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Förderaffäre-Aufklärung: Opposition kritisiert Özdemir

CDU: Wollen die vollständigen Akten und Aufklärung der Chats. Linke: "Eigenartige Geheimniskrämerei". Am Mittwoch ist der Minister im Forschungsausschuss.

KURZ VOR Cem Özdemirs Auftritt zur Fördermittelaffäre vor dem Bundestagsforschungsausschuss am Mittwochmorgen erhebt die Opposition Vorwürfe gegen den Übergangs-BMBF-Chef. 

 

Anders als erwartet sei den Abgeordneten im Vorfeld der Ausschuss-Sitzung nicht die Akte zu den Vorgängen selbst zur Einsicht zur Verfügung gestellt worden, sondern es handle sich "lediglich um dieselbe unvollständige Sammlung von Dokumenten, die bereits Frau Stark-Watzinger veröffentlicht hat, wenn auch in geschwärzter Form", heißt es in einem am Montag versandten Brief der CDU-Bundestagsabgeordneten und Ausschussmitglieder Thomas Jarzombek und Stefan Albani, der dem Wiarda-Blog vorliegt. Besonders schwerwiegend sei, dass "keine zielführenden Aufklärungsanstrengungen" zu der Chat-Kommunikation der Leitungsebene um die frühere Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) stattgefunden hätten.

 

Im Interesse einer vollständigen Aufklärung der Affäre seien insbesondere "die konkreten administrativen und kommunikativen Abläufe in der Hausleitung und Leitungsabteilung des BMBF von Interesse", schreiben Jarzombek und Albani an Özdemir. "Wir erwarten von Ihnen, dies zu respektieren und in der Öffentlichkeit keinen anderen Eindruck zu erwecken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMBF haben das Schlimmste verhindert und sich damit wirksam gegen die von der Hausspitze vorgegebene Stoßrichtung gestellt." >>


Worum es bei der "Fördermittelaffäre" geht

 

Alles begann mit einen Offenen Brief, den Berliner Hochschullehrende Anfang Mai verfasst hatten, zur Unterstützung eines von der Polizei aufgelösten propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität (FU). Woraufhin sich die damalige Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der BILD als "fassungslos" zitieren ließ: "Gerade Lehrende müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen." Einen Monat später, am 10. Juni, berichtete das ARD-Magazin "Panorama", geleakten Mails zufolge habe die BMBF-Hausleitung intern prüfen lassen wollen, ob den Unterzeichnern des Offenen Briefes Fördermittel gestrichen werden könnten. 

 

Kurz darauf räumte Staatssekretärin Sabine Döring per BMBF-Hausmitteilung ein, sie habe am 13. Mai eine rechtliche Prüfung telefonisch beim zuständigen Abteilungsleiter beauftragt und sich dabei "offenbar missverständlich ausgedrückt". Die Unklarheit sei "sehr zeitnah" in einem weiteren Telefonat ausgeräumt worden. Ob Dörings Eingeständnis eine Weisung der Ministerin vorausging, ist offen. Fest steht: Zwei Tage später folgte die Entlassung durch Stark-Watzinger, die seitdem viele Male beteuerte, von dem Vorgang am 13. Mai nichts gewusst zu haben. Bereits am 10. Mai, davon unabhängig und ohne Dörings Beteiligung war eine Namensliste BMBF-geförderter Unterzeichner im Ministerium in Auftrag gegeben worden, zu Pressearbeitszwecken, wie es hieß. Auch davon habe sie nichts gewusst, sagt Stark-Watzinger.

 

Alles nur Verwaltungshandeln und ohne Wissen der Ministerin? Die Ministerin war zu den Vorgängen zweimal im Forschungsausschuss befragt worden, zudem hatte das BMBF eine Reihe von geschwärzten Unterlagen und Emails veröffentlicht. Geleakte Wire-Chats hatten derweil Einblicke in die Kommunikation der Leitungsebene gegeben. So hatte etwa Dörings späterer Nachfolger Roland Philippi in einer Chat-Gruppe, zu der auch die Ministerin gehörte, kritische Hochschullehrende als "verwirrte Gestalten" und über eine Selbstzensur aus Angst vor Förderentzug schwadroniert.

 

Döring bat Stark-Watzinger vergeblich um die Aufhebung ihrer dienstlichen Verschwiegenheitspflicht, um selbst zu den Vorgängen Stellung nehmen zu können. Özdemir hatte Anfang Dezember erstmals die weisungsunabhängige interne Revision des BMBF beauftragt, deren Abschlussbericht jetzt vorliegt (hier die wesentlichen Ergebnisse). Die Aufhebung von Dörings Verschwiegenheitspflicht lehnt auch Özdemir ab, ebenso die von der Union geforderte Aussage des zuständigen Abteilungsleiters Jochen Zachgo, und zwar mit Hinweis auf den Bericht der Internen Revision, der an zwei Stellen von "nicht aufklärbaren Widersprüchen" zwischen den Aussagen Dörings und denen des Abteilungsleiters sprach.


>> In einer Hausmitteilung hatten Özdemirs Staatssekretär Stephan Ertner und Karl Eugen Hutmacher am vergangenen Mittwoch an die BMBF-Mitarbeiter mitgeteilt, ausgehend vom Sachstandsbericht der Internen Revision "können wir kein Fehlverhalten im Verwaltungshandeln erkennen".

 

"Eine Affäre der Hausleitung,
nicht des Hauses"

 

Doch die Fördermittelaffäre sei "eine Affäre der Hausleitung des BMBF, keine des Hauses", betonen die CDU-Politiker Jarzombek und Albani in ihrem Brief. "Die noch bestehenden Lücken in der Sachverhaltsaufklärung existieren insbesondere bei Vorgängen in der Leitungsabteilung und im unmittelbaren Umfeld Ihrer Amtsvorgängerin."

 

Die linke Wissenschaftspolitikerin Nicole Gohlke kritisierte Özdemir ebenfalls scharf. Der neue Bildungsminister verpasse die Chance, endlich Klarheit zu schaffen. "Der Abschlussbericht ist nur ein schlechtes Manöver, von der eigentlichen Frage abzulenken." Es habe niemand der Verwaltung einen Vorwurf gemacht. "Es geht doch darum, welche Rolle die ehemalige Ministerin gespielt hat, wer in der politischen Leitung was wann gewusst hat." Bei dem Verfahren der Akteneinsicht von Transparenz zu sprechen, sei "unverschämt". 

 

Die Vorwürfe der Opposition stehen im diametralen Gegensatz zu den Versicherungen aus Özdemirs BMBF, die Aufklärung der Affäre ernsthaft zu betreiben und dafür alles Mögliche zu tun. Tatsächlich hatte erst die neue Hausleitung überhaupt die unabhängig agierende Interne Revision des BMBF mit Ermittlungen beauftragt

 

Seit vergangenem Donnerstag hatte das BMBF den Mitgliedern des Forschungsausschusses zudem erstmals direkten Einblick in die Unterlagen des Ministeriums zur Affäre gewährt. Allerdings unter Sicherheitsbestimmungen, berichten Abgeordnete, wie sie sonst für Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz und militärisch relevante Unterlagen vorgesehen seien: Fotos oder Fotokopien seien verboten, Abgeordnete dürften nur für festgelegte, kurze Zeiten mit ausgewählten Mitarbeitern zusammen die Akten durchgehen. "Eine eigenartige Geheimniskrämerei", heißt es aus der Linken-Bundestagsgruppe.

 

Dass die Bundestags-Opposition inmitten des teilweise hitzig verlaufenden Bundestagswahlkampfes Übergangs-Forschungsminister Özdemir für sein Agieren als Aufklärer Beifall zollen würde, war von vornherein unwahrscheinlich gewesen. Doch tatsächlich stellt sich die Frage, warum, wie Abgeordnete übereinstimmend berichten, nicht die vollständigen Akten vorlegt wurden, erst recht angesichts der hohen Geheimhaltungsstufe.

 

Was laut CDU alles
in den Unterlagen fehlt

 

Die Union fordert noch vor Beginn der Ausschuss-Sitzung am Mittwochmorgen die Vervollständigung der Unterlagen und den Einblick in die "offensichtlich fehlenden Teile der Akten". Konkret führen die beiden Abgeordneten Jarzombek und Albani in ihrem Schreiben an Özdemir "nach erfolgtem Studium der von Ihnen bereitgestellten Unterlagen" mehrere Kritikpunkte an:

 

o Wesentliche Vorgänge fehlten in der Dokumentensammlung. Darunter unter anderem die von Stark-Watzinger veranlasste Sachverhaltsaufklärung vom 11. Juni 2024, die Abstimmung der Erklärung von Stark-Watzinger zur Versetzung der früheren parlamentarischen Staatssekretärin Sabine Döring in den Ruhestand, die Verwaltungskommunikation zu Dörings gleich zweimal eingereichtem Vermerk zu den Entscheidungsprozessen in der Fördermittelaffäre sowie "an verschiedenen Stellen die Vorgänge vor, zwischen und nach den von Ihnen bereitgestellten Emails".

 

o  Auf "vielen, wenn nicht allen Dokumenten" fehle das Aktenzeichen, bei den aufgeführten Emails fehlten die Email-Header, "aus denen hervorgeht, wer eine Email wann und an wen in cc gesendet hat". Aufgrund von Medienbrüchen ist zudem nicht nachvollziehbar, wer welche Änderungen in den Dokumenten, die im Änderungsmodus ausgedruckt wurden, vorgenommen habe.

 

o Weder dem Abschlussbericht der Internen Revision noch der Dokumentensammlung hätten Abgeordnete weiterführende Informationen oder Erkenntnisse entnehmen können zu der Chat-Kommunikation der früheren BMBF-Leitungsebene, die Jarzombek und Albani als ein "von Bundesministerin a.D. Stark-Watzinger aufgebauten System der Schattenkommunikation" bezeichnen. Dessen Ausleuchtung sei jedoch "zwingend erforderlich", um die Abläufe in der Hausleitung und in der Leitungsabteilung nachvollziehen zu können.

 

Welche Rolle spielten
Morgenlage und Wire-Chats?

 

Die interne BMBF-Revision hatte in ihrem Abschlussbericht festgestellt, die  Meinungsbildung in der damaligen Führungsebene des BMBF lasse sich "nur unvollständig" rekonstruieren: Anhaltspunkte böten die Wire-Chatnachrichten, welche von Ex-Staatssekretärin Sabine Döring in ihrem ans BMBF geschickten Vermerk als Anlagen beigefügt gewesen seien. Diese hätten genauso wie die Erörterungen bei den täglichen Presse-Morgenlagen der politischen Meinungsbildung der Hausleitung gedient. "Für die Beurteilung des behördlichen Handelns der Arbeitsebene spielen sie keine Rolle und stellen auch keine amtlichen Informationen dar."

 

Eine gerade auch in Hinblick auf die Rolle der Morgenlage im Ministerium erstaunliche Aussage, aus der nach Auskunft von Ministeriumsmitarbeitern regelmäßig Arbeitsaufträge abgeleitet worden seien. Soll wirklich die gesamte Leitung des Ministeriums, wie der Bericht es darstellt, jeden Tag eine halbe oder ganze Stunde innerhalb der normalen Arbeitszeit lediglich "politische Meinungsbildung" betreiben ohne Relevanz für das Handeln der Arbeitsebene? Und sollte es bei der Aufklärung der Affäre nicht vielmehr um die Beurteilung des Handelns der damaligen Hausleitung – und deren Motivation gehen?

 

Die CDU-Abgeordneten jedenfalls halten der Aussage der Internen Revision denn auch entgegen: "Nur durch die ordnungsgemäße Aktenführung wird ein rechtsstaatlicher Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die Parlamente gewährleistet." Alle Beschäftigten einer Behörde seien diesen Prinzipien verpflichtet und an die jeweils geltenden Regelungen gebunden. 

 

Eine weitere Aufklärung wäre Jarzombek und Albani zufolge ohne Weiteres möglich. Denn: "In den in Kritik stehenden Wire-Gruppen gibt es nach unserer Kenntnis zahlreiche Mitglieder, die weiterhin im BMBF tätig sind und die Sie zur Kooperation verpflichten könnten." Die Namen einiger relevanter Wire-Gruppen seien ebenfalls bekannt, die Unionsfraktion habe sie im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage ans BMBF übermittelt.

 

An die Presse geleakte Ausschnitte der Chats hatten teilweise brisante Einblicke in die Entscheidungsfindung der BMBF-Hausleitung gegeben, die Frage nach den letztendlichen Verantwortlichkeiten allerdings auch bislang nicht klären können.

 

Man sehe es als Aufgabe des Ministers an, die Sicherung der Daten und Kommunikationsinhalte etwaiger Wire-Gruppen zu veranlassen und aus den daraus gewonnen Erkenntnissen Schlussfolgerungen für den künftigen Verwaltungsvollzug zu ziehen, schreiben die CDU-Abgeordneten an Özdemir. "Den dafür notwendigen Willen zur Aufklärung hatten Sie Ihrerseits anlässlich des Festaktes zu '75 Jahren Fraunhofer- Gesellschaft' den Anwesenden mitgeteilt und leider müssen wir diesen nunmehr vermissen."

 

Özdemir will
Vertrauen wieder aufbauen

 

Das BMBF ließ die am Montag gestellte Frage nach einer Erwiderung auf die CDU-Vorwürfe zunächst unbeantwortet.

 

So blieb am Vortag von Özdemirs Auftritt vor dem Forschungsausschuss unklar, warum der Minister es sich selbst so schwer macht, anstelle – apropos Wahlkampf – mit großer Geste die komplette Transparenz herzustellen. Inklusive umfassenderer Ermittlungen der Wire-Chats, die möglich wäre, die Komplettöffnung aller Akten zur Affäre für die Abgeordneten und der Erlaubnis an Ex-Staatssekretärin Döring, vor dem Ausschuss auszusagen, was die Opposition bis zuletzt gefordert hatte, aber auch von Özdemir abgelehnt wurde.

 

Auch der neue Minister habe sich für einen "Maulkorb für Frau Döring entschieden", kommentiert die Linken-Politikerin Gohle. Es bleibe ein "Cold Case BMBF".

 

Aus dem Ministerium hatte es vergangene Woche geheißen, der Minister hätte es sich mit der Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht "auch einfach machen können", zumal die Vorgänge in der Fördermittelaffäre allein unter Verantwortung der damaligen FDP-Hausleitung gefallen seien. Özdemir habe aber "ein ehrliches Interesse an Aufklärung und am BMBF" und wolle seiner Verantwortung für das Haus und seiner Beschäftigten voll nachkommen. Er sei der Auffassung, dass das BMBF durch das Vorgehen damals "einen schweren Vertrauensschaden" erlitten habe. Jetzt wolle er das Vertrauen wieder aufbauen und nicht zulassen, dass "durchsichtige parteitaktische Spielchen von der CDU" die Integrität des Verwaltungshandeln weiter belasteten".

 

Nur sind die offenen Fragen am Vortrag der Ausschuss-Sitzung zu umfangreich und offensichtlich, um ihr Stellen allein als parteitaktische Spielchen abzutun.

 

Der Artikel wurde am 28. Januar um 13 Uhr um Statements der Linken-Politikerin Nicole Gohlke ergänzt.



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