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Zeit zum Springen

Warum die nächste Regierung ein Bundesministerium für Wissenschaft, Innovation und Digitales braucht. Und warum ein Bundesministerium für Bildung und Jugend die nicht weniger wichtige Kehrseite wäre.

DIE CDU will ein echtes Digitalministerium nach der Bundestagswahl. Ein Querschnittsressort, das die bislang auf mehrere Häuser verteilten Zuständigkeiten bündelt, regierungsübergreifende Strategien formuliert und verfolgt. Der IT-Branchenverband Bitkom hatte ein solches Ministerium erst kürzlich wieder als Instrument gegen die "Verantwortungsdiffussion" gefordert, berichtete der Spiegel, doch die Debatte dazu ist weitaus älter. 2021 zum Beispiel, direkt nach der letzten Bundestagswahl, hatte die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Nachdruck ein echtes Digitalministerium "neuer Prägung" empfohlen – als Chance, bei dessen Aufbau die Struktur und Logik staatlichen Handelns erstmals anders zu organisieren.

 

Vielleicht wird es ja dieses Mal etwas. Nur sollte ein solches Unterfangen in den richtigen Kontext gestellt werden. Angesichts der deutschen Innovations- und Bildungskrise böte sich hier eigentlich nur ein Doppel- bis Dreifach-Schlag an.

 

Erstens: Das bisherige BMBF wird aufgeteilt in Wissenschaft und Bildung. Was aus dem Bildungsteil wird, dazu gleich mehr.

 

Zweitens: Der Wissenschaftsteil wird ergänzt um die Innovations-Unterabteilung und weitere technologie- und forschungspolitische Referate des BMWK, inklusive der Zuständigkeit für die Raumfahrt und Künstliche Intelligenz. Sämtliche F&-E-Förderinstrumente, inklusive den derzeit in der Wirtschaft angesiedelten Programme ZIM, IGP und Co bis hin zur Industrieforschung, wären in einem Ressort vereint. ZIM und Co könnten dann, wie perspektivisch ohnehin vorgesehen, unter dem Dach der Deutschen Agentur für Innovation und Transfer (DATI) ein neues zu Hause finden. Die DATI wäre dem neuen Wissenschafts- und Innovationsministerium zugeordnet, aber weitgehend unabhängig. 

 

Drittens: Dieses Wissenschafts- und Innovationsministerium wird zum neuen Digitalministerium erweitert, wobei alle einschlägigen Verantwortlichkeiten aus der Bundesregierung zusammengezogen werden. 

 

Ein Superministerium zum Abschneiden alter Zöpfe

 

Das Ergebnis: Ein in sich stimmiges Ministerium für Wissenschaft, Innovation und Digitales, das frei wäre von den bisherigen Brüchen zwischen Wissenschafts- und Innovationspolitik, das die gesamte Wertschöpfungskette abbilden würde von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung. Und all das auf der Grundlage einer umfassenden Strategie. 

 

Wäre es, könnte man fragen, dann nicht schlauer, die gesamte Wirtschaftsförderung ebenfalls diesem neuen Ministerium zuzuschlagen? Einiges spräche dafür. Ein solches Superministerium würde signalisieren: Wir meinen es als neue Bundesregierung ernst mit dem Abschneiden alter Zöpfe, mit dem Durchstarten in der Transformationskrise und der Neuerfindung des in die Jahre gekommenen Wissens- und Industriestandortes Deutschlands.

 

Aber selbst wenn man sich dazu nicht durchringen könnte, etwa weil man Sorge hätte, dass Wissenschaft dann zu stark einer industriepolitischen Logik untergeordnet würde, was ich persönlich nicht glaube, wäre das Hinüberziehen der Innovationspolitik zur Wissenschaft und das Zusammenführen mit der Digitalpolitik ein großer Sprung und würde genau die Energie zum (auch regierungsorganisatorischen) Andersmachen freisetzen, das die EFI einst erhoffte.

 

Natürlich: Wo man bislang Getrenntes zusammenfügt und altes Kästchendenken überwindet, besteht die Gefahr, dass anderswo neues entsteht. Etwa, wenn Innovations- und Industriepolitik künftig getrennt wären. Nur glaube ich, dass die Innovations- und Startup-Politik im Zeitalter der digitalen Revolution unbedingt näher an der Wissenschaft dran sein muss als an der am traditionellen Mittelstand und Konzernen orientierten klassischen Wirtschaftspolitik.

 

Warum "Bildung" und "Jugend" zusammengehören

 

Apropos Getrenntes zusammenfügen: Wahrscheinlich nicht weniger wichtig wäre die Chance, den herausgelösten Bildungsteil zu einem Bildungsministerium neuer Prägung weiterzuentwickeln. Und zwar, indem er mit der bisherigen Abteilung 5, "Kinder und Jugend", des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMSFJ) fusioniert wird. Womit der Bund eine Entwicklung nachvollziehen würde, die in der Mehrheit der Länder längst stattgefunden hat: Nur noch in zwei Landesregierungen liegt die Zuständigkeit für Bildung und Wissenschaft in einem Haus, während zehn Landesministerien zugleich für Bildung und Jugend verantwortlich sind – und damit auch für Kitas und Ganztag.

 

Dass das BMFSFJ bislang den Kita- und Ganztagsausbau mit den Ländern verhandelt und das Bundesbildungsministerium dabei größtenteils zum Zuschauen verdammt ist, erzeugt nicht nur unnötige inhaltliche Komplikationen, sondern wertet die Stellung von Kitas und Ganztag als Stätten der Bildung in einer Weise ab, dass sie – trotz aller anderslautenden Beteuerungen – vor allem als Betreuungsinfrastrukturen gesehen werden. Ist aus Sicht der Politik natürlich auch kostensparender, wie zuletzt an der Debatte über das Kita-Qualitätsgesetz zu beobachten war. 

 

Eine einheitliche und einheitlich verantwortete Bildungsstrategie des Bundes von der Kita über die Schule bis zur Aus- und Weiterbildung, das wäre die Erfüllung eines Wunsches vieler Bildungsforscher. Die Kultushoheit der Länder bliebe dabei unverändert. Doch würde manche Verhandlung mit den Ländern über gegenwärtige und künftige Gemeinschaftsaufgaben auf eine andere und von Anfang an konstruktive Grundlage gestellt.

 

Und wo bleiben wir?, könnten die Hochschulen fragen, die ebenfalls Bildungseinrichtungen sind, aber dem neuen Wissenschafts-, Innovations- und Digitalministerium zugeordnet wären. Vielleicht würden sie genau das aber auch nicht fragen, weil sie sich womöglich genau am richtigen Ort sehen würden. Für gemeinsame Aufgaben von Bildungs- und Wissenschaftsministerium, etwa in der Lehrkräftebildung, müsste man neue Brücken bauen. Nur spielt der Bund bei dem Thema, abgesehen von der ausgelaufenen "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" oder der geplanten Fortbildungssäule im Digitalpakt 2.0, keine allzu große Rolle. Und die Länder müssen die Lehrkräftebildung auch in 14 von 16 Ländern ressortübergreifend organisieren.

 

Veränderungsdruck, Ambitionen und ungelegte Eier

 

Zur Wahrheit gehört, dass keines der hier gemachten Gedankenexperimente über den Ressortzuschnitt der nächsten Bundesregierung wirklich neu ist. Nur gibt es diesmal womöglich eine größere Chance, sie umzusetzen. Warum? Weil der Veränderungsdruck jetzt nochmal ungleich höher ist als vor vier Jahren und wirklich jede/r merkt, dass "Business as usual" in der nächsten Koalition zum nächsten innovations- und bildungspolitischen Desaster führt.

 

Sollte die Union die neue Regierung anführen, kämen persönliche Komponenten hinzu. Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien, im Hauptberuf Schleswig-Holsteins Bildungsministerin, hat nicht nur den Fokus ihrer Partei auf die Bildungspolitik zurückgelenkt, sie gilt zudem als fachlich versiert und politisch durchsetzungsstark– und sie ist ehrgeizig genug, um ein neues Bundesministerium für Bildung und Jugend an den Start bringen zu wollen. 

 

Das Thema Wissenschaft ist ihr im Vergleich dazu weniger wichtig, aber das macht nichts. Denn die CSU schielt laut Markus Söder ja auch auf das BMBF. Das im neuen Zuschnitt Wissenschaft, Innovation und Digitales zu einem solchen Schwergewicht heranwachsen würde, dass es extrem attraktiv wäre. Fragt sich nur, für wen. Bei der von Söder ins Spiel gebrachten Doro Bär, übrigens einstmals Digital-Staatsministerin im Kanzleramt, poppen doch ernsthafte Fragezeichen auf. Vielleicht sollte Söder dann doch lieber seinen bayerischen Wissenschaftsminister Markus Blume gehen lassen. Aber jetzt reden wir endgültig über ungelegte Eier.

 

Reden wir lieber darüber, wie die nächste Bundesregierung den Mut zum Dreifach-Schlag aufbringt. 




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Liebe Leserinnen und Leser,

 

wie immer sind Sie herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen. Bitte beachten Sie jedoch, dass von diesem Jahr an die Netiquette hier im Blog noch konsequenter zu beachten ist. Das bedeutet: keine persönlichen Angriffe oder Herabwürdigungen, ein wertschätzender Ton auch bei inhaltlichen Differenzen. Zur Sache kritische Kommentare sind sehr willkommen, wobei ich mir im Zweifel vorbehalte, die Verwendung nachvollziehbarer Klarnamen zur Voraussetzung einer Veröffentlichung zu machen. 

 

Dieser Blog zeichnete sich immer dadurch aus, dass er unterschiedliche demokratische Perspektiven in gegenseitiger Wertachtung gelten ließ. Dabei soll, muss und wird es bleiben, ganz gleich wie die Debatte anderswo sich entwickelt.

 

Mit bestem Dank und guten Wünschen für 2025

Ihr Jan-Martin Wiarda


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Kommentare: 7
  • #1

    A German in Boston (Dienstag, 07 Januar 2025 09:10)

    "Die DATI wäre dem neuen Wissenschafts- und Innovationsministerium zugeordnet, aber weitgehend unabhängig."

    Die Entwicklung hin zu solchen Quangos ("Quasi-autonomous non-governmental organizations"), die staatlich finanziert aber weitgehend unabhängig sind, hat in Großbritannien deutlich früher begonnen als in Deutschland. Gerade auch in der Innovationspolitik. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Einerseits sind diese Organisationen immer noch so staatsnah, daß die Leitungspositionen politisch (d.h. nepotistisch, zugunsten parteipolitischer Patronage) besetzt werden. Diese Leute machen dann alles falsch, was man falsch machen kann; insbesondere stellen sie Mitarbeiter ein, die noch inkompetenter sind. Wenn sich aber nicht mehr verbergen läßt, dass dort nur Geld verbrannt wird, kann der Staat Quangos nicht schließen, denn dafür sind diese zu unabhängig.

    Ein Beispiel ist die Innovationsagentur NESTA in London, die 27 Jahr nach ihrer Gründung als komplett gescheitert gilt, aber noch immer existiert und Geld verbrennt. Zu den Einzelheiten:

    https://www.theregister.com/2013/12/13/uk_innovation_nesta_fentem/?page=2

    Die Parallelen zu SPRIND und, prospektiv, DATI sind augenfällig.

  • #2

    Hans Mayr (Dienstag, 07 Januar 2025 10:45)

    "Mit dem Modell der 70er Jahre gewinnen wir nicht das 21. Jahrhundert" lese ich hier: https://www.jmwiarda.de/2025/01/07/blaming-und-shaming-als-standortstrategie/

    Das Modell der 70er Jahre hieß unter anderem: BMFT, Bundespost, "Sorge ..., dass Wissenschaft dann zu stark einer industriepolitischen Logik usw" ?

    "Vielleicht wird es ja dieses Mal etwas"?

  • #3

    Stefan Rupp (Dienstag, 07 Januar 2025 15:49)

    Kann man alles machen, ist auch grundsätzlich nicht verkehrt. Ändert aber nichts an der Problematik, dass wir den Innovationsbegriff mal wieder auf den Staat verengen. Wenn man sich anschaut, wie Europa im Vergleich zu den USA oder China ins Hintertreffen geraten ist, und die Ursache dafür hauptsächlich in einer detaillierten Regelungswut staatlicher Stellen zu suchen ist, die von Brüssel abwärts jede potenzielle Initiative im Keim erstickt, wird offensichtlich, dass die Frage der Ressortierung eine eher kosmetische ist. Wir brauchen die Entfesselung privater Produktivkräfte, sonst wird das in Europa nichts mehr, und wir können hier in wenigen Jahren als Touristenführer durch eine untergegangene Industriegesellschaft mit interessanter Geschichte tätig sein.

  • #4

    Anton Scheven (Mittwoch, 08 Januar 2025 11:12)

    1. Beim Begriff "Superministerium" weiß ich nicht so recht, ob ich hellhörig oder doch eher schläfrig werden sollte.

    2. Egal, wie man Ressortzuständigkeiten zusammenschneidet, es bleiben immer Schnittstellen zwischen Themen zurück, die in unterschiedlichen Ressorts verortet und deshalb schwieriger zu behandeln sind. Bei Umsetzung dieser Ideen würden sie zwischen Schul- und Hochschulbildung entstehen und vermutlich in Kürze einen Artikel hier im Blog bewirken mit der Frage, warum man denn plötzlich Bildung nicht mehr umfassend denke und umsetze.

    3. Wie schon ein Vorkommentator erwähnte: Innovationskraft und Innovation schafft man vermutlich nicht durch Ressortzuschnitte.

  • #5

    Udo Michallik (Mittwoch, 08 Januar 2025 22:12)

    Lieber Herr Wiarda, alles ganz nett geträumt. Aber all das ist ohne Grundgesetzänderung machbar? Und wenn nicht, wie soll es hierbei zu einer 2/3 Mehrheit im Bundesrat kommen? Mal abgesehen von der als Ewigkeitsgarantie verankerten Föderalismus und die Rolle der Kultuspolitik darin, tiefgehend beleuchtet von Hans Jürgen Papier vor 6 Jahren und auf den Websiten der KMK nachlesbar.

  • #6

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 09 Januar 2025 08:35)

    Lieber Herr Michallik,

    vielen Dank für Ihren Kommentar! Tatsächlich soll sich mein Vorschlag nur auf eine andere Ressortverteilung in der Bundesregierung beziehen und auf die internen Abläufe in den betreffenden Bundesministerien. Eine neue Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist insofern damit nicht verbunden, sondern nur eine klarere Sortierung der ministeriellen Zuständigkeiten im Bund. Wodurch meines Erachtens eine konsistentere Strategie möglich würde – was natürlich faktisch die Bund-Länder-Beziehungen in der Bildungspolitik verändern würde, aber meine Meinung nach zum Positiven, Konstruktiven, Schnelleren.

    Eine Grundgesetzänderung müsste man dazu also gar nicht diskutieren oder durchbringen. Um das nochmal explizit zu machen, habe ich gerade einen Satz ergänzt.

    Und schon mal ein Ausblick: Demnächst werde ich mich tatsächlich mit einer Reform des Föderalismus beschäftigen und sogar einmal das Gedankenspiel einer Zuspitzung der Kultushoheit durchspielen. Aber das kommt dann demnächst...

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #7

    Ruth Himmelreich (Donnerstag, 09 Januar 2025 09:39)

    "Zeit zu Springen"? Das wäre dann aber ein "Großer Sprung Zurück". Ich erinnere daran, dass im Jahr 1994 mit dem heutigen BMBF ein damals vielbejubeltes "Zukunftsministerium" gegründet wurde mit der Zusammenlegung der bisherigen Ministerien für Forschung und Technologie und dem für Bildung und Wissenschaft (4 Jahre später wurde dann, oddly enough, der Technologieteil dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen).

    Wenn man so etwas wieder macht, würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hinauslaufen, dass man die Hochschulen dem Bildungsteil zuschlägt, weil die Kompetenzen des Bundes im Schulbereich so begrenzt sind, dass das kein eigenes Ministerium hergibt. Und dann wäre es wieder soweit: ein Ministerium kümmert sich um "richtige" Forschung und Technologie im außeruniversitären Bereich, das andere macht halt Bildung und so Kram. Ich erinnere mich an die 90er, da hat man im BMBF deutlich gemerkt, wer aus dem alten Bildungsministerium kam, das waren gerne Lehrer, die auch getickt haben wie die Kultusbürokratie in den Ländern. Das kann man sich für die Hochschulen nicht nochmals wünschen, auch wenn es natürlich "neu und ganz anders" wäre.