Das traditionsreiche Bundeskanzler-Stipendium soll wegfallen – und das sei nur der Anfang, warnt Stiftungspräsident Schlögl, wenn die Politik kein Einsehen habe. Ob sich der Konfrontationskurs auszahlt?
DER PRÄSIDENT der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) mahnte mit drastischen Worten: Der Fortbestand der AvH werde "langsam gefährdet". Angesichts von Haushaltskürzungen durch die Bundesregierung sei die Stiftung gezwungen, ein komplettes Stipendienprogramm einzustellen und mit kurzfristigen Einschnitten bei der Erst- und Alumniförderung zu reagieren, sagte Robert Schlögl am Donnerstag vor der Presse. Anders lasse sich die überfällige Erhöhung der Stipendiensätze nicht finanzieren, die das Bundesfinanzministerium nach einem Jahrzehnt jetzt endlich genehmigt habe.
Dem Rotstift zum Opfer fallen soll das sogenannte Bundeskanzler-Stipendium für Nachwuchsführungskräfte. 2024 werde die Zahl der Stipendien von bisher rund 50 pro Jahr halbiert, 2025 soll es dann gar keine neue Bewerbungsrunde mehr geben. Das 1990 auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl gestartete Stipendienprogramm hatte es Hochschulabsolventen mit ersten Führungserfahrungen aus den USA, Russland (bis 2022), China, Indien, Brasilien und Südafrika ermöglicht, "gesellschaftlich relevante Projekte in Deutschland umzusetzen", wie die Stiftung erläutert. Durch die Streichung, betonte Schlögl, wolle die AvH "eine irreparable Schwächung unseres Kerngeschäfts" bei den Forschungsstipendien vermeiden.
Die AvH hatte die Postdoc-Stipendien rückwirkend zum 1. Oktober um 200 auf nun 2.700 Euro angehoben, die Sätze für erfahrene Forschende ebenfalls um 200 auf 3.200 Euro – was im Schnitt etwa sieben Prozent entspricht bei einem Kaufkraftverlust von rund 20 Prozent seit 2012. Gleichzeitig hätten sich die Gehaltssätze im öffentlichen Dienst schon für die unteren Lohngruppen allein in der letzten Tarifrunde um einen Mindestbetrag von 340 Euro erhöht, in den für Postdocs üblichen Gehaltsgruppen seien es sogar rund 500 Euro gewesen, sagte Generalsekretär Enno Aufderheide.
Die AvH gilt als internationales Aushängeschild der deutschen Wissenschaft. In ihrer heutigen Form besteht sie seit 1953. Finanziert von der Bundesregierung, hat sie über sieben Jahrzehnte hinweg 28.000 herausragenden Wissenschaftlern aus 140 Ländern einen Aufenthalt an Deutschlands Hochschulen und Forschungsinstituten ermöglicht und dabei ein illustres, weltumspannendes Ehemaligen-Netzwerk geschaffen. Inzwischen befinden sich 61 Nobelpreisträger unter den "Humboldtianern".
Es gehe um die Setzung von Prioritäten,
sagt Präsident Robert Schlögl
Doch so wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) sieht sich auch die AvH nun schon im zweiten Haushaltsjahr mit drohenden Kürzungen konfrontiert. Knapp drei Prozent ihrer Grundförderung sollten die sogenannten Mittlerorganisationen laut erstem Haushaltsentwurf der Bundesregierung einbüßen. Was nur auf den ersten Blick überschaubar klingt. Denn tatsächlich sind die 54,4 Millionen Euro institutionelle Förderung, die 2024 aus dem Auswärtigen Amt an die AvH fließen sollen, sogar nominal 1,3 Millionen Euro weniger als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Trotz Rekordinflation.
Die Finanzierung der Stiftung werde in den Führungsetagen der drei für die AvH zuständigen Ministerien entschieden, betont Robert Schlögl, also neben dem federführenden Auswärtigen Amt im BMBF und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hier gehe es um die Setzung von Prioritäten. Wie genau die Entscheidungsfindung ablaufe, "da kann ich zwar nur spekulieren", aber: "Wir haben auch mit der Außenministerin persönlich über diese Situation gesprochen." Sie kenne die Situation, in der sich die AvH befinde. "Und die Außenministerin kennt die Konsequenz, die ich heute verkündet habe." Es sei ein halbes Jahr Zeit gewesen, "in der man hätte etwas tun können." Habe man aber nicht.
Auf die Frage, ob die AvH mit dem Einstellen der Bundeskanzler-Stipendien den Druck bewusst auch an der Spitze der Bundesregierung ansetzen wolle, sagte Schlögl, der geplante Wegfall sei allein dadurch begründet, dass in diesem politisch ausgerichteten Programm die wissenschaftliche Qualifikation der Bewerber eine vergleichsweise geringe Rolle spiele. "Wir erwarten nicht, dass der Bundeskanzler von Deutschland sich mit der Frage beschäftigt, wie groß der Haushalt der Alexander-von Humboldt-Stiftung ist."
Auffällig ist, dass die AvH im vergangenen Jahr noch nicht zu der öffentlichen Konfrontation bereit war, wie sie in Schlögls Wortwahl deutlich wird. 2022 war es der DAAD, der die Medienaufmerksamkeit suchte, unterstützt durch die Social-Media-Aktion "#IGotFundedbyDAAD", ein tausendfacher Protest früherer und aktueller Stipendiaten, der für Furore sorgte. Am Ende dann hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages die Sparpläne im 2023er-Bundeshaushalt zumindest für DAAD und AvH sogar in Rekordzuschüsse umgewandelt. Nimmt sich die – meist im Hintergrund wirkende – AvH deshalb jetzt den DAAD als Vorbild in Sachen Klappern?
Eigentlich sollten die Stipendien eine Belohnung sein,
inzwischen seien sie aber "eher eine Strafe"
So kann man das sehen, wenn man Robert Schlögl weiter zuhört. Eigentlich, sagte er bei der Pressekonferenz, sollten die Stipendien der AvH eine Belohnung sein für herausragende internationale Wissenschaftler, die damit nach Deutschland kämen. "Inzwischen sind sie aber im Vergleich zu dem, was normale Postdocs bekommen, eher eine Strafe." Die Stiftung habe in vielen Fällen dokumentiert, "dass wir viele Kolleginnen und Kollegen verlieren", weil "nahezu alle Organisationen" international und selbst in Deutschland "deutlich bessere Stipendien" bieten könnten als die AvH. "Wir sind jetzt am untersten Ende angekommen." Nötig sei deshalb statt sieben Prozent eine Anhebung der Stipendiensätze um insgesamt 30 Prozent, um überhaupt das Niveau eines Anstellungsvertrages an einer deutschen Universität zu erreichen.
Wenn der Stiftung dies gestattet würde, müsse sie allerdings weitere 60 bis 70 Stipendien pro Jahr einsparen, sagte Generalsekretär Aufderheide – bei insgesamt 700 bis 800 Stipendien jährlich. Ein solcher Einschnitt bei der Stipendienzahl, warnte Schlögl, werde dann Frauen vermutlich überproportional treffen. Denn wenn weniger Plätze zur Verfügung stünden, neigten Gutachter dazu, die "numerisch harten Kriterien" zu bevorzugen, bei denen Männer oft besser dastünden. "Das ist eine menschliche Beobachtung, das ist falsch, wir arbeiten dagegen, aber de facto passiert es." Trotzdem fordere man die Erlaubnis zur weiteren Erhöhung der Sätze unabhängig davon, ob es mehr Geld gebe.
Auf zehn Millionen Euro beziffert die Stiftung aktuell ihren zusätzlichen Finanzbedarf, wobei der AvH-Präsident einräumt, dass andere Organisationen sich in finanziell noch größeren Nöten befänden. Womit er offenbar vor allem auf das Goethe-Institut anspielte, das, ebenfalls im Verantwortungsbereich von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), deshalb bereits die Schließung von neun seiner weltweit 158 Institute plant – und mit dieser Ankündigung öffentliche Debatten und Empörung verursachte. Womöglich noch ein Grund für die AvH, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben.
Die Botschaft von Schlögl und Aufderheide: Man brauche nicht nur die zehn Millionen, sondern danach weitere regelmäßige Budget-Anhebungen, möglichst jährlich, um mit der Teuerung Schritt zu halten. Das derzeitige System, wo jede Stipendiensatz-Erhöhung von der AvH beantragt und dann mitunter über Jahre diskutiert und geprüft werde, bezeichneten beide als "dysfunktional".
Rhetorische Weichmacher und
das Hoffen auf "Wunder"
So deutlich die Stiftung auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung geht, so offen ist, ob diese Strategie am Ende Erfolg hat. Kann genug Druck in Parlament und Öffentlichkeit aufgebaut werden, so dass die Bundesregierung handeln muss? Und was, wenn das nicht gelingt? Vermutlich genau deshalb baute Präsident Schlögl in seiner Philippika am Donnerstag den einen oder anderen Weichmacher ein. So nahm er die Arbeitsebene in den Ministerien explizit von seiner Kritik aus, lobte sie für die gute Zusammenarbeit. Ein bisschen mäandernd wirkte auch, dass Schlögl einerseits den Fortbestand der Stiftung in Gefahr sah, andererseits jedoch verständnisvoll anmerkte, man wisse sehr wohl um die Finanzlage der öffentlichen Haushalte. Aber manchmal, fügte er hinzu, gebe es ja "Wunder".
Was er damit konkret meinte? Dass die Bundesregierung einen Plan vorlege, wie sie die nötige Budgeterhöhung über die nächsten Jahre hinweg in mehreren Schritten erreichen wolle. Ein solches Signal würde es der Stiftung ermöglichen, anstatt komplette Stipendienprogramme zu streichen, Ausgaben so zu strecken, dass das gesamte Portfolio der Stiftung erhalten bleiben könne. Sagte Schlögl, um rhetorisch gleich wieder die Zügel anzuziehen: "Andernfalls, das muss klar sein, verlieren wir durch die Einschnitte weiter an Wettbewerbsfähigkeit in der Welt. Die Leute gehen dann woanders hin. Möglicherweise auch zu unseren Systemwettbewerbern." Mit tiefgreifenden Folgen auch für das in 70 Jahren aufgebaute weltweite "Vertrauensnetzwerk", wie Schlögl es bezeichnete. Das könne man "nicht mehr aufbauen, wenn es einmal verloren gegangen ist".
Tatsächlich hatten SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die institutionelle Förderung von AvH und DAAD "analog zum Pakt für Forschung und Innovation" (PFI) zu erhöhen. Die durch den PFI finanzierten Wissenschaftsorganisationen erhalten zurzeit einen jährlichen Budgetzuwachs von drei Prozent.
Ja, das stehe da so, bestätigte Schlögl, aber "ich bin inzwischen Realist geworden". Im Koalitionsvertrag stünden viele Dinge. "Im Augenblick ist es mir wichtig, überhaupt einen Einstieg in die Debatte hinzubekommen." Man werde sich als nächstes mit den zuständigen Bundestagsabgeordneten unterhalten, die nur schwierig zu einer Diskussion über eine Dynamisierung von Budget und Stipendiensätzen zu bewegen seien. Trotz des Umstands, so Schlögl, "dass ihre eigenen Löhne und die ihrer Mitarbeiter ja auch dynamisiert werden."
Auswärtiges Amt: Prozentuale Kürzungen bei der Stiftung geringer als anderswo im Ministerium
In seiner Reaktion am Nachmittag ging das Auswärtige Amt nicht direkt auf die Forderungen aus der AvH ein. Man messe der Arbeit der Stiftung hohe Bedeutung bei, hieß es, weswegen
das Auswärtige Amt mit Zustimmung des Finanzministeriums diesen Monat die Stipendienraten ja "signifikant erhöht" habe. Deutschland sei weiter sehr attraktiv für ausländische
Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und unter den beliebtesten Studienländern weltweit gerade erst auf Platz drei aufgestiegen. "Unser gemeinsames Ziel ist es, durch eine
strategische Priorisierung von Programmen zu erreichen, dass die Alexander von Humboldt-Stiftung ihre Arbeit möglichst effizient und zielgerichtet fortsetzen kann."
In diesem Jahr sei der Haushalt des Ministeriums von einer rund zwanzigprozentigen Kürzung betroffen. "Dennoch hat sich das Auswärtige Amt bewusst dazu entschieden, die institutionelle Förderung der Alexander von Humboldt-Stiftung lediglich um rund drei Prozent zu senken." Mit den zugewiesenen Mitteln werde die AvH ihre Arbeit auf einem hohen Niveau fortsetzen können.
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