Die Bundesregierung will jedem jungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit anbieten. Ein hehres Anliegen. Doch die vom Kabinett beschlossene Ausbildungsgarantie lässt zu wünschen übrig.
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DIESE ZAHLEN TUN WEH. Trotz der guten Konjunktur befanden sich laut Nationalem Bildungsbericht 2019 rund 234.000 Jugendliche im sogenannten Übergangssektor, 23 Prozent des gesamten Ausbildungsjahrgangs. Das heißt: Sie absolvierten berufsvorbereitende Bildungsangebote, weil sie keinen Ausbildungsvertrag erhalten hatten.
Wenn mit 18 die Schulpflicht endet, kippen viele sogar ganz aus dem System. Das Forschungsinstitut für Bildung und Sozialökonomie (FiBS) hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung errechnet, dass 630.000 Menschen zwischen 15 und 24 im Jahr 2021 weder zur Schule gingen noch eine Ausbildung machten, sie studierten nicht und hatten auch keine Arbeitsstelle. Sie sind schlicht durchs Raster gefallen.
Gute Argumente also für die im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigte Ausbildungsgarantie: Jedem Jugendlichen solle der Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht werden, hieß es da. Die Bundesregierung hat ihr Versprechen jetzt als Teil ihres neuen Weiterbildungsgesetzes auf den Weg gebracht. Jedem Jugendlichen, der regulär keine Ausbildung findet, soll von August an ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz angeboten werden.
Nur dass es leider noch eine löchrige Garantie ist. So kalkuliert die Bundesregierung mit gerade einmal 7.000 zusätzlichen solcher außerbetrieblichen Ausbildungsplätze. Was gut drei Prozent der Jugendlichen im Übergangssystem entspricht. Wie kann das sein?
Es bieten sich zwei Begründungen an. Zum einen konnten Betroffene schon bislang einen solchen Platz erhalten, wenn sie erfolgreich die berufsvorbereitenden Maßnahmen im Übergangssystem durchlaufen hatten. Nur, siehe oben, dass viele gar nicht so weit gekommen sind, weshalb 2021 gerade einmal 11.000 solcher Ausbildungen liefen.
Ziemlich viele Wenns und Abers
Der wichtigere Grund für die nur 7000 neuen Plätze dürfte aber damit zusammenhängen, dass die neue Garantie auf Regionen und Berufsfelder mit einem schwachen Ausbildungsmarkt begrenzt werden soll. Diese sollen die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter "anhand von Indikatoren ermitteln", wie das Bundesarbeitsministerium erläutert. Hier wird es vor allem auf das quantitative Verhältnis von Stellenangeboten und Bewerbern ankommen.
Ziemlich viele Wenns und Abers. Zu viele – wenn doch im Jahr 2020, noch so eine schmerzhafte Zahl, erschreckende 46 Prozent der Jugendlichen ohne deutschen Pass im Berufsbildungssystem keinen Ausbildungsplatz erhielten und stattdessen im Übergangssektor landeten. Hatten sie lediglich einen Hauptschulabschluss, waren es sogar 55 Prozent – mehr als die Hälfte des Jahrgangs.
Doch auch die Quoten bei den Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit lagen mit bundesweit 23 respektive 42 Prozent so hoch, das klar ist: Es handelt sich hier nicht um ein regional oder konjunkturell begrenztes Problem, sondern ein systematisches. Dem man mit einer systematischen, das heißt: nicht nach Regionen oder Berufsfelder begrenzten, Ausbildungsgarantie begegnen sollte. Noch besser mit einem umfassenden, bundesweiten Rechtsanspruch.
Vorbild Österreich?
Ganz so, wie es etwa in Österreich der Fall ist, das als Inspiration für das Ampel-Gesetzvorhaben gilt: Acht Prozent der Auszubildenden lernen dort "auf Staatskosten rein schulisch oder in Kooperation mit Betrieben", wie der österreichische Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher im Handelsblatt zitiert wurde. Das mache 13.000 Plätze in 165 Berufen – mehr als die jetzt in Deutschland neu geplanten, bei einem Neuntel der Bevölkerung.
Zwar argumentieren beispielsweise die deutschen Arbeitgeber, die österreichische Ausbildungsgarantie führe nicht zu höheren Eingliederungsquoten in den regulären Arbeitsmarkt, außerdem liege im Nachbarland die Jugendarbeitslosigkeit höher, und es könnten auch normale Ausbildungsplätze verdrängt werden.
Doch würde nur ein bundesweiter Rechtsanspruch eine eindeutige Erwartungshaltung an alle Jugendlichen signalisieren und zugleich eine starke Botschaft senden: Wir lassen Euch nicht im Stich. Erst dadurch entstünde auch ein echter Druck auf das gesamte Berufsbildungssystem, die wirklich benachteiligten Schulabgänger mitzunehmen – die übrigens, auch das belegt der Bildungsbericht entgegen gängiger Vorurteile, nicht automatisch die leistungsschwächsten sind. Trotzdem schielen viele Branchen derzeit lieber auf die Abiturienten und beklagen, wenn von denen nicht genug kommen, reflexartig eine angebliche Überakademisierung.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Schon jetzt enthält der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf in Sachen Ausbildungsförderung sinnvolle Komponenten, darunter eine Stärkung der Berufsorientierung, Beratung und Praktika sowie die Einführung eines Mobilitätszuschusses, um Jugendliche zu einem Umzug zu bewegen, wenn sich ihr Ausbildungswunsch in ihrer Heimatregion nicht verwirklichen lässt.
Aber die Bundesregierung kann und muss noch ehrgeiziger werden. Das gilt ganz und besonders für das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das laut Berufsausbildungsgesetz für große Teile des Übergangssektors mit zuständig ist. Trotzdem hat es die Ausarbeitung der Ausbildungsgarantie unverständlicherweise allein der Federführung des Arbeitsministeriums überlassen. Was übrigens erklärt, warum dem Entwurf der bildungspolitische Blick so offensichtlich abgeht.
Ob zu dem zusätzlich nötigen Ehrgeiz auch die von Linken und Gewerkschaften geforderte Mitfinanzierung per Umlagefonds durch nicht ausbildende Arbeitgeber gehören muss – oder ob dies doch eher unter Symbolpolitik zu fassen wäre, sei indes dahingestellt. Jedenfalls lassen die jetzt folgenden parlamentarischen Beratungen des Weiterbildungsgesetzes zum Glück noch Raum für Nachbesserungen.
Qualifizierungsgeld kommt, Bildungsteilzeit muss warten
Offiziell heißt es das "Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung", dessen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eingebrachter Entwurf am vergangenen Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen wurde.
Enthalten sind neben der Ausbildungsgarantie unter anderem eine verlängerte Erstattung von beruflicher Weiterbildung für Kurzarbeiter und ein Qualifizierungsgeld als Lohnersatz für Beschäftigte von Unternehmen im Strukturwandel, wenn sie sich weiterqualifizieren wollen und dafür freigestellt werden. Die ebenfalls nach österreichischem Vorbild im Ampel-
Koalitionsvertrag angekündigte Bildungs(teil)zeit ist dagegen aus dem Beschluss herausgefallen. In Österreich haben Beschäftigte das Recht, ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang um 25 bis 50 Prozent zu verkürzen, wenn sie sich weiterbilden, und erhalten für jede Stunde weniger Arbeit ein Bildungsteilzeitgeld. Das kostet natürlich, weswegen es vor allem im FDP-Finanzministerium von Christian Lindner Widerstände gab.
Das Arbeitsministerium hatte eine einjährige bezahlte Weiterbildungs-Teilzeit vorgesehen und vertröstete bei deren Umsetzung nun auf einen späteren Zeitpunkt.
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