· 

Nach drei Tagen kam der Rücktritt

Am vorgegangenen Freitag die Schlappe bei der Exzellenzstrategie, am darauffolgenden Mittwoch berichteten regionale Medien über schwerwiegende Manipulationsvorwürfe gegen die Kieler Universitätspräsidentin Simone Fulda. Von da an überschlugen sich die Ereignisse. 

Große Ambitionen: Simone Fulda bei ihrer Amtseinführung im Oktober 2020. Foto: CAU, FlickrCC BY-NC-SA 2.0.

EIGENTLICH HATTE SIE am Montag eine Erklärung abgeben wollen, hieß es intern, doch dann schaffte Simone Fulda bereits am Samstag Tatsachen und erklärte ihren Rücktritt als Präsidentin der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU). "In Verantwortung für die Universität und schweren Herzens gehe ich diesen Schritt", sagte die 55 Jahre alte Medizinerin, und Wissenschaftsministerin Karin Prien (CDU) kommentierte, sie habe "großen Respekt für diese Entscheidung". 

 

Zu dem Zeitpunkt waren gerade einmal gut drei Tage vergangen, seit die Kieler Nachrichten erstmals über Vorwürfe der Datenmanipulation und gefälschter Abbildungen berichtet hatten, erhoben von Leonid Schneider in seinem Blog "For Better Science". Der Wissenschaftsjournalist hatte bereits am 22. Januar einen umfangreichen Artikel über mutmaßliche und nach seinem Recherchen tiefgreifende Verstöße Fuldas und anderer Wissenschaftler gegen die gute wissenschaftliche Praxis veröffentlicht, die er dort im Einzelnen aufführt.

 

Die betreffenden Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der molekularen Onkologie fallen in die Zeit, bevor Fulda in Kiel Präsidentin wurde. Bis 2010 forschte sie an der Universität Ulm, wo ihr Kollege und Mentor Klaus-Michael Debatin seit 1997 als Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin fungiert. Debatin wird in Schneiders Blogbeitrag ebenfalls scharf angegangen. 2010 ging Fulda als Professorin für Experimentelle Tumorforschung an die Goethe-Universität Frankfurt und wurde Direktorin des dortigen Instituts für Experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie.

 

Die Vorwürfe aus Schneiders Blog waren schon in den Tagen und Wochen zuvor allmählich an der Universität durchgesickert, seit dem ersten Artikel in den Kieler Nachrichten am Mittwoch überschlugen sich dann die Ereignisse. Während die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mitteilte, zunächst Vorprüfungen eingeleitet zu haben, die über die Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens entscheiden, zitierte der NDR Schleswig-Holstein bereits zwei "unabhängig voneinander angefragte Professoren von anderen Hochschulen", die zwar namentlich nicht genannt werden wollten, aber anhand der vorliegenden Abbildungen "die Möglichkeit von Unregelmäßigkeiten" bestätigten. Wörtlich sagte einer der Professoren demzufolge: "Ohne alle Details geprüft zu haben, sieht es so aus, als wenn ein großer Teil der Vorwürfe berechtigt sein könnte." 

 

Misstrauenserklärung
von Kieler Medizinern

 

Ebenfalls am Mittwoch forderten Professoren der Fakultät für Medizin in einem Brief mit Bezug zu den Vorwürfen und dem jüngsten Scheitern bei der Exzellenzstrategie faktisch Fuldas Rücktritt: Sie solle "weiteren Schaden" von der Universität abwenden. Und kurz nachdem Fulda sich am Mittwochabend in einer nichtöffentlichen Sitzung des Universitätssenats gegen die Vorwürfe der Datenmanipulation verwahrt hatte, sprachen ihr unter anderem die Dekane aller acht Fakultäten das Misstrauen aus. 

 

Gerade einmal 48 Stunden nach ihrem ersten Artikel kommentierten die Kieler Nachrichten dann: Es gehe in Kiel "längst nicht mehr" um die Frage, ob die Präsidentin der CAU vor vielen Jahren während ihrer Forschungsarbeit Daten manipuliert habe. Wenn die Spitzenforscher von Fulda verlangten, "Verantwortung gegenüber der Universität" zu übernehmen und darauf verwiesen, die wissenschaftlichen Vorwürfe gegen sie "im Detail zur Kenntnis genommen zu haben", dann habe sie "keinen Spielraum mehr. Simone Fulda muss zurücktreten."

 

Am selben Tag berichtete die Zeitung unterdessen auch von zwei Professorinnen, die Fulda auf der Plattform "X" verteidigten. Die Historikerin Martina Winkler warnte davor, die Präsidentin "jetzt zur Buhfrau für das Scheitern der CAU in der Exzellenzinitiative zu machen", die Mikrobiologin Christina Hölzel meinte, die Auffälligkeiten in den Forschungsarbeiten von Fulda könnten durchaus erklärbar sein.

 

Wissenschaftsministerin Prien wiederum sagte am Freitag, die im Raum stehenden Vorwürfe hätten "das Potenzial, die nun dringend notwendigen Anstrengungen der CAU zu überschatten, im weiteren Verfahren der beiden bestehenden Exzellenzcluster erfolgreich zu sein". 

 

Fulda hatte in der Zwischenzeit nicht nur im Senat, sondern auch gegenüber dem NDR ihre Unschuld mit allem Nachdruck betont: Es gebe keine Tatsachengrundlage, die den Vorwurf der Datenmanipulation rechtfertigen würde. Trotzdem titelten die Kieler Nachrichten am Samstag: "Fulda schweigt zu den Vorwürfen." Tatsächlich hatte sie am Freitagnachmittag nämlich eine Mail an alle Universitätsmitarbeiter geschrieben, zusammen mit dem für Forschung zuständigen Vizepräsident Eckhard Quandt, sich darin aber allein zu den kurz zuvor durchgefallenen drei Antragsskizzen für neue Exzellenzcluster geäußert. 

 

Die Zahl der drängenden
Fragen wächst weiter


Nachdem zuletzt auch die übrigen Mitglieder der Hochschulleitung ihr schriftlich das Vertrauen entzogen, folgte am Samstagabend der Rücktritt. Mit dem die Causa Fulda nicht zu Ende ist, doch die Zahl der drängenden Fragen weiter wächst. Wie lange dauert es, bis die mutmaßlichen Manipulationen seriös aufgeklärt sind? Und wen interessiert das Ergebnis zu dem Zeitpunkt noch? Wie lange wusste Fulda schon von den Vorwürfen gegen sie? Wer wusste sonst noch davon und ab wann? Warum hat die Universität, angefangen mit ihren Dekanen und Medizinern, die Präsidentin, gerechnet ab dem breiten Bekanntwerden der Vorwürfe, in solch einer Rekordzeit fallen lassen? Welchen Vorlauf dazu gab es und ab wann? Welche Rolle spielte die Berichterstattung in den regionalen Medien? Und wieviel der atemberaubenden Dynamik der vergangenen Tage, wieviel von den Verwerfungen, auf die Fulda nur noch mit ihrem Rücktritt zu reagieren können glaubte, lässt sich überhaupt vorrangig durch die Vorwürfe erklären? 

 

Fest steht: Die im Oktober 2020 ins Amt gekommene Fulda hatte ihren Erfolg von Anfang an strategisch und rhetorisch eng, sehr eng mit dem Abschneiden in der Exzellenzstrategie verbunden. Ihr war allerdings auch kaum etwas Anderes übrig geblieben. 2018 hatte die einzige Volluniversität Schleswig-Holsteins zwei Exzellenzcluster erringen können, ein hervorragendes Ergebnis, das der Wissenschaft im nördlichsten Bundesland Hoffnung auf mehr machte: auf den begehrten Status einer Exzellenzuniversität. Doch scheiterte Kiels diesbezügliche Bewerbung 2019 – mit der Aussicht, es sieben Jahre später erneut zu versuchen.

 

Drei neue Clusteranträge zusätzlich zu den bestehenden sollten dafür die Grundlage legen, die beteiligten Forscher, die Fakultäten und allen voran Präsidentin Fulda steckten jede Menge Energie, Herzblut und Ressourcen hinein, die Landesregierung gab zusätzliches Geld. Doch am vorvergangenen Freitag kam die große Enttäuschung: Alle drei neuen Projekte fielen schon als Antragsskizzen durch. Die größtmögliche Pleite. Fünf Tage später erschien der erste Bericht über die Vorwürfe in den Kieler Nachrichten, acht Tage später trat Fulda zurück.

 

Unterschätzte die Unipräsidentin die
wissenschaftspolitische Dimension?

 

Vor dem Hintergrund des Wettbewerbs wird auch erklärbar, warum nicht nur Fulda, sondern die gesamte Universität lange kein Interesse daran hatten, dass die kursierenden Vorwürfe gegen sie öffentlich wurden. Und warum diese nach dem Scheitern bei der Exzellenzstrategie umso heftiger in die Schlagzeilen drängten. Die Kommunikation der Unipräsidentin tat in dieser Konstellation ihr Übriges: Laut Schneider hat sie auf seine schon vor Wochen gestellten Anfragen nicht reagiert. Und womöglich in der Annahme, durch öffentliche Kommentare werde sie der Debatte nur weiteren Vorschub leisten, beschränkte Fulda, die normalerweise sehr zugewandt und direkt auftritt, ihre Reaktion nach außen bis zuletzt auf das Allernötigste. Konzentriert auf die wissenschaftliche Dimension der Vorwürfe gegen sie persönlich, überschätzte sie offenbar ihren Rückhalt bei den Mächtigen der Universität und unterschätzte zugleich die wissenschaftspolitischen Dimensionen, die weit über sie, die Hochschulleitung oder gar die Universität Kiel hinausreichten. Etwa als die Landes-SPD der Wissenschaftministerin Prien vorwarf, sich in der Angelegenheit zu passiv zu verhalten.

 

Die erhobenen Vorwürfe sind ernst. Bei ihrer Aufklärung sind neben der DFG auch die Universitäten Ulm und Frankfurt gefragt. Doch ganz gleich, was ihre Untersuchungen am Ende ergeben: Die Art und Weise, wie Fulda in Rekordzeit jetzt abtreten musste, obwohl, wie Kanzlerin Claudia Ricarda Meyer am Samstag betone, "weiterhin die Unschuldsvermutung" gelte, stimmt nachdenklich, genau wie das sich gegenseitig verstärkende Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Medien. Und könnte Spuren hinterlassen. Spätestens, wenn es jetzt darum gehen wird, eine qualifizierte Nachfolge für Fulda zu finden.

 

Zunächst soll die CAU jetzt durch ein Interims-Präsidium geleitet werden. "Damit ist, bis zur Wahl einer neuen Präsidentin oder eines neuen Präsidenten der CAU, die Hochschulleitung weiterhin voll funktionsfähig", versicherte die Universität per Pressemitteilung.  Ein Arbeitsschwerpunkt werde die Vorbereitung der Folgeanträge für die bestehenden Exzellenzcluster "Precision Medicine in Chronic Inflammation, PMI" und "ROOTS – Konnektivität von Gesellschaft, Umwelt und Kultur in vergangenen Welten" sein.

 

Nachtrag am 12. Februar: Leider musste ich in meiner Verantwortung als Betreiber dieses Blogs die Kommentarfunktion zu diesem Artikel grundsätzlich ausschalten, da zahlreiche Beiträge einerseits anonym abgefasst wurden, andererseits aber persönliche Anschuldigungen und Wertungen gegenüber Personen enthielten. Ich bitte um Ihr Verständnis.



In eigener Sache: Bitte die Unterstützung dieses Blogs nicht vergessen


></body></html>