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Die richtigen Zutaten für ein notwendiges Gesetz

Reallabore haben das Potenzial, den Weg zu marktfähigen Innovationen spürbar zu verkürzen. Dafür braucht es aber eine passende gesetzliche Grundlage. Ein Gastbeitrag von Irene Bertschek.

Ein Beispiel aus dem Reallabor: Der autonome Lieferroboter am EfeuCampus Bruchsal. Foto: EfeuCampus. 

BIS ZUM 29. SEPTEMBER läuft eine Online-Konsultation zum geplanten Reallabore-Gesetz der Bundesregierung. Doch was sind Reallabore überhaupt? 

 

Ein Beispiel: Im Reallabor Lastmilecitylab wurde in der Stadt Bruchsal ein autonom fahrender Lieferroboter getestet. Eigens erteilte Ausnahmegenehmigungen ermöglichten, was im öffentlichen Verkehr normalerweise nicht möglich ist. Ein weiteres Beispiel ist das Reallabor LANDNETZ, bei dem sechs landwirtschaftliche Betriebe in Sachsen mit mobilen Campusnetzen ausgestattet wurden, um eine 5G-Versorgung sicherzustellen. Voraussetzung dafür sind Versuchsfunklizenzen. Über das Netz lassen sich cloudbasierte Anwendungen erproben und verbessern. Die Landwirte können ihre Daten selbständig und sicher verwalten und untereinander austauschen. 

 

Reallabore ermöglichen also, innovative Lösungen in zeitlich und räumlich begrenztem, aber realem Umfeld zu testen. Insbesondere dann, wenn aktuell gültige Verordnungen und Gesetze den breiten Einsatz solcher Lösungen noch einschränken.  Die getestete Innovation lässt sich auf Basis der Praxiserfahrungen verbessern. Gleichzeitig zeigt sich dabei, wie der regulatorische Rahmen angepasst werden sollte, damit sich die Innovation breitflächig einsetzen lässt. Damit stellt das Reallabor ein wichtiges innovationspolitisches Instrument dar, mit dem sich Innovationspotenziale durch rechtliche Flexibilität und regulatives Lernen heben lassen. 

 

Das von der Bundesregierung geplante Reallabore-Gesetz ist der nächste und notwendige Schritt, um einheitliche Rahmenbedingungen für Reallabore zu schaffen und in Zukunft systematischer zu nutzen. Die Vorarbeiten und die Konzeption des Gesetzes wurden maßgeblich vom Bundeswirtschaftsministerium vorangetrieben. Zentrales Element des Gesetzes sollen allgemeingültige Standards sein, die die Zulassung, Durchführung und Evaluation von Reallaboren regeln. Hinzu kommen fachspezifische Experimentierklauseln, um Ausnahmen von fachrechtlichen Vorgaben zu ermöglichen. 

 

Die Bedeutung einer
systematische Evaluation

 

Wesentlicher Bestandteil von Reallaboren sollte ihre systematische Evaluation sein, also die wissenschaftliche Validierung ihrer jeweiligen Wirkungsweise und der notwendigen regulatorischen Anpassungen. Da dies methodisch anspruchsvoll ist, sollte die Evaluation bereits beim Aufsetzen des Reallabors konzipiert und die dafür notwendigen Daten sollten von Anfang an erhoben werden – ein Punkt, auf den auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem Jahresgutachten 2023 ausdrücklich hinweist. Um Anreize dafür zu setzen, Reallabore in Anspruch zu nehmen, sollten die gewerblichen Schutzrechte der Innovatoren gewahrt bleiben, sprich ihr durch das Reallabor gewonnene Innovationswissen sollte nicht ungewollt an Wettbewerber abfließen. 

 

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Reallaboren als innovationspolitisches Instrument wird sein, dass sie nach erfolgreicher Evaluation den Weg zu marktfähigen Produkten und Diensten aufzeigen. Was wir sicher nicht brauchen, ist ein Instrument, das zwar eingesetzt wird, über das dann aber kein Transfer in die Anwendung stattfindet. 

 

Damit sind die vier idealtypischen Stufen einer Innovation in einem Reallaborprozess beschrieben: vom Zugang zum Reallabor über die Ausgestaltung der Experimentierklauseln zur Evaluation und regulativen Reflexion – bis hin zum Markzutritt nach Beendigung des Reallabors.

Quelle: acatech (2023).

Einen Flickenteppich
verhindern

 

Die Umsetzung des Reallabore-Gesetzes soll laut Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums durch einen "One-Stop-Shop" unterstützt werden, der Innovatoren informiert und bei der Durchführung begleitet. Das wird nur funktionieren, wenn er auf Bundesebene angesiedelt ist. Denn nur so wird verhindert, dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht und ein Flickenteppich an Genehmigungsverfahren und Gesetzesauslegungen entsteht. Vorgesehen ist laut Konzept, dass der One-Stop-Shop durch einen Projektträger oder die Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) übernommen wird.

 

Eine weitere begleitende Maßnahme ist ein Experimentierklausel-Check, der zukünftig bei jeder Gesetzgebung verbindlich durchgeführt werden soll. Das würde die Durchführung von Reallaboren erleichtern – doch muss bei der Umsetzung darauf geachtet werden, dass die Verabschiedung von Gesetzen nicht unnötig hinausgezögert wird. 

 

Reallabore können von Unternehmen, Forschungsinstitutionen und Kommunen durchgeführt werden. Eine gezielte Informationskampagne sollte insbesondere KMU und Start-ups ansprechen, die sich oftmals schwerer damit tun, den Überblick über mögliche Fördermaßnahmen zu behalten. Für Start-ups, die innovative Lösungen entwickeln und ausprobieren möchten, ist ein entsprechendes Handlungsfeld in der Start-up-Strategie der Bundesregierung angelegt. 

 

Reallabore sind bislang auf digitale Innovationen fokussiert, insbesondere, weil sich die Regulatorik in diesem Bereich noch im Entwicklungs- oder Anpassungsprozess befindet. Grundsätzlich sollte der Zugang zu Reallaboren aber themenoffen sein. 

 

Mit der Verabschiedung des Reallabore-Gesetzes wäre Deutschland anschlussfähig an die europäische Regulatorik. So ist beispielsweise geplant, den Einsatz von Reallaboren im kommenden AI Act zu verankern, um KI-basierte Innovationen zu erproben, bevor sie in die breite Anwendung kommen. Wenn Deutschland also auf dem wichtigen Gebiet der Künstlichen Intelligenz mithalten will, ist auch hierfür die zügige Verabschiedung und Umsetzung des Reallabore-Gesetzes ratsam.

 

Bis zum 29. September besteht noch die Möglichkeit, sich dabei konstruktiv über die Online-Konsultation einzubringen.  

 

Irene Bertschek ist Professorin für Ökonomie der Digitalisierung an der Universität Gießen und leitet den Forschungsbereich "Digitale Ökonomie" am  ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und des Zukunftsrat der Bundeskanzlers.


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Kommentare: 1
  • #1

    Jana (Donnerstag, 14 September 2023 16:15)

    Wenn in einem Gesetz zum Reallabor auch dazugehört, sämtliche negativen Auswirkungen mitzuerfassen und den angenommenen Nutzen zu belegen in einer Evaluation als Grundlage für eine Zulassung in der Breite (Beispiel E-Roller-Verleih: kein Nutzen aber Schäden, daher inzwischen Verbot in einigen Städten, Beispiel Auswirkungen der Mediennutzung auf Kinder), könnte ich ja damit leben. Selbst wenn ein Gesetz das vorgeben würde, glaube ich aber nicht an die Einhaltung.