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Hoffnungsloser Hoffnungsträger

Neue Technologien, neue Problemlösungen, neue Impulse soll die Wissenschaft liefern. Aber wie soll das gehen, wenn sie selbst pessimistisch in die Zukunft schaut?

Foto: Pxhere, CCO.

JEDES JAHR lässt der Deutsche Hochschulverband (DHV) seine 33.000 Mitglieder befragen, wie optimistisch sie die Zukunft für die Wissenschaft in Deutschland beurteilen. Auch wenn weniger als zehn Prozent mitmachen, sind die Antworten laut durchführendem Zentrum für Evaluation und Methoden der Uni Bonn repräsentativ für den gesamten DHV. In jedem Fall sind sie spannend, denn die meisten Verbandsmitglieder sind Professoren, sie bestimmen also die Geschicke der Wissenschaft selbst maßgeblich mit.

 

Ende 2019, unmittelbar vor der Corona-Krise, sagten 47,2 Prozent Teilnehmer der Umfrage, dass sie dem kommenden Jahr für die Wissenschaft in Deutschland eher mit Zuversicht entgegensehen. 52,8 Prozent äußerten sich eher sorgenvoll. Seitdem ging es mit der Stimmung Stück für Stück weiter abwärts. Inzwischen ist der Anteil der Optimisten auf 27,5 Prozent geschrumpft. Während fast Dreiviertel der Antwortenden vom Jahr 2024 mehr Schlechtes als Gutes für die Wissenschaft erwarten.

 

Kein Wunder. Ob Pandemie-Folgen, Klimakrise, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Wirtschaftsflaute oder Ampel-Haushaltsvakuum, lange gab es nicht so viele Gründe in so enger Abfolge, pessimistisch zu sein. Verbunden mit dem Wissen, dass Deutschlands Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in einer derart tiefen Modernisierungskrise stecken, dass ein dynamisches Gegenhalten kaum möglich erscheint.   

 

Mehr als je zuvor scheinen in dieser Lage die Hoffnungen der Politik auf der Wissenschaft ruhen zu. Ihre Erkenntnisse sollen neue Perspektiven und Lösungsoptionen eröffnen, technologischen Fortschritt ermöglichen, Erfinder- und Unternehmergeist stimulieren. Was aber bedeutet es dann, wenn die Forschenden selbst im Pessimismus feststecken? Ist, wer so wenig Gutes von der Zukunft erwartet, in der Lage, diese positiv zu gestalten? Angefangen mit dem arg reformbedürftigen Karriere- und Anreizsystemen in der Wissenschaft selbst?

 

Zu dieser Paradoxie gesellt sich eine zweite. Die politischen Heilserwartungen in Richtung Wissenschaft decken sich nicht mit ihrer Finanzierung. Wollen Bund und Länder den gesellschaftlichen Aufbruch auf der Grundlage von Forschung und Technik, sollten sie mit einer forschungspolitischen Investitionsoffensive anfangen. Das wäre ein Stimmungsaufheller nicht nur für die Wissenschaft.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


Zufriedene Hamburger, enttäuschte Berliner?

Interessant sind die Antworten der DHV-Mitglieder auch auf die Frage, wie sie das Jahr 2023 für die Wissenschaft in Deutschland im Rückblick beurteilen. 43,1 Prozent fanden es "eher gut", 56,9 Prozent "eher schlecht". Die Bewertungen fallen damit deutlich besser aus als die Erwartungen von einst: Ende 2022 hatten nur 29 Prozent der Umfrage-Teilnehmer gesagt, sie blickten eher mit Zuversicht auf 2023. 

 

Auffällig sind die Diskrepanzen zwischen den Bundesländern, vor allem bei den rückblickenden Einschätzungen. Am positivsten beurteilen Wissenschaftler aus Hamburg das wissenschaftspolitische Jahr 2023 (51,0 Prozent sagen, es sei "eher gut" gelaufen, gefolgt von 50,0 Prozent im Saarland und 47,0 Prozent in Bayern). Während die Berliner DHV-Mitglieder mit 31,3 Prozent am enttäuschsten waren (in Bremen 33, Prozent und in Rheinland-Pfalz 35,9 Prozent). 

 

In Berlin sind übrigens mit 15,8 Prozent am weitaus die wenigsten der Befragten optimistisch, was 2024 angeht. Platz zwei

und drei: Bremen (18,9 Prozent) und das Saarland (19,0 Prozent) An der Spitze der (insgesamt wie gesagt sehr verhaltenen) Optimismus-Skala liegen Thüringen (31,1 Prozent) und wiederum Hamburg (31,0 Prozent). Allerdings werden die absoluten Antwortzahlen heruntergebrochen auf die einzelnen Bundesländer teilweise ziemlich klein.

 

Das Zentrum für Evaluation und Methoden der Universität Bonn (ZEM) hatte für die sogenannte  "Puls"-Umfrage im Auftrag des DHV vom 7. November bis 9. Dezember 2022 die mehr als 33.000 Mitglieder des Verbandes befragt. Von ihnen antworteten 2.791. Die "Puls"-Umfrage soll laut DHV ein Langzeitstimmungsbarometer der Wissenschaft sein und findet seit 2019 jedes Jahr statt. Sie ist angebunden an die Abstimmungen zum DHV-Rektoren- und Ministerranking. Vorbild für die Erhebung sei die traditionelle Frage, mit der das Institut für Demoskopie Allensbach seit 1949 jeweils zum Jahreswechsel von der Bevölkerung wissen will, ob sie dem neuen Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegenblickt.




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