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Funkstörung

Die Zukunft der europäischen Forschungsförderung? Gerade jetzt müsste eine Bundesregierung all ihren europapolitischen Einfluss in die Waagschale werfen. Aber die Deutschen sind mit sich selbst beschäftigt.

ES GEHT UM VIEL GELD. Der frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi forderte vergangenes Jahr in seinem vielbeachteten Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union eine Verdopplung der Ausgaben für das neue EU-Forschungsrahmenprogramm "FP10" im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem derzeit noch laufenden "Horizon Europe". Eine Verdopplung wären 200 Milliarden Euro. Die High-Level-Expertengruppe zur Horizon-Zukunft unter Portugals Ex-Wissenschaftsminister Manuel Heitor schloss sich der Forderung an und plädierte für 220 Milliarden.

 

Eine derartige Erhöhung bezeichnete die für Start-ups, Forschung und Innovation zuständige neue EU-Kommissarin Ekaterina Sachariewa im Magazin Science Business zwar als "unwahrscheinlich". Doch die Debatte läuft, und sie wird scharf geführt, weil in Kürze ein wichtiger Termin ansteht: Ende April muss die EU-Kommission ihre Zwischenevaluation von "Horizon Europe" vorlegen und setzt damit den Ton für dessen Weiterentwicklung. 

 

Oder Abschaffung: Denn im Herbst sickerte durch, dass die EU-Generaldirektion Haushalt womöglich gar kein eigenes Forschungsrahmenprogramm mehr will, sondern mit dem Gedanken spielt, die Förderung inklusive ihrer Flaggschiffen wie dem Europäischen Forschungsrat (ERC) in einem Fonds zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit aufgehen zu lassen.

 

Die deutschen Hochschulrektoren und

Landeswissenschaftsminister halten gegen

 

Einflussreiche Mitgliedstaaten wie Frankreich signalisieren ihre Sympathie. Und die Bundesregierung? Hat wegen Ampelbruch, Bundestagswahlkampf und anschließende Koalitionsverhandlungen europapolitisch in diesen entscheidenden Monaten so gut wie keinen Einfluss.

 

Wacker versuchen die Hochschulrektoren und Landeswissenschaftsminister, die deutsche Perspektive in Brüssel zumindest halbwegs hörbar zu machen.

Zwar würde sich etwa an den ERC auch ohne eigenes "FP10" keine EU-Kommission heranwagen. Trotzdem warnte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Anfang Dezember, die EU dürfe ihr "bewährtes Forschungsprogramm" auf keinen Fall aufgeben. "Eine solche Reform mag auf administrative und ökonomische Effizienzgewinne abzielen, darf am Ende aber nicht dazu führen, dass für Forschung, die primär auf wissenschaftliche Neugier und Relevanz beruht, daher meist noch keine konkrete Verwertbarkeit in den Blick nehmen kann, weniger Fördermöglichkeiten als heute bestehen", sagte HRK-Vizepräsident Georg Krausch.

 

Die neue Wissenschaftsministerkonferenz der Länder, kurz "Wissenschafts-MK", mahnte Mitte Januar, die EU-Forschungsförderung müsse ihre Eigenständigkeit behalten. "Die Gefahr wäre groß, dass Forschung und Innovation als Randthemen zurückstehen müssten", sagte Wissenschafts-MK-Präsidentin Bettina Martin. "Wir brauchen eine starke Wissenschaft für Fortschritt und Wohlstand für die künftige Entwicklung der gesamten Europäischen Union." Das Rahmenprogramm sei hierfür das zentrale Instrument, "von dem auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland erheblich profitieren".

 

Deutschland profitiert
mehr als alle anderen

 

Und zwar mehr als alle anderen. Bei der jüngsten Vergabe von 328 "ERC Consolidator Grants" vor knapp zwei Monaten gingen 67 nach Deutschland, dessen Wissenschaftssystem stark auf die Grundlagenforschung ausgerichtet ist.

 

Parallel zu der Debatte gibt es auf europäischer Ebene auch ernsthafte Bemühungen, die Forschungsförderung grundsätzlich zu reformieren. Sowohl der Draghi-Report als auch die Empfehlungen der Heitor-Kommission machten weitreichende Vorschläge, die unbedingt in die "FP10"-Planung einfließen sollten. Beide inklusive der Forderung, eine europäische "Darpa" zu gründen. Doch keine der beiden wollten das Ende eines eigenen Forschungsrahmenprogramms. 

 

Gerade jetzt müsste eine Bundesregierung all ihren europapolitischen Einfluss in die Waagschale werfen. Mehr Förderung von Innovation? Im eigenen Interesse und im Interesse Europas müsste sie dafür kämpfen, dass möglichst viel europäisches Geld in die Forschungs- und Innovationsförderung geht, anstatt etwa in Struktur- und Agrarförderung. Und dass es von 2028 an wieder ein eigenes Rahmenprogramm gibt, denn nur dadurch konnte die EU-Forschungsförderung, bei allem Reformbedarf, so dynamisch und reputationsstark werden, dass sogar das Vereinigte Königreich wieder dabei sein wollte. Genau wie die Schweiz assoziiert ist, Israel oder inzwischen sogar Kanada.

 

Dass die Bundesregierung in Brüssel gerade kaum eine Rolle spielt, ist in vielerlei Hinsicht misslich. Angesichts ihres traditionell großen Einflusses in der Forschungspolitik ist es ein Riesenproblem.

 

Eine kürzere Version dieses Kommentars erschien am Montag im ZEIT-Newsletter Wissen3.



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