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Verharren auf dem "Hochplateau"

Ist der befürchtete Studierendenschwund abgewendet? Nach der Zahl der Studienanfänger steigt jetzt offenbar auch wieder die Gesamtzahl der Studierenden. Je nach Hochschule und Region bleibt die Realität jedoch eine andere.

Foto: Symbolbild.

EIN AUFATMEN FÜR DIE HOCHSCHULEN? Zumindest eine vorübergehende Stabilisierung: Im laufenden Wintersemester sind dem Statistischem Bundesamt zufolge deutschlandweit 2.871.600 Studierende eingeschrieben, rund 3.300 mehr als im Jahr zuvor. Aus dem Plus könnte jedoch auch noch ein Minus werden, da es sich um die sogenannten Schnellmeldungen der Bundesländer handelt, so dass die endgültigen Zahlen erfahrungsgemäß etwas abweichen. Aber selbst dann gilt die Einschätzung der Wiesbadener Statistiker, der Rückgang der Studierendenzahlen seit ihrem bisherigen Höchststand von 2,95 Millionen vor drei Jahren sei "zunächst gestoppt". Warum "zunächst", dazu gleich mehr.

 

Noch aussagekräftiger ist, dass die Zahl der Studienanfänger schon im dritten Jahr in Folge wieder angestiegen ist, um 1,3 Prozent auf 488.100 im gesamten Studienjahr 2024. 2021 waren es zwischenzeitlich nur noch 472.400. Die 488.100 seien 10.000 Erstsemester mehr, "als von der Kultusministerkonferenz (KMK) im Frühjahr 2024 noch vorausberechnet", hob der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, hervor. Damit sei in etwa wieder der Stand von 2020 erreicht. "Wir befinden uns statistisch also nach wie vor auf einem Hochplateau."

 

Ob zu dem erneuten Plus auch dieses Jahr wieder inländische und ausländische Erstsemester gleichermaßen beigetragen haben, ist noch nicht raus. Vor zwei Jahren war das anders gewesen, da kam das Wachstum ausschließlich von den internationalen Studierenden, 2023 dann war auch die Zahl der deutschen Anfänger wieder gestiegen.

 

Je nach Hochschule und Bundesland bleibt trotzdem nicht einmal ein Aufatmen. In Schleswig-Holstein (-3,4 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (-2,9 Prozent), Sachsen-Anhalt (-2,4 Prozent), Rheinland-Pfalz (-2,2 Prozent) im Saarland (-1,8 Prozent), in Hessen (-1,3 Prozent) und in NRW (-1,0 Prozent) ging es bei den Gesamt-Zahlen teilweise merklich runter; in Berlin, Niedersachsen und Sachsen war Stagnation angesagt. Spürbar Aufwind hatten die Hochschulen in Thüringen (+4,8 Prozent, allerdings Sondereffekt durch die Internationale Hochschule) und Bremen (+4,1 Prozent), leichtere Zugewinne verzeichneten Bayern und Hamburg (jeweils +1,7 Prozent), Brandenburg (+1,5 Prozent) und Baden-Württemberg (+0,9 Prozent). 

 

Viele Standorte müssen weiter an Strategien
gegen eine dauerhafte Schrumpfung arbeiten

 

Gleichzeitig setzt sich die seit Jahren zu beobachtende Verschiebung zwischen den Hochschulformen fort: Laut Statistikern sank die Zahl der an Universitäten eingeschriebenen Studierenden erneut, und zwar um 0,8 Prozent, während die Hochschulen für angewandte Wissenschaften um 1,5 Prozent zulegen konnten. Inzwischen befinden sich nur noch 58 Prozent der Studierenden an einer Universität. 

 

Je nach Hochschule und Region hatte daher in den vergangenen Jahren das Werben um internationale Studierende deutlich an Fahrt aufgenommen. Und die aktuellen Zahlen zeigen: Viele Standorte müssen weiter an Strategien arbeiten, wieder attraktiver zu werden – oder aber sich auf eine dauerhafte Schrumpfung einstellen.

 

Niedrigere Studierendenzahlen lösen an vielen Hochschulen nämlich anders, als man zunächst vermuten könnte, keine Erleichterung aus, sondern die Sorge, dass der Verlust von Stellen und Professuren droht. Erst recht in Zeiten angespannter Landeshaushalte. So erklärt sich auch die Mahnung von HRK-Präsident Rosenthal Richtung Politik: Die aktuellen Zahlen belegten, dass die Hochschulen in politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten ein "Stabilitätsfaktor" im deutschen Bildungssystem seien. "Bund und Länder dürfen daher nicht in ihrem Engagement für die Hochschulen nachlassen. Nur auf Basis verlässlicher Rahmenbedingungen können die Hochschulen zur Bewältigung künftiger Herausforderungen und zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beitragen."

 

Warum der Abwärtstrend nur zunächst gestoppt ist, liegt an der Entscheidung vieler Bundesländer, das neunjährige Gymnasium wieder einzuführen. Deshalb fallen in den nächsten Jahren sukzessive Abiturjahrgänge teilweise aus. Beispiel Schleswig-Holstein, das schon dieses Jahr das größte Minus bei den Gesamtstudierenden hat: Die Schüler des ersten neuen G9-Jahrgangs hätten dort ohne Reform 2026 Abi gemacht. Jetzt verlassen sie die Schule erst 2027, die Hochschulen müssen die Zeit überbrücken. Während die Schulen zusätzliche Lehrer und Räume brauchen.

 

Noch ein paar gute
Nachrichten zum Schluss

 

Damit die Finanzpolitik auch hier nicht auf dumme Gedanken kommt, betont Walter Rosenthal, der Rückgang bei den Neueinschreibungen werde nur leicht und vorübergehend sein – und argumentiert dafür doch wieder mit der Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz, die er zuvor als von der Wirklichkeit überholt dargestellt hatte: "Ab 2027 sollen die Erstsemesterzahlen laut KMK jedoch schrittweise wieder zulegen und bis 2035 sogar deutlich über das heutige Niveau ansteigen."

 

Noch ein paar gute Nachrichten inmitten von Deutschlands Modernisierungskrise zum Schluss. In drei der vier technisch orientierten Studienbereiche, über die das Statistische Bundesamt bereits Aussagen machen kann, stieghen die Studienanfänger-Zahlen durch die Bank überdurchschnittlich, und das teilweise kräftig. Informatik: 46.100 Erstsemester (+ drei Prozent); Maschinenbau/Verfahrenstechnik: 23.800 (+ vier Prozent), Elektrotechnik und Informationstechnik: 14.200 (+ sechs Prozent). Nur das Bauingenieurwesen meldet mit 10.400 Studienanfängern 2,4 Prozent weniger. Was angesichts der Lage der Baubranche keine Überraschung ist.




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Kommentare: 2
  • #1

    Django (Dienstag, 03 Dezember 2024 08:58)

    Jetzt muss mir nur noch jemand erklären, warum es gut ist, immer mehr Studierende zu haben (MINT-Fächer ausgenommen). Ja, ich arbeite selbst in der Verwaltung einer Universität. Mir fallen allerdings spontan im näheren Umfeld fünf Kolleg*innen ein, die mit einem Bachelor, Master oder sogar einer Promotion auf E8/E9-Stellen sitzen und Sachbearbeitung machen. "Früher" hätte man dafür entweder Menschen mit einer Verwaltungsausbildung genommen oder Quereinsteiger aus anderen "Büroberufen". Ähnliches höre ich auch von Bekannten außerhalb der Hochschule.
    Wir finanzieren also ein Hochschulstudium für Menschen, die nachher "unterqualifiziert" arbeiten. Und sich "on the job" Verwaltungskenntnisse draufschaffen müssen.

  • #2

    Wolfgang Kühnel (Dienstag, 03 Dezember 2024 10:49)

    Zu #1: Das finde ich auch. Die Zahl der Studienanfänger ist vollkommen nebensächlich, viel wichtiger ist die Zahl der Absolventen UND die Zahl derer, die nach ihrem Studienabschluss einen adäquaten (!) Job finden. Das dürfte wohl nach Fächern sehr unterschiedlich sein.