Der Lehrkräftemangel spitzt sich weiter zu, die Kultusministerkonferenz hat neue Gegenmaßnahmen verabredet. Alle sind jetzt gefragt – auch die Universitäten können und müssen mehr tun als bislang. Ein Gastbeitrag von Beatrix Busse.
Beatrix Busse ist Linguistin und Prorektorin für Lehre und Studium an der Universität zu Köln.
Foto: Monika Nonnenmacher.
JE NACH PROGNOSE fehlen innerhalb der nächsten zehn Jahre zwischen 30.000 und 40.000 Lehrkräfte an den Schulen. Es geht um die Zukunft der nächsten Generation und unsere Fähigkeit, als Gesellschaft unsere Zukunft zu gestalten. Lehrer*innenbildung muss zur Chef*innensache werden – für uns alle.
Die Dringlichkeit, die sich anbahnende Bildungsmisere zu bewältigen, haben Politik, Wissenschaft und Gesellschaft erkannt. Einzelne Forderungen, sie entweder durch die Zulassung von mehr Studienbewerber*innen oder das Absenken von Anforderungen zu lösen, helfen jedoch nicht weiter. Ein Mehr an Studierenden hat bestenfalls langfristig Effekte. Und ein Weniger an Bildung kann keine ernsthaft geeignete Antwort sein auf die bevorstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen.
Die Universitäten wollen, können und müssen in ihrer hervorgehobenen Rolle für die Lehrer*innenbildung jetzt noch mehr tun. Ich möchte beispielhaft drei Bereiche nennen.
1. Innovative (digitale) Weiterbildungsangebote etablieren, um Qualität in der Bildung zu sichern
Lehrer*innen sind change agents der Zukunft: Sie ermächtigen und ermutigen künftige Generationen und tragen damit eine hohe gesellschaftliche Verantwortung. Dafür müssen sie bestmöglich
qualifiziert werden und sich selbstständig weiterbilden. Ihr berufliches Handeln muss sich immer wieder an neue gesellschaftliche Kontexte anpassen und diese gestalten. Verantwortlich für die
erste Phase der Lehrer*innenbildung sind die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. Sie ermöglichen durch Forschungsbasierung und Wissenschaftlichkeit den Erwerb fachlichen Wissens, Könnens
und zukunftsfähiger Kompetenzen.
Mithilfe verschiedener Formate von (digitalen) Lehr- und Lernangeboten können und wollen sie die (Weiter)Bildungsangebote für Lehrer*innen schnell ausbauen, zum Beispiel durch Micro-Credentials, und so in der akuten Krise und darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Qualität leisten. Etwa dann, wenn es darum geht, Seiten- und Quereinsteiger*innen leicht zugänglichen, zeitlich flexiblen und bedarfsorientierten Kompetenzerwerb zu ermöglichen.
In einem sind sich alle einig: Die Qualität der Bildung, Professionalisierung und Weiterbildung der jetzigen und zukünftigen Lehrer*innen sind Grundlage für die Transformations- und Innovationsaufgaben unserer Gegenwart und Zukunft und damit auch für unser zukünftiges individuelles und gesellschaftliches Wohlergehen und das unseres Planeten.
2. Flexibilisierung von Zugängen, um die
Attraktivität des Lehrer*innenberufs zu steigern
Um die Attraktivität des Lehrer*innenberufs zu steigern, müssen Bund und Länder, Politik, Schulen und Hochschulen gemeinsam flexible und dynamische Karrierewege und Zugänge entwickeln. Sie müssen die individuellen Ambitionen und Lebenslagen der (künftigen) Lehrer*innen in den Blick nehmen und den notwendigen Konnex von Praxis und Wissenschaft lebendig halten.
Mit neuen forschungsbasierten Lehr-Lernangeboten können die Universitäten Quer- und Seiteneinsteiger*innen die erforderlichen fachwissenschaftlichen, bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen vermitteln. Eine großzügigere Anerkennung und Honorierung von bisherigen beruflichen Leistungen wird dabei die Attraktivität von Seiten- und Quereinstiegen erheblich steigern.
Weiterbildungsmöglichkeiten werden auch als Angebote für das lebenslange Lernen und für forschungsbasierte und aktuelle Fortbildungsmöglichkeiten wahrgenommen und sind für Lehrer*innen und möglicherweise andere Berufsgruppen Teil eines Karriereentwicklungsmodells. Sie liefern auch Optionen für neue Rollen und Aufgaben. Darum sollten weitere berufsbegleitende Masterprogramme, etwa zu Leadership und Schulentwicklung, entwickelt werden, die Lehrer*innen persönliche Entwicklungsperspektiven eröffnen.
Schließlich ist die Öffnung des Lehramtsstudiums an den Universitäten selbst erforderlich, um Studierenden aus anderen Studiengängen den Weg zum Lehramt zu erleichtern. Diese Öffnung gilt es grundsätzlich bei allen fachwissenschaftlichen Studiengängen mitzudenken. So sind ein Mehr an Berufsberatung und mehr Formate zur Feststellung der Eignung und Neigung zum Lehramt in allen Fächern genauso denkbar wie ein einfacherer Wechsel aus den Fachwissenschaften in einen Lehramtsmaster, beispielsweise im Rahmen eines "Ein-Fach-Modells". Dabei sollten auch Auslandserfahrungen und Auslandsabschlüsse Anerkennung finden, die angesichts einer heterogenen Schüler*innenschaft und nur global zu lösender Herausforderungen dringend ausgebaut werden müssen. Dies gilt auch für eine agile Weiterentwicklung der Lehramtsstudiengänge.
Die Entwicklung von strukturellen und inhaltlichen Fortbildungsmöglichkeiten würde den Beginn von neuen transdisziplinären Modellen in der Lehrer*innenbildung bedeuten, die die Durchlässigkeit zwischen Schule und Universität zu einer neuen wissenschaftsbasierten und forschungsorientierten Selbstverständlichkeit werden lassen.
Im besten Falle hilft das auch, um deutlich mehr Lehramtsanfänger*innen dazu zu bewegen, am Ende tatsächlich Lehrer werden. Aktuell tun dies weniger als 50 Prozent eines Anfängerjahrgangs. An den Universitäten ist dabei weniger die Abbruchquote das Problem – sie liegt laut Deutschem Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in den Lehramtsstudiengängen im Vergleich zu anderen Fächergruppen eher niedriger. Der Schwund der angehenden Lehrer*innen entsteht offenbar zu einem Großteil zwischen den verschiedenen Phasen der Lehrer*innenbildung, was uns zum gemeinsamen, phasenübergreifenden Handeln mahnt.
3. Gemeinsam handeln,
um Zukunft zu gestalten
Wir sollten anerkennen, wie herausfordernd es ist, wenn die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz als Reaktion auf den Lehrkräftebedarf weitere, zum Teil wichtige Empfehlungen vorlegt und die KMK ihrerseits neue Maßnahmen beschließt. Lassen Sie uns das nicht zerreden, sondern uns kritisch, aber konstruktiv damit auseinandersetzen – auch wenn Formulierungen wie "die Länder setzen sich dafür ein" oder "die Länder prüfen Möglichkeiten" wenig Entschlossenheit und Vision erwarten lassen.
Schließlich: das Profilierungs-, Diskurs- und Machtgeplänkel an allen Orten; die Diskussion, wem der Bildungsgipfel – oder der "-hügel" gehört, wer ihn besteigen und gestalten darf, will und muss – all das ist Zeitverschwendung, wenig zielführend und dem Empfinden nach ehrlich der Gipfel.
In dieser Krise sollten wir aber auch das tun, was wir in der Pandemie gelernt haben: mit allen Beteiligten inter- und transdisziplinär, agil, visionär, ohne Hybris und in dafür sinnvollen und exzellent vorbereiteten Formaten gemeinsam arbeiten. Das erfordert, einander zuzuhören, Lernende zu sein, mit Bund und Ländern, Schulen und Hochschulen die etablierten Komfort- und Machtzonen für Veränderung zu verlassen, wissenschafts- und datenbasiert die Belange aller und die jeweiligen Herausforderungen aufzuarbeiten und gemeinsam auch nach flexiblen Lösungen zu suchen und diese schnell und langfristig umzusetzen.
Längst gibt es hierfür gelungene Beispiele im Bildungsbereich, zum Beispiel die Arena als Format der ko-kreativen, inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit von diversen Expert*innen zur iterativen Lösung komplexer und widersprüchlicher Anforderungssituationen. Das Format der Arena haben wir an der Universität zu Köln erfolgreich erprobt, um die Lehrer*innenbildung für die Zukunft weiterzuentwickeln. Solche Formate brauchen wir jetzt für den Entwurf und Aufbruch in (mögliche) Zukünfte und zur Generierung von neuen Ideen, Denk- und Lösungsmodellen.
Vor allen Dingen ist es an der Zeit, Defizitdiskurse um die Lehrer*innenbildung zu beenden und sie so in Wert zu setzen, wie all ihre Akteur*innen es verdienen: nicht allein durch kurzfristige Maßnahmen, sondern durch Priorisierung, Profilierung und Steigerung der Attraktivität der Lehrer*innenbildung und des Lehrer*innenberufes selbst. Gemeinsam mit allen an Bildung beteiligten Akteur*innen können wir mutige und sinnvolle Lösungen entwickeln, mit Raum und Ressourcen wirksame Reformen einleiten, bei denen Qualität, Bildungsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit im Vordergrund stehen – für das Wohlergehen jedes und jeder einzelnen, der nächsten Generation und dieses Planeten.
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Edith Riedel (Donnerstag, 23 März 2023 12:49)
Das Schrauben an der Lehramtsausbildung und die Erleichterung von Quer- und Seiteneinstiegen wird nicht viel bringen. Die Universitäten sind da auch nicht wirklich selbstlos in der Diskussion: sie wollen mehr Studierende generieren, um über die LOM mehr Geld an die Universität zu bringen.
Attraktiver müssen die Rahmenbedingungen werden: die Lehrer*innnen müssen sich wieder auf ihren Bildungsauftrag konzentrieren können. Derzeit sind sie viel zu oft Sozialarbeiter*innen, IT-Fachleute und Digitalisierungsexpert*innen, gerne auch mal Hausmeister*innen oder Verwaltungspersonal, da diese Bereich in den Schulen personell gar nicht oder nur rudimentär mit Personal hinterlegt sind. DAS muss verbessert werden, dann wird auch das Lehramt wieder attraktiver.
Hanna (Sonntag, 26 März 2023 23:23)
"...sondern durch Priorisierung, Profilierung und Steigerung der Attraktivität der Lehrer*innenbildung..." - Danke für den Beitrag, ich finde die Ansatzpunkte sehr richtig. Am wichtigsten erscheint mir, die Befristungspraxis auf Basis des WissZVG für die Lehramtsausbildung zu beenden: a) unbefristete Verträge ab Postdoc-Level (denn aktuell werden die erfahrensten, bestqualifizierten WiMis nach spätestens 6 Jahren vor die Tür gesetzt und durch Dozent:innen-Neulinge ersetzt), b) keine Hochdeputatsstellen für die Lehramtsausbildung mehr (Wer 11-18 Semesterwochenstunden lehrt, hat keine Zeit auf dem aktuellen Forschungsstand zu bleiben bzw. selbst aktuelle Forschung z.B. zur Digitalisierung zu betreiben), c) bessere Bezahlung (aktuell verdienen die ausgebildeten Lehrkräfte mit A13 netto deutlich mehr als ihre E13-Ausbildenden. Wer von den guten Studierenden will da noch an die Uni und Dozent:in werden?), d) mehr Prestige für das Lehramt (das Lehramt sollte an den Unis nicht in den rumpeligsten Büros und marodesten Seminarräumen lehren müssen). - Liebe Unipräsident:innen und Länder, begeistert und lockt die künftigen Lehramtsausbildenden und Studierenden doch mal mit Extraklasse und Exzellenz in Arbeitsbedingungen und Ausstattung!