Der Verband der Kinderärzte appelliert inmitten spalterischer Wahlkampfrhetorik an die Gesellschaft: Die öffentlichen Konflikte beeinflussen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
DIE KINDERÄRZTE SIND BESORGT. Ihr Berufsverband, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, kurz DGKJ, fordert den "Schutz von Kindern vor verletzenden, ausgrenzenden und polarisierenden Parolen, die verstärkt durch den Bundestags-Wahlkampf auch die Lebenswelten von Kindern beeinflussen".
Schon vor einem Jahr hatte sich die DGKJ mit dem Aufruf "Menschenskinder" gegen "menschenverachtende und diskriminierende Stimmungsmache" gewandt. "Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die aus aller Welt kommen", hieß es damals. "Viele von uns haben internationale Bezüge. Unsere Fachliteratur, unsere Vorträge und unsere Wissenschaft ebenso." Und weiter: "Den Kindern ist unsere Herkunftsgeschichte egal. Sie wollen zugewandte Menschen, die sie im Krankheitsfall kompetent und bestmöglich versorgen."
Nun aber, erklärt der DGKJ-Vorstand, müsse man kurz vor der Bundestagswahl 2025 wahrnehmen, "wie alltäglich Polarisierungen, Diskriminierungen, rassistische und rechtsextreme Positionen geworden sind, auch in den Krankenhäusern und den Praxen." Kinder blieben davon nicht unberührt: "Ihre Entwicklung und ihre Weltsicht wird entscheidend geprägt davon, wie Konflikte ausgetragen und mit welchen Mitteln Meinungen vertreten werden. Hier sind wir alle gefragt und aufgefordert, nicht gleichmütig zu werden."
Der Appell der Kinderärzte ist doppelt wichtig. Weil er zeigt, dass nicht allein das Verhalten an der Wahlurne ausschlaggebend ist, um den Kindern das in der UN-Kinderrechtskonvention enthaltene Recht auf ein Aufwachsen und Leben "im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität" zu ermöglichen. Sondern dass schon der Weg dahin Auswirkungen hat auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen: der Ton öffentlicher Debatten, die Wahlkampfrhetorik, der Text auf den Wahlplakaten und die Bildsprache in den Wahlwerbespots. Und dass auf den Hass und Antagonismus der Extremisten daher nicht mit noch mehr Schärfe und Zuspitzung von Seiten der Demokraten reagiert werden darf. Das sollten alle bei ihren Meinungsäußerungen in den nächsten Wochen im Hinterkopf behalten.
Insofern war es eine gute Nachricht, dass die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten die Brandenburger AfD verpflichtet hat, einen Wahlwerbe-Clip aus ihren sozialen Kanälen zu löschen – oder mit technischen Mittel um den Zugriff von Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Das Kurzvideo enthalte "entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte", mit denen "pauschale Stereotype" bedient würden. Keine gute Nachricht ist, dass es sich um einen Clip aus dem Landtagswahlkampf handelte, der im September vorbei war – und das medienrechtliche Aufsichtsverfahren bis jetzt gedauert hat. Die AfD will vor dem Verwaltungsgericht eine einstweilige Verfügung erwirken, um die Löschungsanordnung auszusetzen.
Die demokratische Mehrheit muss auch zum Schutz der Kinder und Jugendliche wehrhafter werden.
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