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Ein Kämpfer

Thomas Jarzombek. Start-up-Gründer schon im Studium, Regierungsbeauftragter für Luftfahrt und digitale Wirtschaft – und heute der bekannteste Wissenschaftspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Porträt eines Aufsteigers, der Underdogs mag.

Foto: Kay Herschelmann.

ES IST DIESES BILD von Thomas Jarzombek, wie er da sitzt, leicht nach vorn gebeugt, als wäre er auf dem Sprung, vor sich sein Tablet und das Stabmikrofon, und nicht locker lässt. Der Bundestagsforschungsausschuss trifft sich zur Sondersitzung, und eigentlich ist der CDU-Politiker nur ein Abgeordneter unter vielen, die der damaligen Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Fragen stellen über ihre Rolle und ihr Wissen in der sogenannten Fördermittelaffäre im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). 

 

Doch Jarzombek fragt anders. Wie ein Sonderermittler rekonstruiert er akribisch die Abläufe im Ministerium, er konfrontiert die Ministerin immer wieder mit Details, die im Widerspruch zu stehen scheinen mit ihren Aussagen, und zur Not wiederholt er dieselbe Forderung nach Auskunft auch ein drittes Mal. 

 

Während Stark-Watzinger mit den immer gleichen Satzschablonen antwortet, ist es ihre FDP-Parteikollegin Ria Schröder, die Jarzombek persönlich angreift. "Auch heute haben Sie wieder versucht, möglichst viel Dreck zu werfen in der Hoffnung, dass etwas hängenbleibt. Sie gerieren sich wie ein Staatsanwalt, aber haben gar keinen Wahrheitsanspruch", sagt sie.

 

Jarzombek hört es, lächelt es mit einem Kopfschütteln weg und weiß: Spätestens an diesem Morgen im September 2024 ist er zum anderen Gesicht der Affäre geworden. Auf der einen Seite: Stark-Watzinger, deren Reputation unter Wissenschaftler*innen zu diesem Zeitpunkt unwiederbringlich zerstört schien. Auf der anderen Seite: er. Der Mann, der nicht aufhört, ihr zuzusetzen. Sachlich und süffisant zugleich. Kurz vor Ende der fast zweistündigen Befragung sagt Jarzombek zu Stark-Watzinger: "Ich glaube, die Wissenschaftscommunity hat ein klares Bild, welcher Geist in Ihrem Haus herrscht, und was auch Sie persönlich dazu beigetragen haben." >>>


Foto: Kay Herschelmann.

Thomas Jarzombek, 51, hat Betriebswirtschaft bis nach dem Vordiplom studiert, entschied sich dann aber gegen einen Studienabschluss und für eine Unternehmerkarriere. Zwischen 1996 und 2017 war er Anteilseigner der Düsseldorfer IT-Service-Firma "Releon". Sein politischer Aufstieg begann als stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union in NRW, er war Düsseldorfer Ratsmitglied und von 2005 an Landtagsabgeordneter. Seit 2009 im Bundestag, holte er seinen Wahlkreis viermal direkt. Bis zum Regierungswechsel 2021 war er unter anderem digitalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, dann Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt und Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups. Als Sprecher für Bildung und Forschung der größten Oppositionsfraktion im Bundestag profilierte sich Jarzombek als Kritiker der früheren BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger in der Fördermittelaffäre. Jarzombek ist verheiratet und hat einen Sohn. 



>>> Damals im Frühherbst können weder Stark-Watzinger noch Jarzombek ahnen, dass sie nicht einmal zwei Monate später aus ganz anderem Grund von ihrem Amt zurücktreten wird. Dass die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl sich dramatisch verkürzt. Und damit auch bis zur Beantwortung der Frage, wofür genau sich Jarzombek eigentlich in Stellung gebracht hat. 

 

Aufstieg ohne Hochschulabschluss

 

Dass der 51 Jahre alte Düsseldorfer zum bekanntesten Wissenschaftspolitiker der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, ja der Bundestagsopposition insgesamt werden würde, einer, der sich sogar den Respekt der linksliberalen "#IchbinHanna"-Szene verdient hat, war noch vor drei Jahren nicht absehbar. Damals befand sich Jarzombeks Karriere an einem Scheitelpunkt. Jahrelang war es für ihn politisch nur nach oben gegangen. 2005 Landtagsabgeordneter ("ich war wohl der einzige Gamer in meiner Fraktion"), 2009 Einzug in den Bundestag. Mitglied der Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft", digitalpolitischer Sprecher seiner Fraktion. 2018 vom damaligen CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier zum Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt ernannt, 2019 auch zum Beauftragten des Wirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups. 

 

Dann die Niederlage der Union bei der Bundestagswahl 2021. Jarzombek stand zum vierten Mal als Gewinner seines Wahlkreises da, aber als einfacher Bundestagsabgeordneter ohne Führungsfunktion. Und musste kämpfen. Setzte sich gegen Mitkandidat*innen durch und wurde zum Fraktionssprecher für Bildung und Forschung gewählt. Er habe seine Kolleg*innen davon überzeugen können, dass "ich für das Thema am meisten brenne", sagt Jarzombek. Ein erstaunlicher Satz vor dem Hintergrund, dass er bis dahin als Wissenschaftspolitiker kaum in Erscheinung getreten war, erst recht nicht als einer, der sich für die Grundlagenforschung einsetzt. 

 

Auch seine Biografie deutete nicht in diese Richtung. Sein BWL-Studium hatte er nach dem Vordiplom abgebrochen, um Gesellschafter des IT-Start-ups "Releon" zu werden. Seine Anteile hielt er bis 2017. An das Thema Grundlagenforschung sei er vor allem über seine Rolle als Raumfahrtbeauftragter herangekommen, sagt Jarzombek. "Ich habe gesehen, welche Gründungsdynamik um die NASA herum entstanden ist, und habe gedacht: In diesem Forschungsbereich steckt so ein irres Potenzial für erfolgreiche Gründungen, das müssen auch wir wecken." 

 

"Underdogs eine Chance geben" 

 

Sehr schnell habe er dann verstanden: "Wenn wir keine erfolgreiche Grundlagenforschung haben, brauchen wir über den ganzen Rest nicht mehr zu reden. Für sie die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, das ist unsere wichtigste Aufgabe als Politiker." Das bedeutet für ihn: eine ausreichende Finanzierung, Freiheit statt Mikromanagement, "weg von diesen zehn- und hunderttausenden Förderprojekten quer über alle Bundesministerien, die auch für die so hohe Befristungsquote in der Wissenschaft entscheidende Treiber sind". Und darauf aufbauend dann das Thema Gründungskultur, "Entrepreneurship". 

 

Ist der fehlende Hochschulabschluss ein Problem, um in der Wissenschaft akzeptiert zu werden? Manche behandelten ihn deshalb anders, sagt Jarzombek. "Aber ich habe meine Entscheidung nie bereut, das war der Preis für meinen frühen Weg in die Selbstständigkeit." Und er fügt hinzu: "Mich hat immer das Ziel angetrieben, Underdogs eine Chance zu geben, all denen Türen zu öffnen, die eine besondere Idee haben."

 

Man kann Jarzombek dieses Unterdog-Narrativ abnehmen oder nicht, er erzählt es recht überzeugend. Wie er als frisch gewählter Fraktionssprecher für Bildung und Forschung auf Empfänge ging, bei denen ihn kaum jemand kannte und sich noch weniger interessierten für den früher umschmeichelten Ministeriumsbeauftragten. "Alle stürzen sich auf die Regierung, das ist halt so." Stück für Stück habe er sich eingearbeitet in die Wissenschaftspolitik, habe sich Kontakte in der Wissenschaftsszene aufgebaut, ein neues Netzwerk. "Das war wichtig, das war aber auch eine Herausforderung für mich." Zweifellos profitierte er dabei auch von wissenschaftspolitisch versierten Fraktionsmitarbeiter*innen, begünstigt davon, dass das BMBF zuvor viele Jahre in CDU-Hand lag. 

 

Manche glaubten, sagt Jarzombek, Oppositionsarbeit sei mit einer schwachen Ministerin einfacher. Das Gegenteil sei der Fall. "Wir werden als Opposition nicht mit unseren eigenen Konzepten wahrgenommen, sondern nur mit unseren Gegenpositionen zur Regierung. Wenn da aber so wenig kommt, gibt es fast nichts, worüber wir uns profilieren können." Nur zwei wirkliche Gelegenheiten habe es gegeben, um ins mediale Rampenlicht zu kommen. In der Debatte um den von Stark-Watzinger einseitig ausgerufenen "Bildungsgipfel", der von den Ländern weitgehend boykottiert wurde – und bei der BMBF-Fördermittelaffäre. "Stark-Watzingers Kardinalfehler war die Entlassung ihrer Staatssekretärin Sabine Döring", sagt Jarzombek. "Dadurch hat sie selbst die öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt, die es brauchte."

 

"Eine Rampensau"

 

Jarzombek sei eine Rampensau, er trage gern dick auf, sagen seine politischen Gegner*innen genau wie seine Parteifreund*innen. Sie sagen es allerdings mit einem erstaunlichen Maß an Sympathie. Und einem gelegentlichen Genervtsein. Denn Jarzombek, sagen seine Fraktionskolleg*innen im Hintergrund, habe nicht nur eine rhetorische Gabe, untermalt durch seine tief-sonore Stimme. Er neige auch dazu, öffentlich Versprechungen abzugeben, was alles anders laufen werde, wenn die Union wieder in der Regierung sei. Was einen ziemlich schnell wieder einholen könne.

 

Ein ganz anderer Thomas Jarzombek steht an einem Oktobermorgen im zweiten Stock eines futuristischen, aber halb leeren Neubaus in der Düsseldorfer Kasernenstraße. Auf einer halben Etage befinden sich die Büros des "DigiHub Düsseldorf/Rheinland", einer vom NRW-Digitalministerium geförderten Vernetzungsinitiative zur Start-up-Förderung. Mit DigiHub-Geschäftsführer Peter Hornik fachsimpelt Jarzombek eine Stunde lang über High Tech und Deep Tech, über Business Angels, Unicorns und Ökosysteme, er fragt viel, doziert wenig. 

 

In Düsseldorf ist er zu Hause, auch wenn seine Familie in Berlin lebt. Dort hat er vor zehn Jahren seine Frau kennengelernt, dort geht sein Sohn zur Schule. Jede erfolgreiche Politikerkarriere, sagt Jarzombek, müsse immer im Kommunalen verhaftet bleiben, "denn Berlin ist für die meisten hier weit weg, die eigenen Probleme sind viel näher". Die Stadt, sagt er, entspreche irgendwie auch seiner Mentalität. "Jemand nannte uns Düsseldorfer mal die Preußen des Rheinlands", sagt er. Was er damit meint, lässt Jarzombek ein wenig im Vagen, lässt aber gern die Deutung zu, man sei hier immer noch lockerer unterwegs als anderswo, aber weniger folkloristisch und dafür zielgerichteter als etwa in Köln. 

 

Entsprechend fällt auch Jarzombeks Reaktion auf die Kritik seiner Berliner Fraktionskolleg*innen aus. Es sei nicht der Job der Opposition, der Regierung zu gefallen, sagt er. "Aber bei aller Zuspitzung muss man verlässlich sein. Sie werden niemanden finden, der sagt, ich hätte mich nicht an persönliche Verabredungen gehalten."

 

Sachlich und ein bisschen böse

 

Schon sehr bald könnte er an all dem, was er in den vergangenen drei Jahren in der Opposition kritisiert hat, in der Regierung wieder gemessen werden. Sollte die CDU nicht nur Teil einer Koalition werden, sondern auch Zugriff aufs BMBF erhalten, rechnen Beobachter Jarzombek gute Chancen für einen Spitzenjob aus. Seit 2022 ist er Beisitzer im CDU-Bundesvorstand. Wobei man aufgrund von Parteien-, Regionen- und sonstigem Proporz nie genau weiß, wo jemand in einer neuen Regierung am Ende landet. Was Jarzombeks demonstrative Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit dann bedeuten könnte für das Verhältnis von Drittmitteln und Grundfinanzierung, von Befristung und Entfristung. Ob er nicht nur gut ist im Kritisieren der verschleppten Gründung einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI), sondern auch im Bessermachen; vor allem aber, ob ein CDU-geführtes BMBF wieder mehr Geld für Wissenschaft und Bildung organisieren könnte.

 

Was auffällt nach einem langen Gespräch mit Jarzombek über Wissenschaft und Hochschulen: um Studierende geht es nur am Rande. Die ausstehende Strukturreform des BAföG, die schon von der Großen Koalition und unter der Ampel weiter verschlafene Digitalisierung der BAföG-Antragsbearbeitung, der Umgang mit der studentischen Wohnungskrise und Wohnungsbau, die Förderung des internationalen Studierendenaustauschs in Zeiten der nationalen Abschottung? Alles wichtige Themen, signalisiert Jarzombek und hat auch Ideen dazu. Aber redet dann schnell wieder über die Forschung.

 

Am Ende seines Termins beim "DigiHub" in der Kasernenstraße hat Thomas Jarzombek es plötzlich eilig. Er muss zur Verabredung mit dem grünen Düsseldorfer Verkehrsdezernenten. Es geht um eine Fahrradhochbrücke über die riesige Straßenkreuzung Mörsenbroicher Ei, für dessen Bau er sich einsetzt, die aber, wie Jarzombek sagt, von den Grünen in Stadt und Land ausgebremst werde. Möglicherweise störe es die Kolleg*innen ja, "dass für einen solchen Fahrradweg weder Autospuren noch Parkplätze wegfallen würden". Sagt er und schwingt sich aufs Rad. Sachlich und ein bisschen böse: Bei Jarzombek geht das wie immer geschmeidig zusammen.

 

Dieses Porträt erschien zuerst im DSW Journal, Ausgabe 4/2024.



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