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Unterschriften, Zeitpläne, und der nächste Brandbrief

Erst fünf Länder haben die "Startchancen"-Vereinbarungen ratifiziert. Kein Anlass zur Sorge – oder wollen einige Landesregierungen so doch noch Druck auf den Bund ausüben, weil die Digitalpakt-Verhandlungen erneut in der Krise stecken? Die KMK setzt dem BMBF jedenfalls jetzt eine Frist.

ES WAR EINE MAHNUNG, deren aktueller Hintergrund sich nicht sofort erschloss. Vergangenen Donnerstag verlangte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, die Länder müssten das "Startchancen"-Programm sofort umsetzen. "Verzögerungen können wir uns hier nicht leisten." Auf die Frage nach dem Anlass für Rix' Wortmeldung teilte die Pressestelle der Fraktion mit, diese sei eher als allgemeiner und grundsätzlicher Appell zu lesen, nach dem Motto: Bitte jetzt keine politischen Spielchen mehr. 

 

Vielleicht war der konkrete Anlass ja, dass aktuell erst fünf von 16 Landeskultusministern die beiden Bund-Länder-Vereinbarungen unterzeichnet haben, die das milliardenschwere Förderprogramm für benachteiligte Schüler rechtlich besiegeln. So hat es eine aktuelle Umfrage ergeben, die mir in den vergangenen Tagen von allen 16 Ländern beantwortet wurde.

 

Thüringen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg sind durch, die übrigen elf sind es nicht. Obwohl die "Startchancen" bereits zum 1. August starten sollen, bis dahin die ersten Schulen ausgewählt sein und erste Programmstrukturen in allen Ländern stehen müssen. Und obwohl der Bund die zur Finanzierung wesentlicher Programmteile nötige Gesetzesänderung zur Umsatzsteuerverteilung erst in Angriff nehmen will, nachdem alle Länder sich committed haben. 

 

Glaubwürdige Rückmeldungen
und trotzdem Restzweifel

 

Umgekehrt sind derart auf Kante genähte Zeitpläne von früheren Bund-Länder-Programmen nicht unbekannt, und laut Umfrage befinden sich zahlreiche Länder kurz vor dem Zieleinlauf: In Brandenburg etwa hat das Kabinett Kultusminister Steffen Freiberg (SPD) am Dienstag grünes Licht zur Unterzeichnung gegeben, und die meisten übrigen Kultusminister teilen mit, dass sie bis Ende April/Anfang Mai unterschreiben werden. Teilweise fehlt noch die Kabinettszustimmung, teilweise ist noch ein parlamentarisches Verfahren nötig (siehe Kasten unten). Doch fast überall klingen die Rückmeldungen glaubwürdig so, dass es nur noch um Routine geht.

 

Warum dennoch Restzweifel bei einigen Beobachtern bleiben? Weil es einige wenige Länder mit Regierungsbeteiligung der Union gab, die noch Anfang des Jahres, kurz bevor die "Startchancen"-Vereinbarung besiegelt wurde, ihre endgültige formelle Zustimmung rhetorisch an die Klarheit  geknüpft hatten, wie es mit dem andern großen Bund-Länder-Bildungsprogramm, dem Digitalpakt weitergeht. Diese Klarheit fehlt aber bis heute – was aber bedeutet das dann für die Ratifizierung der "Startchancen" durch diese Länder, droht da tatsächlich doch noch das, was manche als "politische Spielchen" befürchten?

 

Ein Blick auf die Antwort aus Bayern. Die Unterrichtung des bayerischen Landtags gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz sei  abgeschlossen, teilt eine Ministeriumssprecherin mit. Auch der Ministerrat sei in der Vergangenheit bereits über das Programm informiert worden. "Da sich zum damaligen Zeitpunkt allerdings nur sehr allgemeine Aussagen zur Ausgestaltung des ersten Programmjahres treffen ließen, ist beabsichtigt, den Ministerrat im Mai nochmals zu informieren und anschließend die Rechtsgrundlagen zu unterschreiben."

 

Aus Sachsen heißt es kurz und bündig: "Wir haben noch keine Unterschrift geleistet. Die Umsetzung der Kabinettsbefassung erfordert noch einige Klärungen." Und Hessen meldet, es sei "noch nichts unterzeichnet worden. Aktuell läuft dazu noch ein Beteiligungsverfahren mit verschiedenen Ressorts."

 

Kultusminister warnen BMBF vor Rückschritten
in den Digitalpakt-Verhandlungen

 

Alles drei Antworten, die nicht gerade die letzte Skepsis nehmen, denn sie machen deutlich: Es liegt offenbar gar nicht mehr vor allem an den Kultusministern. Und während die sich gewiss auch in Bayern, Sachsen oder Hessen am Ende nicht vor ihre Schulen stellen und das Scheitern des "Startchancen"-Programms verkünden wollen würden, könnten die politischen Rationalitäten in den betreffenden Staatskanzleien und Finanzministerien andere sein. Würden. Könnten: Auch in BMBF und Kultusministerkonferenz (KMK) heißt es also im Augenblick abwarten und Daumen drücken. Und parallel so tun, als ob alles in trockenen Tüchern wäre, weil nur dann die Programmvorbereitung noch zeitlich gelingen kann. 

 

Was das Risiko politischer Spielchen eben nicht gleich null sein lässt, ist die sich nicht enden wollende Verhandlungskrise zwischen Bund und Ländern beim Digitalpakt. Nachdem es Mitte März zwischenzeitlich so aussah, als könnte seine Fortsetzung komplett platzen, schien es, als hätten sich BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und ihre Länderkolleg:innen wieder zusammengerauft. Doch hielt der nach dem Spitzengespräch demonstrativ vorgetragene Optimismus offenbar nur kurz. Inzwischen kritisieren die Länder nämlich intern erneut, dass der Bund Absprachen nicht einhalte. Nicht einmal auf ein Protokoll der gemeinsamen Krisensitzung habe man sich einigen können.

 

Offiziell halten sich die Kultusminister mit Stellungnahmen derzeit zwar zurück, um die Verhandlungen nicht zusätzlich zu belasten. Das BMBF wiederum reagierte auf Anfragen zum Stand der Gespräche schon in der Vergangenheit stets mit dem Hinweis auf deren Vertraulichkeit.

 

Doch hat KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot, im Hauptberuf SPD-Kultusministerin des Saarlands, erst am Montag in einem Brief an Stark-Watzinger erneut die Verbindlichkeit getroffener Verabredungen angemahnt, sonst drohten, so Streichert-Clivot, bei den Digitalpakt-Verhandlungen statt weiterer substanzieller Fortschritten substanzielle Rückschritte. Was die Länder in dem Brief, der mir vorliegt, konkret und zum wiederholten Male verlangen: ein "klares Bekenntnis" der Bundesregierung zur Digitalpakt-Fortsetzung und zur Hinterlegung eines finanziellen Volumens, das sich in Höhe und Laufzeit mindestens am ersten Digitalpakt inklusive seiner in der Corona-Zeit getroffenen Zusatzvereinbarungen orientieren müsse. Also inklusive Länderanteil gut sieben Milliarden Euro, verteilt auf mindestens fünf Jahre.

 

Stark-Watzinger weiß selbst nicht, 

wieviel Geld sie bekommt

 

Außerdem pochen die Länder darauf, ihren Teil der Absprachen eingehalten und Anfang April wie vereinbart ihren Vorschlag für eine Vereinbarungs-Präambel vorgelegt zu haben, der den Digitalpakt 2.0 in den Gesamtkontext der digitalen Bildung in Deutschland stelle. Genau das, ein "Gesamtkonzept für digitale Bildung", hatte Stark-Watzinger zuletzt wiederholt gefordert als Voraussetzung, um die tatsächlichen Mittelbedarf seriös einschätzen zu können.

 

Während der Bund sich aus Sicht der Länder einseitig nicht an den vereinbarten Zeitplan gehalten hat. Jetzt, so heißt es im Brief von Streichert-Clivot, habe das BMBF seinen Textvorschlag  erst für den 26. April angekündigt. Vier Tage vor der nächsten geplanten Bund-Länder-Verhandlungsrunde am 30. April und aus Sicht der Länder zu knapp für möglichst konkrete und konstruktive Verhandlungen. Weshalb die Kultusminister fordern, dass der Bund spätestens am 19. April liefern solle. Was im KMK-Brief als "klare Erwartungshaltung der Länder" bezeichnet wird – was man als Fristsetzung verstehen muss.

 

Der Eindruck, dass Stark-Watzingers Ministerium weiter auf Zeit spielt, kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich kann das BMBF die Forderung nach einem verlässlichen Finanzvolumen nämlich immer noch nicht erfüllen. Die Haushaltsaufstellung im Bund läuft schleppend, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Frist, in der die Ressorts ihre Sparvorschläge für den 2025er Bundeshaushalt einreichen sollen, inzwischen vom 19. April um zwei Wochen nach hinten geschoben. Und erst danach, also im Mai, gehen die Budgetverhandlungen zwischen Finanzministerium und den übrigen Ministerien in die heiße Phase. 

 

Ein Ablauf, der überhaupt nicht zusammenpasst mit dem Zeitplan, auf den die Kultusminister lange pochten. Er sah vor, dass bereits Mitte Mai die Vereinbarung zum Digitalpakt 2.0 unterschriftsreif vorliegen sollte. Dann nämlich läuft der Digitalpakt 1.0 offiziell aus, und man möchte den Schulen und Schulträgern eine Anschlussperspektive präsentieren. Allerdings hatte die Koordinatorin der SPD-Bildungsminister:innen, die rheinland-pfälzische Ressortchefin Stefanie Hubig, schon nach dem Krisentreffen im März gesagt, es werde einen angepassten Zeitplan geben, doch blieb unklar, wie genau der aussehen sollte.

 

Inzwischen signalisieren die Kultusminister, dass selbst der Juni, also der Zeitpunkt der nächsten offiziellen KMK-Sitzung, noch akzeptabel sei für sie zur abschließenden Beratung und Vereinbarung. Im Brief der KMK-Präsidentin fordern die Länder entsprechend, dass  beim Treffen am 30. April ein solcher – neuer – verbindlicher Zeitplan verabredet werden solle.

 

Aber was genau signalisiert eigentlich der Bund? Genau das, sagen viele Kultusminister, sei das Problem. Anstatt offen den Stand der Budgetverhandlungen mit dem Ministerium von Christian Lindner zu kommunizieren, halte das BMBF immer wieder einseitig Terminabsprachen nicht ein, vertröste, liefere später und dann auch oft anders und vager als erwartet. 

 

Jetzt Klarheit schaffen,

wo das möglich ist

 

Nur dass die Kultusminister nicht wirklich einen Hebel haben, um den Handlungsdruck im BMBF zu verstärken. Die Nichtunterzeichnung der "Startchancen", siehe oben, ist es entgegen mancher Gedankenspiele ganz bestimmt nicht (mehr). Und wenn der Bund den Digitalpakt 2.0 doch noch kassiert, wäre das zwar ein enormer Gesichtsverlust für Bundesministerin Stark-Watzinger, die in der Vergangenheit immer wieder über eine mögliche größere Rolle des Bundes gerade in der digitalen Bildung räsoniert hat – aber davon hätten die Kultusminister gleich welcher Couleur rein gar nichts. Denn dann stünden sie den Schulträgern in ihren Bundesländern allein gegenüber, die wissen wollen, wie sie die durch den Digitalpakt entstandenen digitalen Bildungsstrukturen, von der Hardware über die Software bis hin zur Didaktik und eingestellten Systemadministratoren, weiter finanzieren sollen. Verlierer wären alle: Stark-Watzinger, Kultusminister, Schulträger – und vor allem die Schülerinnen und Schüler. 

 

Streichert-Clivot führt in ihrem Brief aus, für die Länder sei weiter von zentraler Bedeutung einen modernen pädagogischen Anspruch mit der inhaltlichen und systematischen Weiterentwicklung des Digitalpakts zu verbinden und in den Vereinbarungstext zu integrieren, vor allem mit Blick auf eine zukunftsfähige schulische Bildung und erforderliche Maßnahmen wie Beratung, digitaler Content und IT-Administration. Die pädagogischen Schwerpunkte sollten hier besonders auf der Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens, den Curricula, der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie beim Thema Content und adaptives Lernen mithilfe von KI-gestützten Tools liegen. Sätze, die ganz offenbar belegen sollen, dass es den Länder nicht nur um das Geld vom Bund geht – was aus dem Bund gern immer wieder einmal so impliziert wird.

 

Öffentlich sagt KMK-Präsidentin Streichert-Clivot auf Anfrage diplomatisch, sie nehme weiter ein starkes Commitment Stark-Watzingers wahr, den Digitalpakt 2.0 umzusetzen, "und ich hoffe und erwarte, dass sie den verabredeten Zeitplan einhält." 

 

So bleibt den Schulen die Unsicherheit in Sachen Digitalpakt voraussichtlich noch eine Weile erhalten – und BMBF und Kultusminister engagieren sich weiter in wenig ergiebigen Verhandlungen. Umso mehr ist zu hoffen und zu erwarten, dass tatsächlich alle Länder jetzt ihrerseits an der Stelle schnell Klarheit schaffen, an der sie es können: bei den "Startchancen". 


Startchancen-Unterschrift: Wie ist der Stand in den übrigen Ländern?

Berlins Senatsverwaltung für Bildung teilt mit, die Vereinbarung befinde sich "im Verfahren" und werde "wie besprochen" rechtzeitig übermittelt.

 

Das Kabinett in Mecklenburg-Vorpommern werde sich "voraussichtlich noch im April" mit der Bund-Länder-Vereinbarung und der Verwaltungsvereinbarung befassen, sagt der Ministeriumssprecher mit. Danach könne die Unterzeichnung erfolgen.

 

In Niedersachsen befindet sich die Ratifizierung der Vereinbarung laut Ministerium derzeit in den letzten Zügen. Sie werde voraussichtlich am 23. April ins Kabinett eingebracht und anschließend dem Ministerpräsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt.

 

Das Kabinett in NRW hat bereits Anfang März grünes Licht für die Startchancen gegeben, noch 

läuft das parlamentarische Verfahren, bevor unterzeichnet werden kann.

 

Im Saarland soll die förmliche Kabinettserfassung ebenfalls "zeitnah" erfolgen, anschließend werde Ministerin Streichert-Clivot unterschreiben.

 

In Sachsen-Anhalt soll in dieser Woche das Kabinett zustimmen, im Anschluss werde der Landtag unterrichtet und um Stellungnahme gebeten. Sofern diese positiv ausfalle, "wird die Ermächtigung erteilt, die Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern über das Startchancen-Programm zu unterzeichnen."

 

Schleswig Holsteins Bildungsministerin Karin Prien werde "voraussichtlich Ende April/Anfang Mai ihre Unterschrift leisten. Das Kabinett habe bereits zugestimmt, derzeit laufe noch das vierwöchige parlamentarische Verfahren. 




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