Führte das BMBF unter Bettina Stark-Watzinger sehenden Auges mehrere hochrangige Innovations-Förderprogramme in die Unterfinanzierung und ließ die Antragsteller tausende Seiten vollschreiben – ohne das nötige Geld einzuplanen?
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Foto: Website der "T!Raum"-Initiative "One Health-Region Vorpommern" (Screenshot).
SIE SOLLTE EIN WEITERER KRAFTAKT WERDEN zur Stärkung strukturschwacher Regionen, die BMBF-Programmlinie "T!Raum". Das Kunstwort steht für "TransferRäume für die Zukunft von Regionen", und schaffen sollen diese Räume zwölf Initiativen aus der Wissenschaft in Zusammenarbeit mit Unternehmen, regionalen Initiativen und Kommunen. Ausgewählt aus über 100 Bewerbungen, ausgestattet mit einer millionenschweren Förderung, sollen die Bündnisse dafür sorgen, dass Innovationen schneller in strukturschwache Regionen gelangen, "was einen positiven Strukturwandel stärkt", wie es auf der "T!Raum"-Website heißt.
Drei bis sechs Millionen Euro pro Initiative für die ersten drei Jahre hatte das BMBF angekündigt, was rechnerisch auf 36 bis 72 Millionen insgesamt hinausgelaufen wäre, pro Haushaltsjahr gemittelt zwölf bis 24 Millionen. Eigentlich überschaubar. Doch auf eine Anfrage der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion hin stellt sich nun heraus, dass das BMBF unter der damaligen Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) offenbar von Anfang an so wenig Geld für "T!Raum" und verwandte Förderlinien eingeplant hat, dass viele Projekte möglicherweise vor dem Aus stehen.
Das Geld für 2024 war
schon im April alle
Die Sache schwelt schon länger. Erstmals April 2024 hatte der zuständige Projektträger Jülich den zwölf Initiativen mitgeteilt, dass es nicht mehr möglich sei, geprüfte "T!Raum"-Umsetzungsvorhaben freizugeben. Der Grund: Es sei aktuell kein Geld mehr übrig. Die Aufregung unter Initiativen-Koordinatoren und Projektleitern war groß und wuchs, je mehr Zeit ins Land ging, denn mit der Unsicherheit drohten Mitarbeiter abzuspringen, ihr Knowhow unwiederbringlich verlorenzugehen.
Nach einem gemeinsamen Brandbrief von elf der zwölf Initiativen an den damaligen parlamentarischen BMBF-Staatssekretär Mario Brandenburg im September teilte das Ministerium auf meine Presseanfrage hin mit, es treffe zu, dass "gegenwärtig keine Neubewilligungen" vorgenommen werden könnten.
Grund sei, dass die für "T!Raum" und ihre größere Schwesterinitiative "WIR! – Wandel durch Innovation in der Region" vorhandenen Mittel im betreffenden BMBF-Haushaltstitel für 2024 ausgeschöpft seien. "Zudem ist eine qualifizierte Sperre im Titel bei der Mittelbewirtschaftung zu berücksichtigen. Wir bemühen uns im Interesse aller Beteiligten um eine schnellstmögliche Lösung."
Besagter Haushaltstitel mit der Nummer 683 10 im Kapitel 3004 trägt die Überschrift: "DATI, regionale Innovationsökosysteme, Forschung an Fachhochschulen, Hochschulen für angewandte Wissenschaften". Die einzige aufgeführte Sperre in dem Titel bezog sich 2024 auf die DATI, die immer noch nicht gegründete Deutsche Agentur für Transfer und Innovation. Auf gut 35 Millionen Euro des Agenturbudgets sollte das Ministerium vergangenes Jahr erst Zugriff erhalten, sobald ein "schlüssiges Konzept" zur DATI-Gründung vorlag.
Wie genau der Zusammenhang zwischen "T!Raum"-Finanzierung und DATI-Sperre aussah, ließ das BMBF zwar im Unklaren, doch hofften die Initiativen seitdem auf eine baldige Aufhebung.
Alle hofften auf die Mittelfreigabe –
dann platzte die Koalition
Tatsächlich beschloss das Kabinett im November 2024 endlich das vom Bundestagshaushaltsausschuss verlangte Konzept – doch am selben Tag ging die Ampel-Koalition zu Bruch, und statt einer Mittelfreigabe wechselte der Bundeshaushalt am 1. Januar 2025 in die vorläufige Haushaltsführung.
Freilich zeigt jetzt die Antwort des inzwischen von den Grünen geführten BMBF auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsopposition, dass der Hinweis auf die DATI-Sperre wohl nur eine Nebelkerze war. Tatsächlich hatte man offenbar schlicht nicht genug Geld vorgesehen. Konkret: Über den gesamten Zeitraum 2022 bis 2025 hat das BMBF lediglich 34,3 Millionen Euro für "T!Raum" ausgegeben bzw. eingestellt. 2022 floss kein einziger Euro, 2023 nur 2,7 Millionen, 2024 waren 15 Millionen geplant. Vor dem Hintergrund, dass die "WIR!"-Umsetzung erwartungsgemäß langsam hochlief, hätte man bereits für 2024 ein entsprechendes Polster einbauen müssen. Tat man aber nicht. Und obwohl das Geld schon im April 2024 alle war, sind für 2025 laut BMBF wiederum nur 16,5 Millionen Euro eingestellt.
Ging das BMBF unter der FDP-Ministerin Stark-Watzinger also womöglich sehenden Auges in die Unterfinanzierung, und zwar im gesamten Programm "Innovation & Strukturwandel", zu dem "T!Raum", "WIR!" und "RUBIN – Regionale unternehmerische Bündnisse für Innovation" gehören?
Unter dem Grünen Cem Özdemir scheint man im Ministerium inzwischen um Aufklärung bemüht. Während der Projektträger in Absprache mit dem BMBF den Antragstellern noch im August 2024 schriftlich erklärte, der Grund für die fehlenden Mittel sei "(weiterhin) eine ministerielle Mittelsperre, nach deren Aufhebung aktuell von einer Buchung Ihres Projekts ausgegangen werden kann", schrieb das Ministerium jetzt in seiner Antwort an die Unionsfraktion: "Die Mittel für 'Innovation & Strukturwandel' wurden nicht gesperrt. Die im Einzelplan 30 des BMBF für das Programm bereitgestellten Mittel wurden bereits im Frühjahr 2024 vollständig für Projekte des Programms verbucht. Weitere Mittel stehen gegenwärtig nicht zur Verfügung."
Jetzt liegen die Projekte auf Halde.
Wie lange, weiß kein Mensch
Konkret liegen allein in der "T!Raum"-Programmlinie derzeit 39 bewilligungsreife Anträge auf Halde. Wie lange, weiß kein Mensch. Die Antwort des BMBF: "Sobald wieder Haushaltsmittel verfügbar sind, könnten diese Anträge bewilligt werden."
Insgesamt seien bislang 138 "T!Raum"-Anträge bewilligt worden. Gewährte Bundesmittel: 52,8 Millionen Euro. Das Gesamtvolumen aller beantragten BMBF-Mittel inklusive der bewilligungsfähigen: 64,3 Millionen. Die Differenz: wiederum überschaubar. Eigentlich.
Bei "WIR!" handelt es sich um größere Zahlen und Summen, doch das Problem ist dasselbe. Die Programmlinie habe zum Ziel, "durch die themenoffene Innovationsförderung die Wirtschaftskraft in und aus den Regionen heraus zu stärken, gute Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zu erhalten und eine positive Zukunftsperspektive für den anhaltenden und unabwendbaren strukturellen Wandel im gesamten Bundesgebiet zu entwickeln".
So haben es die Koordinatoren von 30 "WIR!"-Projekten Ende November in einem Brief Stark-Watzingers Nachfolger Özdemir, die Bundestagsfraktionen und die Vorsitzenden von Bundestagshaushalts- und forschungsausschuss formuliert und gewarnt: Durch das Versagen der Mittel könnten rund 350 Projekte aus der gesamten WIR!-Programmlinie "mit einem Gesamtfördervolumen von ca. 84 Mio. Euro seit Monaten nicht starten". Allein diese 30 "WIR!"-Bündisregionen repräsentierten über 1.500 Unternehmen mit rund 200.000 Beschäftigten und einem Umsatz von geschätzt 100 Milliarden Euro – sowie über 800 Wissenschaftseinrichtungen, Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus strukturschwachen Regionen im gesamten Bundesgebiet.
457 bewilligungsfähige
Projektanträge allein aus "WIR!"
Laut jüngster BMBF-Antwort stapeln sich beim BMBF inzwischen sogar geschlagene 457 bewilligungsreife Projektanträge aus "WIR!".
Hinzu komme, schreiben die Koordinatoren weiter, dass das BMBF – wie übrigens bei "T!Raum" auch – die Evaluation der "WIR!"-Bündnisse der zweiten Bewilligungsrunde verschoben habe. "Somit befinden sich diese WIR!-Bündnisse in der Situation, dass sowohl ein signifikanter Teil der Mittel aus der ersten Phase gesperrt ist als auch die Projekte für die zweite Phase keine Planungssicherheit haben."
Die Forderungen der "WIR!"-Bündnisse in ihrem Brief von Ende November: die Fortführung der Evaluation mit einem klaren Zeitplan und unabhängig von der Haushaltsituation. Vor allem aber die "sofortige Freigabe" der Mittel für das Programm "Innovation und Strukturwandel" aus dem DATI-Haushaltstitel Schließlich habe das Bundeskabinett ja das Gründungskonzept beschlossen. "Somit steht der Aufhebung der Haushaltssperre nichts entgegen."
Nur dass das mit der Haushaltssperre nach neuer BMBF-Darstellung eben doch nicht das Problem zu sein scheint. So wurde es auch den Briefeschreibern direkt kurz vor Weihnachten in einer kurzen Antwort, verfasst von einer Referatsleiterin im Ministerium, mitgeteilt.
22.000 vollgeschriebene
Antragsseiten
Jetzt kommentiert der CDU Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer, die Antwort der Bundesregierung verdeutliche "das ganze Chaos der Ampel". Er sei entsetzt, wie hier Vertrauen in die Forschungsförderung zerstört und die Zukunft mutwillig verspielt wird", sagt der "Forschungsförderung in strukturschwachen Regionen" zuständige Berichterstatter seiner Fraktion. Die selbsterklärte Fortschrittskoalition habe in die erfolgreiche Innovationsförderung strukturschwacher Regionen einen Bremsklotz geworfen, um das eigene Leuchtturmprojekt einer Transferagentur, die es bis heute nicht gibt, durchzudrücken."
Und Rohwer rechnet vor: Angesichts einer durchschnittlichen Antragslänge von 45 Seiten hätten die verantwortlichen Akteure von "T!Raum" und "WIR!" bei zusammengenommen 496 auf die Bewilligung wartenden Anträgen insgesamt geschätzt 22.320 Seiten vollgeschrieben – bislang vergeblich.
Entsprechend groß ist der Unmut innerhalb der Communities. "Die Vorhaben wurden in formalen Anträgen kalkuliert und beschrieben, der Projektträger hat diese geprüft und bearbeitet, ehrenamtliche Beiräte haben die inhaltliche Bewertung der Projekte durchgeführt, um nur ein paar Punkte zu nennen", sagt Christina Peters, Geschäftsführerin von "Pi Innovation Culture", einem Partner des "WIR!"-Bündnisses "BioZ". "Hier wurden de facto wissentlich enorme Ressourcen verschwendet, da die Mittel für die Umsetzung der Projekte gar nicht bereitgestellt wurden. Ein solches Vorgehen ist schlichtweg unverantwortlich und fördert den Vertrauensverlust an politische Entscheidungsträger."
Dramatisch ist auch, was das BMBF in seiner Antwort an die größte Oppositionsfraktion selbst beschreibt: "Aufgrund der unklaren Förderperspektive gibt es Hinweise, dass sich Personal aus den Bündnissen neuorientiert und somit nicht gehalten werden kann." Die Gewinnung von Fachkräften scheine für die "WIR!"-Bündnisse somit "erschwert." Offenbar bestehe auch bei den Bündnissen "eine Zurückhaltung bei der Ansprache neuer Partner".
Die Hoffnungen ruhen auf dem
Übergangsminister Özdemir
Die politische Depriorisierung durch Stark-Watzingers Hausleitung, ausgedrückt durch die viel zu wenig eingestellten Haushaltsmittel, hängt womöglich damit zusammen, dass die FDP-Politikerin das Programm von ihrer Vorgängerin geerbt hatte. "Innovationen sind das Sprungbrett in eine gute Zukunft", sagte die CDU-Politikerin Anja Karliczek, als sie im September 2021 das Ergebnis der zweiten "WIR!"-Auswahlrunde bekanntgab. "In strukturschwachen "Regionen in ganz Deutschland wollen wir neue Innovationsdynamik entfachen. Nur dann wird der Strukturwandel nachhaltig und damit erfolgreich sein." Geschlagene 600 Millionen Euro sollten dafür eigentlich bis 2024 bereitgestellt werden, für "starke Impulse".
Jetzt ruhen die Erwartungen auf dem neuen BMBF-Chef. Das Ministerium versichert, es nutze alle für die Umsetzung der Programmlinien des Programms "Innovation & Strukturwandel" zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel und unterstütze die Bündnisse und Initiativen darüber hinaus mit "allen weiteren ihm verfügbaren Möglichkeiten". So seien im November 2024 "Härtefälle" in den Programmlinien "WIR!" und "T!Raum" bewilligt worden, konkret unter anderem die sogenannten Innovationsmanagementprojekte, die "zentral für den Bestand der Bündnisse" seien. Hierfür habe man nicht gebundene Mittel aus einem anderen BMBF-Haushaltstitel genutzt.
Einer der "T!Raum"-Koordinatoren berichtet, was das bedeutet: Von den acht beantragten Vorhaben seiner Initiative würden derzeit nur vier gefördert, insgesamt fehle etwa ein Drittel des Gesamtförderrahmens für die ersten drei Jahre, also rund zwei Millionen Euro. Immerhin: "Der Projektträger hat just letzte Woche nach einer Priorisierung der nicht geförderten technischen Projekte gefragt." Allerdings seien die Aussagen widersprüchlich: Mal heiße es, es könnten noch zusätzliche Mittel freigegeben werden, mal wieder, dass dies erst geschehe, wenn die neue Regierung stehe und einen Haushalt verabschiedet habe. "Es ist also alles sehr sehr unklar."
Den "WIR!"-Bündnissen wurde kurz vor Weihnachten mitgeteilt, das Ministerium werde sie einbinden "und die Sprecherinnen und Sprecher Anfang 2025 über das weitere Vorgehen informieren". Bislang ist das offenbar noch nicht geschehen.
Geht da in den nächsten Monaten unter dem Übergangs-Minister Özdemir trotz vorläufiger Haushaltsführung noch mehr? Klar ist: Für viele Projekte von "T!Raum" und "WIR!" wäre ein Übergang bis zum Start einer neuen Bundesregierung im Sommer zu lang. Sie würden ihn nicht überleben.
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Na ja (Donnerstag, 16 Januar 2025 23:32)
Ein Förderprogramm weniger, bei dem ohnehin nichts wesentliches rausgekommen wäre, ist das schlimm?
Leif Johannsen (Freitag, 17 Januar 2025 10:43)
Ich halte es fuer ein bisschen muessig, darueber zu philosophieren, ob bei den genannten Foerderprogrammen jetzt "etwas" herausgekommen waere oder nicht. Ich habe mich nicht mit den Foerderprogrammen befasst und kenne insofern die bewilligten wie nichtbewilligten Antraege nicht. Aber es wurden ja sicherlich mit den Programmen aus einem bestimmten Grund bestimmte Zielstellungen verfolgt, die jetzt auf absehbare Zeit definitiv nicht erreicht werden koennen. Und in diesem Sinne kann man schlussfolgern, dass es sich bisher um eine riesige Zeitverschwendung fuer alle Beteiligten gehandelt hat, und somit womoeglich sogar ein volkswirtschaftlicher Schaden entstanden ist (die Leute haetten ihre Arbeitszeit im Nachhinein produktiver als fuer die Antragsstellungen verbringen koennen). Aus meiner Sicht handelt es sich bei den Ablaeufen um einen handfesten Skandal, der noch viel eher Konsequenzen haben muesste als die "Listen"-Affaere, da es einen (bzw. mehrere) "bugs" in dem Prinzip der antragsbasierten Forschungs-/Innovationsfoerderung ausdrueckt.
Henning Bähr (Dienstag, 21 Januar 2025 19:29)
Eine unverzeihliche Schlamperei, die zu Recht das Vertrauen in die für die Innovationsförderung in strukturschwachen Regionen Zuständigen erschüttert.