Ohne neue Governance ist die Hinwendung der Bundesregierung zu einer transformativen Innovationspolitik kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Ein Plädoyer für mehr Ambitionen von Jan Breitinger und Daniel Schraad-Tischler.
Daniel Schraad-Tischler (links) ist Direktor "Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft", Jan Breitinger Projektleiter "Innovations- und Gründungsdynamik" bei der Bertelsmann Stiftung.
Fotos: Bertelsmann Stiftung.
DAS ZIEL DER VOR UNS LIEGENDEN gesellschaftlichen Transformation lässt sich klar benennen: Innerhalb der kommenden 20 Jahre muss uns die Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gelingen. Dabei müssen wir die planetaren Grenzen achten, unsere Wettbewerbsfähigkeit bewahren und gleichzeitig künftigen Generationen Wohlstand und soziale Teilhabe ermöglichen. Es geht um nichts weniger als die Transformation hin zu einer nachhaltigen sozialen Marktwirtschaft.
Für das Erreichen dieses so nötigen wie ambitionierten Ziels braucht es gezielte Innovationen. Die entscheidende Vorbedingung dafür ist eine Politik, die Innovation in den Dienst der Gesellschaft stellt. Und die den politisch-administrativen Rahmen so anpasst, dass ein transformatives Regieren möglich wird. Immerhin scheint die Bundesregierung dies erkannt zu haben. So atmet die jüngst vom BMBF vorgelegte "Zukunftsstrategie" den Geist der Missionsorientierung, das heißt einer auf große gesellschaftliche Veränderungsziele ausgerichteten Innovationspolitik.
Diese Hinwendung zu einer stärkeren "Direktionalität" ist uneingeschränkt zu begrüßen. Doch es darf bezweifelt werden, dass unter den derzeit herrschenden Rahmenbedingungen die großen "Missionsziele" tatsächlich erreicht werden können.
Unser politisches System ist
nicht gemacht für große Missionen
Woran es hapert, zeigt schon der Blick auf die erste der sechs formulierten Missionen: "Ressourceneffiziente und auf kreislauffähiges Wirtschaften ausgelegte wettbewerbsfähige Industrie und nachhaltige Mobilität ermöglichen". Nicht nur mutet das Zielbild äußerst breit an. Es mangelt vor allem – wie viele Kritiker anmerken – an einer Roadmap mit konkreten Handlungsschritten. Zudem liegt es auf der Hand, dass solch komplexe, thematisch querliegende Herausforderungen nicht mittels althergebrachter Methoden in engen Ressortlogiken adressiert werden können.
Allein der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft – als eine Teil-Mission – bringt eine Vielzahl an Aufgaben mit sich: Es gilt, Unterziele zu spezifizieren und einen geeigneten Instrumentenmix aus Anreizen, Forschungsaktivitäten und Regulierungen zu entwickeln, sei es im Abfallmanagement, beim Produktdesign oder bei Konsummodellen. Alle für den Erfolg relevanten Stakeholder – von den Ministerien über Unternehmen und Forschungseinrichtungen bis hin zur Zivilgesellschaft – müssten dafür mobilisiert und in die Formulierung und Umsetzung der Mission einbezogen werden. Etwa über den Aufbau von Austauschplattformen und Experimentierräumen oder das Lancieren gemeinsamer, auch öffentlichkeitswirksamer Initiativen. Zudem müssten die Umsetzungsfortschritte laufend gemessen werden. Und es sollte sichergestellt sein, dass sich der Policy-Mix auf Basis der gesammelten Erfahrungen anpassen lässt, ohne dabei das übergeordnete Ziel aus dem Blick zu verlieren oder sich in tagespolitischen Scharmützeln zu verheddern.
Kurz und bündig, und auch hier sind sich die Experten einig: Wir sprechen von Aufgaben, die die Ministerialverwaltungen überfordern würden. Denn dort fehlen die für die Umsetzung missionsorientierter Politiken nötigen Ressourcen, Anreize, Arbeitskulturen und Abstimmungsmechanismen. Politik und Verwaltung konzentrieren sich zu sehr auf den Input statt auf die Ergebnisse. Zu undurchlässig sind die Barrieren zwischen Ressorts und Sektoren, zu wenig Räume gibt es für eine breite Stakeholder-Einbindung und risikoaffine Experimente. Es mangelt also an den geeigneten Werkzeugen und Institutionen für die Umsetzung einer Politik, die zeitnah innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme befördern kann. Die altbekannten Lösungswege enden in der Sackgasse.
Warum ein Regierungsausschuss für
Innovation nicht reichen wird
Damit die Systemtransformation ein Erfolg wird und die Zukunftsstrategie nicht als Papiertiger endet, müssen wir unser System fit für den Wandel machen. Was es braucht: ressortübergreifendes Arbeiten, Experimentierräume, klare Ziele und Zuständigkeiten, klare Budgets für einzelne Missionen, langfristige, über einzelne Wahlzyklen hinausreichende Zeithorizonte, breite Partizipationsmöglichkeiten.
Der Vorschlag der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), einen Regierungsausschuss für Innovation beim Bundeskanzleramt anzusiedeln, würde der Thematik vermutlich eine stärkere Sichtbarkeit verschaffen. Doch das allein reicht nicht. Über diese strategische und symbolhafte Ebene hinaus braucht es auch starke operative Umsetzungskompetenz. Immerhin lassen die in der Strategie angeführten "Missionsteams" erahnen, dass die Politik diese Lücke erkennt. Allerdings ist fraglich, ob die Teams in der skizzierten Form die ministerialen Silos wirklich aufbrechen und die für die Missionsumsetzung nötigen inhaltlichen und methodischen Kompetenzen aufbauen könnten. So besteht die Gefahr, dass die Transformation auf den Fluren der Verwaltung verebbt.
Wie ein ressortübergreifendes, agiles Missionsmanagement funktionieren kann, hat die Bertelsmann Stiftung vor kurzem gemeinsam mit dem Fraunhofer ISI entworfen. Unser Diskussionsvorschlag sieht den Aufbau von "Missionsagenturen" vor, die als institutionalisierte und beim Bundeskanzleramt angesiedelte "Change Agents" die Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Missionen maßgeblich vorantreiben. Diese Missionsagenturen würden sich je einer spezifischen Mission widmen; es geht also nicht um eine einzige "Super-Agentur". Als prozess- und fachkompetenter "Mission Owner" könnten sie politische Entscheidungsträger beraten, die Missionsumsetzung strategisch forcieren, Ökosysteme aufbauen und bottom-up- und top-down-Ansätze miteinander verknüpfen. Das Personal sollte nicht nur aus den Ministerien, sondern auch aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft stammen, und für Ministerialbeamte müsste eine Station dort ein Karrieresprungbrett bedeuten.
Jetzt mit einer Mission beginnen und
dadurch für die anderen lernen
Doch ob man nun Agentur-Modelle vorzieht oder niedrigschwelliger mit Missionsteams beginnt: Am Ende ist es entscheidend, echte "Missionsumsetzungskompetenz" aufzubauen. Und dies rasch und ambitioniert. Unabhängig vom präferierten Weg stellen sich dabei viele Fragen: Wie lassen sich das Silo-Denken überwinden und eine Verantwortungsdiffusion verhindern? Wie gelingt die Balance zwischen operativen Freiheiten und der natürlich notwendigen und gewünschten Kontrolle? Welche Tätigkeiten übernimmt der Bund, welche die Länder und Kommunen? Wie lässt sich die Langfristigkeit von Transformationsvorhaben mit der Kurzfristigkeit des politischen Geschäfts vereinbaren? Welche rechtlichen Anpassungen sind nötig?
Jetzt heißt es, konkrete Antworten auf diese Fragen zu finden. Es geht darum, ins Tun zu kommen, ohne sich mit den kleinstmöglichen Lösungen zufriedenzugeben. Warum nicht mit der für unsere Zukunft kritischen "Mission Kreislaufwirtschaft" beginnen und aus diesem Anwendungsfall für andere Missionen lernen? Die Herausforderungen sind groß, doch der Wille zur Veränderung ist es vielerorts auch.
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Norbert Esser (Mittwoch, 26 April 2023 08:15)
In diesem Beitrag werden schon mal die richtigen und wichtigen Aufgaben genannt. Es wird interessant sein zu sehen, was die Politik und die "Stakeholder" daraus machen.
Jürgen Hilse (Dienstag, 24 Oktober 2023 16:08)
Der Beitrag geht in die richtige Richtung. Wir sollten die Städte, Gemeinden und Landkreise verstärkt einbinden. Dort findet die eigentliche Umsetzung mit der Wirtschaft und der Wissenschaft statt. Bund und Länder sind weit entfernt.