Rose Marie Beck war drei Jahrzehnte lang Wissenschaftlerin an einer Universität – aus Überzeugung. Seit diesem Jahr leitet sie eine HAW. Macht sie ihren Job dadurch anders? Ein Interview.
Rose Marie Beck, geboren 1964 in der Schweiz, studierte in Köln Afrikanistik, Germanistik und Pädagogik, promovierte dort anschließend und habilitierte sich an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 2010 wurde sie Professorin für Afrikanistik an der Universität Leipzig, 2018 Dekanin, 2019 Dekanesprecherin aller 14 Fakultäten. Seit März 2024 ist sie Rektorin der Hochschule Karlsruhe. Foto: Magali Hauser.
Frau Beck, Sie sind seit März 2024 Rektorin der Hochschule Karlsruhe. Vorher waren Sie Professorin für Afrikastudien in Leipzig. Ihre gesamte wissenschaftliche Sozialisation fand an Universitäten statt, wie groß war der Kulturschock, als Sie an eine HAW kamen?
Ich fühle mich sehr wohl hier! Ein wesentlicher Grund dafür ist die größere Dynamik, die an einer kleineren Hochschule möglich ist. Hinzu kommt der klare gesellschaftliche Auftrag einer HAW, den die Professoren für sich annehmen. Viele von ihnen kommen aus der Wirtschaft und entscheiden sich ganz bewusst für eine HAW-Professur. Das merkt man. Zumal wir in Zeiten leben, die nach zügigen wissenschaftsbasierten Lösungen verlangt. So sehr wir die Grundlagenforschung brauchen, das stärkt die Rolle der angewandten Wissenschaften.
Wie passt Ihr Hohelied dazu, dass Sie sich, als Sie noch Universitätsprofessorin für Afrikastudien waren, nach eigenen Angaben dezidiert gegen die angewandte Forschung ausgesprochen haben?
Darüber habe ich erst so richtig nachgedacht, als ich mich mit meinem Wechsel hier nach Karlsruhe beschäftigt habe. An den Universitäten haben angewandte Wissenschaften einen anderen Ruf. Man könnte sagen, sie gelten dort als die mindere Wissenschaft. In den Afrikastudien besteht außerdem immer die Gefahr, dass angewandte Forschung schnell als eine Art kolonialer Gestus interpretiert wird, aus dem Kontext kommt man schlecht raus. Ich selbst musste mich auch erst von manchen Stereotypen befreien, die ich mit mir herumtrug.
Können Sie mir erklären, warum seit einer Weile auf Veranstaltungen mit HAW-Rektoren fast nur noch über Forschung diskutiert wird, obwohl eigentlich doch die Lehre immer als die große Stärke dieses Hochschultyps galt?
Diese praxisnahe Lehre, bei der die Studierenden vieles, was sie lernen, in Laboren weiterentwickeln, anwenden und ausprobieren können, zeichnet uns HAWen immer noch aus. Für uns ist selbstverständlich, dass wir nahe an den Studierenden sind. Umgekehrt ist die Forschung das, was es voranzutreiben und zu entwickeln gilt. Wir werden da immer besser, es gibt inzwischen gewichtige, forschungsstarke HAWen. Meine Aufgabe als Rektorin ist, den Ausgleich zwischen den alten und neuen Stärken zu organisieren.
"Mein Plädoyer lautet:
Lasst uns arbeitsteiliger vorgehen."
Wenn Sie von "gewichtigen, forschungsstarken HAWen" sprechen, entsteht da eine neue Wettbewerbssituation mit den Universitäten?
Ja und nein. HAWen, die im Sozial- oder Gesundheitsbereich ihren Schwerpunkt haben, haben wenig mit der Uni-Konkurrenz zu tun. In den Ingenieur- und Technikwissenschaften sieht das anders aus. Die Technischen Hochschulen geraten in Wettbewerb mit den Technischen Universitäten, zum Beispiel wir mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Klar gibt es auch da viele Kooperationen, etwa in Form gemeinsamer Forschungsprojekte und Graduiertenkollegs, wie wir sie auch mit dem KIT haben. Aber am Ende wollen wir alle die besten Studierenden, und wir alle wollen mit den Unternehmen in der Region zusammenarbeiten. Mein Plädoyer lautet an der Stelle: Lasst uns arbeitsteiliger vorgehen. Wir HAWen sind besser geeignet, mit den KMU, den kleinen und mittleren Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu machen, auch kleinere, schnellere Projekte, manchmal als ausgelagerte Forschungsabteilungen. Die großen Industriekonzerne sind dagegen die natürlichen Partner der großen Technischen Universitäten. Und Ausnahmen bestätigen die Regel.
Die HAWen kritisieren, dass sie kaum von den Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) profitierten. Während die Technischen Universitäten lange die Einführung des Promotionsrechts an HAWen bekämpft haben.
Ja, das ist auch ein Ausdruck des vorhin angesprochenen Wettbewerbs um Mittel und um die klügsten Köpfe. Gerade an den Technischen Universitäten, die in der Vergangenheit gut mit den Technischen Hochschulen zusammengearbeitet haben, hat man zunächst nicht verstanden, warum die jetzt plötzlich das Promotionsrecht haben wollten. Inzwischen ist deutlich geworden: Das HAW-Promotionsrecht ist Ausdruck der Qualitätssicherung innerhalb der angewandten Forschung, die sich an sehr strengen Maßstäben orientiert. Auch um besser definieren zu können, was genau angewandte Forschung eigentlich ausmacht und wie sie sich im Vergleich zur Grundlagenforschung ihre Exzellenz messen lässt. Dazu existiert bislang kaum ein Korpus an wissenschaftstheoretischer Literatur. Bei beiden geht es um neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Und hier ist auch der Link zur DFG-Frage. Ich bin davon überzeugt, dass mehrere Entwicklungen zusammenkommen werden: eine bessere Definition angewandter Forschung und ihrer Qualität, ein wachsendes Bewusstsein in der DFG – und eine stärkere Stimme der HAWen in den DFG-Fachkollegien.
"Als nächstes müssen wir die Mitgliedschaft
von HAWen in der DFG anpeilen."
Wie viele HAW-Wissenschaftler sind da überhaupt schon drin?
Der Ausdruck: "nur in homöopathischen Mengen" trifft es vermutlich. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass ein HAW-Projekt, das sich um eine DFG-Förderung bewirbt, die nötigen Fürsprecher eher bekommen wird, wenn diese mit dem Wesen angewandter Forschung an HAWs vertraut sind.
Sollte die DFG entsprechend auch HAWen als Mitglieder aufnehmen?
Das ist der nächste Schritt, den wir anpeilen müssen. Dafür muss aber auf der HAW-Seite die Forschung noch stärker werden und auf der DFG-Seite eine Art kulturelle Öffnung stattfinden. Das Dritte ist, dass die Politik nicht nur rhetorisch die angewandte Forschung anpreist. Dankenswerterweise hat unsere Landesministerin Petra Olschowski einen sehr guten Blick für uns und unsere Belange und weiß das hochdifferenzierte Hochschulsystem Baden-Württembergs zu schätzen. Gleichzeitig muss die Politik praktisch den Aufbau der Strukturen an HAWen ermöglichen, die für höchste Qualität in der Breite nötig ist. Darum halte ich die Forderungen der HAWen nach einem Mittelbau, nach Forschungsstellen und nach einer Verringerung der hohen Lehrdeputate für absolut gerechtfertigt. Bei uns an der Hochschule Karlsruhe ist alles, was wir in der Forschung machen, bis in die Verwaltung hinein, fast ausschließlich durch Drittmittel finanziert. Das kann nicht funktionieren. Aber klar ist auch: Je stärker wir in der Forschung werden und je mehr Ressourcen wir für die Forschung fordern, desto stärker treten wir in Zeiten knapper Kassen wiederum in eine Konkurrenz mit den Universitäten. Ich finde das bedauerlich. Und gesund ist das auch nicht.
Alle Hochschulformen in Baden-Württemberg protestieren gerade gemeinsam gegen aus ihrer Sicht zu geringe Aufwüchse und eine Nullrunde. Die Gemeinsamkeiten hören dann demnächst wieder auf?
Ich hoffe das nicht! Wir haben– angesichts der eher trüben Aussichten für die nächsten Jahre – ein solides und langfristig hoffentlich verlässliches Ergebnis erreicht. In anderen Bundesländern ist dieses Verlässlilchkeitsversprechen nicht viel wert, wie wir gerade sehen. Außerdem gibt es immer noch weitere Rädchen, an denen man drehen könnte. Zum Beispiel habe ich die Hoffnung, dass die Fraunhofer-Institute stärker mit den HAWen zusammenarbeiten. Oder dass man über verschiedene Landesförderprogramme das Geld für Forschungsreferenten-Stellen bekommt. Die Schweiz wiederum hat auf Bundesebene ein sehr erfolgreiches Programm zum Aufbau von Forschungsstrukturen an HAWen aufgelegt, begleitend zum Ausbau der Innosuisse, die ihrerseits eines der Vorbilder der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) war. Um so die Wettbewerbsfähigkeit der schweizer Fachhochschulen im Wettstreit um die Innosuisse-Fördergelder zu steigern.
"Für alle 21 HAWen in Baden-Württemberg zusammen
gibt das Land etwa so viel aus wie für die
Universität Heidelberg inklusive Unimedizin."
In Deutschland ist nach dem Bruch der Ampelkoalition nicht einmal mehr klar, ob die DATI überhaupt noch kommt.
Und am Ende läuft es dann doch immer auf einen Ressourcenkonflikt raus, das kann man nicht wegdiskutieren. Hier sollten wir uns auf HAW-Seite aber hüten, so zu tun, als seien die Universitäten finanziell gesegnet oder gar, um einmal eine manchmal geäußerte Zuschreibung aufzugreifen, "stinkreich". Die haben genauso ihre Haushaltsnöte und Sachzwänge. Umgekehrt muss man festhalten: Für alle 21 HAWen in Baden-Württemberg zusammen gibt das Land etwa so viel aus wie für die Universität Heidelberg inklusive Unimedizin. Grundlagenforschung kostet eben, das müssen wir uns auch leisten. Aber diese Relationen müssen wir sehen, wenn wir über die Wertschätzung angewandter Forschung sprechen.
Was erwarten Sie vom Bund?
Nach dem Ende der Ampel ist leider klar geworden, dass nichts mehr passiert. Das ist sehr schlecht für die Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft. Wir sehen jetzt schon, dass die Industrie immer weniger in gemeinsame F & E investiert. Wir erwarten natürlich, dass eine neue Bundesregierung bei der DATI endlich vorwärts macht. Und dass sie sich dann vielleicht zu dem erwähnten Begleitprogramm durchringen kann, weil die HAWen sonst keine fairen Chancen beim Einwerben von DATI-Geldern haben werden. Ein solches Programm wäre eine gute Investition in die Zukunft unseres differenzierten Hochschulwesens, das eine Stärke Deutschlands ist. Kurzfristig aber erwarte ich nichts mehr. Unabhängig von der aktuellen Regierungskrise fehlt bei vielen Wissenschaftspolitikern grundsätzlich der Blick für die Besonderheiten von HAWen.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie die Debatte um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Da sind wir mit unseren Forderungen und Anliegen in keiner Weise durchgedrungen, die meisten Politiker haben sie nicht einmal auf dem Schirm gehabt, geschweige denn verstanden.
Sie sprechen von der Warnung führender HAW-Repräsentanten, der verbindliche Vorrang einer Qualifizierungs- vor einer Projektbefristung würde zahlreiche HAW-Forschungsprojekte gefährden.
Wegen unserer angewandten Forschung und Nähe zur KMU haben wir viele Projekte, die kürzer als drei Jahre sind. Projekte von der Industrie haben ausschließlich eine kürzere Laufzeit. Und die würden alle wegfallen. Bei uns an der Hochschule Karlsruhe wären zwei Drittel unserer Forschungsprojekte davon betroffen. Damit wäre der deutschen Wirtschaft ein Bärendienst erwiesen. Außerdem haben wir keinen Mittelbau und die langfristige Perspektive ist bei unseren jungen Wissenschaftlern eine völlig andere. Sie wollen und sollen ja gar nicht bei uns bleiben, sie werden von der Industrie abgeworben und vielleicht kommen sie eines Tages mit Praxiserfahrung zurück und bekommen eine Professur. Dass sich am Ende als einzige Partei die AfD in der Bundestagsdebatte Ende Oktober für uns eingesetzt hat, ist ein verheerendes Signal für die Wissenschaft und ein Armutszeugnis für die Politik.
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Ruth Himmelreich (Mittwoch, 11 Dezember 2024 09:42)
Wenn man mit der Uni Heidelberg vergleicht, dann muss man aber auch darauf hinweisen, dass diese Universität mehr gemeinsame Projekte mit der gewerblichen Wirtschaft hat als alle HAW des Bundeslandes zusammen, im Jahr 2023 waren das 36,9 Mio. € Euro. https://www.uni-heidelberg.de/de/universitaet/daten-fakten/finanzen. Laut dem Statistischen Landesamt BW kommen die HAW und die Duale Hochschule des Landes Baden-Württemberg im Jahr 2022 zusammen auf knapp 23 Mio Euro Drittmittel in diesem Bereich. Es wird zwar von der HAW-Seite immer gern behauptet, dass sie angewandte Forschung betrieben und die Unis nicht, aber de facto verhält es sich so, dass die meiste angewandte Forschung im Hochschulbereich an den Unis läuft und an den HAW halt ein bisschen.
Günter Tolkiehn (Mittwoch, 11 Dezember 2024 20:43)
@ Ruth Himmelreich: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Geld forscht nicht, Menschen forschen. Und unter den bisherigen Bedingungen können HAW-Professorinnen eigentlich gar nicht forschen: Sie haben dafür zusammen mit Transfer einen Zeithaushalt von nur wenigen Prozent ihrer Arbeitszeit. Bei Uni-Professorinnen liegt dieser Anteil bei etwa 50%. Und hierauf ist das Drittmittelsystem ausgelegt: Drittmittelprogramme enthalten in der Regel kein Geld für Professorinnen - die sind ja für Forschungstätigkeit bereits alimentiert. HAW-Professoren sind das aber nicht. Die HAW müssen deshalb Professorinnen für Forschung praktisch eins zu eins von der Lehrverpflichtung freistellen und die dafür ausfallende Lehrleistung extern einkaufen. Aber wovon? Dies müssen die Drittmittelprogramme berücksichtigen.
Hinzu kommt, dass an HAW ohne Promotionsrecht die drittmittelfinanzierten Forschungsstellen für Nachwuchswissenschaftler kaum attraktiv sind, da sie keine akademische Weiterqualifikation ermöglichen. Ich konnte es deswegen keiner meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen verübeln, wenn sie diese Stellen v.a. zur Bewerbung auf "richtige" Stellen nutzten und uns sofort verließen, wenn sich eine solche bot - egal ob in Wirtschaft, Verwaltung oder an einer Uni. Frau Beck hat diese Probleme beide richtigerweise erwähnt.
Ich gehe etwas weiter und meine, ohne Lösungen hierfür können sich HAW mehr Drittmittelforschung gar nicht leisten, weder wirtschaftlich noch qualitativ.
David J. Green (Donnerstag, 12 Dezember 2024 07:49)
Lieber Herr Wiarda, vielen Dank für dieses interessante Interview. Allerdings: Neben der Frage, wie Frau Beck den genannten Kulturschock empfunden hat, hätte ich gerne auch etwas darüber gelesen, wie es mit der Akzeptanz dieser Personalie seitens des HKA-Personals aussieht: denn das wäre in meinen Augen die wichtigste Frage, wenn eine ausschließlich an der Universität sozialisierte Person als Leitung einer HAW installiert wird.
@ #1 Ruth Himmelreich: Sehe ich es richtig (vgl. Ihren Link), dass 89,9% der Heidelberger Industrie-Drittmittel auf die beiden medizinischen Fakultäten entfielen, und lediglich 3,74 Mio € (10,1%) auf die restliche Universität? Und könnte das eine Relevanz für Ihren Vergleich haben?