung dürfe nicht allein die technische Ausstattung verbessern, sondern "ein Gesamtkonzept für digitale Bildung in Deutschland liefern".
Die Briefe sind das eine, die Berichte hinter den Kulissen das andere. Von "Tauwetter" zwischen BMBF und Ländern war schon seit Özdemirs Amtsantritt die Rede, jetzt berichten Ministerialbeamte aus den Ländern von Gesprächen mit BMBF-Kollegen, die einen erleichterten, ja gelösten Eindruck auf sie machten – als sei ihnen zuvor gar nicht erlaubt gewesen, die Verhandlungen mit den Ländern zum Erfolg zu führen.
"Nach mehr als zwei verlorenen Jahren wäre es ein gutes Signal für die Bildungsrepublik Deutschland, wenn Bund und Länder den längst überfälligen Digitalpakt 2.0 jetzt in den nächsten Wochen noch so weit wie möglich voran treiben", sagt Karin Prien, im Hauptberuf CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, auf Anfrage. "Dieses Ziel verfolgen alle Länder gleichermaßen."
Können die Länder ihre eigenen
Reihen geschlossen halten?
Ähnlich klingt das bei Priens SPD-Kollegin Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz. "Als Länder sehen wir es sehr positiv, dass mit der neuen Spitze im Bundesbildungsministerium nun ein konstruktiver
Dialog bei diesem wichtigen Thema möglich ist." Die Länder hätten ein gemeinsames Angebot vorgelegt, um den DigitalPakt 2.0 noch möglichst schnell und qualitätsvoll aufs Gleis zu setzen.
"Die Fortführung ist für die Bildungslandschaft in Deutschland von höchster Bedeutung", sagte Hubig weiter. "Bund, Länder und Kommunen müssen sich hier ihrer gemeinsamen Verantwortung stellen,
damit unsere Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrkräften weiter bestmögliche Bedingungen für das digitale Lehren und Lernen vorfinden." Sie sei sich sicher: "Dieser Verantwortung
sind sich alle Beteiligten bewusst."
Heute schon treffen die Verhandlungsführer der Länder auf Staatssekretärs-/ Amtschefebene, Torsten Klieme aus Bremen und Wilfried Kühner aus Sachsen, erstmals – noch in kleiner Runde – ihren neuen BMBF-Amtskollegen Stephan Ertner, dessen Berufung Özdemir erst vor zwei Tagen verkündet hatte. Der atmosphärische Auftakt, um die angestrebte hohe Geschwindigkeit der Verhandlungen zu ermöglichen. Vielleicht bis hin zu einer (nahezu) unterschriftsreifen Bund-Länder-Vereinbarung am 13. Dezember? Das halten manche dann doch für zu optimistisch.
Derweil nimmt die Sorge in den Ländern zu, ob sie ihre eigenen Reihen geschlossen halten können. Der Bruch der Ampelkoalition verbunden mit dem beginnenden Bundestagswahlkampf scheint vor allem auf Seiten einiger unionsregierter Länder Druck zu erzeugen, der Noch-Regierung möglichst wenige Erfolge zu gönnen. Was heißt das für das Digitalpakt-Finale mit dem Grünen Özdemir?
Als wenig hilfreich empfinden Beobachter auch den jüngsten Move von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), nicht nur das BMBF im Falle eines Wahlsiegs für seine Partei zu reklamieren, sondern offenbar intern bereits einen Namen zu nennen: Dorothee Bär. Was ein klarer Affront gegen die Unionsschwester CDU wäre mit ihrer unangefochtenen Bildungsexpertin Karin Prien. Gute Stimmung macht man anders.
Nachtrag am 01. Dezember
Bildungsministerinnen: Eine "wirkliche Chance" auf Abschluss beim Digitalpakt 2.0. noch dieses Jahr
Nach dem Spitzengespräch mit BMBF-Chef Cem Özdemir (Grüne) am Freitag gab sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert Clivot (SPD), betont optimistisch. "Es ist klar zu erkennen, dass auf beiden Seiten der Wille besteht, zu einer tragfähigen und guten Lösung zu kommen", sagte Streichert-Clivot. Den konstruktive Gesprächsprozess, der diese Woche auf Arbeitsebene begonnen habe, hätten die Länder auf politischer Ebene mit Cem Özdemir fortsetzen können.
Erste Verhandlungskorridore seien bereits ausgelotet, die Staatssekretäre würden die Gespräche in der kommenden Woche fortsetzen. "Es gibt eine wirkliche Chance, noch in diesem Jahr einen gemeinsamen Abschluss zu finden."
Auf Seiten der Länder bei dem Gespräch dabei waren neben Streichert-Clivot die Koordinatorinnen der sogenannten A- und B-Seite, Stefanie Hubig und Karin Prien. Die CDU-Politikerin Prien sprach ebenfalls von "guter, konstruktiver Atmosphäre", Länder und BMBF hätten sich auf weitere Verhandlungsschritte zur Verabredung der Digitalpakt-Fortsetzung verabreden und sich auf die "Verhandlungskorridore zu den drei Säulen, Digitale Ausstattung, Lehrkräftefortbildung und anwendungsorientierte Forschung in der Lehrkräftebildung" geeinigt.
Das Schreiben der drei Landesministerinnen (siehe oben) an Özdemir hatte zuvor konkrete Kompromissvorschläge formuliert.
"Die weiter offenen Fragen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierungsfragen sollen auf Staatssekretärsebene noch vor der Bildungsministerkonferenz am 13. Dezember verhandelt werden", fügte Prien hinzu und schickte noch ein bisschen Vorwahlkampf hinterher. Sie sei zuversichtlich, "dass zumindest an dieser Stelle mit Minister Özdemir ein Teil des Flurschadens geheilt werden kann, den die vergangenen drei Ampelregierungsjahre für die Schuldigitalisierung hinterlassen haben."
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