Bundesbildungsminister Cem Özdemir und seine Länderkolleginnen besiegeln ihre Absichtserklärung, den Digitalpakt fortzusetzen. Was die Vereinbarung wert ist – und wie es jetzt weitergeht.
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ANFANG DER WOCHE wackelten einzelne Landesregierungen noch ein wenig, trotzdem war es nicht mehr wirklich eine Überraschung, dass Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne) und KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) am Freitagvormittag Vollzug meldeten: BMBF und Bildungsminister haben sich offiziell auf die Eckpunkte zur Fortsetzung des Digitalpakts geeinigt, über deren Inhalte ich vergangenen Freitag zuerst hier im Blog berichtet hatte. Geändert haben sich gegenüber dem Entwurf nur wenige Details und Konkretisierungen.
"Wir haben unser zeitliches Chancenfenster genutzt und den Knoten durchschlagen", sagte Streichert-Clivot. "Mit dem Digitalpakt 2.0 stellen wir die Weichen, um unsere Schulen in Zeiten der Transformation weiter fit für die digitale Zukunft zu machen."
"Die gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern zeigt, dass wir zum Wohle des Landes viel erreichen können, wenn die Sache im Vordergrund steht – und nicht das parteipolitische Interesse", sagte Özdemir, ein kaum verhohlener Seitenhieb auf seine FDP-Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger.
Tatsächlich handelt es sich bei dem Papier nur um eine Absichtserklärung von BMBF und Bildungsministern. Denn rechtssicher und haushaltswirksam abschließen kann Özdemir einen Digitalpakt 2.0 für die Jahre 2025 bis 2030 angesichts von Ampelbruch und vorgezogener Bundestagswahl nicht mehr. Die demonstrative Genugtuung, mit der BMBF und Bildungsministerkonferenz ihre Einigung vorstellten, inklusive Auftritt im Haus der Bundespressekonferenz, war insofern eine Mischung aus echter Erleichterung und strategischem Zweckoptimismus.
Echte Erleichterung: Wer hätte vor zwei Monaten, während sich Stark-Watzinger und die Länder wieder und wieder in schier endlosen Verhandlungen verhakten, gedacht, dass der Bildungsföderalismus am Ende dieses für die Bund-Länder-Beziehungen so schwierigen Jahres noch einmal ein derart kräftiges Lebenszeichen senden würde? Es wurde möglich, weil Özdemir sich nach seinem überraschenden Amtsantritt vor gut einem Monat in einer Weise kompromissbereit zeigte, die auch in den Ländern neue Energien zum Entgegenkommen weckte.
Dass Özdemir um der schnellen Einigung willen etliche Zugeständnisse genau an den Stellen machte, die seine Vorgängerin zu ihren Kernforderungen erhoben hatte, ist nicht in allen Fällen unproblematisch. Beispiel hälftige Länder-Kofinanzierung: Von der blieb nur die Behauptung eines Gesamtvolumens des Digitalpakts 2.0. von fünf Milliarden Euro, obwohl die Länder auf die 2,5 Milliarden Bundesgeld nur eine halbe Milliarde frisches Geld drauflegen. Den Rest können sie sich an bereits geplanten Ausgaben anrechnen lassen.
Beispiel Mittelverteilung: Anstatt wie beim Startchancen-Programm zumindest in Ansätzen zielgerichtet das Geld dorthin zu schicken, wo der Bedarf am größten ist, soll beim Digitalpakt 2.0 wieder die föderale Gießkanne, sprich: der Königsteiner Schlüssel, gelten. Beispiel feste Verpflichtungen der Länder in der Lehrkräftefortbildung, etwa zum individuellen Umfang: Die sind raus aus den Eckpunkten, obwohl zuletzt die internationale TIMSS-Studie Deutschland in Sachen Lehrerfortbildung erneut einen beträchtlichen Rückstand bescheinigt hatte.
Wer nun allerdings Özdemir vorwirft, er denke weniger an die digitale Bildung in Deutschland als an seinen eigenen bevorstehenden Wahlkampf als grüner Ministerpräsidenten-Kandidat in Baden-Württemberg, der soll sagen, wie er es gefunden hätte, wenn die Schulen am Ende dieser größtenteils verkorksten Legislaturperiode ohne jede Perspektive zur Digitalpakt-Fortsetzung dagestanden hätten. Trotz gemeinsamer Erklärung ist es jetzt ja immer noch so, worauf die CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, hinwies, "dass Länder und Kommunen zum 1. Januar 2025 nicht die notwendige Planungssicherheit haben und Investitionen der Schulträger ins Stocken geraten".
So hielten die Bildungsminister in ihrem Beschluss, der die Absichtserklärung begleitete, denn auch fest, dass bei allem Entgegenkommen Özdemirs auch bei ihnen alles Andere als grenzenlose Begeisterung herrscht: Durch die "Verschleppung der Verhandlungen seitens der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung" (gemeint ist hier Stark-Watzinger) sei "wertvolle Zeit" verstrichen, was seit dem Auslaufen des bisherigen Digitalpakts im Mai 2024 die erforderliche Planungssicherheit für Länder und Schulträger verhindert habe. Auch habe der "von den Ländern nicht zu vertretenden Zeitverzug" eine rechtsverbindliche Vereinbarung vor der Bundestagswahl unmöglich gemacht, außerdem bleibe der in Aussicht gestellte Bundesbeitrag von 2,5 Milliarden deutlich hinter den Forderungen der Länder zurück – während diese ihren Beitrag, besagte 500 Millionen, im Vergleich zum Digitalpakt 1 beibehielten.
Strategischer Zweckoptimismus: Theoretisch könnte eine neue Bundesregierung die Absichtserklärung mit einem Achselzucken quittieren und zur Seite legen. Doch erhöhen Özdemir und Landesregierungen durch Art, Inhalt und Präsentation ihrer Einigung den Druck auf die kommenden Wahlsieger maximal. Wer will sich schon hinstellen und den dringend auf die Fortsetzung wartenden Schulen überall in der Bundesrepublik erklären, dass zwar alle Länder zu den vereinbarten Konditionen bereitstünden, man aber dennoch keine Veranlassung sehe, jetzt schnell zu liefern? Zumal auf Länder- und Bundesseite zusammengenommen Politiker all derjenigen Parteien mitverhandelt haben, die überhaupt eine realistische Chance auf Regierungsbeteiligung haben.
Die Gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern sei "ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit und dazu, dass die Digitalisierung der Bildungslandschaft fortschreiten muss und eine Daueraufgabe bleibt", beschwor denn auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Koordinatorin der SPD-Bildungsministerien, Stefanie Hubig. An ihr werde "auch die künftige Bundesregierung nicht vorbeikommen".
Dass das mit dem öffentlichen Erwartungsdruck funktioniert, zeigte sich diese Woche schon ausgerechnet daran, wie innerhalb von Tagen auch diejenigen unionsregierten Länder, die zum Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungsgruppe nicht so einfach "Ja" sagen wollten, es am Ende doch taten. Bis auf Sachsen-Anhalt, dass sich enthielt mit der Protokoll-Notiz, man begrüße das Zwischenergebnis der Verhandlungen, allerdings sei das Angebot des Bundes derzeit "in keiner Weise belastbar". Mit der Enthaltung fiel das Bekenntnis der Länder zur Absichtserklärung trotzdem – wie benötigt – formal einstimmig.
Und damit das Momentum jetzt gar nicht erst nachlässt, wollen die Länder bis zur Bundestagswahl weiter vorlegen – und schon bis Mitte Februar konkrete Vereinbarungen zu den drei Handlungssträngen des Digitalpakts vorlegen, also (1) zum Ausbau der digitalen Infrastruktur, (2) der Schul- und Unterrichtsentwicklung/Fortbildung und (3) der Qualitätsentwicklung in der digitalen Lehrkräftebildung.
"Jetzt wird es darum gehen, die dahinterliegende Bund-Länder-Vereinbarung so weiter zu formulieren, dass eine neue Bundesregierung und ein neuer Bundestag nach der Bundestagswahl dann sehr schnell wirksame Verabredungen mit den Ländern treffen kann", sagte Prien, die die Bildungspolitik der CDU-Bildungsministerien koordiniert. "Wir Länder werden alles dafür tun, diesen Prozess zu unterstützen."
Eines ist für die nächsten Wochen und Monate wichtig: Der Digitalpakt 2.0 muss auf jeden Fall kommen, darf aber keine zu starke Schlagseite Richtung Endgeräte-Shopping erhalten. Tatsächlich ist aber das gesamte frische Geld in Höhe von 2,75 Milliarden Euro für die "digitale Infrastruktur" vorgesehen, hier nennen BMBF und Länder explizit "leistungsfähige WLAN-Netze, moderne Endgeräte sowie digitale Lernplattformen".
Vor allem letzteres ist, Stichwort KI-Einsatz, sinnvoll. Zugleich ist es peinlich, dass "leistungsfähige W-Lan-Netze" nach fünf Jahren Digitalpakt 1.0 immer noch ein Thema sind. Mit den modernen Endgeräten aber ist es irgendwann dann auch mal gut. Der Digitalpakt hat Deutschland bei der staatlichen Endgeräte-Versorgung der Schüler mit an die internationale Spitze geschoben, aber während die Bundesrepublik bei der Fortbildung hinten blieb und es auch bei der pädagogisch sinnvollen Integration in den Unterricht weiter hapert. Vielleicht wäre es ja besser investiertes Geld, Tablets & Co künftig nur noch für diejenigen anzuschaffen, die sich kein eigenes leisten können? Der Erfolg der Fortsetzung wird sich in jedem Fall nicht so sehr an Handlungsstrang (1), sondern an (2) und (3) erweisen.
"Wir sind uns bewusst, dass die Digitalisierung nicht nur technische Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch eine grundlegende Veränderung der Lehr- und Lernkultur erfordert", versicherte KMK-Präsidentin Streichert-Clivot, im Hauptberuf Bildungsministerin im Saarland. Genau hier muss im Digitalpakt 2.0 aus Bewusstsein Handeln folgen.
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Kay Gollhardt (Freitag, 13 Dezember 2024 19:15)
Traurig, wie hier mit der Zukunft des Landes gepokert wurde und es überall nur Verlierer gibt. Ob Frau Stark-Watzinger schon früh ausgestiegen ist, weil Sie von den Schlachtplänen der Parteiführung wusste? Ein D-Day auch für die Bildung... Kann man diese Absichtserklärung eigentlich irgendwo downloaden? Danke, falls jemand hier einen Link hier posten kann.
Wolfgang Kühnel (Sonntag, 22 Dezember 2024 14:25)
"Wir sind uns bewusst, dass die Digitalisierung nicht nur technische Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch eine grundlegende Veränderung der Lehr- und Lernkultur erfordert", versicherte KMK-Präsidentin Streichert-Clivot.
Ob sie überhaupt weiß, wovon sie redet? Was genau soll das sein, diese "neue Lehr- und Lernkultur" ? Warum brauchen wir die? Wo ist dieses "Erfordernis" nachgewiesen? Hat jemand schon mal die Folgen konsequent durchdacht, insbesondere etwaige negative Folgen? Es geht ja auch um Erhebung und Weiterleitung von Daten aus den Schulen, also im weiteren Sinne um "Big Brother is watching you".