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Vertrauen aufbauen, Druck ausüben

Heute haben sich Kultusminister und Bundesbildungsministerin zum klärenden Kamingespräch getroffen. Die KMK-Pressekonferenz Stunden zuvor legte offen, warum beide Seiten zurzeit eine so komplexe Beziehungskiste haben.

KMK-Pressekonferenz mit Ties Rabe, Katharina Günther-Wünsch und Alexander Lorz (von links). Danach ging es zum vertraulichen Gespräch mit Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger. Fotos: JMW.

AM FREITAGNACHMITTAG wollten die Kultusminister sich mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu dem mit Spannung erwarteten Kamingespräch treffen, direkt vorher luden sie zur Pressekonferenz. Warum vorher? Weil KMK und BMBF vereinbart hatten, dass das Gespräch mit Stark-Watzinger vertraulich sein sollte. Vertrauensbildung war angesagt mit einer Ministerin, die sich mit ihrer Zusage Zeit gelassen hatte. 

 

So richtig ausgeprägt, das wurde schon zu Beginn der Pressekonferenz im Berliner Hotel Bristol deutlich, ist das Vertrauen auch auf Seiten der Kultusminister nicht. Tags zuvor hatten die Ost-Ministerpräsidenten die Bundesregierung gewarnt, auf keinen Fall den Rotstift beim versprochenen Digitalpakt 2.0. anzusetzen, am Freitag legten die Kultusminister nach.

 

"Wir können uns nicht vorstellen, dass der Digitalpakt 2.0 nicht kommt", sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-regierten Kultusministerien koordiniert. "Das wäre ein derartiges Desaster für die Schulbildung, für die Digitalisierung in Deutschland insgesamt." 

 

Eine Journalistin hakte nach: Woher kämen überhaupt die Gerüchte, der Bund wolle das Programm streichen, wenn es doch keine diesbezügliche Ansage seitens des BMBF gebe? Rabes Antwort: Es gehöre zur Aufgabe von Politikern, "sehr hellhörig zu sein, Signale ernstzunehmen und einzuordnen". Aber ja, es seien nur Gerüchte, und er sei optimistisch, dass es nicht wirklich zu einer Streichung komme. Es schade aber nicht, die Bedeutung der Digitalpakt-Fortsetzung noch einmal zu betonen.

 

Rhetorisches Stochern
im Nebel

 

Ein rhetorisches Stochern im Nebel, das irgendwie symbolisch ist in diesen Tagen und Wochen, bevor Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sein Sparpaket voraussichtlich am 5. Juli offiziell im Bundeskabinett auf den Tisch legen soll. Fest steht, dass auch Stark-Watzingers Haushalt unter großem Druck steht – und damit die Kultusminister nicht weniger, die der Verlust der Digitalpakt-Fortsetzung offensichtlich mehr schmerzen würde als das Nichtzustandekommen des Startchancen-Programms für benachteiligte Schüler und Schulen.

 

Auf die Frage, ob die Kultusminister so weit gehen würden, eine Digitalpakt-Garantie durch Stark-Watzinger zur Voraussetzung für eine Zustimmung beim Startchancen-Programm zu machen, sagte Rabe, hier gebe es unterschiedliche Meinungen zwischen SPD- und unionsregierte Ländern. Seine Meinung sei: "Je mehr man miteinander verknüpft, desto schwieriger wird, überhaupt etwas über die Rampe zu bringen, weil dann immer noch etwas fehlt." Aber, fügte er hinzu, "schön wär’s schon, wenn es eine klare Aussage kommt, dass man sich keine Sorgen machen muss, wenigstens das."

 

Etwas anders zum Thema Verknüpfung stellt sich die Meinung der Unionsminister dar, in der KMK-Pressekonferenz am Freitagvormittag repräsentiert durch ihren Koordinator Alexander Lorz: Zwar gebe es keine direkte Verkopplung der Verhandlungen um Digitalpakt und Startchancen, sagte der hessische Kultusminister. "Was es aber natürlich gibt, sind sachliche Zwänge und in diesem Falle auch ganz einfach monetäre Zwänge." Sollte also etwas an den Gerüchten dran sein, dass der Bund sich vom Digitalpakt verabschieden könnte (was laut Lorz eine "Katastrophe", laut Rabe ein "Desaster" wäre), "würde uns das unter immense andere Handlungszwänge setze, weil wir dann mit Sicherheit nicht hingehen und sagen würden, wir lassen jetzt mal die Digitalisierung." In dem Fall käme, so Lorz,  "alles auf den Prüfstand", weil sich die Kultusminister dann die weiter nötigen Ressourcen für die Digitalisierung in den Schulen anderswoher holen müssten.

 

Was man nur als Mahnung an BMBF-Chefin Stark-Watzinger verstehen konnte. Und damit die auch wirklich ankam, betonte Lorz noch einmal: "Wir müssen die Verhandlungen nicht parallel führen, nicht parallel die Vereinbarungen unterzeichnen, aber wir brauchen schon die Gewissheit, dass das eine nicht auf Kosten des anderen geht." Womit er Startchancen versus Digitalpakt meinte.

 

Damit befand sich der Hesse auf einer Linie mit Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die schon vergangene Woche hier im Blog zu Protokoll gegeben hatte:  "Ohne die Klarheit über eine Finanzierung des Digitalpakts 2.0 durch den Bund kann es keine Verständigung zum Startchancen-Paket geben." Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wiederum hatte am Donnerstag nach der Ost-Ministerpräsidetenkonferenz mit Scholz angekündigt, er werde Druck im Kreise der Ministerpräsidenten aufbauen, damit der Digitalpakt 2.0. nicht weggekürzt werde.

 

Welche Garantien kann Stark-Watzinger
überhaupt geben?

 

Was zeigt, dass zumindest Wegner gar nicht mehr davon ausgeht, dass Stark-Watzinger Herrin des Verfahrens und der künftigen Dimensionen ihres Haushalts ist. Was dann wieder die Frage stellt, welche Garantien genau die Kultusminister in ihrem vertraulichen Gespräch eigentlich von ihr einfordern wollten. Für den Bildungsdirektor der Bertelsmann-Stiftung, Dirk Zorn, war übrigens genau der Einsatz der Ost-Ministerpräsidenten "ein Beleg dafür, wie er twitterte, "dass es bei zukunftsweisenden Entscheidungen für ein besseres Bildungssystem die Durchsetzungsmacht von Ministerpräsident:innen und ⁦Bundeskanzler braucht". 

 

Die Bertelsmann-Stifung gehörte zu den inzwischen 89 Organisationen und Verbänden, die unter der Überschrift "#NeustartBildungJetzt" den Appell für einen Nationalen Bildungsgipfel unter Beteiligung von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten veröffentlicht haben.

 

Auf den die Kultusminister am Freitag auf Nachfrage unisono zurückhaltend bis ablehnend reagierten: Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, die amtierende Präsidentin der KMK ist, sagte, bei all den "Themen und den Problemen, die wir haben, benötigen wir momentan keine Debatte um den Föderalismus", wichtiger seien konkrete Maßnahmen und Entscheidungen, und es gebe mit der KMK eine Institution, die die nötigen Entscheidungen treffen könne.  

 

Ties Rabe sagte, die Kultusminister müssten schon ernstnehmen, dass es eine große Bewegung gebe und dass sich bei vielen der Eindruck verfestige, das deutsche Schulsystem stecke in einer tiefen Krise. Er sage aber ganz offen: "Diesen Eindruck habe ich nicht." Er vertrete die KMK im EU-Ministerrat, und dabei sei ihm noch einmal deutlich geworden:  "Die Entwicklung, die Deutschland macht, mit dem Nachlassen der Kernkompetenzen in Klassestufe 4, speziell im Lesen, ist kein Privileg von Deutschland, sondern Sie finden das in den meisten europäischen Ländern, vor allem in denen, die wie wir offene Grenzen und freundlich ausgebreitet Arme haben. Deshalb halte die Zuspitzung auf eine nationale Bildungskrise für verkehrt."

 

Den Dialog mit den Verbänden müsse man aber trotzdem führen, sagte Rabe, auch darüber wolle man mit Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger sprechen. Aber die Lösung könne nicht darin bestehen, "so zu tun, als ob wir Deutschland mal eben neu erfinden könnten und dass das besonders schnell geht, wenn wir uns mit 89 verschiedenen Interessengruppen an einen Tisch setzen, die sich bei allem nur darin einig sind." Konkrete Fortschritte etwa beim Startchancen-Programm oder beim Kampf gegen den Lehrkräftemangel halte er für "wesentlich zielführender als solche riesigen Grundsatzdiskussionen, die bestenfalls in drei Jahren das Ergebnis haben, möglicherweise aus Beteiligungsmangel langsam einzuschlafen."

 

Übliche Abwehrreaktionen
der Kultusminister?

 

Alexander Lorz verwies in dem Zusammenhang auf den Lehrkräftemangel und die seines Erachtens in den meisten OECD-Staaten sehr ähnliche Demografie. Freilich treffe auch er sehr oft die Illusion, "da müssten sich doch alle nur einmal an den Tisch setzen, sich tief in die Augen schauen, sich die Hände reichen und sagen, so machen wir das jetzt, und dann läuft das auch." Lorz betonte: "So funktioniert Politik ganz generell nicht, und Bildungspolitik schon mal gar nicht."

 

Wobei es nun auch nicht so wahnsinnig überrascht, dass Kultusminister wenig begeistert von der Aussicht sind, ihr Aufgabengebiet könnte zur Chefsache der Ministerpräsidenten werden. So wie freilich auch dahingestellt bleibt, ob Politik so funktioniert, dass die Bildungsminister vor ihrem vertraulichen Gespräch mit Stark-Watzinger noch einmal demonstrativ per Beschluss die Fortsetzung der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" vom Bund forderten, der demnächst ausläuft.

 

Die BMBF-Chefin hatte ihnen bereits mehrfach und auch per Brief zu verstehen gegeben, dass sie nicht bereit sei, das Programm zu verlängern. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass auch hier haushälterische Gründe eine große Rolle spielen. Ob es da wirklich viel bringt, Stark-Watzinger gleichzeitig bei Digitalpakt und QLB unter Druck zu setzen? Vielleicht ist das Kalkül der Kultusminister aber auch eher, einen QLB-Verzicht irgendwann als Zugeständnis an den Bund darstellen zu können.

 

So blieb es vor dem vertraulichen Gespräch eine komplexe politische und atmosphärische Gemengelage zwischen KMK und Bund. Höchstes Ziel dürfte sein, dass der Kamin auch wirklich vertraulich bleibt. Immerhin aber gab es den Kamin überhaupt. Bei den Wissenschaftsministern der Länder, die sich am Freitagmorgen ebenfalls trafen, herrscht weiter Konsterniertheit. Ihren wiederholten und dringend Wunsch nach einem Treffen hatte Stark-Watzinger abgelehnt.



Startchancen: Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?

 

Vergangene Woche war der Optimismus auf Arbeitsebene groß gewesen direkt im Anschluss an drei Tagen Bund-Länder-Klausur zum Startchancen-Programm. So als stünde der Durchbruch in den Verhandlungen unmittelbar bevor. Allerdings wurde danach sehr schnell deutlich, dass viele Kultusminister der Euphorie nur bedingt folgen wollten. Vor allem aus der CDU gab es Widerspruch: Trotz Annäherungen in einigen Teilbereichen blieben wichtige Punkte von Seiten des Bundes noch offen und ungeklärt, erklärte Hessens Kultusminister Alexander Lorz vergangene Woche Donnerstag – "wie die Finanzierung, die genaue Mittelverteilung oder die rechtliche Umsetzung". Die Länder benötigten endlich verbindliche Aussagen. 

 

Womöglich hatte die Skepsis der CDU-Minister aber auch mit der Furcht zu tun, dass zu viel Einigungs-Optimismus (und infolge dessen Einigungsdruck) in Sachen Startchancen ihre Verhandlungsposition um den Digitalpakt 2.0 schwächen könnte? Eine Vermutung, gegen die Lorz sich in der KMK-Pressekonferenz verwahrte. "Wir haben ein Interesse daran, beide Projekte so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen, und es würde uns überhaupt nicht weiterbringen, wenn wir das jetzt an einer Seite künstlich verlangsamen, um mit der anderen Seite voranzukommen."

 

SPD-Senator Rabe kommentierte, es komme auf die Perspektive an. Die sozialdemokratischen Minister sähen das Startchancen-Glas eher halb voll, die CDU-Kollegen halb leer. Aber immerhin sei man sich einig, dass schon Wasser drin sei. "Das kann was werden", sagte Rabe. Das sei vor acht Wochen noch nicht so erkennbar gewesen. So sei man sich etwa bei der Frage der Mittelverteilung schon "sehr, sehr nahegekommen", er halte keine der noch offenen Punkte mehr für unüberwindbar.

 

Demgegenüber sagte Lorz, es gebe erhebliche Bewegungen auf Seiten des Bundes, aber: "Das Ding ist weit davon entfernt, in trocknen Tüchern zu sein." Bremsklötze sehe er unter anderem bei der rechtlichen Umsetzung, so strebe der Bund ein sogenanntes Artikelgesetz an, das die Zustimmung der Länder im Bundesrat erfordert. Da wiederum stimmte Rabe ihm zu: Da müsse man am Ende alle 16 Länder mitnehmen.

 

Was sonst noch wichtig war

 

Man sei beim Lehrermangel konfrontiert mit strategischen Versäumnissen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die mit einer demographischen Krise kollidierten, leitete KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch ihren Bericht über die Beratungen der Kultusminister ein. Wobei sie diesen Satz, vielleicht aus Höflichkeit gegenüber den neben ihr sitzenden Ministerkollegen, später auf Nachfrage keineswegs als Kritik an der KMK verstehen wollte, der sie selbst erst seit wenigen Wochen angehört. Man habe das Ministertreffen am Donnerstagabend ordentlich überzogen, sagte Günther-Wünsch weiter, was an den Inhalten und Beschlüssen abzulesen sei.

 

So scheint etwa die Bereitschaft in der KMK zu grundsätzlichen Reformen und Schritten gegen den Lehrkräftemangel inzwischen groß zu sein. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) will hierzu Ende des Jahres ihr Gutachten vorlegen, dann will die KMK entscheiden. Man müsse sich freimachen von Denkverboten, sagte Günther-Wünsch, und nannte die Stichworte: duale Studienmodelle für künftige Lehrkräfte, Ein-Fach-Lehrer, ein schnelleres, stärker an der Schulpraxis orientiertes Studium, die Qualifizierung von Bestandslehrkräften.

 

Weitere wichtige Themen seien eine Diskussion mit der unabhängigen Beauftragten des Bundes für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs gewesen, die beschlossene Weiterentwicklung der 20 Jahre alten Bildungsstandards für Englisch und Französisch – oder auch der Ausbau der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen innerhalb des KMK-Sekretariats. 70 neue Stellen zusätzlich zu den 330 vorhandenen sollen gewährleisten, dass jedes Jahr 55.000 ausländische Abschlüsse und Qualifikationen zusätzlich anerkannt werden können – als Beitrag im Kampf gegen den Fachkräftemangel.


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Kommentare: 1
  • #1

    Der Duke (Sonntag, 25 Juni 2023 08:13)

    Welch ein Offenbarungseid.

    Alleine, dass Herr Rabe die Bildungskrise abstreitet, macht nur allzu deutlich, wie wenig Ahnung die KMK auf ganzer Breite von ihrem Metier hat: Wenn Steglitzer und Pankower Schüler an Elite-Gymnasien in der 7. Klasse die Muttersprache nicht halbwegs vernünftig zu Papier bringen können, wie ist es um diese Basiskompetenz dann erst an einer ISS in Neukölln oder Marzahn bestimmt?

    Fakt ist und bleibt: Die Kultusminister haben seit 1998 Däumchen gedreht und nichts für die Bildung getan - außer sie völlig kaputt zu reformieren.

    In Anbetracht der erschreckenden Inkompetenz der KMK müssen die wirklichen Experten für Bildung ins Boot geholt werden: die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler. Und einige qualifizierte Wissenschaftler, wie Herr Dr. Zorn, können gerne prozessbegleitend tätig werden.

    Ansonsten: Nieder mit der KMK und weg mit dem Schrott, der unser Land zielstrebig auf den Eisberg zusteuern lässt.