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Skandal bei Fraunhofer – und keiner tritt zurück

Üppige Spesen, feudale Reisekosten – die Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft wirkt wie ein Selbstbedienungsladen, doch der mutmaßliche Hauptverantwortliche tritt nicht ab. Das hat schlimme Folgen.

Das Fraunhofer-Haus in München. Foto: Rufus46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.

ES SIEHT SO AUS, als würde Reimund Neugebauer mit seiner Taktik durchkommen. Sie lautet: Einfach nicht zurücktreten. Obwohl Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die sofortige Ablösung der gesamten Fraunhofer-Chefetage gefordert hat. Ebenso mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter der Vorsitzende des Forschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne). Obwohl der Bundesrechnungshof dem Vorstand der Forschungsgesellschaft schwerwiegende Vorwürfe macht, über Jahre überbordende Spesen und Reisekosten verursacht und teils rechtswidrig ausgegeben zu haben. Obwohl die Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Steuerverschwendung bei Fraunhofer ermittelt und bei der Staatsanwaltschaft Berlin eine Strafanzeige gegen Neugebauer persönlich vorliegt.

 

Netzwerk des Machterhalts

 

Unterdessen befindet sich die Stimmung vieler Fraunhofer-Mitarbeiter in der Münchner Zentrale und bundesweit auf dem Nullpunkt. Betriebsräte rebellierten gegen den Vorstand, Institutsleiter schütteln hilflos die Köpfe. Whistleblower berichten seit langem von einem autoritären Führungsstil Neugebauers. Er habe ein Netz von Vertrauten an den Schaltstellen von Fraunhofer und seinen Gremien aufgebaut, das dabei helfe, seinen Machterhalt zu sichern, wurde berichtet. Wer nicht mache, was Neugebauer wolle, werde unter Druck gesetzt und notfalls weggedrängt.

 

Er habe seiner Frau und sich selbst unangemessene Vorteile verschafft, lauteten zudem immer wieder gehörte Vorwürfe – lange erbittert bekämpft aus der Fraunhofer-Zentrale. Bis ein offiziell noch immer nicht veröffentlichter BMBF-Prüfbericht genau dasselbe sagte – und die Untersuchung des Bundesrechnungshofs einem "X" genannten Vorstandsmitglied eben dieses vorwarf – in beiden Fällen inklusive einer Vielzahl an Belegen und der Aufführung konkreter Anlässe.

 

Ein Aufsichtsgremium, das nicht handelt

 

Dass der Präsident im Herbst nach einer Recherche von mir für den Tagesspiegel einräumen musste, in einem lobhudelnden Image-Video einer Firma aufgetreten zu sein, dessen Anteile er zum Dreh-Zeitpunkt besaß – vorgestellt als Fraunhofer-Präsident, aber nicht als Miteigentümer –, hätte anderen zum Rücktritt gereicht. Oder sie wären von ihrem Aufsichtsgremium zum Rücktritt gezwungen worden. Nicht so Neugebauer. Der Chef kündigte lediglich an, ein Jahr früher gehen zu wollen. Ohne Bezug zu den Vorwürfen.

 

Bis zu diesem Abschiedsdatum, Ende September, scheint er sich jetzt retten zu wollen. Und könnte Erfolg damit haben. Die ersten Rücktrittsforderungen der Politik liegen über zwei Monate zurück, mittlerweile werden sie nicht wiederholt, zu deutlich würde dadurch ihre Ohnmacht gegenüber der Dreistigkeit Neugebauers. Denn nur der Fraunhofer-Senat kann die Vorstand-Ablösung veranlassen.

 

Doppelter Vertrauensverlust

 

Was macht es auch jetzt noch für einen Unterschied, könnte man inzwischen vielleicht sagen, ob Neugebauer sofort geht oder Ende September. Die Antwort: immer noch einen großen. Es geht auch um ein Signal. Denn der schlimmste Schaden, den Neugebauer angerichtet hat, ist der doppelte Vertrauensverlust. Nach innen und nach außen. Und dieser Schaden wächst weiter, je stärker der Eindruck entsteht, dass selbst schwerwiegendes Führungsversagen folgenlos bleibt.

 

Nach außen: Es ist der Eindruck entstanden, dass Wissenschaftsorganisationen als Selbstbedienungsläden taugen. Dass Regeln und Gesetze zum sparsamen Umgang mit Steuergeldern umgangen, ja pervertiert werden können, wenn es Verantwortliche mit dem nötigen Nachdruck und, ja, einer Portion Zynismus darauf anlegen.

 

Dieser Eindruck ist fatal, weil er dazu führen wird, dass Fraunhofer, genau wie alle anderen staatlich (mit-)finanzierten Forschungseinrichtungen, nun eine Verschärfung der Regeln und eine kleinteilige bis kleinkarierte Kostenkontrolle fürchten müssen.

 

Ein Fest für den Bundesrechnungshof, der sich gleichwohl in der Aufklärung des Skandals sehr verdient gemacht hat. Ein Anlass zu Frust für viele Forschende, denn sie werden vermutlich durch weniger Spielraum und mehr Dokumentationspflichten die Zeche für das mutmaßliche Verhalten von Neugebauer und Co zahlen. Und nicht nur die Forschenden: Auch die Forschung selbst dürfte leiden, denn Kreativität und Produktivität entwickeln sich vor allem dann, wenn man sie in genügend Freiheit zulässt.

 

Woraus sich der Schaden nach innen ergibt: Fraunhofer-Betriebsräte klagten in öffentlich gewordenen Brandbriefen, das Vertrauen in die Fraunhofer-Zentrale sei "insgesamt zerrüttet". Viele Mitarbeiter in den Instituten, aber auch im Münchner Fraunhofer-Hochhaus fühlen sich dreifach betrogen: durch das mutmaßliche Fehlverhalten in ihrer Chefetage, durch einen Führungsstil, der über Jahre immer problematischer geworden sein soll, und dadurch, dass sie jetzt, siehe oben, für all das in Haftung genommen werden.

 

Ein inaktiver Fraunhofer-Senat

 

Natürlich hat die Misere nicht allein mit Personen zu tun, sondern auch mit einer Fraunhofer-Governance, die das vorgeworfene Fehlverhalten begünstigt und sein Abstellen erschwert. Mit einem Vorstand, der sich den Prüfern zufolge teilweise der Kontrolle durch die Fraunhofer-Verwaltung entziehen konnte; mit einem Senat, der über Jahre seine Aufsichtspflicht nicht ausreichend erledigt hat, und mit einem Bundesforschungsministerium, das zwar der größte Zuwendungsgeber ist, aber doch zumindest offiziell eine Randrolle in der Governance spielt. Und laut Bundesrechnungshof ebenfalls seine Kontrollpflichten lange vernachlässigt hatte.

 

Nur ein Beispiel für die Verfahrenheit: Während dem BMBF seit Wochen, teilweise seit Monaten alle Vorwürfe gegen Neugebauer und seinen Vorstand vorlagen, hatte der Senat etwa den Bericht des Bundesrechnungshofs anfangs offiziell noch gar nicht erhalten. Bis er auf der Rechnungshofs-Homepage veröffentlicht wurde. So wollte es das Haushaltsrecht.

 

Dass das BMBF im Fraunhofer-Senat nicht einfach durchsetzen kann, was es will, ist, Stichwort Autonomie der Wissenschaft, ja an sich auch gut und richtig. Wird aber dann zum Problem, wenn ein Präsident wie Neugebauer in der Lage ist, sein Machtnetzwerk über außerordentlich gute Beziehungen zu den Mitgliedern seines Aufsichtsgremiums auszubauen. Sodass ihn am Ende kaum einer infrage stellte, sondern Neugebauer noch im August 2021 eine überraschende Verlängerung seiner Amtszeit abgesegnet bekam, noch dazu auf außergewöhnliche Art und Weise – obwohl da die Whistleblower längst von allen Dächern pfiffen.

 

Taktik des Aussitzens

 

Auch die neue Senatsvorsitzende Hildegard Müller, die im Januar den langjährigen Fraunhofer-Vertrauten Jörg Fuhrmann abgelöst hatte, steht offenbar weiter fest an Neugebauers Seite. Ihre Reaktion auf Stark-Watzingers Ablöse-Forderungen Anfang März bestand darin, auf die Zuständigkeit des Senats zu pochen. Und ansonsten zumindest öffentlich so weiterzumachen wie bisher: Demonstrativ trat Neugebauer noch Wochen später als Redner auf der wichtigsten Veranstaltung des von Müller geleiteten Verbandes der Automobilindustrie (VDA) auf.

 

Je länger Neugebauer mit seiner Aussitz-Taktik Erfolg hat und sein Führungszirkel intakt scheint, desto stärker fällt nun auch ein Schatten auf die bevorstehende Wahl seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin, die für den 25. Mai geplant ist. Weil so die dringend erforderliche Aufarbeitung des Skandals und die grundlegende Neustrukturierung wichtiger Entscheidungswege und Kontrollinstanzen bei Fraunhofer selbst für unabhängige Kandidaten schwer bis unmöglich werden.

 

Erst recht, falls Neugebauer, wie zwischenzeitlich im Raum stand, tatsächlich an die Spitze der Fraunhofer-Zukunftsstiftung nachrücken sollte, um seinen Vorgänger Hans-Jörg Bullinger abzulösen und von dort weiter Geld zu verteilen und Strippen zu ziehen.

 

Der Präsident geht, aber das System bleibt? Noch ist Zeit zum Neustart.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


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