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Grün-schwarzer Tatendrang

Die baden-württembergischen Regierungsfraktionen scheinen sich einig zu sein: Die Gebühren für internationale Studierende sollen weg, und zwar schnell. Wartet man mit der Entscheidung noch den Abschlussbericht der eigens eingesetzten Evaluationskommission ab?

Bild: StockSnap / Pixabay.

ES WÄRE eine hochschulpolitische Kehrtwende. Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen im Landtag von Baden-Württemberg wollen die erst 2017 eingeführten Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten in Baden-Württemberg abschaffen. Sie seien "ein echter Standortnachteil", sagte der CDU-Abgeordnete Winfried Mack am vergangenen Donnerstag im Parlament. 

 

Und das, nachdem der Finanzausschuss des Landtags noch im Herbst 2021 sogar gefordert hatte, eine deutliche Erhöhung der Gebühren zu prüfen, die bei 3000 Euro pro Jahr liegen, und zwar um mindestens zehn Prozent.

 

Der Fachkräftemangel mache sich überall bemerkbar, das Bundesland brauche für eine erfolgreiche Zukunft die klügsten und besten Köpfe, sagte Mack. Die Abschaffung der Gebühren werde die Attraktivität der Hochschulen in Baden-Württemberg steigern. Und Mack erhielt Rückendeckung vom Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz: "Wir wollen das gemeinsam umsetzen."

 

Dabei war es eine bundesweit profilierte grüne Wissenschaftsministerin gewesen, Theresia Bauer, die einst die Initiative zur Einführung des Bezahlstudiums für internationale Studierende ergriffen hatte – als Reaktion auf massive Minderausgaben von 48 Millionen Euro pro Jahr, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann damals allen Ministerien verordnet hatte. 2400 der 3000 Euro landeten im Staatssäckel, 600 Euro flossen in die bessere Betreuung der internationalen Studierenden.

 

Bekommen die Hochschulen
die Gebührenausfälle kompensiert?

 

Jetzt aber sagt auch Bauers im September 2022 ins Amt gekommene, ebenfalls grüne Nachfolgerin Petra Olschowski auf Anfrage, es sei "richtig, über eine Aussetzung oder Abschaffung der Studiengebühren nachzudenken". Nicht wenige internationale Studieninteressierte müssten bei der Wahl des Studienorts auch finanzielle Aspekte berücksichtigen. "Angesichts des Fachkräftemangels sollte das Land sich auch um diese Studieninteressierten bemühen." Das gelte insbesondere für die MINT-Fächer. 

 

Allerdings warnt Olschowski auch: Die Abschaffung der Studiengebühren würde sowohl bei den Hochschulen als auch im Wissenschaftsressort zu erheblichen Einnahmeverlusten von aktuell rund 30 Millionen Euro pro Jahr führen – mit den entsprechenden Qualitätseinbußen im Hochschulbereich – "wenn durch den Landtag keine finanzielle Kompensation hierfür erfolgt".

 

Bauer hatte diese Kompensation 2017 nicht erhalten, stehen die Aussichten dafür jetzt besser? Möglicherweise – zumindest stellt auch Grünen-Fraktionschef Schwarz fest, es müsse auch über die Finanzierung des Vorhabens gesprochen werden. "Die Reform gibt es nicht zum Nulltarif." Man müsse dafür sorgen, die Qualität von Studium und Lehre zu erhalten.

 

Pikant am Zeitpunkt des Anti-Gebühren-Vorstoßes ist, dass die grün-schwarze Landtagskoalition nicht einmal mehr bereit war, dafür den Abschlussbericht des eigens eingerichteten unabhängigen Monitoring-Beirats abzuwarten. Dabei soll der die Auswirkung der Gebühren auf Studierendenzahlen, aber auch Studienerfolg bewerten. Vorliegen soll der Abschlussbericht des Gremiums im Juni, heißt es aus dem Ministerium. In der Kommission sind unter anderem Studierende, Hochschullehrer, Wissenschaftsexperten und Vertreter der Auslandsämter versammelt.

 

"Ein unnötiger Verzicht auf externe Expertise,
den ich für unklug hielte"

 

Ihr Vorsitzender ist der langjährige Rektor der Universität Basel und ehemalige Vorsitzende des Österreichischen Wissenschaftsrats, Antonio Loprieno. Er sagt auf Anfrage, er könne die veränderte politische Debatte über die Zukunft der Studiengebühren nachvollziehen – und auch ihre Dringlichkeit. "Wir sehen doch alle, wie grundsätzlich sich die internationale Lage gewandelt hat durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, und entsprechend werden Entscheidungen von vor der Krise ganz neu und anders hinterfragt."

 

Wenig Verständnis allerdings habe er, sagt Loprieno, wenn die baden-württembergische Politik erst eine unabhängige Kommission einsetze, diese über mehrere Jahre lang arbeiten lasse, dann aber die Entscheidung über die Gebührenabschaffung treffen sollte, ohne zumindest deren Erkenntnisse und Votum einzubeziehen. "Das wäre ein unnötiger Verzicht auf externe Expertise, den ich für unklug hielte." 

 

Denkbar wäre ja, dass sich zwar die Studierendenzahlen im Vergleich zu den übrigen Bundesländern schlechter, die Erfolgsquoten internationaler Studierender aber besser entwickelt hätten – als Folge der zusätzlichen Investitionen in ihre Betreuung. Tatsächlich, bestätigt das Wissenschaftsministerium, deuteten erste Betrachtungen darauf hin, dass sich bei den internationalen Masterstudierenden das Verhältnis von erfolgreichen Prüfungen zu Neueinschreibungen verbessert habe.

 

Inwieweit ein Kausalzusammenhang zwischen Gebühreneinführung und der Verbesserung des Studienerfolgs bestehe, sei allerdings "nicht klar ersichtlich", weil sich andere Rahmenbedingungen geändert hätten, darunter die Pandemie und eine Verbesserung der Betreuungsrelationen für alle Studierenden im Bundesland. Also eine Analyse-Aufgabe für Loprienos Kommission.

 

Die Corona-Pandemie erschwert
die Wirkungsanalyse

 

Die Vor-Corona-Bilanz bei den Erstsemestern zumindest war ernüchternd: Während in allen anderen Bundesländern zusammengenommen die Zahl der internationalen Studienanfänger zwischen 2016/17 und 2019/20 um 13 Prozent stieg, sank sie in Baden-Württemberg um 12 Prozent. Bauer hatte damals darauf hingewiesen, dass es dafür zwischen 2009 und 2015 in Baden-Württemberg einen Aufwuchs um über 50 Prozent gegeben habe – wobei das in fast allen anderen Bundesländern ebenfalls der Fall gewesen war. Immerhin schien sich die Kurve vor Beginn der Pandemie bereits wieder zu erholen, vor allem im Master-Bereich. 

 

Doch dann kam Corona und erschwerte auch die Arbeit der Kommission, weil die Zahlen der internationalen Studierenden weltweit einbrachen und ein Zeitreihen-Vergleich sinnlos wurde. Im Herbst 2021 sagte Loprieno deshalb noch, es werde mindestens zwei Jahre dauern, "bis wir wieder empirisch zuverlässige, quantitative Daten zur Verfügung haben, aufgrund derer wir Trends in der studentischen Mobilität erkennen können." Jetzt sagt Loprieno, die Kommission arbeite angesichts der politischen Zuspitzung mit dem höchstmöglichen Tempo, "aber das darf nicht auf Kosten der wissenschaftlichen Qualität gehen". 

 

Doch der Appell, zumindest noch bis Juni zu warten, könnte ins Leere laufen. Zwar versichert das Wissenschaftsministerium, Olschowski sei im Gespräch mit Loprieno, "um die Erkenntnisse des Beirats möglichst effizient und umfänglich in den Prüfungs- und Entscheidungsprozess einbeziehen zu können". Doch fügt ihre Sprecherin hinzu, die Entscheidung und der weitere Zeitpunkt sei keine, die Olschowskis Haus allein treffen könne – und verweist auf den Einfluss der anderen Ressorts, des Staatsministeriums und "nicht zuletzt" des Landtags und der Regierungsfraktionen. 

 

Letztere scheinen, siehe oben, ihre Entscheidung bereits getroffen zu haben – obwohl die Kompensation der Hochschulen noch keineswegs ausgemachte Sache ist. Erleichtert wird der Abschaffungsplan auch dadurch, dass aus dem einstigen Gebühren-Vorstoß Bauers ein Alleingang geworden ist. Zwar stand im Koalitionsvertrag der – inzwischen schon wieder ersetzten – CDU-/FDP-Koalition von Nordrhein-Westfalen, man wolle dem Beispiel Baden-Württembergs folgen, doch folgten den Worten nie Taten.

 

Und Bayerns Staatsregierung ermöglichte seinen Hochschulen zwar die Erhebung von Gebühren für internationale Studierende, hatte selbst aber nicht den Mut, sie landesweit einzuführen. Schließlich waren Baden-Württembergs Wirtschaftsverbände 2017 noch für die Einführung der Gebühren. Jetzt aber sind auch sie laut Wissenschaftsministerium für die Abschaffung. 


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Kommentare: 5
  • #1

    Django (Donnerstag, 27 April 2023 12:38)

    Es sagt ja einiges über den "Wissenschaftsstandort Deutschland", wenn internationale Studierende über den Preis (sprich: Gebührenfreiheit) angelockt werden müssen, weil das Produkt selbst nicht so recht zu überzeugen vermag.
    Es sagt auch einiges über tatsächliche grüne Politik, wenn internationale Studierende mit dem erklärten Ziel angeworben werden, dass sie den Fachkräftemangel im Land (bzw. im Ländle) lindern helfen. Und nicht in ihrer Heimat. Ich glaube, so etwas heißt "brain drain".

  • #2

    Edith Riedel (Donnerstag, 27 April 2023 13:26)

    Das Produkt vermag nur dort nicht zu überzeugen, wo es in deutscher Sprache angeboten wird! Englischsprachige Studiengänge sind bei internationalen Studierenden sehr stark nachgefragt.

  • #3

    Stephan Stegt (Freitag, 28 April 2023 13:20)

    Meines Erachtens sind die Gebühren nicht das Entscheidende. Hochschulen haben Sorge, dass internationale Studierende nicht erfolgreich sein könnten und sind zudem unsicher über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Dabei könnte man mithilfe von verfügbaren Studieneignungstests wie TestAS oder ITB-Technology die Studieneignung schon im Heimatland prüfen und viele begabte junge Menschen an unsere Unis holen. Stattdessen werden Studieninteressierte durch aufwändige Prozesse abgeschreckt und gehen dann lieber in die USA oder nach Großbritannien.

  • #4

    Antonia Gohr (Montag, 01 Mai 2023 11:33)

    In Deutschland erfolgt das internationale Student Marketing in erster Linie über den Preis. Es wäre wichtig, eine Strategie zu entwickeln, die die Qualität und andere Standortvorteile in den Vordergrund rückt. Die Ergebnisse der Kommission könnten wertvolle Daten liefern zu Fragen wie: wie haben sich die Abschlüsse der internationalen Studierenden seit Gebühreneinführung entwickelt? Wieviele Der Absolvent*innen konnten nach Abschluss in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden (da ja der Fachkräftemangel) eines der Argumente ist)?

  • #5

    Nikolaus Bourdos (Dienstag, 09 Mai 2023 09:04)

    Definitiv nur die zweitbeste Idee, das Ergebnis der Arbeit der Evaluationskommission nicht abzuwarten. Davon abgesehen zeugt es von einem Lieschen-Müller-Verständnis, wenn man glaubt, moderate Studiengebühren wirkten abschreckend. Vielmehr schrecken mittelmäßige Qualität und ein schlechter Ruf ab. Die Hebel sollten an anderer Stelle angesetzt werden, z. B. beim Abbau bürokratischer Hürden für Absolventen aus visapflichtigen Staaten.