Holger Hanselka soll die Fraunhofer-Gesellschaft aus der Krise holen. Wie will er das machen? In seinem ersten Interview als neuer Fraunhofer-Präsident spricht der Wissenschaftsmanager über saubere Governance, die Verteilung von Macht und eine deutsche Krise.
Angekommen: Am heutigen Dienstag übernimmt Holger Hanselka das Amt als Fraunhofer-Präsident. Foto: Markus Jürgens/Fraunhofer.
Herr Hanselka, herzlichen Glückwunsch zum Amtsantritt als neuer Fraunhofer-Präsident. Welches Dienstfahrzeug werden Sie fahren?
Funktional muss es sein. Als ich beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) anfing, habe ich den Sechszylinder meines Vorgängers gegen einen Vierzylinder eintauschen lassen. Damit fühlten sich die Fahrer nicht so gut, aber ich habe mich gut gefühlt. Heute denkt man nicht mehr in Zylindern, sondern in anderen Antriebsformen. Klar ist also: Fahren muss das Fahrzeug, ich muss drin arbeiten können, aber Luxus oder Statussymbol brauche ich nicht.
Wie sieht es mit der Kategorie der Hotels aus, in denen Sie übernachten werden?
Ich schlafe sehr häufig für 80 Euro die Nacht. Es gibt aber Jahreszeiten und Situationen, in denen mit 80 Euro nichts zu machen ist – denken Sie zum Beispiel an die Hannover-Messe –, und wenn man die nötigen Mehrausgaben plausibel begründet, geht das auch mit dem Reisekostengesetz in Ordnung. Ist eine ordentliche Begründung nicht möglich, dann sollte man es nicht machen. So einfach ist das. Ich sehe da kein Problem. In Zeiten gleich mehrerer Polykrisen auf dem gesamten Planeten steht Fraunhofer aber vor ganz anderen Herausforderungen.
Die massiven Vorwürfe gegen den Fraunhofer-Vorstand um Ihren Vorgänger Reimund Neugebauer sind aber ein Problem. Sie betreffen unter anderem den Umgang mit Spesen und Steuergeldern, ein mutmaßlich problematisches Führungsverhalten und die angebliche Erzeugung eines Klimas der Angst. Als neuer Präsident erben Sie die alten Skandale, die Vertrauenskrise nach außen und innen und die gerade erst begonnene Aufarbeitung.
Als neuer Präsident bin ich verantwortlich für die Fraunhofer-Gesellschaft, und dieser Verantwortung stelle ich mich. Es ist eine Selbstverständlichkeit für mich, dass all die Vorwürfe, die im Raum stehen, transparent und lückenlos aufgeklärt werden. Die Federführung dafür liegt beim Senat, und da gehört sie auch hin. Meine Rolle als Präsident wird darin bestehen, dass der Vorstand und ich den Senat bei seiner Aufklärungsarbeit weiterhin vollumfänglich unterstützen. Und wenn es soweit ist, wird es meine Aufgabe sein, aus bestätigten Fehlern und Fehlverhalten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, so dass sie sich nicht wiederholen können. Ein Klima der Angst kann ich bei Fraunhofer nicht wahrnehmen.
HOLGER HANSELKA, 61, ist Maschinenbauingenieur und wurde am 25. Mai vom Fraunhofer-Senat einstimmig zum neuen Präsidenten der Forschungsgesellschaft gewählt. Die vergangenen zehn Jahre war er Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und fungierte als für den Forschungsbereich Energie zuständige Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft, zu der das KIT gehört. Bevor Hanselka nach Karlsruhe kam, leitete er das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit in Darmstadt. Das KIT hatte von 2006 bis 2012 den Status einer Exzellenzuniversität, verlor ihn dann vorübergehend – und gewann ihn 2019 zurück. Bei Fraunhofer gilt Hanselka nach angesichts der Spesenaffäre als Hoffnungsträger, der gleichermaßen Aufklärung und Neustart gewährleisten soll. Foto: Markus Breig, KIT.
Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf den Senat? Immerhin war er es, der noch im August 2021, als längst massive Whistleblower-Vorwürfe gegen Reimund Neugebauer laut wurden, Ihren Vorgänger nicht nur im Amt bestätigt, sondern seine Amtszeit sogar noch verlängert hat. Einfach so im Umlaufverfahren.
Wie der Senat in der Vergangenheit gewirkt hat, kann ich schwer beurteilen. Anfang dieses Jahres stand die Stellenausschreibung für das Präsidentenamt in der Zeitung, erst seitdem habe ich mich intensiv mit Fraunhofer und auch mit dem Fraunhofer-Senat auseinandergesetzt. Seitdem, das kann ich sagen, war ich besonders von der ebenfalls neuen Senatsvorsitzenden Hildegard Müller sehr beeindruckt und ihren Bemühungen um eine transparente und lückenlose Aufklärung. Daher lautet meine Antwort: In einen Senat unter Frau Müllers Leitung habe ich großes Vertrauen. Und wie gesagt: Ich als Präsident werde dafür sorgen, dass auch wir als Vorstand gemeinsam jeden erdenklichen Beitrag leisten, die Dinge zu klären.
Obwohl dem Senat zum Teil noch dieselben Leute angehören, die sich wie eine Mauer vor Reimund Neugebauer gestellt, im Herbst 2021 die Vorwürfe gegen ihn per Senatsbeschluss als "durchweg
haltlos" und die Aufklärung faktisch als abgeschlossen eingestuft haben. Übrigens sitzen auch im Vorstand, den Sie jetzt leiten, noch Leute, die über viele Jahre Weggefährten Neugebauers waren. Darunter Alexander Kurz, der seit 2011 verschiedene Vorstandsämter bekleidet hat, als enger Vertrauter Neugebauers gilt und genau wie dieser von der Fraunhofer-Mitgliederversammlung für das Rechnungsjahr 2022 nicht entlastet wurde. Wir erinnern uns: Die Rücktrittsforderungen nach den im Februar 2023 öffentlich gewordenen Vorwürfen im Bericht des Bundesrechnungshofs, erhoben unter anderem von Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger, richteten sich gegen den Vorstand als Ganzes.
Der Senat hat zur Aufklärung der sehr eindeutigen Vorwürfe im Rechnungshofbericht einen eigenen Ausschuss eingerichtet, der sich sehr intensiv seiner Arbeit widmet, und zwar in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Kanzleien und der Staatsanwaltschaft. Als bislang Außenstehender ist mein Eindruck, dass mit Unterstützung des gesamten Vorstands alles getan wird, was man tun kann, um Transparenz zu schaffen und aufzuklären. Die Frage nach den Konsequenzen, die ich gerade schon angesprochen habe, kann erst seriös beantwortet werden, wenn zu der begonnenen Untersuchung Ergebnisse vorliegen. Alles andere wäre unlauter. Worüber ich mir ehrlich gesagt die größeren Gedanken mache: Wie können und müssen wir die Governance bei Fraunhofer so verändern, dass künftig jeder seine Rolle hat, das Zusammenspiel funktioniert und vor allem auch die Aufsichtsfunktion des Senates greift? Da sehe ich Nachholbedarf.
"Ich sehe eine Parallelität zwischen dem Zustand, in dem sich das Karlsruher Institut für Technologie bei meinem Amtsantritt befand, und der Situation bei Fraunhofer heute."
Was meinen Sie konkret?
Die jetzt zu Recht von allen geforderte Compliance funktioniert nur, wenn die Governance einer Institution sauber aufgestellt ist. Und genau an der Stelle kann ich mit der Erfahrung, die ich anderswo gesammelt habe, meinen vielleicht wichtigsten Beitrag leisten. Ich werde mein Wissen und meine Erfahrung aus den vergangenen Jahren auf die Fraunhofer-Gesellschaft übertragen und hinterfragen: Was haben wir schon? Was fehlt? Das ist eine Aufgabe, auf die ich mich freue, weil sie klar und pragmatisch ist und ehrlich gesagt gar nicht so kompliziert. Man muss sie halt gründlich erledigen. Und dann können wir uns wieder um unser Kerngeschäft kümmern.
Wenn Sie von der anderswo gesammelten Erfahrung sprechen, meinen Sie das KIT, an dem Sie 2013 Präsident wurden?
In der Tat sehe ich eine Parallelität zwischen dem Zustand, in dem sich das KIT damals befand, und der Situation bei Fraunhofer heute.
2013 hatte das KIT gerade seinen Status als Exzellenzuniversität verloren, die Fusion der Universität mit einem Helmholtz-Zentrum steckte in der Krise, die Stimmung war schlecht und das Vertrauen der Mitarbeiter in die Institution gestört. Was fehlte, war ein vergleichbarer Compliance-Skandal.
Aber die institutionelle Governance war auch damals ein Problem. Und aus dieser Parallelität schöpfe ich Mut für meine aktuelle Aufgabe. Es ist mir einmal gelungen, das Ruder herumzureißen. Warum sollte es mir nicht ein zweites Mal gelingen? Der Schlüssel zum Erfolg war und ist aus meiner Sicht der Dialog. Mit den Menschen reden ist das, was ich kann. Und ich glaube, dass man mir zutraut, nach außen und innen aufrichtig zu kommunizieren und ehrlich miteinander umzugehen. Gerade am Anfang werde ich ein hohes Maß an Energie aufs Zuhören verwenden, um zu verstehen, wo die Probleme und Nöte liegen und wie wir gemeinsam zu Lösungen kommen.
"Dialog" und "Transparenz" sind in der Krisenkommunikation viel genutzte und oft missbrauchte Begriffe.
Nicht, wenn die Leute merken, dass sie ehrlich gemeint sind. Ich werde alles ansprechen, alles hinterfragen, mir zu allem erst eine Meinung bilden, wenn ich die der anderen gehört habe. Dialog funktioniert nur auf Augenhöhe – nur wenn ich selbst alles auf den Tisch lege, kann ich die anderen dazu ermutigen, das Gleiche zu tun. Das heißt nicht, dass alles geändert wird oder geändert werden kann. Aber, wo wir alle gemeinsam – und damit meine ich wirklich Fraunhofer als Ganzes – Fraunhofer besser machen können, werden wir nicht zögern, es zu tun. Diese herausragende Institution, deren Präsident ich nun sein darf, hat so viele Stärken, für sie arbeiten so viele engagierte und hochprofessionelle Menschen, es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht schafften, uns wieder auf unsere weltweit anerkannte Arbeit zu konzentrieren.
"Wir müssen zur Normalität zurück, wie sie das Gesetz vorgibt: nicht wie die Fürsten speisen, aber es kann auch nicht sein, dass es nur noch Wasser und Salzstangen gibt."
Aus den Fraunhofer-Instituten ist großer Frust zu vernehmen, dass sie jetzt gerade stehen sollen für die mutmaßliche Steuerverschwendung in den Chefetagen. Nach dem Motto: Wir dürfen unseren Gästen nicht einmal mehr Kekse zum Kaffee servieren, weil es in der Zentrale Ärger um vermeintlich überflüssige Dienstfahrten oder angeblich horrende Bewirtungs- und Hotelrechnungen gibt.
Es trifft zu, dass die Fraunhofer-Gesellschaft verschärfte Auflagen im Zuwendungsbescheid durch das Bundesforschungsministerium bekommen hat, wie mit Geschenken, Bewirtungen oder Reisekosten umzugehen ist, deren Rigorosität man zum Teil schon hinterfragen kann. Ich finde, wir müssen auch da zur Normalität zurück, wie sie das Gesetz vorgibt: nicht wie die Fürsten speisen, aber es kann auch nicht sein, dass es nur noch Wasser und Salzstangen gibt. Angesichts der Vorwürfe ist das Pendel zu stark in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen.
Wenn für Sie eine funktionierende Governance in einer sauberen Rollenverteilung zwischen den Gremien und einer funktionierenden Aufsicht besteht, was bedeutet das für das künftige Verhältnis zwischen Senat, Vorstand und Mitgliederversammlung?
Der Senat kann nicht alles beaufsichtigen, deshalb ist der erste Schritt, seine Kontrollaufgaben genau zu definieren, zu denen sicher zentral die Überprüfung des Wirtschaftsplans gehört. Die Kontrollaufgaben, die der Senat hat, muss er dann professionell erledigen. Dafür muss er aus Menschen bestehen, die die Fähigkeiten und das Wissen haben, die notwendigen Bewertungen vornehmen zu können. Die bereit sind, möglicherweise ein Veto gegen eine Entscheidung des Vorstands einzulegen, wenn es die Aufsicht erzwingt. Genauso muss die Leitungsaufgabe des Vorstandes beschrieben sein, und ich als Präsident muss die Aufgabenverteilung des Vorstands vertreten, und gemeinsam müssen wir die nötigen Kompetenzen aufweisen, um diese zu erledigen. Drittens die Mitgliederversammlung: Ein eingetragener Verein, wie die Fraunhofer-Gesellschaft einer ist, hat weniger gesetzliche Anforderungen in Sachen Transparenz zu erfüllen als zum Beispiel eine Aktiengesellschaft. Darum muss die Mitgliederversammlung es zu ihrer zentralen Aufgabe machen, die Fraunhofer-Satzung so zu überarbeiten, dass sie die im Gesetz fehlenden Regeln, die Rollen- und Mandatsbeschreibungen für eine moderne Governance und Compliance, erfüllt. Das mag alles ein bisschen theoretisch klingen, ist aber grundlegend und muss einmal durchdekliniert werden. Das ist Fleißarbeit und hier und da auch eine Machtfrage.
"Wenn man mehr Macht in das eine Körbchen und weniger ins andere legt, schafft das die nötige institutionelle Balance, mag aber den einen oder anderen aus dem Gleichgewicht bringen."
Nur hier und da?
Macht ist an sich nichts Böses. Man muss nur definieren, wo sie liegt und wo nicht, und dass mit Macht auch immer Verantwortung verbunden ist. Das gilt es möglichst rational zu beschreiben, ohne Rollenbeschreibungen und Menschen zu vermischen. Aber klar: Wenn man mehr Macht in das eine Körbchen und weniger ins andere legt, schafft das hoffentlich die nötige institutionelle Balance, mag aber den einen oder anderen Betroffenen aus dem Gleichgewicht bringen. Macht muss sich aber von der zu erfüllenden Funktion ableiten und nicht von Personen.
Die von Ihnen beschworene Rationalität in Ehren. Aber seien wir ehrlich: Sie als Präsident sind neu, Sie kommen aber in ein System hinein mit vielen Leuten, die sich an dieses System gewöhnt haben – und damit an eine Machtverteilung, die womöglich weniger transparent, aber sehr real ist. Wie wollen Sie die überzeugen, die im Moment die Macht haben – zumal Sie die impliziten Machtstrukturen gar nicht genau kennen?
Wenn man eine Governance neu und transparent festzurrt, heißt das noch lange nicht, dass sich alle Personen dem unterwerfen werden. Darum braucht man Aufsichtsorgane. Vor allem aber braucht es die Hartnäckigkeit, jedem Menschen die immer gleichen Fragen zu stellen. Was tust du? Warum tust du die Dinge so, wie Du sie tust? Wem gegenüber trägst Du für Dein Handeln die Verantwortung? Wer hat dir etwas zu sagen? Wem hast du etwas zu sagen? Und: Ist es so richtig organisiert? All das habe ich am KIT schon einmal durchexerziert. Und aus dieser Erfahrung sage ich: Die meisten Dysfunktionalitäten entstehen nicht durch Vorsatz, nicht aus bösem Willen, sondern sie wachsen historisch und werden dann nicht mehr hinterfragt. Ich bin mir sicher: Ich werde viele Stellen finden, wo die Zuständigkeiten nicht richtig definiert sind und es nur funktioniert, weil die Menschen im Sinne der Sache die organisatorischen Schwächen kompensieren. Bis es dann halt irgendwann nicht mehr funktioniert. Diese ganze Fragerei wird mir sicherlich gerade am Anfang nicht nur Sympathien einbringen, aber für Sympathie werde ich nicht bezahlt. Sondern für Sinnstiftung. Und wenn dieser Sinn zu erkennen ist, folgen dem am Ende die Menschen.
Auch die Menschen, die in einem transparenten System zu den Verlierern zählen?
Ich bestreite, dass irgendwer in einem solchen System verliert. Vielleicht muss man sich neu orientieren, sich neu aufstellen. Aber was ist so schlimm daran? Wenn alles sich verändert, verliert nur der, der stehenbleibt. Und so ist Fraunhofer nicht. Das ist eine agile Gesellschaft, die aus veränderungsbereiten Menschen besteht, die sich an Märkten und ihren Bedürfnissen orientieren. Im Vergleich zu einer klassischen Universität wird es das für mich einfacher machen.
"Ich möchte eine Kultur, in der intern alles zu sagen
erlaubt ist, auch das, was sich nicht gut anhört."
Werden Sie auch den Kontakt suchen zu den Whisteblowern innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft, die bislang aus Angst vor den Konsequenzen meist aus der Anonymität heraus agieren mussten?
Ich wünsche mir, dass wir bei Fraunhofer wieder lernen, miteinander zu reden und nicht übereinander. Das heißt: Ob Sie gute Nachrichten haben oder schlechte, bitte kommen Sie zu mir. Ich möchte eine Kultur, in der intern alles zu sagen erlaubt ist, auch das, was sich nicht gut anhört. Nur wenn alles gesagt wird, können wir gemeinsam darüber nachdenken, was zu tun ist. Wenn ich als Präsident Dinge nur um die Ecke erfahre, über irgendwelche Bande, macht das die Sache mit dem Dialog nicht unmöglich, aber schwieriger.
Der Bundesrechnungshof hat kürzlich seinen zweiten Fraunhofer-Bericht in diesem Jahr fertiggestellt. Darin kritisiert er den Umgang mit Rücklagen und die Abwicklung des internen Wettbewerbs zwischen den Fraunhofer-Instituten. Noch mehr Altlasten, mit denen Sie umgehen müssen?
Ich hatte bislang keinen Zugang zu diesem zweiten Bericht. Ich kenne auch nur die von Ihnen erwähnten Buzzwords. Sobald ich den Bericht habe, werde ich die Schlussfolgerungen des Rechnungshofs sehr genau studieren. Was ich schon jetzt und ein bisschen ins Blaue hinein sagen kann: Das Modell von Fraunhofer unterscheidet sich grundlegend von dem, was die Max-Planck-Gesellschaft oder die Helmholtz-Gemeinschaft ausmacht. Bei Fraunhofer ist weniger als ein Drittel des Haushalts durch staatliche Grundmittel finanziert; der Anteil, den die Institute selbst erwirtschaften müssen, ist viel größer. Wir müssen also wie Unternehmer denken und agieren. Dazu gehört, die eigene Liquidität zu sichern für Phasen, in denen die Geschäfte mal nicht so gut laufen. Dass eine solche Logik nur schlecht zur Kameralistik staatlicher Haushalte passt, dass es da immer wieder Spannungen gibt und geben muss, ist offensichtlich. Rücklagen gehören in dieses Spannungsfeld. Ich bin gespannt, was der Rechnungshof an Vorschlägen hat, um hier eine vernünftige Balance herzustellen.
Bevor Sie 2013 ans KIT wechselten, haben Sie selbst ein Fraunhofer-Institut geleitet. Der vom Rechnungshof kritisierte interne Wettbewerb zwischen den Instituten ist Ihnen also nicht fremd.
Einen internen Wettbewerb gibt es nicht nur bei Fraunhofer, er ist der Wissenschaft inhärent. Bei Helmholtz wird er über die Programmorientierte Förderung ausgetragen, mal in Kooperation, mal in Konkurrenz zwischen den Zentren. An den Hochschulen bewerben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam um DFG-Projektgelder und wetteifern zugleich um dieselben Töpfe. Die eine Woche sind sie Begutachtete, die nächste Woche Gutachtende. Diese Formen des Wettbewerbs halte ich für zwingend erforderlich, damit unser Wissenschaftssystem agil bleibt. Das Besondere bei Fraunhofer ist, dass die Institute rechtlich unselbstständig sind. Wenn sie im Wettbewerb besonders erfolgreich sind und Überschüsse erwirtschaften, gehen diese Überschüsse auf die Gemeinschaftsebene. Das muss zwangsläufig begleitet werden von einer anderen internen Verrechnung zugunsten der gut wirtschaftenden Institute, um den Anreiz und die Dynamik zu erhalten. Auch das ist eine Frage der vernünftigen Balance. Hier werde ich mich als Fraunhofer-Präsident dafür einsetzen, bei den Haushältern im Bundestag das nötige Verständnis zu schaffen und gleichzeitig im Dialog mit der Politik Wege zu finden, wie man das jetzige System zugleich bedarfsgerecht und anforderungsorientiert gestalten kann.
"Anstatt immer mehr Leute einzusetzen, die sich
angucken, was alles nicht funktioniert, sollten
wir den Spieß umdrehen und dafür sorgen, dass die Dinge erstmal wieder funktionieren."
Ist Fraunhofer inmitten seiner Modernisierungskrise Sinnbild für ein ganzes Land, dessen Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert? Spätestens in der Corona-Zeit zeigte sich, dass die Bundesrepublik ein dramatisches Innovationsproblem hat: eine veraltete Infrastruktur, eine lückenhafte Digitalisierung, eine in Teilen dysfunktionale Verwaltung – und eine Wirtschaft, die sich zu lange auf angestammte Produktlinien verlassen hat.
Ich glaube, es handelt sich eher um eine Krise der Haltung als der Modernisierung.
Was meinen Sie damit?
Ich fange mit dem Positiven an. Ich war am vorvergangenen Wochenende in München und habe aus naheliegenden Gründen eine neue Wohnung gesucht. Da kam ich an einem Schild vorbei, auf dem war ein Hirsch abgebildet, und ich habe erwartet, dass "Nicht füttern" drunter steht. Von wegen. Drauf stand: Wenn Sie die Tiere füttern möchten, denken Sie daran, dass es Pflanzenfresser sind, also bitte pflücken Sie Pflanzen oder nehmen Sie Mohrrüben. Die Bayern haben es irgendwie drauf, habe ich da als Norddeutscher gedacht. Die wissen, wie die Menschen sind, und anstelle von Verboten, die doch keiner einhält, gibt es pragmatische Tipps. Damit bin ich wieder bei der Krise der Modernisierung oder besser der Haltung. Wir müssen wegkommen von diesem Wahnsinn der Überregulierung und immer noch mehr Bürokratie, in den wir hineingeraten sind. Wir müssen als Gesellschaft wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die Menschen haben und ihnen mehr Freiraum geben.
Sagen Sie ausgerechnet nach dem, was gerade bei Fraunhofer passiert ist?
Ich kann da keinen Widerspruch erkennen. Für eine Ermöglichungskultur, die ich meine, brauchen Sie zuerst ein klares Regelwerk, eine in sich stimmige Governance. Wenn ich beides habe, ist zugleich die Zahl der unsinnigen Vorschriften reduziert, dann brauche ich keine Bürokratiemonster, um die Einhaltung der Regeln zu überprüfen. Anstatt immer mehr Leute einzusetzen, die sich angucken, was alles nicht funktioniert, sollten wir den Spieß umdrehen und dafür sorgen, dass die Dinge erstmal wieder funktionieren. Und je besser sie funktionieren, desto transparenter geht es zu, und desto weniger Leute müssen es kontrollieren.
Und die Innovationskrise erledigt sich dann quasi wie von selbst mit? Ist das nicht etwas zu einfach? Bei vielen Technologien hat Deutschland längst den Anschluss verloren, und das gründlich. Da hat auch Fraunhofer wenig dran geändert – das immer noch einen Großteil seiner Lizenzeinnahmen aus einer Innovation der 80er und 90er Jahre bestreitet: des MP3-Standards.
Da bin ich doch deutlich optimistischer als Sie und habe auch einen weiteren Innovationsbegriff. MP3 war vor allem ein Patenterfolg. Aber die Innovation, für die Fraunhofer steht, ist mehr als die wirtschaftliche Verwertung einzelner Technologien. Unser Kerngeschäft ist es, Forschungsaufträge mittelständischer Unternehmen auszuführen, aus denen dann in Form von Gemeinschaftsprojekten neue Erkenntnisse, Anwendungsmöglichkeiten und Produkte entstehen. Wenn Sie sich auf dem Weltmarkt umschauen, könnten Sie auf die Produkte unzähliger Unternehmen "Fraunhofer inside" draufschreiben, das ist unser Kerngeschäft, der Gradmesser unseres Erfolgs. Nur wird der in der politischen Debatte allzu oft auf die Zahl unserer Startups, Spinoffs und Patente verkürzt.
"Unser Ziel muss sein, dass zum Beispiel Batterien
nicht irgendwo auf der Welt produziert werden, sondern bei uns in Deutschland, und dass dies dann auch in unserer Gesellschaft wertgeschätzt wird."
Soweit der Werbeblock für Fraunhofer. Eigentlich ging es mir aber um Deutschlands technologischen Rückstand.
Und an der Stelle bin ich ganz bei Ihnen. Wir gehen in Deutschland zu wenig ins Risiko. Wenn ich mir die Zukunftstechnologien anschaue, zum Beispiel die Künstliche Intelligenz, die Robotik oder die Energiespeicherung, dann befinden sich sämtliche Schlüsselspieler außerhalb von Deutschland und, in den meisten Fällen, Europas. Die Batterietechnik ist ein gutes Beispiel. Ob in Ulm oder Münster, bei der Forschung sind wir gut dabei, da gehören wir auch unter Fraunhofer-Beteiligung zur Weltspitze. Aber wir schaffen es nicht, die Forschungsergebnisse in die nächste oder übernächste Generation von Batterien auf den Weltmarkt zu bringen. Unser Ziel muss sein, dass uns genau dieses wieder gelingt: dass diese Batterien nicht irgendwo auf der Welt produziert werden, sondern bei uns in Deutschland, und dass dies dann auch in unserer Gesellschaft wertgeschätzt wird. Genau da kommt es auf uns bei Fraunhofer an.
Was können Sie von der internationalen Konkurrenz lernen?
Nehmen wir das Feld der Künstlichen Intelligenz. Da könnten Sie jetzt auch mit einigem Recht sagen, da sei für uns in Deutschland der Zug abgefahren. Aber ich glaube das nicht. Wir müssen genau hinschauen, was Amazon oder Microsoft erfolgreich macht. Das meiste werden wir nicht nachmachen können, weil die finanziell in ganz anderen Dimensionen unterwegs sind. Aber wir können schauen, wie auch wir die Künstliche Intelligenz nutzen, um zum Beispiel unsere Produktionsprozesse der Analyseverfahren zu verändern. Entscheidend ist, dass wir nicht zur verlängerten Werkbank anderer werden, sondern dass wir uns schleunigst die richtigen Partner in der deutschen und europäischen Industrie suchen. Dass wir uns mit ihnen zusammentun, um neue Technologien entwickeln, die zu unserer Wirtschaft passen und zu neuen Produkten und Wertschöpfungen führen. Keine Sorge, ich bin nicht naiv, ich weiß schon, dass wir aufpassen und hungrig bleiben müssen. Aber wann immer ich ein Fraunhofer-Institut besucht habe in der letzten Zeit, habe ich diesen Hunger in den Augen unserer jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesehen.
Der neue Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, hat im Interview hier im Blog die Verbesserung der Karrierewege als zentrales Ziel seiner Amtszeit benannt. Nachdem auch Sie gerade die Bedeutung junger Forschender so betont haben, welchen Änderungsbedarf sehen Sie an der Stelle bei Fraunhofer?
Zur Abwechslung mal überhaupt keinen. Wer zu Fraunhofer geht, tut das nicht vorrangig um einer wissenschaftlichen Karriere willen. Wer die anstrebt, ist an den Universitäten oder bei Max Planck besser aufgehoben. Wer zu Fraunhofer geht, den interessiert das Projektgeschäft. Der möchte nah dran sein an den Belangen der Wirtschaft und der Märkte – und dabei möglicherweise eine Promotion mitnehmen. Und über diese Promotion springe ich dann entweder in die Industrie oder übernehme Verantwortung anderswo in der Gesellschaft. Dass ich nach einer Promotion aus der Fraunhofer-Welt hinaus auf eine Postdoc-Stelle wechsle, eine Habilitation anstrebe oder Richtung Juniorprofessur, ist ungewöhnlich und sollte es bleiben.
Zu den Aufgaben eines Fraunhofer-Präsidenten gehört vor allem auch die Lobbyarbeit gegenüber der Politik. Wofür werden Sie sich einsetzen in einer Zeit, in der mit viel zusätzlichem Geld nicht zu rechnen ist und einige sogar die regelmäßigen Aufwüchse für die Forschungsorganisationen in Frage stellen?
Ich fordere nicht mehr Geld. Ich fordere, dass die Politik alles dafür tut, dass wir wieder eine starke und gesunde Wirtschaft bekommen. Politik muss dafür die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Politik kann aber auch, und das ist besonders wichtig, Haltung zeigen, sich öffentlich positionieren. Politik braucht das Selbstbekenntnis zu unserer Wirtschaftskraft und ihrer Bedeutung, sie muss sie fördern und priorisieren. Wenn die Politik das tut, findet auch Fraunhofer seine Rolle als technologieorientierter Ermöglicher unserer wissensbasierten Art zu wirtschaften. Wir haben nichts Anderes als Nation, wir haben keine Rohstoffe, wir können nicht vom Ackerbau leben, wir haben nur unsere Art zu forschen und zu wirtschaften, aber in der waren wir immer richtig gut. Dahin müssen wir wieder zurückkommen.
"Auf meiner Agenda stehen acht Jahre,
die traue ich mir zu."
Irgendwelche speziellen Wünsche für Fraunhofer?
Ich halte es für wichtig, dass die Politik sich noch einmal das Zuwendungsrecht ansieht. Wir entsprechen in der Art, wie wir wirtschaften, weniger den anderen Forschungsorganisationen und stärker der Bundesagentur für Sprunginnovationen, die gerade neue Freiheiten in der operativen Verwendung von Steuergeldern erhalten hat. Warum sollten Elemente davon nicht auch für Fraunhofer anwendbar sein?
Nach zehn Jahren verlassen Sie jetzt das KIT, das Sie zurück zum Exzellenzstatus geführt haben. Angesichts der gerade angelaufenen nächsten Runde der Exzellenzstrategie: Wie ungünstig ist der Zeitpunkt Ihres Weggangs für die Karlsruher Erfolgschancen?
Wir Menschen neigen dazu, uns die Welt schönzureden, aber ich glaube tatsächlich, dass der Zeitpunkt für meinen Weggang nicht besser sein könnte. Regulär wäre meine Amtszeit im September 2025 zu Ende gewesen, mitten in der entscheidenden Phase der Exzellenzstrategie. Ein Präsident, dessen Abschied fest- oder dessen Wiederwahl aussteht, hätte dann die Strategie für die nächsten sechs Jahre präsentieren müssen. Sowas kommt bei Gutachtern gar nicht gut an. Insofern ist es nahezu ideal, dass sich das KIT jetzt, zwei Jahre vor Beginn der Begutachtungen, eine neue Präsidentin oder einen neuen Präsidenten suchen kann.
Wie stark schmerzt Sie der Abschied?
Ich habe mehr gelernt, als ich je geglaubt habe, lernen zu können. Ich hatte das Privileg, alle Professorinnen und Professoren zu berufen, ich konnte in alle Wissenschaftsdisziplinen hineinschauen von den Natur- über die Ingenieur- bis hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ich habe so viele neue Facetten für mich erkannt, wie Wissenschaft funktioniert und wie Menschen funktionieren in diesen Wissenschaften. Diese zehn Jahre des Lernens kann mir keiner nehmen, die begleiten mich in die nächste Welt hinein. Ich hatte 2013 das Bild einer Einrichtung vor Augen, das ich umsetzen wollte, und das habe ich meines Erachtens auch getan. Ich bin angetreten mit einem Zehn-Punkte-Plan für zehn Jahre, und diese zehn Punkte sind jetzt abgearbeitet.
Beim KIT war es ein Zehn-Punkte-Plan für zehn Jahre, wie viele Punkte für wie viele Jahre werden es bei Fraunhofer?
Auf meiner Agenda stehen acht Jahre, die traue ich mir zu. Und das kommuniziere ich bewusst schon jetzt so, damit keiner auf die Idee kommt, mich aussitzen zu können. Ich stehe für Veränderung, und diese Veränderung will ich erreichen. Einen neuen Punkteplan braucht es dafür nicht, denn es wäre langweilig, immer genau das Gleiche zu machen. Aber dass ich einen Plan habe, haben Sie hoffentlich gemerkt.
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Ulrik Neupert (Dienstag, 14 Mai 2024 20:32)
Dass Herr Hanselka für sich Dialog und Transparenz in Anspruch nimmt, passt nach meiner Erfahrung nicht zu seinem Handeln. Die kürzlich beschlossene und verkündete Übernahme des (finanziell gesunden und für die Zukunft fachlich sehr gut aufgestellten) Fraunhofer INT in das Fraunhofer FKIE war nicht vorab mit den beteiligten Instituten abgesprochen worden und auch nicht vom nach der Fraunhofer Satzung zuständigen Gremium, dem Senat, abgesegnet. Die gelieferte Begründung war nach hiesiger Analyse nicht stichhaltig und schon gar nicht hinreichend.