Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Ein angeblich besseres Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine Besserstellung beim Gehalt. Was bedeutet das für die verhandlungsabhängigen Leistungsbezüge von Professorinnen und Professoren?
Sitz des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt. Foto: Von Ralf Roletschek, Foto auf Wikimedia, CC-BY-NC-ND.
ES IST NICHT die erste Grundsatzentscheidung zum Gender Pay Gap, dafür ist es die bislang deutlichste. Wenn ein Mann beim selben Arbeitgeber mehr verdient als seine Kollegin, obgleich beide die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, begründet dies die Vermutung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, verkündete das Bundesarbeitsgericht (BAG) vergangene Woche. Es sei denn, der Arbeitgeber kann diese Vermutung mit einer triftigen Begründung widerlegen. So weit, so bekannt. Das Neue aber ist, dass die BAG-Richter klarmachten: Die Begründung, ein Mann habe besser verhandelt als seine Kollegin, gilt nicht.
Vor wenigen Wochen erst hatte das Statistische Bundesamt aktuelle Berechnungen für Deutschland veröffentlicht, denen zufolge Frauen mit vergleichbaren "Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien" wie Männer 2022 im Schnitt sieben Prozent weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen. Dass es auch in der akademischen Welt ein ausgeprägtes Gender Pay Gap gibt, hatten zuletzt die Analysen zweier Berliner Universitäten erneut bestätigt. An der Humboldt-Universitäten erhielten Professorinnen der W3-Besoldungsstufe rund sieben Prozent weniger Gesamtgehalt als Professoren, an der Technischen Universität (TU) waren es sogar neun Prozent – 800 Euro pro Monat.
Grund für den Unterschied bei den Profs sind allein die verhandelbaren Gehaltsbestandteile, die so genannten Leistungsbezüge, denn die Grundgehälter sind identisch. Und wie TU-Präsidentin Geraldine Rauch sagte, selbst wenn man alle möglichen Faktoren wie Alter, Fachhintergrund, Forschungsleistung, Drittmittel einberechne, bleibe eine enorme Abweichung, die sich nicht durch andere Gründe erklären lasse. Und Rauch fügte hinzu: "Das ist Willkür. Und eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung."
Weil Männer "besser verhandeln"? Diese – vom BAG verworfene –Begründung liegt nahe. Denn tatsächlich haben Professoren etwa an der TU laut Rauch im Schnitt bereits mehr Wechsel- und Bleibeverhandlungen hinter sich. Auf Twitter folgerten nach dem Urteil erste Kommentatoren bereits, dass jetzt das Gehaltsgefüge an den Hochschulen bundesweit ins Wanken gerate.
"Keine Konsequenzen" oder
"jeder Einzelfall auf dem Prüfstand"?
Doch der Deutsche Hochschulverband (DHV), dessen gut 33.000 Mitglieder zu Großteil Professorinnen und Professoren sind, äußert sich in seiner Bewertung zurückhaltend. "Wir gehen derzeit davon aus, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Konsequenzen für die Verhandlungen um die Leistungsbezüge der W-Besoldung hat", sagt Pressesprecher Matthias Jaroch. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem diesbezüglich wegweisenden Urteil von 2012 festgehalten, "dass das System der diversen Leistungsbezüge bei der Betrachtung der Frage nach der Amtsangemessenheit der Professorenbesoldung auszuklammern ist. Die Spielräume bei der Vergabe von Leistungzulagen bleiben somit groß."
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) möchte auf Anfrage "zum jetzigen Zeitpunkt" den Fall gar nicht kommentieren, da das Urteil und dessen Begründung bisher nicht im Volltext abrufbar sei.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wiederum gibt sich kämpferisch. "War der Gender Pay Gap zwischen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern schon bisher ein wissenschafts- und gleichstellungspolitischer Skandal, legt die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nun nahe, dass er rechtswidrig ist", sagt der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller. "Ob per se davon ausgegangen werden kann, dass Leistungsbezüge der W-Besoldung nicht mehr zulässig sind, da sie eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ermöglichen oder befördern, bedarf der juristischen Prüfung." Offenkundig sei, dass auszuhandelnde Gehaltsbestandteile nach der BAG-Entscheidung "in jedem Einzelfall auf dem Prüfstand stehen".
Und was sagt die Politik? Der Sprecher von Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) verweist auf die Nichtzuständigkeit des Bundesarbeitsgerichts, da das Besoldungsrecht von Beamten unter die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte falle.
Tatsächlich ist die erfolgreiche Klägerin angestellte Außendienstmitarbeiterin. Noch komplexer wird die Frage nach der Übertragbarkeit dadurch, dass ihre Benachteiligung bei der Einstufung in eine niedrigere Entgeltgruppe geschah. Leistungsabhängige Bezüge erhielten weder sie noch ihr Kollege.
Bayerns Wissenschaftsministerium: Grundaussage
gilt "selbstverständlich auch für die Hochschulen"
Willingmanns Sprecher sagt: Das Aushandeln variabler Leistungsbezüge bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen erfolge auf der Grundlage der Landesbesoldungsgesetze, und das "allein leistungsorientiert, das heißt messbar aufgrund vorgegebener Kriterien in Forschung und Lehre". Als Beispiele für diese Kriterien nennt der Sprecher "die allgemeinen Qualifikation der Betreffenden, den bisher erbrachten Leistungen und Publikationen, der Höhe der mitgebrachten Drittmittel, dem bisherigen Verdienst sowie dem Bewerbermarkt, also der Konkurrenz auf der Professur".
Willingmann ist zugleich Koordinator der Wissenschaftspolitik aller Bundesländer mit SPD-Regierungsbeteiligung. Als sein Konterpart auf Unionsseite fungiert Bayern Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU), und dessen Sprecher präsentiert eine leicht andere Lesart des Richterspruchs. Zwar seien Zweifel angebracht, ob sich die BAG-Entscheidung zum Grundgehalt auf den Bereich der Leistungsbesoldung übertragen lasse. Doch gelte die Grundaussage des Urteils "selbstverständlich auch für die Hochschulen". Wenn es bei der Leistungsbesoldung der Professorinnen und Professoren dazu kommen sollte, dass für vergleichbare Leistungen unterschiedlich hohe Leistungsbezüge gezahlt würden, "kann dies also nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Unterschied allein in der wissenschaftlichen Qualität der Betroffenen liegt und die Hochschule dies objektiv nachvollziehbar darlegen kann".
Was, wenn die unterschiedlich hohen Leistungsbezüge aus Berufungs- und Bleibeverhandlungen resultieren, künftig deutlich schwieriger werden dürfte. Eine Ansage also an die Hochschulen, ihre Praxis zu überprüfen? Zumindest eine an die Professorinnen, genau diese objektiven Begründungen einzufordern.
Dass die aktuelle Entscheidung des BAG auf die Vergabe von Berufungs- und Bleibeleistungsbezügen "unmittelbaren Einfluss" haben könnte, hält denn auch der Sprecher von SPD-Minister Willingmann für möglich: Ob und inwieweit, bleibe "abzuwarten".
Kommentar schreiben
Hans Georg Gemuenden (Mittwoch, 22 Februar 2023 11:29)
Natürlich gilt die Grundaussage auch für Hochschulen. Was heißt denn: "allein leistungsorientiert, das heißt messbar aufgrund vorgegebener Kriterien in Forschung und Lehre?" Es ist doch so, dass die Höhe der Bezüge in den bisherigen Positionen eine Rolle bei den Verhandlungen spielt. Das sind aber häufig nicht nur Leistungen, die in Lehre oder Forschung erbracht wurden. Aufgrund dieser anderen Leistungen erwartet man vielleicht höhere Drittmitteleinwerbungen, bessere Kontakte in die Industrie oder in Öffentliche Institutionen, insbesondere auch international. Und wegen dieser Leistungen haben die zu Berufenden, die natürlich auch von den Fakultäten auf die Liste gesetzt wurden, weil man sie wünscht und braucht, eine bessere Verhandlungsposition. Wenn man diese Position nicht sehen will, wird man häufig scheitern solche Personen zu gewinnen. Es ist wichtig die Kriterien transparenter zu machen und auch realitätsbezogen. Denn unsere Hochschulen stehen natürlich in einem Wettbewerb, genauso wie unsere Schulen. Da zeigt der Bildungsbericht für 2021 nochmals eine Verschlechterung bei den Grundkenntnissen, weil zu wenig gut ausgebildete Lehrkräfte vorhanden sind leistungsbezogene Anreize fehlen.
Carola Jungwirth (Mittwoch, 22 Februar 2023 14:06)
Ich stimme mit Herrn Gemünden überein. Die Grundaussage wird für die Gestaltung der Leistungsbezüge eine Rolle spielen. In den Berufungsverhandlung gilt in der Regel das Angebot, der mitbietenden Hochschule als Maß für die Berechnung der Leistungszulage. Dieses Maß bildet oft Knappheit ab und nicht zwangsläufig Leistung im Sinne von so und so viele Publikationen und so und so viele Drittmittel. Es wird in jedem Fall sehr schwierig werden, Leistungszulagen „knallhart“ zu objektivieren.
Florian Bernstorff (Donnerstag, 23 Februar 2023 11:22)
Gleichzeitig gilt doch mittlerweile, dass die Kriterien für Leistungszulagen für Professor:innen alles andere als willkürlich gesetzt werden können. Die entsprechenden Richtlinien und Ordnungen an den Hochschulen sprechen hierbei für sich. Wichtig ist natürlich zu evaluieren, ob Kriterien auf subtile Weise geschlechtsdiskriminierende Wirkung entfalten. Diese müssen dann natürlich geändert werden.
Dass die GEW gleich einen pauschalen Abgesang auf jede leistungsbezogene Vergütung für Professor:innen anstimmt, schüttet aus meiner Sicht allerdings das Kind mit dem Bade aus. Zurück in die Hochschulhölle der 80er und 90er? Bitte nicht.
Naja (Freitag, 24 Februar 2023 15:59)
An vielen Universitaeten, so auch an meiner, lief und laeuft die Bewilligung von leistungsbezogenen Zulagen so ab: Man stellt einen Antrag auf Zulage in der und der Hoehe und begruendet mit irgendwelchen Leistungen. Der Dekan unterstuetzt (in der Regel). Die Universitaetsleitung bewilligt oder auch nicht. Das Bewilligungs/Ablehnungsschreiben beginnt so: "Nach reiflicher Überlegung und gründlicher Abwägung Ihres Antrages im Verhältnis zu allen anderen Anträgen ist die Universitätsleitung zu dem Schluss gekommen, ..." Diese Art Geblubbere ist das Niveau der Begründung. Die Leitungen von Universitäten sind natuerlich vollstaendig ueberfordert mit der Einschätzung von Leistungen in der Wissenschaft und erst recht überfordert mit einem Vergleich verschiedener Leistungen. Es kommt dann zu einer Art "Frechheit siegt"-Prinzip, Wohlverhalten und Beziehungen und mediale Präsenz spielen eine Rolle. Das alte C-Besoldungssystem war wesentlich aufrichtiger.
Überlegung (Freitag, 24 Februar 2023 21:32)
Ich sehe keinen rechten Ausweg. Leistung in der Forschung ist in verschiedenen Fächern komplett unterschiedlich bewertet, auch in der Lehre gibt es ganz unterschiedliche Traditionen. Professor*innn sind halt überhaupt keine homogene Berufsgruppe. Auch "Forscher*innen" nicht, auch wenn die GEW das wohl gerne so hätte; wenn Forscher ein Beruf ist, kann man eine Forscher*in ja genauso gut in der Linguistik wie der Ethnologie oder Biochemie einsetzen.
Wenn man aber nur innerhalb eines Fachs vergleicht, sind die Fallzahlen viel zu klein, um noch irgendwelche generellen (geschlechterbezogenen) Aussagen treffen zu können.
Mir ist vollkommen schleierhaft, wie man in diesem Umfeld eine Forderung nach "objektiven Kriterien" erfüllen soll.