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BMBF verteidigt seine BAföG-Reform – und erntet neuen Widerspruch

Anfang Februar soll die Novelle ins Bundeskabinett, ohne Erhöhung der Bedarfssätze. Diese seien langfristig gesehen stärker gestiegen als die Inflation, argumentiert das Ministerium. Mehr Geld auszugeben, wäre "unseriös". Was Studierendenwerk, Studierende und Parlamentarier dazu sagen.

NÄCHSTE WOCHE, am 7. Februar, steht die geplante BAföG-Reform zum Beschluss im Bundeskabinett an, wenn bis dahin die Ressortabstimmung klappt. Zuvor verteidigt BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) das Vorhaben noch einmal gegen Kritiker. Hochschulen, Verbände und die Bundestagsopposition hatten dem Bundesbildungsministerium Halbherzigkeit vorgeworfen, weil es von den 150 Millionen Euro, die der Haushaltsausschuss eigens für die Reform bereitgestellt hatte, nur rund 62 Millionen Euro nutzen will. Sogar Ampel-Haushaltspolitiker hatten von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (ebenfalls FDP) mehr Ehrgeiz gefordert – vor allem in Form weiterer Erhöhungen der Bedarfssätze und der Wohnkostenpauschale, um die hohen Preissteigerungen auszugleichen. Diese sieht der BMBF-Referentenentwurf nicht vor.

 

"Es stimmt nicht, dass die Inflation die letzte Erhöhung der Freibeträge bereits aufgefressen hat", sagte Brandenburg auf Anfrage. Die Elternfreibeträge seien zum August 2022 um knapp 21 Prozent angehoben worden, während die Nettoeinkommen seit der letzten Reform der Vorgängerregierung 2019 nur um 16 Prozent gestiegen seien. Und Brandenburg fügte hinzu: "Im langfristigen Mittel sind die BAföG-Bedarfssätze stärker gestiegen als die Verbraucherpreise."

 

"Die Trendwende bei der
Gefördetenzahl fortsetzen"

 

Dass das BMBF die Freibeträge jetzt um weitere fünf Prozent erhöhen, die Bedarfssätze aber unverändert lassen will, begründet der parlamentarische Staatssekretär so: "Höhere Freibeträge führen zu mehr BAföG-Berechtigten, womit wir die Trendwende bei der Gefördertenzahl fortsetzen wollen."

 

Im vergangenen August hatte das Statistische Bundesamt berichtet, dass die Zahl der geförderten Studierenden 2022 um knapp fünf Prozent geklettert war, der zweite Anstieg in Folge, nachdem es zwischen 2013 und 2020 Jahr für Jahr teilweise kräftige Rückgänge gegeben hatte.

 

Neben neuen Berechtigten, sagt Jens Brandenburg, profitierten von einer Erhöhung der Freibeträge auch alle Studierenden in Teilförderung, weil dadurch ihr BAföG-Anspruch steige. "Diese beiden Gruppen haben zumeist die größeren finanziellen Herausforderungen, da das Kindergeld von monatlich 250 Euro auf den Unterhaltsanspruch – anders als auf die reine BAföG-Förderung – angerechnet wird."

 

Geht es den Vollgeförderten im Vergleich dazu tatsächlich besser, weshalb bei ihnen weniger Anpassungsbedarf besteht? Schon Mitte Januar, als der BMBF-Referentenentwurf bekannt wurde, hatte eine Sprecherin des Ministeriums erklärt, ein großer Teil der Studierenden befinde sich im Erststudium, in Vollzeit und Präsenz, sei ledig und wohnt auswärts. Für diese Gruppe habe eine eigens in Auftrag gegebene Inflations-Wirkungsanalyse Mitte 2023 monatliche Ausgaben von 986 Euro für das Jahr 2024 prognostiziert – im Vergleich zu einem aktuellen BAföG-Höchstsatz von 934 Euro. "Insgesamt können voll geförderte Studierende mit Kindergeldanspruch also monatlich bis zu 1.184 Euro an staatlicher Unterstützung beziehen, während die Vergleichsgruppe im Schnitt lediglich 986 Euro monatlich ausgibt." Eben weil, siehe oben, das Kindergeld bei ihnen nicht angerechnet wird. Dabei seien Stipendien und Bildungskredit noch gar nicht berücksichtigt und auch nicht Nebentätigkeiten, die bis zur Minijobgrenze ebenfalls nicht auf das BAföG angerechnet würden.

 

BMBF: 150 Millionen Euro mehr fürs BAföG bedeuten
später 600 Millionen Euro mehr pro Jahr

 

Die Argumentation des BMBF ist also klar: Weil der Bundeshaushalt nun einmal so knapp sei, könne man nicht alles machen, müsse priorisieren und das tun, was am meisten helfe. Bei Jens Brandenburg klingt das so: "Mit dem nächsten Schritt der BAföG-Reform sorgen wir für weitere strukturelle und finanzielle Verbesserungen beim BAföG noch in diesem Jahr. Mit strukturellen Änderungen und dem Abbau von bürokratischen Hürden werden wir nachhaltige Verbesserungen erreichen, die das BAföG noch stärker an die Lebensrealitäten anpasst. Darüber hinaus erhöhen wir noch einmal die Elternfreibeträge."

 

Warum aber gibt das BMBF überhaupt weniger als die Hälfte des Geldes aus, das es dieses Jahr für die Novelle bekommen hat? Hierauf antwortet nicht Brandenburg, sondern ein Sprecher des Ministeriums. Er verweist darauf, dass BAföG-Änderungen in der Regel zu mehrjährigen Kosten führten. Der aktuelle Referentenentwurf sei deshalb so konzipiert worden, dass die Kosten im BAföG in allen kommenden Jahren in der bestehenden Finanzplanung gedeckt seien. "Alles andere wäre unseriös." Da die geplanten Veränderungen erst zum Wintersemester 2024/25 in Kraft treten sollten, fielen die Ausgaben im ersten Jahr der Reform noch geringer aus als in den folgenden Vollwirkungsjahren. Die Schlussfolgerung laut BMBF: "Würden die 150 Millionen Euro 2024 komplett für dauerhafte Änderungen des BAföG eingesetzt, würden in den Folgejahren Kosten von rund 600 Millionen Euro pro Jahr entstehen, die zusätzlich finanziert werden müssten."

 

Womit das BMBF den Ball recht eindeutig ins Feld der Ampel-Haushaltspolitiker zurückspielt. Motto: Wer mehr will, muss eben auch genug zahlen – und zwar 2025 und in den Folgejahren.

 

Tatsächlich bestätigt SPD-Haushaltspolitikerin Wiebke Esdar, dass eine BAföG-Änderung, die zum Wintersemesters 2024/25 greift, im Jahr 2025 über das ganze Jahr "natürlich deutlich mehr" kosten würde, "allerdings nicht ganz das Vierfache". Weil erstens die geplante Studienstarthilfe für Studienanfänger aus einkommensschwachen Familien 2024 und jedes Jahr danach in gleicher Höhe anfalle. Weil zweitens das Semester an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften schon früher anfange und die Reform für HAW-Studierende entsprechend für ein Drittel des Jahres gelte. Und weil drittens jedes Jahr ohne BAföG-Erhöhung der kumulierte BAföG-Anspruch der Studierenden allein dadurch sinke, dass die Gehälter und Löhne der Eltern stiegen. "Das BMBF selbst hat diesen jährlichen Rückgang der Kosten im Referentenentwurf mit jährlich etwas über zwölf Prozent angesetzt."

 

SPD-Haushälterin Esdar: Haben als Haushaltsausschuss
deutlich gemacht, wofür wir das Geld bereitstellen

 

Esdar betont, allein in den vergangenen drei Jahren seien die Verbraucherpreise laut Statistischen Bundesamt um mehr als 17 Prozent geklettert. "Nahrungsmittel – ein Ausgabenbereich, der für Geringverdienende wie Studierende besonders stark ins Gewicht fällt – sind in dem Zeitraum um mehr als 30 Prozent teurer geworden. Das können wir nicht außer Acht lassen." Daher sei beides erforderlich: "Die Hebung der Freibeträge, damit mehr Studierende gefördert werden und damit auch diejenigen mit einer Teilförderung mehr bekommen. Wir brauchen aber auch einen Anstieg der Höchstförderung." Denn: "Mit dem Maßgabebeschluss haben wir als Haushaltsauschuss auch deutlich gemacht, wofür genau wir das zusätzliche Geld bereitstellen, nämlich auch dafür, dass das BAföG den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden gerecht wird – natürlich betrifft das auch die Studierenden, die heute schon den Höchstsatz bekommen."

 

Die 150 Millionen Euro extra für die BAföG-Reform hatte der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung Mitte November nicht nur mit der Forderung verbunden, dass die Novelle zum Wintersemester 2024/25 startet, sondern die Förderung solle außerdem "den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihrer veränderten Lebens- und Studienrealität gerecht" werden. Gleichzeitig solle mit dem Geld die Anpassung des BAföG-Bedarfssatzes an das Existenzminimum und "der Sätze für Unterhaltszahlung infolge der zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" finanziert werden. 

 

Mit einem Sperrvermerk sorgten die Haushaltspolitiker dafür, dass das Extra-Geld erst bei Vorliegen der Novelle fließen soll – was auch verhindern würde, dass sie vorher im Rahmen einer sogenannten Globalen Minderausgabe verschwinden. In Teil 2 der Bereinigungssitzung am 18. Januar bekräftigte der Haushaltsausschuss dann per Maßgabebeschluss, dass alle von ihm dem 2024er BMBF-Haushalt hinzugefügten Einzelmaßnahmen  "im vollen finanziellen sowie inhaltlichen Umfang umgesetzt werden" müssten – also auch die BAföG-Reform. 

 

Müsste der Haushaltsausschuss dann aber nicht auch selbst B sagen und dem BMBF mehr Geld für die Folgejahre in Aussicht stellen? Haushaltspolitikerin Esdar dreht in ihrer Antwort den Spieß um: Dass das Parlament für eine schnelle Umsetzung der im Ampel-Koalitionsvertrags vereinbarten BAföG-Reform 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt habe,  "heißt nicht, dass wir nicht für die folgenden Jahre entsprechende Umschichtungen im BMBF-Haushalt erwarten. Der Beschluss bringt somit auch eine klare Erwartungshaltung zum Ausdruck, das BAföG zu priorisieren." Auch in der Vergangenheit seien BAföG-Reformen durch Umschichtungen innerhalb des BMBF finanziert worden, etwa zu Zeiten der SPD-Ministerin Edelgard Bulmahn. 

 

Studierendenwerk: Das BMBF-Inflationsargument hat
schon das Bundesverwaltungsgericht nicht überzeugt

 

Druck kommt auch vom Deutschen Studierendenwerk (DSW). Dessen Vorstandsvorsitzender Matthias Anbuhl hatte den BMBF-Referentenentwurf in einer ersten Reaktion vor drei Wochen bereits als "herbe Enttäuschung" und eine "blutleere Klein-Novelle" bezeichnet. Jetzt sagt Anbuhl: Der Haushaltsausschuss gebe dem BMBF explizit vor, "dass es die 150 Millionen Euro zweckgebunden nutzt für eine große BAföG-Reform und für eine Anhebung der Bedarfssätze angesichts des bevorstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts."

 

2021 war das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass die Berechnung der BAföG-Sätze zumindest im Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 nicht vereinbar mit dem Grundgesetz gewesen sei. Geklagt hatte eine Osnabrücker Studentin und war durch mehrere Instanzen gegangen. Weil das Bundesverwaltungsgericht aber nicht berechtigt ist, die Verfassungswidrigkeit eines Parlamentsgesetzes festzustellen, legte es die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.


Das jetzt vom Bildungsministerium angeführte Argument mit den stärker als die Inflation gestiegenen Bedarfssätzen habe schon das Bundesverwaltungsgericht nicht überzeugt, sagt Anbuhl. Stattdessen habe das Gericht in seinem Beschluss völlig zurecht darauf hingewiesen: "Die relative Entwicklung der Indizes zueinander besagt nichts darüber, ob der Bedarfssatz auskömmlich ist, weil dies in erster Linie von der Höhe des Ausgangsbetrages abhängt. Referenzjahr ist insoweit das Jahr 2000, für das der 20. Bericht die Auskömmlichkeit des Bedarfssatzes nicht ansatzweise darstellt." Es sei darüber hinaus bezeichnend, dass staatliche Leistungen wie das Bürgergeld, die an die an aktuellen Entwicklungen gekoppelt seien, in diesem Jahr deutlich angehoben würden, während die BAföG-Beziehenden leer ausgingen.

 

Ähnlich argumentiert der Studierendenverband fzs. "Es muss ein Ende dieser schönrechnenden und verwaltenden Politik geben, es braucht endlich eine bedarfsgerechte Förderung", sagte fzs-Vorstandsmitglied Niklas Röpke. Das BAföG sei immer noch eine "sehr starre, pauschalisierende Transferleistung". Auf von dem Durchschnitt abweichende Lebensrealitäten, etwa den deutlich höheren Mieten in München und anderswo, werde durch das Ausbleiben der Anpassung der Wohnkostenpauschale gar nicht eingegangen." Und was das BMBF-Beispiel für Vollgeförderte angehe: "Kindergeld gibt es allerdings nur bis zum 25. Lebensjahr. Es wird also so getan, als gäbe es keine Studierenden, die älter 25 Jahre alt sind." Die angebliche Lücke zwischen den Ausgaben und staatlichen Bezügen sei in der Realität nicht auffindbar. "Sozialgerechte Bildung muss als wichtige Zukunftsinvestition anerkannt werden, statt dass sie unter selbst auferlegten Sparzwängen leidet."

 

CDU: Bei Anpassungen von Bürgergeld und
BAföG braucht es Gleichbehandlung

 

Der CDU-Bildungspolitiker Thomas Jarzombek wirft dem Ministerium von Bettina Stark-Watzinger eine hinkende Argumentation vor. " Ich finde es zynisch, den Studierenden zu unterstellen, sie hätten am Monatsende ein erhebliches Plus gehabt. Das deckt sich nicht mit der Lebensrealität, insbesondere angesichts der Mieten in den großen Städten." Die Regierungskoalition müsse an dem gemessen werden, was im Koalitionsvertrag versprochen wurde. "Von einem 'grundlegend reformierten BAföG' sehe ich nichts." Der vorliegende Referentenentwurf, der innerhalb der Regierungskoalition nicht geeint sei, gebe keine Antwort auf die steigenden Lebenshaltungskosten.

 

Im Gegensatz zu den sozialgesetzlichen Regelungen anderer Ressorts, etwa beim Bürgergeld im Geschäftsbereich des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), argumentiere das BMBF im Sinne einer Verteilung von sozialen Mitteln "nach Kassenlage", kritisierte Jarzombek weiter. "Es erschließt sich mir nicht, nach welchem Maßstab die Bundesregierung ihre sozialgesetzlichen Regelungen austariert." Bei Anpassungen von Bedarfssätzen im Bürgergeld und BAföG brauche es eine Gleichbehandlung. "Auch sollte geprüft werden, ob das BAföG nicht sinnvoller im BMAS bewirtschaftet werden könnte."

  

SPD-Haushälterin Esdar sagt, sie hoffe, dass der Gesetzentwurf wie geplant nächste Woche das Kabinett passiere, damit anschließend die parlamentarischen Beratungen beginnen könnten. "Dann werden unsere FachpolitikerInnen – eng abgestimmt mit denen im Haushaltsausschuss – in die Verhandlungen gehen. Die SPD wird für weitere Verbesserungen für die Studierenden kämpfen." Der Haushaltsausschuss erwarte, dass das Ministerium genau prüfe, was nötig sei, um seine Beschlüsse in vollem Umfang umzusetzen. Esdar verwies auf den Maßgabebeschluss vom 18. Januar. "Ob und wann wir gänzlich oder auch partiell Mittel freigeben, hängt dann an der Einschätzung des Haushaltsauschusses in der Sache."

 

Am Dienstagabend debattiert der Bundestag über den BMBF-Etat für 2024 inklusive der darin vorgesehenen Einsparungen, aber auch der Extras, die der Haushaltsausschuss beschlossen hat. Am Freitag soll der Bundeshaushalt dann innerhalb weniger Stunden Bundestag und Bundesrat passieren.

 

Hinweis: In der ursprünglichen Version stand, dass der Referentenentwurf am 31. Januar ins Kabinett solle. Tatsächlich ist die Kabinettsbefassung erst eine Woche später, am 07. Februar, vorgesehen. Ich bitte, den Fehler zu entschuldigen.



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