Cem Özdemirs BMBF und die Verhandlungsführer der Länder einigen sich auf Inhalte und Finanzierung der Digitalpakt-Fortsetzung. Was im Entwurf der gemeinsamen Erklärung steht.
Foto: KI-generiert.
DIE STATEMENTS der Landesministerinnen nach dem Spitzengespräch mit Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne) hatten es bereits angedeutet, jetzt wird es konkret: Die Verhandlungsführer von BMBF und Bildungsministerkonferenz haben sich auf die Eckpunkte der Digitalpakt-Fortsetzung verständigt und sie allen 16 Ländern mitgeteilt. Der Wortlaut des gemeinsamen Erklärungsentwurfs, der dem Wiarda-Blog am Freitag vorlag, soll Ende nächster Woche beim Treffen der Bildungsminister unterzeichnet und dann offiziell präsentiert werden. Bis dahin muss sie aber noch durch die Abstimmung in den einzelnen Landesregierungen.
Mit dem Eckpunkte-Entwurf ist Özdemir innerhalb von gut vier Wochen offenbar das gelungen, wozu seine Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in den Verhandlungen mit den Ländern über mehr als ein Jahr nicht in der Lage war. Aufbauend auf den Verhandlungen und Gesprächen der vergangenen Woche beabsichtige man nun, bis Mitte Februar 2025 weitgehend konsentierte Vereinbarungsentwürfe vorzulegen, heißt es im Entwurf der Erklärung. Also wenige Tage vor dem voraussichtlichen Termin der vorgezogenen Neuwahlen.
Denn das darf man nicht vergessen: Die Eckpunkte stehen unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch eine neue Bundesregierung. Die muss sich nicht an Absichtserklärungen aus der vorigen Legislaturperiode halten. Doch der faktische Druck, auf der Eckpunkte-Grundlage den Digitalpakt 2.0 zu schließen, dürfte doppelt hoch sein. Erstens, wenn die Erklärung unterzeichnet wird, durch das dadurch gezeigte Commitment aller 16 Länder, das über die Wahlen hinausreicht. Und zweitens durch den Zeitdruck: Wenn der Digitalpakt 2.0 tatsächlich wie geplant nächstes Jahr wirksam werden soll, müssen sich Bund und Länder kurzfristig auf seine Umsetzung vorbereiten. Und das geht nur, wenn die jetzt vereinbarten Grundzüge weitergelten.
Was der Einigungsentwurf beinhaltet
o Der Bund finanziert 2,5 Milliarden Euro über eine Laufzeit von sechs Jahren bis 2030. Das ist der Betrag, den Stark-Watzinger erstmals im Spätsommer 2024 den Ländern angeboten hatte. Die Länder sollen den gleichen Betrag drauflegen, so dass von einem Gesamtvolumen von fünf Milliarden Euro die Rede ist.
o Wobei ausdrücklich festgehalten ist: Ein Großteil der Länderfinanzierung soll über eine Anrechnung bereits laufender und geplanter Ländermaßnahmen auf die Ziele des Digitalpakts 2.0 eingebracht werden, und zwar über die gesamte Laufzeit und über alle Handlungsstränge hinweg.
o Apropos Handlungsstränge: Es bleibt im Wesentlichen bei den drei aus den Verhandlungen bekannten. 1. Der Auf- und Ausbau und die nachhaltige Nutzung der digitalen Ausstattung und Infrastruktur. 2. Die digitaliserungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung, insbesondere die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte sowie die flächendeckende Nutzung und Weiterentwicklung einer länderübergreifenden integrierten digitalen Bildungs(medien)infrastruktur. 3. Eine Bund-Länder-Initiative "Digitales Lehren und Lernen", Stichwort hier: die Förderung "ko-konstruktiver Forschung" für "evidenzbasierte Qualitätsentwicklung" in der digitalen Lehrkräftebildung und der Transfer der Erkenntnisse in die Breite der Schullandschaft.
o Für den ersten Handlungsstrang gibt der Bund 2,25 Milliarden Euro und für den dritten Handlungsstrang 250 Millionen Euro. Auch die Länder steuern frisches Geld bei, und zwar insgesamt 500 Millionen Euro, was dem Länderbetrag im Digitalpakt 1.0 entspricht. Sie dürfen wie bislang auch die Kommunen an der Kofinanzierung beteiligen, was Stark-Watzinger immer abgelehnt hatte. Doch sollen finanzschwache Kommunen nicht überfordert werden.
o Wie schon beim Digitalpakt 1.0 soll das Geld an die Länder in Form von Finanzhilfen nach Grundgesetz-Artikel 104c fließen, also nach der üblichen Proporz-Verteilung à la Königsteiner Schlüssel. Eine an den tatsächlichen Bedarfen orientierte Verteilung, wie sie Stark-Watzinger gefordert hatte, ist vom Tisch.
o Der Frische-Geld-Anteil der Länder fließt komplett in den ersten Handlungsstrang, soll über die Jahre aufwachsen und im letzten Jahr bei 30 zu 70 liegen. Ein ähnliches Stufenmodell half vergangenes Jahr bereits bei der Finanzierung des Bund-Länder-Programms zur HAW-Forschung aus der Bredouille. Auf die von Stark-Watzinger verlangten und von den Ländern stets abgelehnten 50 zu 50 beim frischen Geld will Özdemir verzichten. Tatsächlich ergibt sich rechnerisch über die ganze Laufzeit eher ein 20 zu 80, was aber zugleich eine Verdopplung des bisherigen Länderanteils ist.
o Die von Stark-Watzinger geforderte Einführung einer Fortbildungsverpflichtung ist ebenfalls passé. Die Länder verpflichten sich im zweiten Handlungsstrang zu einem weiteren qualitativen und quantitativen Ausbau der Angebote an Lehrkräfte und Schulleitungen.
o Die dritte Säule ist eine Art Weiterführung der bisherigen Digitalen Kompetenzzentren. Es soll aber in Absprache mit den Ländern die oben beschriebene Neukonzeption und eine neue Ausschreibung geben. Bislang lief die Finanzierung über EU-Gelder, der Bund sichert die Kostenübernahme zu, die Länder leisten ihren Anteil, können sich hier aber bereits bestehende Ausgaben anrechnen lassen.
o Ein vorzeitiger Maßnahmebeginn zum 1. Januar ist beabsichtigt, was bedeutet: Die Länder können auf eigenes Risiko in die Vorfinanzierung gehen.
Und jetzt?
Kritiker werden vermutlich sagen, Özdemir sei den Ländern zu weit entgegengekommen. Was gerade beim Fallenlassen der Fortbildungsverpflichtung, siehe die gerade erst bei "TIMSS 2023" wieder berichtete geringe Beteiligung in Deutschland, durchaus ärgerlich ist. Man kann jedoch auch umgekehrt argumentieren: Durch seine Bereitschaft zum Kompromiss hat Özdemir die Einigung auf der Zielgeraden überhaupt noch ermöglicht. Und damit die Erfüllung eines zentrales Bildungsversprechens aus dem Ampelkoalitionsvertrag – wenn auch in einem kleineren finanziellen Rahmen als erhofft.
Dass dem Grünen-Politiker die Zugeständnisse als nur vorübergehender BMBF-Chef leichter fallen, zumal ihm ein Erfolg bei seinem eigenen Ziel, Ministerpräsident in Baden-Württemberg zu werden, sicher nicht ungelegen kommt, ist natürlich auch ein Punkt.
Wahr ist auch: Tatsächlich bliebe der Umfang des Digitalpakts 2.0 massiv hinter seinem Vorgänger zurück. Der summierte sich inklusive Länderanteil und den Corona-Zusatzpaketen auf nahezu sieben Milliarden Euro – auf fünf Jahre. Jetzt wären es gerade mal drei Milliarden – auf sechs Jahre. Und dabei ist die starke Geldentwertung in den Jahren seit 2019 noch gar nicht berücksichtigt.
Gewiss: Keiner hindert eine neue Bundesregierung dran, noch ein paar Euro draufzulegen. Die Länder ebenso wenig. Trotzdem wäre die Einigung, wenn sie nächsten Woche so von Bund und Ländern besiegelt werden sollte, für die Schulen das erhoffte Kontinuitäts-Signal. Und der Bildungsföderalismus sendet kurz vor der so wichtigen Bundestagswahl ein lange vermisstes Lebenszeichen.
Nachtrag am 8. Dezember:
"Starkes Signal", "Kuhhandel", "eine große Leere"
Erste Reaktionen auf die Digitalpakt-Einigung
Nachdem dieser Artikel erschienen war, meldete sich am Samstagmittag die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) zu Wort und bestätigte die Einigung offiziell. Christine Streichert-Clivot, im Hauptberuf SPD-Bildungsministerin im Saarland, bezeichnete die Absichtserklärung als "einen wichtigen Verhandlungserfolg" – "im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen". Sie freue sich, " dass wir durch konstruktive und ergebnisorientierte Gespräche – insbesondere nach dem Wechsel der Spitze im Bundesministerium für Bildung und Forschung – zu einem gemeinsamen guten Ergebnis gekommen sind." Die nun vorliegende Absichtserklärung von Bund und Ländern sei ein starkes Signal und eine gute Beratungsgrundlage für die kommende Bildungsministerkonferenz nächste Woche in Berlin. Sie unterstreiche die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die Schulen, Schulgemeinschaften und Schulträger. "Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir uns auf klare Kompromisslinien einigen konnten – insbesondere bei den Finanzierungsanteilen und Anrechnungen."
Ebenfalls am Samstag äußerte sich erstmals BMBF-Chef Cem Özdemir zu der Verständigung. "Ich bin dankbar, dass ich mich mit meinen Verhandlern aus den Ländern auf Eckpunkte für den Digitalpakt 2.0 einigen konnte", sagte Özdemir auf einem Grünen-Parteitag in Reutlingen. Es solle soll ein Gesamtkonzept für digitale Bildung in Deutschland entwickelt werden. "Unser Anspruch muss nicht weniger als der mündige digitale Bürger sein, denn, wer die Technologien der Zukunft nicht beherrscht, wird von ihnen beherrscht."
Die föderale Kompetenzordnung bleibe gewahrt, betonte derweil KMK-Präsidentin Streichert-Clivot. "Der Bund verzichtet auf die verpflichtende Festschreibung von Lehrkräftefortbildungen und erkennt die vielfältigen Maßnahmen der Länder zur Schul- und Unterrichtsentwicklung an." Das sei ein wichtiger Schritt, der die föderale Bildungspolitik stärke und die Zuständigkeiten der Länder respektiere. "Für den Erfolg des Digitalpakts 2.0 wird es entscheidend sein, die Umsetzung bürokratiearm auszugestalten. Hier ziehen wir wichtige Lehren aus dem ersten Digitalpakt."
Der Bildungsjournalist Christian Füller kommentierte auf "X", der Digitalpakt 2.0 sei "ein Kuhhandel". Und: "Nochmal 250 Millionen Euro für Förderung von Worthülsen" wie "ko-konstruktive Forschung" und "evidenzbasierte Qualitätsentwicklung". Das Startchancen-Programm und der Digitalpakt seien "Booster – für die Forschung". Gleichzeitig fließe die laufende Evaluierung des Digitalpakts nicht in die Gestaltung seiner Fortsetzung ein.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczamerek, verteilte Lob an BMBF-Chef Özdemir und Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD): "Ein Bildungsminister, der mit den Ländern auf Augenhöhe verhandelt, statt sehr viele Bedingungen zu stellen, und ein Finanzminister, der seine Aufgabe im Ermöglichen statt Verhindern sieht, schon geht es mit dem Digitalpakt weiter. Ein wichtiges Signal für Schulen und Kommunen!"
Anders die Bewertung durch Kaczmareks CDU-Kollegen Thomas Jarzombek. "Es geht die ganze Zeit nur um eine Frage", schrieb er ebenfalls auf "X": die Finanzierung." Genau hier blicke man in "eine große Leere" bei Özdemir. "Der Fortschritt bei der wichtigen Digitalisierung der Schulen durch sein Eckpunktepapier exakt: null."
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Jürgen Hartmann (Samstag, 07 Dezember 2024 14:44)
Auch wenn vorerst der Digitalpakt 2.0 geringer ausfallen sollte, so ist für die Schule Kontinuität ein wichtiger Faktor der nicht zu unterschätzen ist. Nun sehen die Schulen Licht am Ende des Tunnels, der sich mit Erneuerung, Wartung und Aufrechterhaltung der seither aufgebauten digitalen Infrastruktur aufgetan hat.