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Wie beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Kompromiss doch noch gelingen könnte

Die Ampel konnte sich beim Kern der WissZeitVG-Reform
nicht einigen. Jetzt soll das parlamentarische Verfahren es richten.
Die Lösung liegt dabei ganz nah: eine Höchstbefristungsquote.
Ein Gastbeitrag von Arnold Arpaci.

Arnold Arpaci ist Doktorand an der Freien Universität Berlin und forscht im Graduiertenkolleg "Gerechtigkeit durch Tarifvertrag" zur Tarifautonomie. Foto: Götz Schleser.

ES WAR EIN AUßERGEWÖHNLICHER Vorgang. Der Referent:innenentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), entstanden im FDP-geführten Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), erhielt explizit keine Zustimmung der anderen beiden Regierungsparteien. Seitdem fragen sich alle Seiten, wie es jetzt weitergehen soll. Welche Änderungen sind noch zu erwarten im parlamentarischen Verfahren?

 

Fest steht: Alle Argumente in Sachen Befristungs-Höchstdauer sind ausgetauscht, und der Konflikt muss für den interessierten Wiarda-Leser wohl nicht mehr nachgezeichnet werden, ebenso wenig die Kritik am bisherigen Entwurf (man lese nur hier). Darum möchte ich den Blick nach vorn richten und versuchen, die Diskussion mit dem Hinweis auf eine Dimension zu beleben, die einer noch genaueren Betrachtung durch alle Beteiligten wert wäre. Ich meine die Möglichkeit, eine Befristungshöchstquote für Postdocs einzuführen. 

 

Gemeinsam mit Simon Pschorr habe ich bereits dargelegt, warum so eine Befristungshöchstquote in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers fällt und auch sonst verfassungskonform ist. Aus Kreisen des BMBF wird dies wohl bezweifelt: Man könne sich eines solchen Instruments aus kompetenziellen Gründen nicht bedienen, so lautet offenbar das Argument, das offiziell bislang aber meines Wissens nicht vorgetragen worden ist. Hier wäre dringend Aufklärung geboten. Solange es an einer solchen satisfaktionsfähigen Erwiderung fehlt, soll es jedoch in meinem Beitrag nicht um juristische Details gehen. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die Befristungshöchstquote Fächerkulturen respektiert und Generationengerechtigkeit absichert und einen politischen Kompromiss dadurch erst möglich macht. 

 

Die Große Koalition stand schon einmal kurz davor, die
Quote ins Teilzeit- und Befristungsgesetz zu schreiben

 

Die Befristungshöchstquote ist als Instrument nicht neu. Erfunden haben sie – wie so vieles im Arbeitsrecht – die Tarifparteien. Erstes Mal Gesetz werden sollte sie gegen Ende der letzten Großen Koalition. Sie war Teil des Referent:innenentwurfs zum Teilzeit und Befristungsgesetz (TzBfG) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Leider schaffte es der Entwurf nicht mehr ins Parlament.

 

Da sie vielen unbekannt ist, soll die Wirkungsweise der Quote kurz erklärt werden. Das Grundprinzip ist (anders als der Status Quo) leicht verständlich. Der Gesetzgeber entscheidet sich politisch für eine maximale Quote, wie viel befristete Beschäftigung er der Arbeitgeberin erlauben möchte. Hat die Arbeitgeberin, gemessen an der Grundgesamtheit der jeweiligen Beschäftigtengruppe mehr befristet, als die Quote zulässt, können keine weiteren befristeten Arbeitsverträge mehr geschlossen werden, bis die Quote wieder eingehalten wird. Hält sich die Arbeitgeberin nicht daran und schließt trotzdem neue befristete Arbeitsverträge ab, sind diese Befristungsabreden unwirksam.

 

Das heißt, die neue (wissenschaftliche) Arbeitnehmerin könnte sich über einen unbefristeten Arbeitsvertrag freuen. Aus der "#IchbinHanna"-Bewegung für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft wird deshalb eine Befristungshöchstquote für PostDocs gefordert.

 

Wie auf Fächerkulturen
Rücksicht genommen wird

 

Gelegentlich liest man in der Debatte um das Befristungs(un)wesen in der Wissenschaft die mahnenden Worte, die verschiedene Fächerkulturen müssten besonders berücksichtigt werden. Mit der Befristungshöchstquote wäre dies jedenfalls kein Problem. Die Befristungshöchstquote setzt als arbeitsrechtliches Instrument bei der jeweiligen Arbeitgeberin an. Die zulässige Anzahl an Befristungen kann durch die Leitung der wissenschaftlichen Einrichtung unter Mitwirkung der Selbstverwaltungsorgane auf die verschiedenen Fächergruppen verteilt werden. Wissenschaftliche Arbeitgeberinnen wie die Fraunhofer-Gesellschaft können unterschiedliche Quoten für ihre Institute festlegen.

 

Besonderen Bedürfnissen einzelner Fachbereiche nach mehr Befristungsmöglichkeiten kann Rechnung getragen werden, andere Fachbereiche können die Quote ausgleichen. Hinsichtlich der Hochschulen ist in den meisten Bundesländern das Land selbst die Arbeitgeberin. Das heißt, das Land könnte entscheiden, ob es die Quote an die verschiedenen Hochschulen unterschiedlich verteilt. Die Aufgabe die Befristungsanteile sachgerecht auf die Fachbereiche herunterzubrechen, würden die Bundesländer sinnvollerweise an die Hochschulen delegieren.

 

Für die Selbstverwaltungsorgane der Hochschule könnte das dann der mancherorts noch notwendige Anlass sein, sich ernsthaft mit Personalplanung auseinanderzusetzen, wie auch der Wissenschaftsrat schon lange fordert. In der Praxis würde die zentrale Personalverwaltung der Hochschule/ wissenschaftlichen Einrichtung vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags prüfen, ob die vereinbarte Befristungshöchstquote für den örtlichen Fachbereich schon ausgeschöpft ist. Nach außen hin hätte diese interne Ordnungsvorschrift nur begrenzte Wirkung. Die Arbeitnehmerin würde erst dann von Gesetzes wegen entfristet, wenn nicht nur die örtliche Fachbereichsquote überschritten wäre, sondern die Arbeitgeberin (häufig das Land) insgesamt die gesetzliche Quote nicht einhält.

 

Generationengerechtigkeit in der

wissenschaftlichen Beschäftigung absichern

 

In der Debatte um das WissZeitVG wird auch häufig vor Folgendem gewarnt: Würde man die Möglichkeiten für befristete Beschäftigung von heute auf morgen radikal einschränken, bestünde die Gefahr, dass eine Alterskohorte fortan an den Einrichtungen überrepräsentiert wäre. Anders als die gelegentlich zu hörende Rede von den "verstopften Stellen" [zur realen Fluktuation siehe hier und hier], ist dies ein ernstzunehmender Einwand. Zu beobachten lässt sich dieses Phänomen zum Beispiel in der Justiz in den neuen Bundesländern. Dass nach der Wende eine große Anzahl der Beschäftigten aus einer Alterskohorte aus dem Westen rekrutiert wurde, führt nun zu einer herausfordernden Verrentungswelle.

 

Da im akademischen Mittelbau in der unbefristeten Beschäftigung durchaus mehr (freiwillige) Fluktuation zu erwarten wäre, sollte diese Gefahr jedoch nicht überbewertet werden. Jedenfalls kann ihr gut mit einer intelligenten Ausgestaltung der Befristungshöchstquote begegnet werden. So könnte das Gesetz vorsehen, dass zunächst eine weniger ambitionierte Befristungshöchstquote festgeschrieben wird, aber in den darauffolgenden Jahren eine schrittweise Verschärfung in Kraft tritt. Gibt das Gesetz einen solchen Zeitplan vor, erleichtert das den Hochschulen die Planung und Anpassung.

 

Der Reiz der Befristungshöchstquote ist, dass sie einem politischen Kompromiss zugänglich ist. Ganz anders verhält es sich leider beim bisher beherrschenden Thema: Der Befristungshöchstdauer. Die Befristungshöchstdauer erfüllt ihren Zweck nur, wenn sie der Arbeitgeberinnenseite wirklich weh tut und damit eine so starke Lenkungswirkung entfaltet, dass mehr unbefristete Stellen geschaffen werden. Nimmt man die Forderungen der "#IchbinHanna"-Bewegung als Maßstab, sollte dieser Punkt bei einer Befristungsdauer von maximal zwei Jahren erreicht werden. Ein politischer Kompromiss von etwas mehr wird dann leider immer als ein "fauler Kompromiss" bewertet.

 

Der politische Prozess lebt nun Kompromissen,
die Befristungshöchstquote könnte einer sein

 

Jedenfalls gilt: Wenn die Befristungshöchstdauer zu lang ist, kann die Arbeitgeberin nach Ende der Befristungshöchstdauer der bisherigen Beschäftigten einfach die nächste Bewerberin anstellen, ohne dass der Betriebsablauf allzu sehr behindert wird. Der Lenkungseffekt verpufft. Wenn es dann überhaupt noch eine Befristungshöchstdauer gibt, führt sie mehr zur Schikane der Arbeitnehmerin, obwohl sie deren Schutz dienen sollte. Dass dieser Bumerang-Effekt bei einer Befristungsdauer von bis zu vier Jahren erreicht werden würde, kann man leicht an den positiven Rückmeldungen der Arbeitgeberinnenseite (etwa Hochschulrektorenkonferenz und Max-Planck-Gesellschaft) ablesen. Offensichtlich schmerzen die vier Jahre nicht genug. Der politische Prozess lebt nun aber von Kompromissen, deshalb auch die verfahrene Situation im Reformprozess. 

 

Bei der Befristungshöchstquote kann man dagegen recht leicht einen Kompromiss ausmachen. Angenommen, Partei A fordert 2,5 Prozent Befristungshöchstquote (wie im letzten TzBfG-Referent:innenentwurf) und Partei B möchte beim Status Quo von fast 90 Prozent PostDoc Befristung bleiben, könnte man sich irgendwo dazwischen treffen. Dieser Kompromiss, wo auch immer er am Ende liegen mag, wird vielleicht nicht alle zu 100 Prozent zufrieden stellen können. Es ginge aber zumindest in die "richtige Richtung" und nicht wie ein unachtsam geworfener Bumerang in den Nacken der Beschäftigten.


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Kommentare: 7
  • #1

    Penny Woeful (Mittwoch, 05 Juli 2023 11:26)

    Wäre die Befristungshöchstquote denn unabhängig von der Befristungsbegründung (Qualifikation oder Drittmittel) zu gestalten? Das könnte schwierig sein, denn so würde man sich die Möglichkeit zur Anstellung von Wissenschaftler:innen nehmen, die nach Ablauf der 10 Jahre Qualifizierungsbefristungszeit einen tollen grant eingeworben haben und deren Stelle darüber finanziert würde. Dann hätte man eine Höchstquote für mögliche Drittmittelstellen, will man das?

  • #2

    ein ehemaliger Hannes (Mittwoch, 05 Juli 2023 13:56)

    Hallo Penny Woeful,
    ich verstehe den Vorschlag auch in dem Sinne, wie Sie nachfragen. Man müsste zunächst die Grundgesamtheit rechtssicher definieren, für die die Quote gilt, und den Berechnungsweg beschreiben, über den die Quote ermittelt wird (z.B. VZÄ oder Köpfe). Vermutlich müsste man die Grundgesamtheit unabhängig von der Finanzierung definieren, was dann zwangsläufig zu einer Begrenzung der drittmittelfinanzierten Positionen je Arbeitgeberin führt. Zudem würde eine Quote erhebliche praktische Fragen aufwerfen (Nachweispflicht, Verteilungskämpfe etc.). Ich befürchte, der Vorschlag ist nicht praktikabel.

  • #3

    Arnold Arpaci (Mittwoch, 05 Juli 2023 15:24)

    Liebe Penny, lieber Hannes,

    angelehnt an den damaligen TzBfG Vorschlag wird hier nur eine Befristungshöchstquote für Haushaltsstellen gefordert, die keinem besonderem Befristungsgrund unterliegen (und nur für PostDocs). Also sehr bescheiden in der Forderung.

    Rechtlich wäre auch denkbar einen Missbrauch von Kettenbefristungen von Sachgrund-, insbesondere Drittmittelbefristungen einzuschränken, z.B. in eine gesonderten (längeren) Befristungshöchstdauer (so sah es auch der TzBfG Entwurf vor) oder einen zweiten (schwächeren) Quote. Darum soll es hier aber NICHT gehen.

    Hier geht es nur um die Haushaltsstellen. Wenn zumindest die zur Verfügung stehenden Haushaltsstellen in unbefristete Beschäftigung überführt wären, wäre schon viel gewonnen.

    Beste Grüße,
    Arnold

  • #4

    Nachfrage (Donnerstag, 06 Juli 2023 10:19)


    Der Autor ist von der FU. An Berlin verlangt der Berliner Senat über die Hochschulverträge eine Quote von 30% unbefristeten WiMis (haushaltsfinanziert). Die Befristungshöchstquote ist damit quasi 70%. Ist das nicht dasselbe (nur eben per Vertrag und nicht per Gesetz)?

  • #5

    Hanna (Donnerstag, 06 Juli 2023 11:28)

    Das klingt doch einmal nach einem innovativen out-of-tje-box-gedachten Vorschlag, der sich noch dazu als Bundesgesetzgebung im Zuge der WissZVG-Reform umgesetzt werden könnte! Vielen Dank dafür! Vielleicht die Lösung für den Hochschulsektor und die unsägliche Befristungssituation? Bin gespannt, wie sich insbesondere SPD und Grüne dazu verhalten!

  • #6

    Johanna (Freitag, 07 Juli 2023 01:25)

    Danke für das versierte Durchdeklinieren eines interessanten Vorschlags.
    Nur eine kleine Anmerkung: Das unhaltbare Argument, nur durch Befristungen würde "Verstopfung" vermieden, hat mit den Zyklen in den akademischen (vornehmlich staatlichen) Karrieren nichts zu tun. Mangel und Überfüllung findet statt, ja, sogar ziemlich regelmäßig, wenn man das Zeitfenster öffnet - wie die QUAKRI Forschung gezeigt hat. Aber Mangel und Überfüllung betrifft auch die Professor:innen. Dort wird das WissZeitVG aber nicht angewandt.

  • #7

    Privatdozent (Freitag, 18 August 2023 23:18)

    Wenn sich der Vorschlag nur auf Haushaltsstellen beschränkt, so wäre es eine Überlegung wert.
    Selbst eingeworbene Mittel (z.B. DFG-Eigene Stelle) sollten aber auf keinen Fall auf diese Quote angerechnet werden (siehe Penny Woeful), denn damit wäre den erfahrenen Postdocs die letzte Möglichkeit genommen, sich via "Projektkarrieren" eigeninitiativ über Wasser zu halten.
    Die direkt oder indirekte Beschneidung dieser Möglichkeit käme einem Berufsverbot gleich.

    Seitenbemerkung: Nicht nur von Seiten der Ministerien werden die PDs von je her schäbig und stiefmütterlichst behandelt, auch die "jungen Leute" der Hannah-Seite haben deren Nöte und Bedürfnisse nach meiner Beobachtung kaum auf dem Schirm.