Nie hat Deutschland so viel Geld in Forschung und Entwicklung investiert wie zuletzt. Das bedeutet aber nicht, dass die Ampel ihre selbstgesteckten Ziele erreicht. Wie viel ist es Deutschland wert, wettbewerbsfähig zu bleiben?
JA, ES IST EIN HÖCHSTSTAND. Noch nie hat Deutschland so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie im Jahr 2022. 121,4 Milliarden Euro, berichtete neulich das Statistische Bundesamt. Sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Natürlich wüsste man im Jahr 2024 noch lieber, wie es 2023 ausgesehen hat, aber wir sind in Deutschland das Warten auf Daten gewöhnt.
Wer aus der Vokabel "Höchststand" schließt, die viel diskutierte mangelnde Innovationsdynamik in Deutschland sei zumindest nicht finanzieller Natur, der sollte sich nicht vorschnell blenden lassen. Die 121 Milliarden, finanziert zu gut zwei Dritteln von den Unternehmen und knapp einem Drittel vom Staat, entsprachen 3,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Genau wie 2021. Und wie 2020. 2019 waren es schon mal knapp 3,2. Erstmals wurden die drei Prozent 2017 offiziell übersprungen. Der Höchststand ist also in Wirklichkeit, in Relation gesetzt zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), eine Fortsetzung der Stagnation.
Macht nichts, schließlich sind die 3,0 schon ziemlich gut und waren noch dazu die Zielmarke, die sich einst die EU-Mitgliedstaaten gesetzt hatten als Teil der sogenannten Lissabon-Strategie, um "zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" zu werden?
Stimmt – allerdings sollte die Investitionsmarke bereits 2010 geknackt werden. Und seit 2017 versprachen erst die Große und dann die Ampel-Koalition, bis 2025 sogar auf 3,5 Prozent zu kommen. Seitdem ist, siehe oben, nicht mehr viel passiert.
Das mit den 3,5 Prozent
bis 2025 wird nichts mehr
Spätestens jetzt wäre es ehrlicher von der Politik zu sagen: Das mit den 3,5 Prozent wird nichts mehr. Oder konkret zu sagen, wie es doch noch etwas wird. Denn inzwischen müsste allein der Staat seine Ausgaben innerhalb von drei Jahren um rund ein Achtel steigern. Und das in einer Zeit, in der im Bund ein weiterer Sparhaushalt droht und etwa der Berliner Finanzsenator beim 5,9-Prozent-Budget-Rasenmähen auch die Wissenschaft nicht ausnehmen will.
Keine Frage: Der Innovationsreichtum eines Landes entscheidet sich nicht an einer Zahl, sondern in erster Linie an den neuen Entdeckungen und zündenden Ideen. Nur müssen diese irgendwo herkommen. Aus den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen. Und deren Leistungsfähigkeit hat neben Organisation, Strategie und Mentalität dann doch vor allem mit dem Geld zu tun, das ihnen zur Verfügung steht. Schließlich sind die BIP-Anteile für Forschung und Entwicklung, aber auch für Bildung wichtige Gradmesser, wie viel eine Gesellschaft in ihre Zukunft zu investieren bereit ist, und zwar sowohl der Staat als auch die Unternehmen.
Der Hinweis, dass andere Länder nicht besser dastehen, beruhigt ebenfalls wenig. Zumindest, wenn einige der forschungsstärksten Nationen der Gradmesser sind. Israel gibt 5,6 Prozent seines BIP für Forschung und Entwicklung aus. Südkorea investiert 3,5 Prozent. Japan 3,3 Prozent, die Schweden 3,2 Prozent ihres BIPs. Und USA steigerten von 2,9 Prozent 2017 auf knapp 3,5 Prozent im Jahr 2021. Genau der Sprung, den wir in Deutschland jetzt bräuchten.
Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Hans Bernert (Montag, 18 März 2024 12:18)
Wenn sich an der Zahl nichts entscheidet, noch dazu an einer, deren Korrelation mit im Zusammenhang relevanten Parametern bestenfalls fraglich ist seitdem sie erhoben wird, wieso dann der dramatische Ton? Nicht ganz verständlich auch, wieso hier vor allem die "Politik" oder die "Ampel" gefordert sein soll, gegeben daß › 2/3 der Ausgaben von der Privatwirtschaft bzw. vorwiegend von ein paar Großunternehmen aufgebracht werden. Nachdem daß auch schon ein paar Jahrzehnte so läuft: könnte sich auch die Vermutung einschleichen, daß, ceteris paribus, auch ein paar Milliarden mehr nicht viel ändern werden.
Jan-Martin Wiarda (Montag, 18 März 2024 13:24)
Lieber Herr Bernert, es macht, siehe meine Argumentation oben, einen Unterschied, weil es Commitment zeigt und weil es eine gute Korrelation gibt zwischen den F&E-Ausgaben und dem Zustand des Innovationssystems. Die private Wirtschaft, die zwei Drittel der Ausgaben trägt, hat nicht das 3,5-Prozent-Ziel ausgegeben, das war die Politik. Insofern muss sich diese, wenn sie sich selbst ernstnimmt, auch zumindest für ihren Anteil daran messen lassen.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
Hans Bernert (Montag, 18 März 2024 15:47)
Lieber Herr Wiarda,
danke für die Antwort: ob es von Commitment zeugt, eine aus der Luft gegriffene Ziffer als Policy-Ziel auszugeben, mal dahingestellt, aber d'accord, auch die Politik sollte sich an ihrem Anteil messen lassen. Was die gute Korrelation betrifft, kann man das vermutlich so oder so sehen; ich neige zur Ansicht, daß der eventuell bessere Zustand anderer nationaler Innovationssysteme sich nicht unbedingt in wünschenswertere gesellschaftliche Outcomes übersetzt, entsprechende Diskussion lassen sich durch Zahlenspiele aber bekanntlich gut vermeiden.
Günter Tolkiehn (Dienstag, 19 März 2024 00:03)
Ja, alles richtig, Geld ist auch wichtig. Aber:
Geld forscht nicht. Menschen forschen!